Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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33.

Im Proviantraum.

Fast gleichzeitig, als an Bord des ›Amor‹ überall nach John Davids und Hannes gesucht wurde, geschah auf der ›Vesta‹ etwas Aehnliches, was alle Damen erst mit der größten Bestürzung und dann mit der größten Betrübnis erfüllte.

Miß Petersen hatte eine günstige Fahrt, die Vestalinnen brauchten nicht durch vieles Kreuzen sich zu ermüden, sondern konnten den Kurs direkt nach Kiu-Liang richten.

So hatten die Mädchen genügend Zeit, sich über das bevorstehende Abenteuer zu unterhalten, und hauptsächlich drehte sich das Gespräch natürlich darum, wie man die beiden Freundinnen aus den Händen der Piraten befreien könne.

Eine Beratung selbst hatte noch nicht stattgefunden, bis jetzt war alles in zu großer Aufregung gewesen. Als die ›Vesta‹ aber erst das offene Meer erreicht und der kühle Seewind die erhitzten Gemüter abgekühlt hatte, da lud Ellen die Damen ein, sich auf dem Achterdeck zu versammeln, so daß auch das am Steuerrad stehende Mädchen seine Stimme mit abgeben könnte.

Es war gerade zwölf Uhr, die Glocke schlug acht Glasen, und das Mädchen am Steuerrad erwartete seine Ablösung. Aber diese kam nicht, keine der Vestalinnen wollte für diese Wache an der Reihe sein, und als die Minuten verstrichen, und sich noch immer niemand zum Posten am Steuerrad meldete, da rechnete Ellen auf der Tabelle nach, an wem die Reihe war.

Miß Staunton war es.

Beim Rufen dieses Namens erst fiel es allen plötzlich ein, daß man das junge Mädchen gar nicht mehr gesehen hatte, seit die ›Vesta‹ in Fahrt war, und nun begann auf dem Damenschiff ein Suchen und Hasten, erst flüchtig und dann, als man Miß Staunton noch nicht gefunden, ganz gründlich. Es war ja möglich, daß Hope krank oder bei der letzten schweren Arbeit durch irgend etwas verletzt worden war und jetzt irgendwo bewußtlos lag.

Aber Hope Staunton blieb verschwunden, und die Bestürzung der Vestalinnen verwandelte sich in furchtbare Angst, denn das junge Mädchen war der Liebling aller.

»Wir werden von stetem Unglück verfolgt,« rief Ellen in Verzweiflung. »Weiß denn keine der Damen, wo sich Hope zuletzt befunden hat, als wir Scha-tou verließen? Sie war doch nicht etwa an Land?«

Niemand konnte diese Frage beantworten, nur dessen erinnerten sich alle, daß man Hope seit Verlassen des Hafens von Scha-tou an Bord der ›Vesta‹ nicht mehr gesehen habe. Entweder mußte sie während der Fahrt verunglückt, vielleicht über Bord gefallen sein, oder sie hatte sich kurz vor dem Ankerlichten unbemerkt an Land begeben.

Aber wozu hätte sie das tun sollen?

In Miß Thomson dämmerte eine Ahnung auf, sie erinnerte sich des Gespräches, welches Hope in Batavia mit Hannes geführt hatte, betreffs einer Flucht von der ›Vesta‹. Sie hielt diese Ideen damals für die Früchte einer von Wein aufgeregten Phantasie, und nun? Sollte Hope wirklich ihre Gefährtinnen verlassen haben?

Schon wollte Miß Thomson ihren Argwohn den anderen mitteilen, da fiel ihr plötzlich etwas ein. Es war ja gar nicht möglich, daß Hope so etwas gerade jetzt hätte tun können, da sie wußte, daß es die Befreiung der geraubten Mädchen galt, und daß die Vestalinnen jede Hand nötig hatten. Nein, Hope besaß ein tapferes, zuverlässiges Herz; nie hätte sie ihre Freundinnen im Falle der Gefahr verlassen.

Miß Thomson teilte daher den Argwohn den anderen nicht mit. Es konnte nicht anders möglich sein, Hope war verunglückt oder aus Versehen in Scha-tou zurückgeblieben.

Da brachte Johanna plötzlich Licht in diese dunkle Sache. Sie war die einzige gewesen, welche die Kabine des jungen Mädchens genau durchforscht hatte, und so hatte sie auch sofort auf dem Schreibtisch einen Brief gefunden, der an Miß Petersen persönlich adressiert war.

Er trug die Handschrift der Miß Staunton.

Mit zitternden Händen erbrach Ellen das Schreiben, und was sie darin fand, setzte sie erst nicht wenig in Schrecken, dann aber in Verzweiflung und Aerger über dieses Mädchen, welches, allen Vorschriften zum Trotz, gerade gegen den Befehl der Kapitänin gehandelt hatte.

