Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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20.

Eine Phantasia.

»Mister Wood!« rief Charles einem auf der anderen Seite der Straße gehenden Herrn zu. Der Angerufene blieb stehen, zögerte einen Augenblick und ging dann hinüber zu der Gruppe von drei Herren, welche am Abende in der unteren Stadt von Batavia spazieren gingen. Es waren Williams, Hendricks und Chaushilm.

»Sie wollen sich wohl durchaus das Fieber holen?« fragte der Detektiv ernst. »Ist Ihnen noch nicht gesagt worden, meine Herren, daß jeder Europäer, der nur eine Nacht im unteren Batavia zubringt, das Fieber bekommt? Gehen Sie lieber an Bord; auf dem Wasser ist es gesünder.«

»Dann rechnen Sie sich wohl zu den Nichteuropäern?« lachte Charles.

»Seien Sie unbesorgt, lieber Wood, wir können alle drei schon eine gute Dosis von Fiebermiasmen hinunterschlucken, ehe sie bei uns anschlagen.«

»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich,« entgegnete Wood, welcher den beiden anderen nur unter diesem Namen bekannt war. »Meinetwegen tun Sie, was Sie wollen. Wohin gehen Sie?«

»Wir suchen Abenteuer,« sagte Chaushilm. »Können Sie uns nicht zu einem solchen verhelfen?«

Der Detektiv warf einen zweifelhaften Blick auf die drei elegant gekleideten Herren, dann sagte er:

»Das könnte ich wohl. Wollen Sie mit mir gehen, gut, kommen Sie, aber die Verantwortung nehme ich nicht auf mich!«

»Ist es so gefährlich?«

»Wie man's nimmt; das Leben kostet es nicht, aber Geld destomehr. Sind die Herren mit Waffen versehen?«

»Wir haben Revolver bei uns.«

»Ach was, Revolver! Goldstücke meine ich.«

»Auch das! Nun sind wir aber gespannt, wohin Sie uns führen; doch nicht in eine Spielhölle?«

»Kommen Sie nur!« sagte der Detektiv kurz und ging voraus. »Paßt es Ihnen nicht, einzutreten, so können Sie immer noch draußen bleiben.« »Wohin führen Sie uns eigentlich?« fragte Charles den Detektiven leise, als er sich an dessen Seite befand.

Das Trottoir war so schmal, daß nur zwei Personen nebeneinander gehen konnten. Voraus schritten der Detektiv und Williams, hinter ihnen Chaushilm und Hendricks, beide in eifrigem Gespräch begriffen.

»Haben Sie schon von einer Phantasia gehört?« fragte Sharp.

»Allerdings, das Wort ist mir schon oft in die Ohren geklungen, besonders bei unserem Aufenthalt in Egypten.«

»Nun, wir werden uns jetzt einmal eine Phantasia ansehen.«

In kurzen Worten setzte der Detektiv seinem Begleiter die Bedeutung des Wortes auseinander.

Mit Phantasia wird, wenigstens überall, wo die mohammedanische Religion herrscht, eine Festlichkeit, die mit Aufregung verknüpft ist, oder auch schon eine Aufregung allein, bezeichnet. Begeben sich einige Muselmänner in eine Opiumhöhle, um sich in dem süßen Rausch zu betäuben, so sagt man, sie gehen zu einer Phantasia. Eine Phantasia ist ein Trinkgelage – die Mohammedaner trinken Branntwein und Bier, das verbietet ihnen zwar der Koran, aber sie tun es doch – ein Theaterstück, eine Vorstellung im Zirkus und so weiter. Im engeren Sinne versteht man aber unter Phantasia das Auftreten von Bajaderen, indischen Tänzerinnen, und schließlich alle ausschweifenden und sinnlichen Genüsse, mit einem Worte einen Sinnesrausch.

»Sie wollen uns doch nicht etwa verleiten, in ein öffentliches Haus zu gehen?« fragte Charles mißtrauisch.

