Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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17.

Eine holländische Familie.

Mynheer van Kuiper lag ausgestreckt auf einer Chaiselongue und stöhnte über die unerträgliche Hitze, welche ihm den Schweiß in großen Tropfen über das fleischige Gesicht rinnen ließ. Es nützte nichts, daß er seinen Aufenthalt in der schattigen Veranda der Villa gewählt hatte, daß ihm ein malayischer Diener fortwährend Kühlung zufächelte – sein durch langes Nichtstun bis zum Uebermaß fett gewordener Körper war nicht geschaffen für ein Klima, wo 50 Grad Celsius im Schatten als eine noch erträgliche Temperatur gelten, und dennoch konnte er sich nicht von diesem Lande, von Java, trennen, in dem er seine Reichtümer erworben hatte, und noch weniger seine Frau, eine Eingeborene, die in dem kalten Klima seiner Heimat gestorben wäre.

Beiden schien übrigens die Hitze ganz gut zu bekommen, denn sein Gesicht glänzte vor Gesundheit, und war er schon sehr dick zu nennen, so war seine Frau, deren einheimischen Namen er in Fatja umgewandelt hatte – er wußte selbst nicht mehr, wie eigentlich ihr richtiger war, er klang nur ähnlich – ein wahres Monstrum von Körperfülle.

Es kommt häufig vor, daß die sich auf Java ansiedelnden Europäer Malayinnen heiraten, einmal von ihrer Schönheit angezogen, und dann auch, weil sie gewöhnlich dabei gute Partieen machen, denn unter den vornehmen Eingeborenen gibt es sehr reiche, sogar Nabobs, deren einzige Arbeit in der Besichtigung und Sortierung ihrer ererbten Diamanten besteht. Die Malayinnen haben aber den Fehler, daß sie mit dem Alter sehr an Körperumfang zunehmen; ihre völlig beschäftigungslose Lebensweise bringt dies mit sich, und da die Holländer, die Herren von Java, dieselbe Neigung besitzen, so trifft man dort häufig solche Ehepaare, bei welchen der Mann mit seiner Frau an Dicke wetteifert.

Auch die Gemahlin des Mynheer van Kuiper sah sich vollkommen außer stand gesetzt, eine Bewegung zu machen, sie brachte es nicht einmal so weit, die Hand nach dem Glase mit der kühlen Limonade auszustrecken, welches neben ihr auf einem Rohrtischchen stand, sondern ließ es sich durch eine eingeborene Dienerin an den Mund führen, während ihr Mann doch noch so viel Tatkraft besaß, ab und zu die Manillazigarre aus dem Munde zu nehmen, wenn ihn der Rauch zu sehr belästigte.

Bis jetzt war kein Wort zwischen beiden gewechselt worden, denn es war ja Siesta, und war das Ehepaar sowieso nicht gerade schwatzhaft, so unterließ es besonders, während dieser zwei Stunden des Nachmittags, in welchen es sich von den Anstrengungen des Mittagessens erholen mußte, vollkommen, sich in ein Gespräch einzulassen. Außerdem gab Mynheer van Kuiper heute abend in seinem Hause eine Gesellschaft, und sie bedurften doppelt der Ruhe, um den kommenden Aufregungen gewachsen zu sein. Daher kam es auch, daß heute nicht wie sonst das Zimmer mit herumlungernden Dienern besetzt war, weil alle sich an Hausarbeiten beteiligen mußten.

Jedes herrschaftliche Haus verfügt, wie in ganz Indien, so vor allen Dingen auf Java über eine enorme Anzahl von eingeborenen Dienern, von denen jeder einzelne nur irgend eine bestimmte Arbeit, oft nur eine ganz geringe Kleinigkeit, wie zum Beispiel das Anbrennen der Pfeifen zu besorgen hat.

Trotzdem schien es, als mache die dicke Frau Fatja ab und zu den Versuch, an ihren Gemahl eine Frage zu richten, aber immer schloß sie mit einem Blick auf Mynheer wieder den schon halb geöffneten Mund – es wäre ja unverantwortlich gewesen, den von Hitze und Fliegen Gequälten auch noch mit Reden belästigen zu wollen.

»Eine Zigarre,« flüsterte Mynheer van Kuiper mit matter Stimme und ließ den Rest der Manilla aus der Hand fallen.

Jetzt war der Bann, der bisher ihre Zunge in rücksichtsloses Schweigen gehalten hatte, gebrochen, Mynheer war zum Sprechen fähig.

»Hast du heute Briefe bekommen?«

Mynheer van Kuiper nickte – lange Pause.

»Auch von Singapore?«

Er nickte nur.