Der Brief war ganz kurz abgefaßt und machte den Eindruck einer vorschriftsmäßigen Meldung.

An Miß Ellen Petersen, Kapitänin der ›Vesta‹.

»Da Sie und die anderen Damen nicht auf die Vorstellungen gehört haben, welche Ihnen Mister Wood machte, so sehe ich mich genötigt, die ›Vesta‹ zu verlassen. Auch meine Meinung ist, daß Miß Nikkerson, wie Miß Sargent, nicht nach Kiu-Liang gebracht worden sind, sondern ins Innere des Landes und daß die Aussagen des Chinesen falsch waren. Sie wollten den Ratschlägen des Mister Wood keinen Glauben schenken, ich aber habe es getan und bin jetzt gewillt, die Spur der Geraubten aufzusuchen und weiterzuverfolgen. Auf glückliches Wiedersehen!

Hope Staunton.«

So oft Ellen den Brief auch las und vorlas, der Inhalt wurde kein anderer.

»Ich habe das Mädchen so oft gebeten,« rief Ellen mit Tränen in den Augen, »den Uebermut nicht zu weit zu treiben. Das aber, was es jetzt unternommen hat, kann schon nicht mehr als solcher bezeichnet werden. Nie hätte ich geglaubt, daß uns Hope eine solche Kränkung zufügen würde.«

Unter den Mädchen herrschte eine allgemeine Verstimmung, teils bedauerten sie, daß Hope so eigenmächtig das Schiff verlassen hatte, sogar ohne Abschied, teils ärgerten sie sich über den Eigensinn des jungen, unerfahrenen Mädchens.

Lange aber sollte der Brief das Thema des Gespräches nicht bilden.

Die Nacht war sehr dunkel, nur die Sterne verbreiteten ein unsicheres Licht über das ruhige Meer, welches von einem leichten Wind kaum gekräuselt wurde.

Plötzlich deutete das auf dem Ausguck befindliche Mädchen in die Ferne, wo die dunklen Umrisse eines Schiffes sichtbar wurden, und deutlich konnte man erkennen, das an Deck desselben mehrere Flammen hin- und herzüngelten.

Es war nur daher bis jetzt der allgemeinen Aufmerksamkeit entgangen, weil man sich mit dem Suchen nach Hope beschäftigt hatte.

Kaum hatte Ellen das Schiff, auf das sie gerade lossegelten, durch das Nachtglas betrachtet, als sie schon rief:

»Ein Schiff in Brand.«

Und als ob diese ihre Worte sofort bestätigt werden sollten, so schlug mit einem Male eine hohe Feuergarbe zum dunklen Himmel empor, das Meer in weitem Umkreise mit seinem Lichte übergießend.

Schnell ward beraten, was zu tun sei, aber es gab keine andere Möglichkeit, als die, in die Nähe des brennenden Schiffes zu segeln und die Rettung der Mannschaft zu versuchen. Die Christenpflicht schrieb dies vor, selbst wenn dadurch die Befreiung ihrer Freundinnen unmöglich gemacht würde.

Bald sah man, mit was für einem Schiff man es zu tun hatte. Es war eine Bark. Das Feuer mußte im Zwischendeck oder im Kielraum entstanden, dort erst lange niedergehalten worden und dann gleichzeitig überall durch das Deck hervorgebrochen sein, denn das Vorder-, wie auch das Hinterteil standen schon in Flammen, und diese leckten bereits an der Takelage. Auf dem mittleren Deck lief die Mannschaft angstvoll hin und her und beschäftigte sich mit dem Losmachen des einzigen Bootes, welches von den Flammen noch verschont geblieben war.

»Die übrigen Boote sind schon verbrannt oder müssen angekohlt sein,« rief Ellen, das Schiff durch das Fernglas scharf betrachtend, »es ist merkwürdig, wie das Feuer um sich gegriffen hat. Ein Teil des Schiffes steht vollständig in Flammen, während der andere, der mittelste, noch völlig unversehrt ist, aber doch sind auch die mittleren Boote schon vom Feuer ergriffen.«

Sie dirigierte die ›Vesta‹ nach dem Schiffe, hielt sich natürlich aber in gehöriger Entfernung, um nicht etwa ihr eigenes Schiff zu gefährden. Schon trug der Wind große Funken davon, aber Ellen kam von der Luvseite heran, das heißt, von der Seite, wo der Wind herkam, so daß die Funken für die ›Vesta‹ nicht gefährlich werden konnten.