»Verleiten will ich Sie nicht dazu. Wollen Sie nicht mit hinein, so können Sie ja draußen sitzen bleiben. Aber kommen Sie nur mit, lassen Sie einmal Ihre kleinlichen Ansichten fahren! Wo wir hinkommen, da ist es immer anständig.«

»So ist es wirklich ein öffentliches Haus?« »So sehr öffentlich ist es nicht; nur wer mit Gold zahlen kann, hat Zutritt. Mädchen gibt es allerdings darin, aber sie tanzen uns nur etwas vor, das ist alles. Williams, Sie sind doch auf der Weltreise, Teufel noch einmal, da müssen Sie doch auch so etwas kennen lernen!«

»Ich hätte nie geglaubt,« sagte Williams auf diese Ermunterung, »daß auch Sie auf solchen Abwegen gingen. Sie sind doch sonst ein so nüchterner Mensch und absoluter Weiberverächter?«

»Glauben Sie vielleicht, ich gehe zum Vergnügen dahin? Keinen Heller würde ich für solchen Unsinn ausgeben.«

»Also geschäftlich?«

Der Detektiv nickte.

»Im allerhöchsten Auftrage,« sagte er dann.

»Was heißt das?«

»Im Auftrag der Miß Petersen.«

»Nanu,« rief Charles erstaunt, »das ist doch nicht gut möglich, daß Miß Petersen Sie in ein solches Lokal schickt.«

»Gewiß tut Sie das, sie gibt mir sogar noch das Geld dazu, damit ich hineingehen kann. Aber ich will Ihnen sagen, wie es kommt,« sagte der Detektiv lächelnd, als er Williams' verblüffte Miene sah. »Miß Petersen fragte ihren Minister zur Linken, Lord Harrlington, ob er nicht jemanden wüßte, einen intelligenten Mann, der Batavia kennt. Lord Harrlington fragte mich dasselbe, und nur, um der Fragerei ein Ende zu machen, bin ich als Mister Wood zu der Kapitänin gegangen und habe mich als einen Mann vorgestellt, der in Batavia geboren und groß geworden ist.«

»So kennen Sie die Stadt schon?«

»Es ist das erste Mal, daß ich hier bin.«

»Und Sie laufen hier kreuz und quer durch Straßen, Gassen und Durchgänge ohne zu fragen?« meinte Charles verwundert.

»Ich habe den Plan von Batavia im Kopfe und verlaufe mich nicht; seien Sie unbesorgt, gleich sind wir da!«

Nach einigen Minuten bog der Detektiv in ein schmales Sackgäßchen ein; die wenigen Eingeborenen, welche im spärlichen Scheine der Gaslaterne sichtbar wurden, wichen scheu vor den vornehmen Herren zurück, drehten die Köpfe nach ihnen um und zischelten einander Bemerkungen zu.

»Was für einen Auftrag haben Sie auszuführen?« fragte Charles.

»Später werden Sie es erfahren; jetzt habe ich keine Zeit mehr dazu,« entgegnete der Detektiv kurz und schritt nachdenklich durch die enge Gasse.

Es war den Herren, als ob sie Musik vernähmen; wenigstens konnten sie die dumpfen Töne von Trommeln hören, und ab und zu klang auch das Gerassel von Tamburins hindurch.

»Schade,« meinte der Detektiv, »wir finden schon Gesellschaft vor! Das hilft aber nun weiter nichts.«

Die Klänge der Musik wurden immer deutlicher; sie schienen aus dem letzten Hause der Sackgasse zu kommen, und vor diesem blieb der Führer der kleinen Gesellschaft auch stehen und zog die Glocke.

Nach einigen Minuten Wartens vernahmen die Außenstehenden, wie in der Tür ein Brettchen zurückgeschoben wurde. Jedenfalls mußte die betreffende Person mit dem Aussehen der Herren zufrieden sein, denn die Tür wurde sofort geöffnet, und auf einen Wink des Detektiven, der hier zu Hause zu sein schien, traten seine Gefährten schnell in den niedrigen, nur von einer Oellampe erhellten Vorraum, welcher völlig kahl war und mit seinen schmutzigen Wänden den Eindruck großer Aermlichkeit machte.

Ein altes, häßliches Weib, von dem man nicht sagen konnte, ob sie eine Malayin, Negerin, oder Chinesin war, hatte die Tür geöffnet.

»Gott segne Sie, Mylord,« sagte sie auf englisch und knixte, als der Detektiv ein Goldstück in ihre Hand fallen ließ und von den anderen Herren andere nachfolgten.

Sie hatte sofort die Engländer erkannt, aber ebenso Sharp an ihrer Aussprache des Englischen, daß sie eine Südfranzösin sei.

»Ist Gesellschaft darin?« fragte er.

»Nur zwei Herren, aber schöne Mädchen, die schönsten von ganz Indien, Gott segne Sie,« krächzte das alte Weib.