Frau Fatja hatte ganz vergessen, daß es so heiß und sie so dick war, daß eine heftige Bewegung ihr den Tod bringen konnte, sie richtete sich mit einem gewaltsamen Ruck auf ihrer Chaiselongue zu einer sitzenden Stellung auf und sagte laut, was bei ihr sonst als Schreien galt, wenigstens zu dieser Stunde:

»Und das sagst du mir erst jetzt? Ist etwas gefunden worden?«

Mynheer schüttelte den Kopf.

Seufzend fiel die Frau wieder zurück und hielt sich das Battisttuch vor die Augen.

Dieser Seufzer und diese Bewegung veranlaßten Mynheer van Kuiper doch, seine Manilla aus dem Munde zu nehmen und mit so zärtlicher Stimme, als es seine Kehle erlaubte, zu sagen:

»Hätte ich es dir nicht sofort gesagt, Fatja, wenn ich günstige Nachrichten bekommen hätte? Nichts ist dort bekannt, rein gar nichts, und jeden Buchstaben wollen die Halunken dabei mit Gold aufgewogen haben.«

Erschöpft von seiner langen Rede schwieg er, und auch er wischte sich mit dem Tuch über die Augen – wahrscheinlich um die Schweißtropfen zu entfernen.

Da schallten schnelle Schritte auf dem Kiesweg, welcher durch den mit herrlichen Blumenbeeten und Gewürzsträuchern bepflanzten Garten führte – Java ist das Land der Blumen und Gewürze – und Mynheer van Kuiper erblickte durch die Jalousien einen jungen Mann, der gerade auf den Eingang der Veranda zukam.

»Fünf Uhr, Wilhelm kommt schon aus dem Kontor zurück,« seufzte er, »Fatja, unsere Siesta ist vorbei, wir müssen Toilette machen.«

Dennoch erhob sich keins von ihnen, sondern sie erwarteten erst das Kommen ihres Sohnes, welcher in der unteren Stadt von Java, dem Viertel der Eingeborenen, aber zugleich auch dem der Kontors, das Geschäft seines Vaters, eines Gewürzhändlers, leitete.

Man hätte den Sohn, einen Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, eher für den Sprößling einer unvermischten Malayenfamilie halten können, so sehr prägte sich in seinen Zügen der Typus der Eingeborenen aus, besonders das mandelförmige, blitzende Auge war völlig das eines Malayen. Nur die etwas hellere Hautfarbe verriet, daß in seinen Adern europäisches Blut floß. Dagegen unterschied er sich in seiner Kleidung durch nichts von einem Europäer, ebensowenig in seinem Benehmen, und hätte man ihn beim Sprechen nicht angesehen, so hätte man ihn für einen solchen gehalten.

Er nahm bei seinem Eintritt den breitrandigen Strohhut von dem schwarzen, glänzenden Haar, küßte erst seiner Mutter ehrfurchtsvoll die Hand und ließ sich dann auf einen Strohsessel zwischen beiden nieder. Seine bis jetzt gezeigten Bewegungen verrieten, daß er im Gegensatz zu seinen Eltern äußerst lebhaft war, und dies geschah noch mehr durch seine Sprache, als er jetzt begann:

»Verzeiht, daß ich euch so unversehens überfalle und in der Siesta störe, aber ihr seht, ich bin noch ganz atemlos von dem Wege, den ich von der Pferdestation bis hierher fast im Laufschritt zurückgelegt habe.«

»Doch nichts Unangenehmes passiert?« fragte Mynheer ängstlich. »Ist die Ladung für Philadelphia ohne Unfall verstaut worden?«

»Alles richtig unter meiner persönlichen Aufsicht besorgt! Eben die Vollendung dieses Geschäftes führte mich nach dem amerikanischen Konsulat, um mir dort die Papiere quittieren zu lassen. Ich wurde versehentlich von dem Diener, welcher mich gut kennt und mich bevorzugen zu müssen glaubt, sofort vor den Konsul gelassen, während eben eine Dame Zutritt zum Sprechzimmer erhalten hatte. Ich wollte mich schon wieder in den Wartesaal begeben, aber der Sekretär nötigte mich zum Sitzen, und ich habe wahrhaftig nicht bereut, eine Viertelstunde gewartet zu haben. Wie gesagt, die Dame war auch eben erst eingetreten und stellte sich dem Konsul vor, der mit einem Male sein sonst etwas anmaßendes Wesen völlig aufgab und die ihm gereichten Papiere mit Verbeugungen in Empfang nahm. Und was meint ihr, wer die Dame war?«

»Die Königin von England,« sagte gähnend Mynheer van Kuiper, dem die Mitteilung seines Sohnes bisher kein sonderliches Interesse abgewonnen hatte.