»Jetzt erkenne ich den Namen des Schiffes,« rief eine andere Dame, »es ist die ›Möwe‹, die in Scha-tou weit draußen gelegen hat, wo gewöhnlich Petroleum geladen wird.«

Allerdings hatte die ›Möwe‹ am Petroleumplatz gelegen, und wenn sie auch kein Brennöl ausgeladen oder eingenommen hatte, so glaubten die Mädchen nun doch, sich die Ursache der Katastrophe erklären zu können. Das Petroleum war eben in Brand geraten, und dieser hatte sich natürlich furchtbar schnell verbreitet, hauptsächlich da, wo die Fässer lagen. Auch bemerkte man jetzt einen Petroleumgeruch.

Da wurde drüben das Boot über Bord gelassen, in wilder Hast stürzten sich die Matrosen hinein und ruderten eilends von dem Schiffe ab, wo ihnen der Feuertod drohte. Sie hatten nichts weiter als das nackte Leben gerettet, kein einziger hatte nicht einmal ein kleines Bündel mitgenommen.

»Was sollen wir tun?« fragte Ellen ratlos; »es ist unsere Pflicht, die Unglücklichen aufzunehmen, und doch ist mir dies und uns allen so furchtbar unangenehm. Der Ruf der ›Vesta‹ ist dahin, ihre Planken sind entweiht.«

»Es hilft nichts, wir müssen sie an Bord kommen lassen,« meinte ein anderes Mädchen.

»Oder wir werfen ihnen ein Tau zu und schleppen sie hinter uns im Boote her,« sagte Ellen.

Aber dieser Vorschlag fand allgemeine Mißbilligung. Das Boot war nur eine Jolle, also nicht groß, und doch waren achtzehn Menschen darin, so daß es dichtgedrängt besetzt war. Die Ruderer hatten kaum so viel Platz, die Riemen gebrauchen zu können, überall stießen sie an Körper, welche über- und nebeneinander lagen. Und außerdem, wären der Wind und der Seegang etwas stärker geworden, dann mußten die Männer doch an Bord der ›Vesta‹ genommen werden, denn bei hochgehender See würde das Boot bald gekentert sein.

»So nehmen wir sie denn an Bord,« entschied die Kapitänin; »tun wir es nicht, so würden wir vom internationalen Seegericht sogar verurteilt werden, die ›Vesta‹ für immer zu verlassen, wir dürften nicht mehr auf einem eigenen Schiffe selbständig fahren – ich kenne das. Sofort wenn die Matrosen das Deck betreten, bringen wir sie in den Proviantraum, nehmen ihnen das Versprechen ab, sich ruhig zu verhalten und sich allen unseren Anordnungen zu fügen, erklären ihnen bestimmt, daß wir jeden Ungehorsam oder gar jede freche Handlung unnachsichtlich mit einer Revolverkugel bestrafen werden, und richten ihnen dann ein Quartier her, vielleicht in der Segelkoje, wo sie sich so lange aufhalten können und von uns mit Essen und Wasser versehen werden, bis wir sie im nächsten Hafen aussetzen.«

»Und sollten wir mit den Chinesen einen Kampf zu bestehen haben,« fügte Miß Murray hinzu, »so werden sie gern bereit sein, uns darin zu unterstützen. Wer weiß, ob wir sie nicht gut gebrauchen können!«

Miß Petersen erwiderte nichts hierauf, sondern leitete das Anlegen des Bootes, es wurden den Matrosen Taue zugeworfen, sie zogen sich heran und wollten eben das heruntergefallene Fallreep betreten und sich an Deck schwingen, als Ellen ihnen plötzlich zurief, noch einen Augenblick zu warten.

Der Wind hatte plötzlich seine Richtung etwas geändert, die Segel klatschten schon gegen die Raaen, und erst mußte daher das Kommando gegeben werden, die Raaen zu richten. Zugleich schickte Ellen einen Teil der Mädchen in die Takelage, noch einige Segel beizusetzen, sodaß nur die eine Hälfte der Besatzung bei dem Boote blieb und nun den Matrosen beim Uebersteigen möglichst behilflich war.

»Spanier,« flüsterte Ellen, als sich der erste, ein gelbhäutiger Bursche mit schwarzem Haar und schielendem Auge über die Bordwand schwang, »wer keinen Revolver bei sich hat, der versehe sich schnell mit einem solchen.«

Ein Mädchen nach dem anderen entfernte sich, und als der letzte der geretteten Matrosen das Deck der ›Vesta‹ betreten, da hatten alle um sie stehenden Mädchen die Waffen in der Tasche, während die andere Hälfte noch an den Brassen oder in der Takelage arbeitete.

»Wer ist der Kapitän?« fragte Ellen kurz und blickte sich unter den Matrosen um, welche von den Damen eingeschlossen wurden.