»Zum Teufel mit Eurem Segen,« brummte Sharp. »Gebt uns ein besonderes Zimmer!«

»Für alle vier Herren? Das geht nicht, es ist keins davon groß genug. Sie müssen schon in den Salon gehen.«

Dabei hielt sie die Goldstücke mit ihren Spinnenfingern krampfhaft umklammert, als würde sie dieselben nur bei Anwendung von Gewalt herausgeben, sollten die Gäste ihren Entschluß ändern und nicht eintreten.

»Gut denn, so führt uns hinein!«

Eiligst humpelte das alte Weib nach dem Hintergrunde des Vorsaales und öffnete eine Tür. Ein gedämpftes Licht strahlte den Eintretenden entgegen.

»Alle Wetter,« flüsterte Charles seinen Freunden zu, »das ist gerade wie in Tausend und Eine Nacht, das habe ich in dem alten Gerümpel nicht gesucht.«

Der ganze ziemlich große Raum, in dessen Mitte eine Säule stand, war mit Teppichen belegt, der Fußboden, wie auch die Wände, an denen sich Diwans mit rotem Sammetbezug hinzogen. Von der Decke hingen zwei Ampeln herab, alles mit einem rosenroten, angenehmen Dämmerlicht übergießend.

Ringsum auf den Ruhebetten saßen oder hockten junge Mädchen, in leichte, fast durchsichtige Gazekleider gehüllt, welche die Körper zwar völlig bedeckten, aber sie doch durchschimmern ließen. Die meisten von ihnen waren Malayinnen, kleine, schmiegsame Gestalten mit wunderbar kleinen Händen und Füßen; aber auch das weibliche Geschlecht von China, Japan, Indien und Arabien war vertreten, ebenso einige Negerinnen von den schwärzesten Schattierungen.

Neben der einen Indierin saß ein Herr von vornehmem Aeußeren, an der Seite einer Malayin ein anderer, zwar ebenfalls sehr elegant gekleidet, aber mit einem rohen Gesichtsausdruck, der besser in den Pferdestall, als in eine Gesellschaft gepaßt hätte.

Es war sehr leer; die Besitzerin des Etablissements machte gerade jetzt schlechte Geschäfte, weil die holländischen Truppen alle nach Sumatra eingeschifft worden waren, um gegen die Atchinesen zu kämpfen, und überhaupt in Batavia, wie überall auf Java, eine gedrückte Stimmung durch den Krieg hervorgerufen, herrschte.

Die beiden schon anwesenden Gäste hatten jetzt keine Zeit, ihren Nachbarinnen Aufmerksamkeit zu schenken, sie sahen einer arabischen Tänzerin zu, welche eben zu tanzen begonnen hatte.

Es war ein wunderschönes Mädchen; langes, schwarzes Haar wallte um den kleinen Kopf, die großen, schwärmerischen Augen, sonst gewöhnt, träumerisch zu blicken, waren jedenfalls durch ein sinnentflammendes Mittel, wie sie in der dortigen Gegend so gern angewendet werden, zu einer feurigen Glut entfacht, die seine Nase, der kleine Mund mit den schwellenden Lippen, zwischen denen die weißen Zähne hervorschimmerten, die zierlichen Ohren und die lieblichen Gesichtszüge, welche sich nicht beschreiben lassen, alles machte das Mädchen zu einer der entzückendsten Erscheinungen.

Sie war die einzige, welche nicht wie die anderen nur in durchsichtige Gazekleider gehüllt war, sondern um ihre schlanke Gestalt wand sich noch ein Tuch aus buntem Gewebe, den Oberkörper bedeckte ein bis oben geschlossenes silber- und goldgesticktes Jäckchen, welches unten auseinander ging, so daß man noch eine Art von Mieder sehen konnte.

Sie hatte eben zu tanzen begonnen.

Sharp war ohne weiteres durch den Saal geschritten und hatte sich neben einer dicken Chinesin niedergelassen, und durch das Beispiel ermuntert, waren die anderen Herren ebenfalls bald plaziert. Williams hatte es so eingerichtet, daß er neben den Detektiven zu sitzen kam. Hendricks suchte sich eine Malayin aus, und der nach allem Absonderlichen haschende Chaushilm fand Geschmack an einer Schönen aus Nubien. Jetzt sahen sie dem Gebaren der Tänzerin zu und konnten lange nicht herausfinden, was die Bewegungen, welche jedenfalls eine symbolische Bedeutung hatten, vorstellen sollten.