»Die hätte ja nichts auf dem amerikanischen Konsulat zu suchen« erklärte der junge Mann lächelnd, »nein, es war Miß Petersen, die Kapitänin der ›Vesta‹, welche die Ankunft ihres Schiffes meldete.«

Jetzt wurde das Ehepaar doch erregt, denn auch sie hatten in den Zeitungen schon verschiedenes von dem Damenschiff und dem ›Amor‹ gelesen.

»Nachdem die zeremonielle Anmeldung vorüber war,« fuhr Wilhelm fort, »war Miß Petersens erste Frage, stellt euch mein Erstaunen vor, nach Mynheer van Kuiper, ob er in Batavia wohne und wo?«

»Nach mir?« fragte Mynheer erstaunt. »Was habe ich mit der ›Vesta‹ zu schaffen? Will die Dame mit mir Geschäfte machen?«

»Ich weiß nicht, jedenfalls war es so. Der Konsul sagte sofort, daß ich der richtige Mann wäre, an den sie sich wenden müsse, und Miß Petersen schien erst etwas verlegen, dann aber sehr erfreut, als ich mich ihr als einen van Kuiper vorstellte. Ich brachte sie an Bord ihres Schiffes zurück, und unterwegs erfuhr ich den Grund, warum sie sich so genau nach unserer Wohnung erkundigt hatte.«

Der junge Mann schwieg, es schien fast, als ob er vor Erregung kein Wort herausbringen könnte.

Verwundert betrachtete ihn das Ehepaar.

»Nun?« fragte endlich Mynheer.

»Sie soll dir von einem Geschäftsfreund in Amerika Grüße bringen.«

»Das ist alles?« sagte Frau Fatja. »Du schraubst uns mit deiner Erzählung auf eine Spannung, daß ich fast das Atemholen vergessen hätte, und nun ist es nur eine solche Kleinigkeit.«

»Ja, das ist alles,« rief der Sohn, und schlug sich mit der flachen Hand aufs Knie, als könne er sich vor Freude nicht beherrschen.

»Aber noch mehr,« fuhr er dann fort, wieder ruhiger werdend, »ich brachte also Miß Petersen nach dem Quai, und unterwegs stießen einige Herren zu uns, einige jener Engländer vom ›Amor‹, wir wurden bald bekannt und, liebe Eltern, hoffentlich seid ihr damit einverstanden, schließlich lud ich sowohl alle amerikanischen Damen, wie auch alle englischen Herren ein, den morgenden Abend bei uns zu verbringen.«

»Alle?« rief die Mutter entsetzt aus.

»Nun, nicht alle von Batavia,« lächelte der Sohn, »das wäre etwas zuviel. Nur die von der ›Vesta‹ und dem ›Amor‹.«

»Aber wir haben ja heute abend Gesellschaft,« klagte der Vater, »wir kommen ja gar nicht aus der Aufregung heraus.«

»Wenn du sie eingeladen hast, so sind sie uns natürlich willkommen,« sagte aber Frau Fatja, aus ihren mandelförmigen Augen ihrer Ehehälfte einen mißbilligenden Blick zuwerfend, »unser Haus ist groß genug, um auch die doppelte Anzahl von Gästen aufnehmen zu können.«

»Das ist sehr gut, daß du mir so entgegenkommst,« meinte Wilhelm, wieder lächelnd, »meine Geschichte ist nämlich noch nicht zu Ende. Nachdem Miß Petersen sicher an Bord war, gingen wir, die englischen Herrn und ich, in ein Hotel und wurden dort mit einigen Offizieren bekannt, welche heute mit dem deutschen Kriegsschiff gekommen sind. Einer der Herren kannte einen Engländer vom ›Amor‹, wir stellten uns vor, und der Schluß war, daß auch sie versprachen, morgen abend uns zu besuchen und für einige Stunden bei uns zu bleiben.«

»Wieviel waren es denn?« fragte Mynheer vorsichtig.

»Fünfzig werden es wohl sein.«

»Alle zusammen?«

»Nein, auf hundert können wir uns ruhig einrichten.«

»O, die Aufregung,« seufzte Frau Fatja, »ein Glück ist es wenigstens, daß wir sie nicht unterzubringen brauchen, denn für morgen früh haben wir schon einen zahlreichen Besuch angesagt bekommen, der einige Tage bei uns wohnen wird.«

»Wen denn?« fragte Wilhelm neugierig.

Der Mynheer und seine Frau schienen etwas verlegen zu werden, doch schließlich sagte letztere zögernd.