Einer trat vor, aber nicht der wirkliche Kapitän der ›Möwe‹, Fonsera oder der Seewolf, denn dieser fürchtete, erkannt zu werden, er hatte die Mütze über die, Stirn gezogen und hielt sich im Hintergrunde verborgen.

»Der Kapitän hat sich selbst getötet,« antwortete der Vorgetretene, »weil er an dem schlechten Verladen der Petroleumfässer schuld gewesen ist. Wäre er meiner Anordnung gefolgt, so wäre das Feuer nicht so furchtbar schnell ausgebrochen. Ich bin der erste Steuermann der englischen Bark ›Möwe‹, jetzt der stellvertretende Kapitän.«

Ellen stellte noch einige Fragen, auf die sie befriedigende Antworten erhielt; auch darüber, daß auf dem englischen Schiff fast nur Spanier, Neger und Mulatten waren, wurde sie aufgeklärt. Die ›Möwe‹ war vor kurzem in Südamerika gewesen, dort war unter der Besatzung das Fieber ausgebrochen, die Matrosen waren gestorben, und der Kapitän hatte dort die fremden Seeleute aufgetrieben.

Die Matrosen hatten nichts weiter als das nackte Leben gerettet, nicht einmal die Schiffspapiere hatte der Steuermann aus der schon brennenden Kajüte mitbekommen können.

Im übrigen machten die Leute keinen ungünstigen Eindruck auf die Mädchen. Sie waren alle sehr niedergeschlagen, blickten traurig nach ihrem Schiffe, welches jetzt in lichterlohen Flammen stand und bald verzehrt sein mußte, und verhielten sich sonst still, ohne in Verwünschungen über ihr Schicksal auszubrechen.

»Ihr seid an Bord der ›Vesta‹ gekommen,« nahm Ellen das Wort, »die unter der Flagge der Vereinigten Staaten segelt und, wie ihr wohl seht, sind wir keine Männer, sondern nur als solche gekleidete Damen. Deshalb kann euer Verhältnis hier an Bord kein beliebiges sein, ihr werdet keine volle Freiheit erhalten,« fuhr Ellen fort. »Wir werden euch einen Platz anweisen, wo ihr es euch bequem machen könnt, ihr werdet mit allem versorgt werden, was ihr braucht, ihr dürft eure Bitten getrost aussprechen, aber im übrigen habt ihr euch auf den Raum zu beschränken, den wir euch vorschreiben. Wer dieser Anordnung nicht folgt, oder wer sich sogar untersteht, gegen eine von uns Damen nur die kleinste Uebertretung sich zu schulden kommen zu lassen, der wird unnachsichtlich bestraft werden, und ich kann euch versichern, daß wir uns unserer Haut zu wehren wissen werden. Seid ihr damit einverstanden?«

»Wir sind es,« riefen die Matrosen, anscheinend sehr froh, mit dem Leben davongekommen zu sein.

»Gut denn, so dürft ihr versichert sein, daß wir unser Bestes tun werden, euch das Leben auf der ›Vesta‹ so angenehm wie möglich zu machen. Im nächsten Hafen, den wir anlaufen, liefern wir euch an das englische Konsulat ab und bezeugen, daß ihr die »Möwe« nur in der höchsten Not verlassen habt. Jetzt folgt mir nach dem Proviantraum, wo ihr so lange bleibt, bis wir für euch einen anderen Platz zum Schlafen hergerichtet haben, ihr werdet nach den Anstrengungen müde sein.«

Die auf Wache befindlichen Mädchen waren noch immer entweder an Deck zerstreut oder arbeiteten in der Takelage, nur die, welche eigentlich Freiwache hatten, aber wegen des Ernstes der Situation ebenfalls an Deck geblieben waren, begleiteten die Matrosen nach dem im Zwischendeck gelegenen Proviantraum, wo Fässer mit Salzfleisch, Säcke mit Hülsenfrüchten, Mehl, Salz und so weiter, aufgespeichert standen.

Die Leute wurden nochmals aufgefordert, hier so lange zu warten, bis ihnen ein Schlafplatz in der Segelkoje zurechtgemacht worden sei, dann verließ Ellen den Raum und schloß hinter sich die Tür zu.