Unter den Klängen eines Tamburins und eines einsaitigen Instrumentes bewegte sich das Mädchen langsam aber mit unsagbarer Grazie hin und her, dabei ein Tamburin hoch über dem Kopfe haltend und die Bewegungen rhythmisch begleitend. Sie blieb fast immer auf einer Stelle stehen, trat höchstens einmal mit einer Neigung des Oberkörpers einen Schritt nach vorn und beim Ausrichten wieder zurück, dann sich etwas drehend.

Aber die Musik ward nach und nach schneller, und ebenso die Bewegungen der Tänzerin, sie ging nicht mehr, sie sprang, hüpfte und tanzte, und als die Instrumente eine rasche Tonart anschlugen, warf sie das Tamburin fort und begann in dem Gemach auf- und abzuspringen, streckte abwehrend beide Hände aus, zog ein ängstliches, flehendes Gesicht, verzog es wie im Schmerz und begann wie rasend umherzuspringen.

Immer wilder, immer abgerissener klangen die disharmonischen Töne, und plötzlich riß die Tänzerin, mit einem wahrhaft furchtbaren Schmerzensausdruck in den Zügen, die Jacke vom Oberkörper, dann das Mieder, schließlich den Rock, dabei immer gewisse Zwischenpausen innehaltend und wild umherspringend.

Williams hatte seine Aufmerksamkeit halb der Tänzerin, halb dem neben ihm sitzenden Sharp zugewendet, der sich fortgesetzt mit seiner Chinesin beschäftigte. Williams konnte bei dem Lärm der Musik nicht verstehen, was er sagte, aber jedenfalls mußte er der schönen Chinesin nichts sehr Schmeichelhaftes ins Ohr flüstern, denn ihre kleine, weiße Stirn zog sich in drohende Falten, und als er immer und immer wieder ihre nach Sitte des Landes verkrüppelten Füße betrachtete und darüber lachte, stand sie endlich auf und ging wackelnd zu einer Tür hinaus, wahrscheinlich, um ihren Aerger mit einem Glas Arrak oder einer Tasse Kaffee und Opium hinunterzuspülen.

Jetzt erst wendete der Detektiv seine Augen der Tänzerin zu und zwar mit einem so starren Blick, daß ihn das Mädchen trotz ihres leidenschaftlichen Tanzes bemerkte und beobachtete.

»Was soll dieser Tanz nur bedeuten?« fragte Williams den Detektiven. »Hat das Mädchen Schmerzen, oder stellt es sich nur so? Es zieht ja manchmal ein ganz verzweifeltes Gesicht.«

»Das kann ich Ihnen erklären,« sagte Sharp, »das Mädchen tanzt die Schimma, den Bienentanz. Sie stellt sich anfangs, als würde sie von Bienen verfolgt. Diese kriechen in ihre Kleider, und deshalb reißt sie sich einzeln das Zeug vom Leibe, bis sie so dasteht, wie die anderen auch gekleidet sind. Die Kerls da müssen ordentlich Geld haben, daß sie sich so einen Tanz vormachen lassen.«

»Ah so, nun entsinne ich mich,« meinte Charles, »schon Hannes hat mir von einem solchen Tanze erzählt, der besonders im Orient gebräuchlich ist. Er nannte ihn aber den Flohtanz.«

»Auch ein passender Ausdruck.«

In diesem Augenblick hörte Williams neben sich zweimal ein seltsames Knacken, und wie er scheu zur Seite blickte, sah er eben noch, wie Sharp einen Gegenstand in die Tasche steckte.

»Haben Sie die Tänzerin photographiert?« fragte er.

»Nein,« sagte der Detektiv fast grob. »Kümmern Sie sich nicht darum!«

Jetzt hatte die Dirne auch noch den dichten Rock abgestreift und stand nun, nur in das leichte Gazekleid gehüllt, zitternd vor Erregung da. Sie stürzte mehr, als sie ging, nach dem Platz, der durch das Fortgehen der Chinesin neben Sharp frei geworden war, und sank erschöpft auf das Polster, ihren Kopf auf des Detektiven Kniee legend.

»So ist's recht,« meinte dieser, »mache dir's nur bequem, Schätzchen.«

Das Mädchen schlug matt die Augen auf und blickte in das hübsche, gutmütig aussehende Gesicht, welches sich über das ihrige bog.

»Liebst du mich?« flüsterte sie leise.