»Sardal mit seinen Dienern.«

Da plötzlich sprang der junge Mann auf und rief, die Fäuste geballt, mit blitzenden Augen:

»Wie, dieser Schurke wagt, unser Haus zu betreten und begehrt auch noch, darin zu übernachten?«

Mehr erstaunt, als erschrocken betrachteten die beiden den aufgeregten jungen Mann; noch nie hatten sie ihn so leidenschaftlich erregt gesehen.

»Aber, Wilhelm,« sagte endlich die Mutter, »was fällt dir denn ein, so über Sardal zu sprechen? Hat er nicht schon öfters in unserem Hause verkehrt, und hast du ihn nicht auch immer freundlich behandelt, seit – seit ..«

»Sprich es nur ruhig aus,« stieß der junge Mann mit bitterem Lachen hervor, »seit Santa ihm ihre Hand verweigert hat.«

Bei Nennung dieses Namens bedeckte die Frau die Augen, und Mynheer warf seinem Sohne einen bedeutsamen Blick zu.

»Aber besser so!« fuhr Wilhelm unbeirrt fort. »Laßt ihn kommen, gut, so können wir miteinander abrechnen.«

»Was willst du tun, Wilhelm?« fragte der ängstliche van Kuiper. »Um Gottes willen, sieh dich vor, du hast schon schlimme Andeutungen über Sardal gemacht, ich war oft in Sorge, du könntest dir einmal den Mund verbrennen, und riet dir immer, freundlich gegen diesen Mann zu sein. Bedenke, Sardal ist ein mächtiger Fürst, die holländische Regierung bemüht sich um seine Gunst.«

»So?« klang es spöttisch zurück. »Warum führt denn Sardal seine Leute nicht gegen die Atchinesen in den Kampf?«

»Ich weiß nicht, was für Gründe ihn abhalten, es schon jetzt zu tun, aber er wird jedenfalls noch vorgehen, und dann haben die Atchinesen einen furchtbaren Feind. Die Regierung zählt auf ihn. Sardal ist treu wie Gold.«

»Treu wie Gold,« tönte es zurück. »Ein Verräter ist er, ein Heuchler, der nur vorläufig zusieht und sich dann auf die Seite dessen schlägt, dem der Sieg zuzufallen scheint.«

»Nimm dich in acht,« bat Mynheer, »die Diener hören es.«

»Mögen sie es hören; er selbst soll es zu hören bekommen. Ha, wie gut, daß dieser Schurke mir gerade jetzt in den Weg läuft!«

»Wilhelm,« jammerte die Mutter, »mache dich und uns nicht unglücklich, wir sind es ja so schon genug!«

Der junge Mann hatte sich beruhigt; er streichelte die Hand seiner Mutter und sagte:

»Seid unbesorgt, ich weiß, was ich tue! Habe ich bisher in Sardals Treue Argwohn gesetzt, so habe ich es doch gegen niemanden, als gegen euch laut werden lassen, da ich aber nun Beweise von seinem verbrecherischen Treiben habe, soll es alle Welt erfahren, und ich will mit meinem Kopfe für die Wahrheit einstehen. Laßt nur erst morgen abend kommen.«

»Nur keinen Skandal in unserem Hause,« flehte Mynheer, »denke an unsere Gäste.«

»Eben die brauche ich dazu.« Wilhelm sah nach der Uhr. »Es wird Zeit, daß wir uns fertigmachen.«

Er entfernte sich, und Mynheer van Kuiper und Gemahlin waren jetzt endlich gezwungen, ihre bequeme Lage aufzugeben und sich von den Chaiselongues zu erheben.

»Ein unglückliches Verhängnis,« sagte Mynheer, als er glücklich auf seinen Beinen stand. »Ich weiß nicht, was Wilhelm mit diesem Sardal vorhat. Wenn er nur wenigstens in Anwesenheit der Gäste keinen Skandal herbeiführt.«

»Das tut Wilhelm nicht,« erwiderte Fatja, »er hat das heiße Blut Javas in den Adern und läßt sich leicht zu heftigen Worten hinreißen, aber im Augenblick des Handelns hat er deinen kalten Kopf. Es freut mich aber doch, morgen abend jene Herren und Damen kennen zu lernen, von denen alle Welt spricht. Ihre Gesellschaft ist jedenfalls eine andere, als die gewöhnliche, wie auch heute abend eine zusammenkommt. Offengestanden, mir sind diese holländischen Gesellschaften schrecklich langweilig, bei denen die Männer rauchen und die Damen ihnen zusehen, ohne ein Wort zu sprechen.«

»Danke,« sagte Mynheer und führte seine Gemahlin aus der Veranda in die inneren Räumlichkeiten des Hauses.


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