»In die Falle gegangen, Carracho,« flüsterte der Seewolf heiser und schleuderte vor Wut seine Mütze an Deck, »wie dumme Ratten in die Falle gegangen! Mich juckte es ordentlich im Finger, dieser albernen Dirne, die mich schon einmal mit einem Faustschlag traktiert hat, eine Kugel in den Leib zu jagen. Was nun?«

»Es ist noch nicht so schlimm, Seewolf,« gab der erste Steuermann ebenso flüsternd zurück, »aufgeschoben ist noch nicht aufgehoben. Es war verdammtes Unglück für uns, daß gerade der Wind umsprang, und daß dieses verfluchte Weib auch gleich ein Kommando geben mußte, das die Mädchen überallhin zerstreuen mußte, als hätte sie nicht eine Minute warten können; hahaha!«

»Lache noch,« grollte der Seewolf, »natürlich war nur dieses Kommando daran schuld. Aber was sollte ich denn anderes tun, als euch zuzuflüstern, euch noch nicht auf die Mädchen zu werfen. Sollten wir etwa auf die Raaen klettern und die Mädchen von dort herunterholen? Ueberall standen sie am Deck herum, und diese Teufelsweiber haben immer Revolver bei sich, die sie einem bei jeder Gelegenheit unter die Nase halten. Ja, wenn wir sie nicht lebendig ausliefern müßten, dann hätte es wohl einen kleinen Tanz gegeben; aber so! Nun ist die »Möwe« verloren, und wir selbst sitzen in der Patsche. Hätte ich nur erst meine Füße wieder von diesem verdammten Schiff herunter.«

»Gräme dich nicht, Seewolf,« lachte der andere, »jetzt kommt es nur darauf an, einen guten Plan zu fassen, denn diese so überklugen Mädels haben noch keine Ahnung, unter welcher Flagge wir fahren; sie behandeln uns ja gerade, als wären wir Gentlemen, und hätten nur darum der ›Vesta‹ einen Besuch abgestattet, um einen Angriff auf ihre jungfräuliche Ehre zu machen.«

»Laß jetzt das Scherzen,« sagte der Seewolf finster, »gib lieber einen Rat, wenn du einen weißt, wie wir doch Herr über diese Weiber werden, ohne ihnen ans Leben zu müssen.«

Unter den achtzehn Räubern entstand ein leises Flüstern, alle hatten einen Plan, der zum Ziele führen sollte, aber immer schüttelte der Seewolf den Kopf, keiner gab ihm die Garantie, daß er die Mädchen alle mit einem Schlage in seine Gewalt brachte.

Der eine schlug vor, schon jetzt die Tür zu erbrechen, leise herauszuschleichen und die ahnungslose Besatzung zu überrumpeln, ein anderer, auf dem Wege von hier nach der Segelkoje das zu tun, wieder ein anderer, ein Matrose solle sich stellen, als hätte er die Krämpfe bekommen, und wenn die Mädchen hereinkämen, dann sollten sie tun, als wollten sie den Verunglückten hinausbringen, die Mädchen würden zusammenlaufen, und dann wären sie wahrscheinlich alle beieinander.

Der Seewolf billigte keinen dieser Anschläge.

Endlich erhob sich ein noch junger Mann, ein Engländer, von dem Fasse, auf dem er bis jetzt gesessen hatte. Es war derselbe, der in Kairo als Offizier die Verhaftung Ellens vorgenommen hatte, und von dem der Seewolf gesagt hatte, er wäre ein verpfuschter Student, der sich auf einem Piratenschiffe wohler, als in dem Hörsaale fühle.

»Es ist doch sicher anzunehmen, daß die Damen den Aussagen des bestochenen Chinesen geglaubt haben und also nach Kiu-Liang segeln,« sagte er.

Alle bestätigten dies.

»Was für eine Insel ist Kiu-Liang?« fragte der Sprecher. »Ist sie bewohnt oder nicht?«

»Es ist eine unbewohnte, öde Insel,« entgegnete der Seewolf, aufmerksam werdend; »soviel ich weiß, hat sie einen Hafen mit sehr enger Einfahrt, und früher wohnten chinesische Fischer dort, die ihre Hütten haben stehen lassen.« »Gut! Die Damen fahren also nach der Insel und werden sie auch betreten. Ist die Insel von allen Seiten zugängig?«

»Nur von dem Hafen aus,« sagte der Seewolf.

»So werden wir dort die beste Gelegenheit haben, die Mädchen zu überrumpeln,« fuhr der ehemalige Student fort. »Beim Ankern müssen unbedingt alle an den Winden arbeiten, sie legen das Laufbrett aus und so weiter, kurz und gut, sie sind alle ohne Ausnahme beschäftigt, und der Kapitän und die Steuerleute stehen bei dieser Gelegenheit auch nicht auf der Kommandobrücke, sondern an Deck.«

»Bravo!« rief der Seewolf, diesmal fast die Vorsicht vergessend, dämpfte seine Stimme aber sofort wieder zum Flüstern herab. »Ja, Bursche, der Vorschlag ist gut! So lange müssen wir eben warten, wir lassen vorläufig mit uns ruhig alles geschehen, was diese feinen Dämchen zu tun belieben, lassen uns in der Segelkoje Bettchen machen, und sind sie dann auf der Insel mit Ankern beschäftigt, so brechen wir hervor und haben sie. Und bietet sich uns vorher doch noch eine gute Gelegenheit, so wird die natürlich auch benützt. So oder so unser müssen sie doch werden.«

»Wann werden wir Kiu-Liang erreicht haben?« fragte der erste Steuermann.