»Furchtbar.«

»So folge mir!«

Sie stand auf und ging durch eine Seitentür in ein ganz kleines Gemach, dessen Fußboden nur mit einem dicken Teppich bedeckt war, auf dem außerdem noch Kissen und Polster verstreut lagen. Sharp war ihr gefolgt. Die Tänzerin ließ sich auf ein Kissen gleiten und schlang, als der Detektiv neben ihr saß, beide Arme um seinen Hals, ihm dabei zärtlich in die Augen schauend.

»Willst du etwas trinken?« fragte sie und streichelte dabei seine Wangen. »Du meinst, ob du etwas trinken kannst,« verbesserte der Detektiv, »meinetwegen, bestelle etwas.«

»Was ich will?«

»Auch das; meinetwegen ein ganzes Faß Opium.«

Das Mädchen klopfte an die Wand, ein Schieber ward zurückgeschoben, und die Tänzerin flüsterte einige Worte. Nach ein paar Minuten streckte eine knochige Hand eine dickbauchige Flasche und zwei Gläser durch die Oeffnung, welche von dem Mädchen in Empfang genommen wurden.

»Sapperlot,« murmelte der Detektiv, »Champagner. Es ist doch völlig gleich, ob man in Europa, Amerika, oder selbst im Zululande ist, der Geschmack dieser Mädchen ist überall gleich entwickelt. Na, Miß Petersen, das wird eine kostspielige Rechnung. Prosit, schöne Wydjaja.«

Das Mädchen ließ die schon erhobene Hand mit dem Champagnerkelch sinken und sah den Mann erstaunt an.

»Woher kennst du meinen Namen?« fragte sie nach langer Pause. Sie hatte erst gar keine Worte finden können. »Ich heiße Kalila.«

»Du warst aber doch früher in Konstantinopel unter diesem Namen bekannt. Ganz Europa spricht noch von deiner Schönheit und deinen wunderbaren Tänzen. Ist das nicht so?«

Das Mädchen hatte sich aus seiner liegenden Stellung halb aufgerichtet und blitzte den Sprecher mit den Augen an.

»O,« rief sie dann enthusiastisch, »das war eine schöne Zeit! Ach, Konstantinopel, könnte ich wieder dahin zurückkehren!«

»Dort wurde wohl mehr Champagner bezahlt?«

»Hast du mich dort gesehen?« fragte sie, ohne auf die Frage des Detektiven zu achten, dessen Spott sie überhaupt gar nicht verstand.

»Leider nicht, aber ich habe viel von der Wydjaja erzählen hören und auch eine Photographie von ihr gesehen. Daran habe ich dich erkannt. Aber sag', Schatz, wie lange bist du schon hier?«

»Schon über zwei Jahre muß ich hier meine Tänze ausführen, vor kaltherzigen Holländern und Engländern. Ach, wie schön war es da in Konstantinopel, wenn Griechen, Italiener, Spanier, Malteser zu meinen Füßen lagen und mich bewunderten, wenn dann ihr Händeklatschen erscholl und sie sich um mich stritten.«

»Man sieht dir wirklich nicht an, daß du schon so lange dieses Gewerbe betreibst,« sagte der Detektiv mit einem aufrichtig bewundernden Blick in das schöne Gesicht seiner Nachbarin, die noch immer dicht an ihn geschmiegt dasaß, »die Liebe scheint dir gut zu bekommen. Ich hielt dich für etwa zwanzig Jahre alt, wieviel zählst du aber in Wirklichkeit?«

Das Mädchen brach in ein helles Lachen aus.

»Ich bin auch erst neunzehn Jahre alt. Mit meinem vierzehnten Jahre schon hat mich mein Vater, ein egyptischer Fellah, an einen Händler verkauft, weil er sich für das erworbene Geld ein paar Kamele anschaffen konnte.«

»Ein liebevoller Vater,« meinte der Detektiv trocken. »Aber sag', Kalila, kennst du vielleicht eine Nardhi und eine Sula?«

Erstaunt richtete das Mädchen ihre Augen auf den neben ihr Sitzenden, dann aber zog sie ihre niedrige Stirn in Falten. Dem Detektiv entging es nicht, wie ihr Blick plötzlich einen schlauen Ausdruck annahm, und jetzt war es ihm ganz gleich, was sie auf seine Frage geantwortet hätte – er wußte, daß sie beide Namen kannte.