»Jetzt ist es drei Uhr. Bleibt der Wind, wie er vorhin war, so können wir morgen nachmittag dort sein,« war die Antwort, »und nun, Burschen, verhaltet euch ruhig, daß sie nichts wittern. Weg dort, von dem Fäßchen, Kanaille, deine Nase hat wohl schon wieder Spiritus gerochen? Das sage ich euch, wer hier stiehlt oder sich gar an fremdem Branntwein betrinkt, den hänge ich morgen abend auf. Ich will mir nicht nachsagen lassen, daß der Seewolf auf Besuch gekommen ist und dabei gestohlen hat. So ist's recht, Bursche, lacht und seid wieder vergnügt.«

Des Seewolfs gute Laune war wiederhergestellt, er sah sich jetzt endlich vor seinem Ziele.

Die Tür öffnete sich, zwei Vestalinnen traten herein, banden ein Faß los und wälzten es hinaus, wo es mittels einer Winde durch die Luke nach oben befördert wurde.

»Paßt auf, Jungens,« flüsterte der Seewolf, »jetzt wird für uns das Frühstück gekocht. Na, das muß man den Mädels lassen, nobel sind sie, und ich will mich später auch nicht lumpen lassen. Bin ich erst Kapitän auf der ›Vesta‹ und habe die Mädels als Passagiere an Bord, dann sollen sie auch nicht über das Essen zu klagen haben. Das Beste sollen sie immer bekommen.«

Der Seewolf hatte richtig geraten, daß der Inhalt des Fasses oder doch ein Teil desselben zu einer Mahlzeit für die geretteten Matrosen bestimmt war.

Die Vestalinnen hatten in der sogenannten Segelkoje, einem weiten Raume, wo ein großer Vorrat von Segeln aufbewahrt wurde, bequeme Lager hergerichtet, und waren damit gerade fertig geworden, als die Sonne am Horizonte aufstieg.

Um sechs Uhr wird auf den Schiffen allgemein das erste Frühstück eingenommen, und da anzunehmen war, daß die Matrosen seit dem vorigen Abend nichts gegessen hatten, außerdem durch Anstrengung und Aufregung über die Todesgefahr erschöpft waren, so hatte Ellen angeordnet, ein kräftiges Frühstück für die Leute zu bereiten, nachdem sie einige Stunden geschlafen hatten.

Ein Faß gesalzenes Schweinefleisch ward also aus dem Proviantraum geholt; die gerade in der Küche beschäftigten beiden Mädchen setzten Erbsen an, und dann wurden die Matrosen nach ihrer neuen Schlafstelle gebracht, die sich ganz vorn in dem großen Schiffe befand.

Auch diesmal wurde wieder die Tür hinter ihnen abgeschlossen.

Die eine Hälfte der Mädchen war abgelöst worden, sie befand sich in den Kabinen, die andere dagegen war an Deck, hatte aber keine Arbeit, da schönes Wetter war.

Die Mädchen standen in der Nähe der Kombüse (Küche), welche in der Mitte des Schiffes lag, und schauten den beiden Köchinnen zu, die mit Meißel und Hammer den Deckel des Fleischfasses öffneten. Das Gespräch drehte sich jetzt weniger um die zu erwartende Begegnung mit den chinesischen Seeräubern, als vielmehr um die geretteten Matrosen.

»Es muß doch entsetzlich sein, so auf einem Schiffe zu stehen, mitten zwischen zwei Elementen, Feuer und Wasser, die an und für sich selbst den größten Kontrast bilden und doch so furchtbar für den Menschen sind,« sagte eben das eine der jungen Mädchen und steckte den Meißel in die Oeffnung des Deckels, um diesen abzuheben.

»Bitte, Miß Thomson,« sagte sie zu dem neben ihr stehenden Mädchen, als der Deckel ihren Anstrengungen nicht nachgab, »helfen Sie mir, ich kann ihn nicht allein aufbrechen.«

Beide Mädchen vereinten ihre Kräfte, krachend sprang der Deckel empor, aber gleichzeitig flogen auch beide mit einem lauten Aufschrei zurück, und selbst die umstehenden Vestalinnen brachen in einen Schreckensruf aus.

Es gibt Spielzeuge in Form von Kästchen oder Schachteln, welche auf Kinder dieselbe Wirkung ausüben, wie jetzt das Faß bei den Mädchen hervorbrachte. Oeffnet man den Deckel, so wird er einem plötzlich aus der Hand geschleudert und aus dem Kästchen springt ein kleiner Teufel auf, der zuvor von dem Deckel zusammengedrückt gewesen war.

Ebenso geschah es hier.

Kaum war der Deckel abgefallen, so schoß mit halbem Oberkörper ein Mann aus dem Fasse hervor, und noch waren die Schreckensrufe der Mädchen nicht verklungen, als schon eine fröhliche Stimme erscholl:

»Never mind, sollte mir sehr leid tun, wenn ich Sie erschreckt habe, meine Damen. Ein Umstand zwang mich, länger in diesem Fasse zu bleiben, als ich gewünscht hatte, sonst würde ich die Vorstellung nicht auf einem so ungewöhnlichen Wege vorgenommen haben. In der Tat, Miß Petersen,« wandte sich der Reporter an diese, und legte einen Finger an die schottische Mütze, »Youngpig ist mein Name.«

Und gemächlich stieg der Reporter aus dem Fasse, in dem er seit ungefähr sieben Stunden zusammengekrümmt gesessen hatte.

»Aber wie in aller Welt kommen Sie denn in dieses Faß?« fragte Ellen unter dem Gelächter ihrer Gefährtinnen.

»Schon allein mein Name berechtigt mich dazu,« erwiderte der Reporter ernsthaft. »Ich sah, wie die ›Vesta‹ in Scha-tou Fässer mit Schweinefleisch übernahm, ich ließ mich in ein leeres Faß stecken, hinrollen, ein volles wegnehmen, und so kam es, daß Sie mich als gesalzenes Schweinefleisch an Bord übernahmen, worin Sie auch gar keinen so großen Irrtum begingen, denn mein Name ist Youngpig, also Ferkel, und wenn ich an meine bisherige Wohnung Schweinefleisch schreiben ließ, so habe ich meine richtige Adresse angegeben. Niemand kann mich einer Lüge beschuldigen.«

Die Neuigkeit, daß sich Mister Youngpig, der Reporter der ›Times‹, als gesalzenes Schweinefleisch in einem Fasse an Bord der ›Vesta‹ geschmuggelt hatte, blieb nicht nur unter den Vestalinnen an Deck; die Schläferinnen in den Kojen wurden wachgerüttelt, es wurde ihnen alles erzählt, und nach einigen Minuten standen alle Mädchen kichernd um dieses Wunder herum.

»Was beabsichtigten Sie, als Sie sich auf diese Weise an Bord der ›Vesta‹ begaben?« fragte Ellen streng.

»Ich wollte mir dieses Schiff genauer ansehen, möglichst viele Photographien von der inneren Einrichtung aufnehmen,« erwiderte der Reporter. »Nur immer ehrlich, meine Damen, das ist mein Wahlspruch. Bin ich jetzt dabei ertappt worden, so schadet dies nichts. Hauptsache ist, daß ich an Bord bin. Ins Wasser werfen werden Sie mich doch hoffentlich nicht, das wäre ungalant von Ihnen, als gebildete Damen.«

»Das nicht,« sagte Ellen mit finsterem Gesicht, »mir aber, als Kapitänin, als unumschränkten Befehlshaberin dieses Schiffes, steht das Recht zu, Sie für Ihre Unverschämtheit oder meinetwegen auch wegen Ihrer Dreistigkeit, ordentlich auspeitschen zu lassen, dann zu bestimmen, daß Sie sich Ihr Essen und Schlafen durch die niedrigste Arbeit verdienen und Sie im ersten Hafen an Land zu setzen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Natürlich, soll mir sogar sehr angenehm sein, wenn ich mich Ihnen nützlich erweisen kann,« war die unverzagte Antwort.

»Auch das Durchpeitschen?«

»Nehme ich auch mit in den Kauf, die Hauptsache ist, daß ich photographieren kann. Wird einen riesigen Effekt geben, wenn ich schildere, wie mich die Damen gehauen haben.«

»An das Photographieren brauchen Sie nicht mehr zu denken. Das erste wird sein, daß ich Ihnen nicht nur den Apparat und alle bisher von uns aufgenommenen Bilder, sondern auch Ihr Buch mit sämtlichen Notizen wegnehmen und über Bord werfen lasse.«

»Bedaure sehr,« schmunzelte der Reporter, »alles bisher über die ›Vesta‹ und ihre Besatzung von mir Gesammelte, dampft jetzt schon auf dem schnellsten Wege nach London.«

»Dann werde ich meine Drohung, denn eine solche war es anfangs nur, wahrmachen, und Sie für Ihre Dreistigkeit bestrafen. Leisten Sie keinen Widerstand, Mister Youngpig, es wäre Ihr Schaden. Haben Sie Stich- oder Schußwaffen bei sich?«

»Hier, meine Stichwaffe,« antwortete der Reporter und händigte Ellen den Bleistift aus, »und hier, meine Pistole.«

Damit gab er ihr auch den Photographenapparat.