»Frage die alte Frau, Mademoiselle Bertrand!« sagte sie ausweichend. »Sie wird dir darüber Auskunft geben können. Wir Tänzerinnen dürfen nicht darüber plaudern, wer diese Räume besucht, oder was in ihnen vorgeht.«

»Also du kennst sie,« erwiderte Sharp, griff in die Tasche und brachte ein Goldstück zum Vorschein, das er nachdenkend in der Hand wog. »Willst du mir nicht sagen, ob sie in diesem Hause gewesen und wie sie hereingekommen sind? Ich gebe dir das Goldstück lieber zu verdienen, als der alten Hexe.«

Des Mädchens Augen funkelten bei dem Anblick des gelben Metalls. Ebenso, wie die übrigen Tänzerinnen, war sie von der Frau als Sklavin gekauft worden; sie kannten den Begriff Freiheit gar nicht mehr, sie wurden von ihr unterhalten und erhielten Kleidung, aber was sie sonst zum Bestreiten ihrer Bedürfnisse nötig hatten, das mußten sie aus den Männern herauszupressen versuchen, welche sich um ihre Liebe bewarben, von der Besitzerin des Hauses erhielten sie niemals Geld.

Hier wurde ihr ein Geschenk geboten, wie sie es so reich noch niemals gesehen hatte.

»Sie waren beide nur einige Tage in diesem Hause,« sagte sie jetzt ohne Zögern, »und Mademoiselle Bertrand hat sie immer versteckt gehalten, überhaupt ihr möglichstes getan, um uns ihre Anwesenheit zu verheimlichen. Aber natürlich erfuhren wir bald davon und ebenso durch Zufall die Namen der Gefangenen.«

»Recht so, Schatz, hier hast du deinen Lohn! Weißt du, wie die Mädchen hierhergekommen und wo sie früher gewesen sind?«

»Ihr Schicksal wird dasselbe, wie das meinige, gewesen sein,« sagte Kalila in traurigem Ton und ließ das Goldstück in ihrem Busen verschwinden, »auch sie werden von ihren eigenen Angehörigen verkauft worden sein. Ich habe sie einmal sprechen hören, sie bedienten sich des Dialektes, der hier in Batavia gesprochen wird. Jedenfalls sind sie ein Opfer der Opiumsucht ihrer Väter geworden, die sie für eine Handvoll Silbergeld an die Bertrand verkauft haben; weil die Malayinnen aber aus dieser Stadt waren, so hat die Frau sie nicht hier behalten wollen, sondern sie hat sie weiter verkauft und dabei ein gutes Geschäft gemacht.«

Der Detektiv nickte. Ellen war von den beiden Mädchen, die sich mit auf dem Schiffe des Sklavenhändlers befunden hatten, nicht belogen worden. Wie Kalila richtig geraten, waren sie von ihren eigenen Eltern verkauft worden, damit diese wieder Geld zum Opiumrauchen, oder, wie die Malayen ebenso wie die Indier sagen, zum Opiumessen erhielten. Ellen wollte dafür sorgen, daß beide Malayinnen in eine sichere Stellung kämen, und daß dem Treiben der Mädchenhälterin ein Ende gemacht würde, indem man sie zur Bestrafung zog.

Wieder schmiegte sich Kalila an ihn und schlang die Arme um den Hals des Detektiven, als diesen ein lautes Gespräch im Saal aufhorchen ließ. Auch das Mädchen unterbrach seine Gunstbezeugungen und lauschte.

Der Detektiv konnte deutlich vernehmen, wie seine Begleiter aufgeregt sprachen und gegen irgend etwas protestierten. Es mußten noch andere Leute in den Saal gekommen sein, denn er hörte erst ernste, drohende Stimmen sprechen, und schließlich schien es ihm, als wollte das Wortgefecht in einen tätlichen Streit ausarten; schon hörte er, wie Hendricks sagte, lebend würde er sich nicht von hier fortbringen lassen.

Sharp stieß das Mädchen unsanft zurück und war mit einem Sprunge im Saal, und was er geahnt hatte, fand er wirklich bestätigt.

Einige holländische Konstabler waren in den Saal getreten, während wenigstens zehn Eingeborene, im Dienste der Polizei stehend, alle drei Türen des Saales besetzt hielten, und es war zu erwarten, daß die Fenster von außen ebenso bewacht wurden, damit sich niemand der Verhaftung, welche hier wahrscheinlich vorgenommen werden sollte, entziehen könne.

Die Beamten waren unbewaffnet, zeigten wenigstens keine offenen Waffen, die Malayen dagegen trugen in ihren Händen jene eigentümlichen Fänger, wie sie auf Java von der Polizei verwendet werden, um sich eines Flüchtenden wieder zu bemächtigen. Es ist ein langes Bambusrohr, welches oben so dünn endigt, daß es sich wie ein Tau biegen läßt. An der Spitze nun ist es zu einer Schleife geknüpft, dadurch eine Schlinge bildend. Dem Flüchtigen wird diese gleich einem Lasso über den Kopf und um den Hals geworfen, die Schlinge zieht sich zu, und will der Gefangene nicht ersticken, so muß er stehen bleiben.

Die drei Engländer, die Gefährten Sharps, standen erregt vor den Beamten und erklärten im entschiedensten Tone, sie würden niemals der Aufforderung, sie nach der Polizeiwache zu begleiten, Folge leisten, aber es half ihnen nichts, daß sie sich legitimierten, der Polizei-Leutnant wollte ihre Papiere gar nicht sehen, sondern bestand auf seinem Befehl, da er nur seiner Instruktion gemäß zu handeln, das heißt, alle in diesem Hause Befindlichen zu verhaften habe.

Anders war das Verhalten der beiden Herren, welche sich schon vorher im Saale befunden hatten.

Sie waren ruhig sitzen geblieben, als brächte der Verhaftungsbefehl nicht die geringste Wirkung bei ihnen hervor, als erstrecke er sich überhaupt nicht auf sie, und besonders der vornehm Aussehende zeigte keine Spur von Unbehaglichkeit; er scherzte mit dem Mädchen an seiner Seite weiter, während sich die übrigen Tänzerinnen scheu in eine Ecke gedrückt hatten.

Aber dem beispiellos scharfen Auge des eintretenden Detektiven entging es doch nicht, wie seine Blicke umherspähten, als suche er einen Ausweg zur Flucht, und noch mehr die des roh aussehenden Gefährten, dessen Benehmen, so ruhig er sich auch zu stellen suchte, auch den Beamten aufgefallen wäre, wenn diese nicht eben mit den englischen Herren beschäftigt gewesen waren.

»Folgen Sie mir nicht freiwillig, so sehe ich mich genötigt, Sie dazu zu zwingen,« sagte der Polizei-Leutnant ernst.

»Nimmermehr,« rief Charles außer sich. »Ich habe Ihnen erklärt, wer wir sind. Gehen Sie an Bord des ›Amor‹ und erkundigen Sie sich nach uns, aber verlangen Sie nicht, daß wir uns in diesem Hause verhaften lassen Ich wüßte überhaupt keinen Grund dazu, Sie werden sich in uns getäuscht haben, und ich versichere Sie, daß Sie Ihre Handlungsweise bitter bereuen werden.«

»Wen man in diesen Räumen antrifft,« meinte der Leutnant spöttisch, »von dem kann man nicht viel erwarten. Mitgefangen, mitgehangen, folgen Sie uns!«

»Unterlassen Sie alle Anspielungen,« fuhr Chaushilm auf, »Sie wissen nicht, was uns hierhergeführt hat.«

Da erblickte Charles den Detektiven, und er jubelte auf – dieser Mann wußte sicher einen Ausweg aus dieser Lage, denn er ahnte, daß eine Verhaftung in diesem Hause, selbst wenn sie sogleich wieder freigelassen würden, doch bekannt werden würde, es hätte eine Skandalgeschichte gegeben, und Charles glaubte schon jetzt vor Scham in den Boden versinken zu müssen, dachte er nur daran, daß Miß Thomson und die anderen Damen davon erführen.

Er verwünschte des Detektiven Vorschlag, ihn hierherzubegleiten, und seine eigene Unbedachtsamkeit, aber jetzt hoffte er, daß ihn derselbe Mann auch wieder aus der Klemme befreien könne.

»Sharp,« jubelte er unbedachtsam auf, »helfen Sie uns, Sie Goldmensch, oder wir sind für alle Ewigkeit blamiert.«

»Was ist denn weiter dabei?« entgegnete der Detektiv gleichmütig. »Sie oder wir, denn ich muß auch mit, schlafen einfach diese Nacht einmal in einer Zelle oder auf einem hübschen weichen Bett, werden morgen früh verhört und können dann wieder laufen. Sehen Sie dort die beiden Herren, mit welcher Fassung die ihr Schicksal ertragen.«

Er deutete dabei auf die zwei noch sitzenden Männer, die dem Detektiven nur einen flüchtigen Blick zugeworfen hatten.

»Machen Sie uns nicht unglücklich,« rief wieder Charles, »Ihnen wird es möglich sein, uns herauszureißen.«

Der Leutnant war schon auf Sharp zugeeilt und wollte eben auch ihm den Verhaftungsbefehl vorlesen, als dieser ruhig sagte:

»Sie sind auf eine falsche Spur geleitet worden. Sie suchen Leute, welche gar nicht hier sind, aber hiermit stelle ich Ihnen Haddock und Mister Tischkoff vor, welche in Rangun aus Versehen die ihnen anvertraute Kasse ihres Prinzipals auf die Reise nach Batavia mitgenommen haben.«

Der Leutnant zog ein verblüfftes Gesicht, er sah, wie die beiden sitzenden Männer, auf welche der Detektiv bei seiner Rede deutete, bleich wie der Tod wurden, wie schon ihre Hände in die Taschen fuhren, und er hatte in ihnen die Leute erkannt, welche schon lange von der Polizei vergeblich wegen Unterschlagung verfolgt wurden.

Auch die anderen Beamten hatten sofort begriffen, um was es sich handelte, und ehe die beiden Verbrecher Gebrauch von ihren Waffen hatten machen können, waren sie überwältigt und in dem Gewahrsam der malayischen Hilfsbeamten.

»Und nun erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen,« sagte der Detektiv, als der Tumult, das Wüten der Gebundenen, das Kreischen der Weiber vorüber war, zog eine zerrissene, schmierige Brieftasche hervor, die aussah, als hätte sie sich vom Urgroßvater auf die späteren Geschlechter vererbt, und reichte dem Leutnant ein Papier.

Dieser las das Schreiben, zog ein überraschtes Gesicht und gab es dem Detektiven zurück.

»Entschuldigen Sie,« sagte er höflich, »das konnte ich nicht wissen. Sie sind natürlich frei, und ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Mitteilung. Sie werden noch von mir hören.«

»Nehmen Sie den Verhaftungsbefehl gegen diese drei Herren zurück, für welche ich bürge?«

»Ich nehme ihn zurück, es war ein Irrtum,« erklärte der Polizeileutnant.

Beide schüttelten sich die Hände, die Malayen nahmen die beiden Verbrecher, welche hier in Batavia von ihrem Verhängnis ereilt worden waren, in die Mitte und verließen den Saal, und gleich darauf folgte ihnen Sharp mit den drei Herren, welche herzlich froh waren, aus dieser Spelunke glücklich entkommen zu sein.

»Schon so alt und noch dumm genug, solche Streiche zu machen,« seufzte Charles, als sie sich auf der Straße befanden, und klopfte mit den Fingern gegen seine Stirn.

»Alter schützt vor Torheit nicht,« meinte der Detektiv.

»So übel war die Geschichte gar nicht,« sagte Chaushilm, »wenn nur die verdammte Polizei nicht dazwischen gekommen wäre und den ganzen Spaß verdorben hätte. Es ist das erste Mal gewesen, daß ich so Seite an Seite neben einer Nubierin gesessen habe und wirklich, das Mädchen war nicht übel.«

»Ach gehen Sie weg!« sagte Hendricks geringschätzend, »die Mädchen waren ja alle geschminkt, gepudert und angemalt wie eine Kirchenwand. Meine Malayin roch wie ein Farbentopf.«

Als sie den Hafen erreicht hatten, deutete Charles nach der ›Vesta‹ aus deren Bulleyes – so heißen die runden Fensterchen im Schiffsrumpf – helles Licht strahlte.

»So spät in der Nacht und alles erleuchtet!« sagte er. »Wie mag das kommen?«

»Die Aufnahme der neuen Vestalin wird jedenfalls gefeiert werden,« meinte der Detektiv, der auch nachdenkend das im hellen Licht strahlende Schiff betrachtet hatte.

»So hat Miß Morgan also doch ihre Absicht durchgesetzt,« sagte Charles verwundert. »Ich hätte es nicht geglaubt. Es ist etwas an dem Mädchen, das mir nicht sympathisch ist, trotz aller Schönheit und Liebenswürdigkeit, und ich hatte geglaubt, sogar gehofft, die Vestalinnen würden die gleiche Abneigung gegen sie empfinden. Nun ist sie also doch aufgenommen.«

»Sie hat eine warme Fürsprecherin gehabt,« meinte der Detektiv und blieb stehen, denn schon befanden sie sich dicht vor dem ›Amor‹, und er wohnte im oberen Batavia.

»Und wer ist das gewesen?«

»Miß Johanna Lind,« entgegnete Sharp und verabschiedete sich kurz.


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