»Ich gehorche Ihnen zwar in allen Dingen, aber ich schwöre, hoch und heilig, daß ich alles mir Widerfahrene haarklein in den ›Times‹ erzählen werde, zwei Spalten voll, die Zeile für einen Schilling, macht zusammen einundzwanzig Pfund fünfzehn Schillinge.«

»Und ich versichere, daß wir Ihnen solange die neunschwänzige Katze zu schmecken geben werden, bis Sie uns hoch und heilig geschworen haben, von jetzt ab jeden Versuch aufgeben zu wollen, uns noch fernerhin mit Ihrer Zudringlichkeit zu belästigen,« entgegnete Ellen und gab den Befehl, Mister Youngpig an den Mast zu binden.

Keins der Mädchen glaubte, daß es der Kapitänin mit ihrer Drohung ernst wäre. Sie banden den Reporter an den Mast, und Youngpig ließ sich alles ruhig gefallen. Man wußte nicht, ob er das Ganze nur für Spaß hielt – das ernste Gesicht Ellens machte dies nicht glaubhaft – oder ob er wirklich begierig darauf sei, ein solches Erlebnis später schildern zu können.

»Wollen Sie mich denn auf den Bauch schlagen?« fragte er, als er so mit dem Rücken am Mast stand.

Ellen ärgerte sich darüber, daß die anderen Damen über diese sonderbare Bemerkung lachten, und nahm mit dem Reporter nochmals ein Verhör vor.

»Was hätten Sie nur gemacht, wenn wir dieses Faß nicht zufällig aus dem Proviantraum geholt hätten? Sie hätten ja verhungern müssen!«

»Durchaus nicht, ich habe die ganze Tasche voll Hartbrot, eine Woche hätte ich es schon noch ausgehalten.«

»Aber die Luft fehlte Ihnen doch!«

»Wenn Sie den Deckel genau betrachten, so werden Sie bemerken, daß er wie ein Sieb mit seinen Löchern versehen ist.«

»In dem Fasse konnten Sie aber doch weder schreiben, noch photographieren, überhaupt uns nicht beobachten.«

»O, ich habe Handwerkszeug bei mir, um das Faß von innen zu öffnen.«

»Was hätten Sie dann getan?«

»Ich würde immer, wenn ich mich unbemerkt geglaubt hätte, meistens bei Nacht, aus dem Fasse gekrochen sein und Aufnahmen von der ›Vesta‹ gemacht haben. Essen gab es hier genug, zu trinken auch, und so hätte ich mich in meinem Fasse ganz gut gestanden. Sie sehen, Lügen ist meine Sache nicht.«

»Nun, Sie werden jetzt auch den Lohn für Ihre Offenheit bekommen,« meinte Ellen und besprach sich leise mit den Vestalinnen.

Niemand bemerkte, wie sich die Blicke des Reporters und Johannas begegneten, und wie ersterer nur mit Mühe ein spöttisches Lächeln unterdrücken konnte.

»Wir haben beschlossen,« wandte sich Ellen wieder an den Gebundenen, »Sie wirklich durchzupeitschen, damit Sie endlich einmal merken, daß wir von Ihrer Zudringlichkeit verschont bleiben wollen. Haben Sie erst eine Züchtigung aus unserer Hand empfangen, dann wird es Ihre Ehre als Mann wohl nicht mehr zulassen, noch länger mit uns zu verkehren.«

»Das ist eine offene Frage, darüber kann ich Ihnen noch gar nichts Näheres mitteilen,« war die ruhige Antwort, »aber wollen Sie mich nicht lieber fragen, wie ich mich in den letzten Stunden, als die Matrosen in demselben Raume mit mir zusammen waren, in meinem Fasse amüsiert habe? Sie würden sich wundern.«

»Wieso?«

»Nun ich habe ganz Interessantes zu hören bekommen, die Herren haben sich sehr lebhaft über Sie unterhalten.«

Und nun begann der Reporter die erlauschte Unterhaltung der Piraten wiederzugeben, ihren Plan, wie sie die Mädchen in Kiu-Liang überwältigen wollten und so weiter.

Schon nach der ersten Mitteilung war der Reporter losgebunden und von Ellen in den Salon genötigt worden, nachdem sie befohlen, die zur Segelkoje führende Tür von einigen gutbewaffneten Vestalinnen scharf bewachen zu lassen.

»Also hatte Mister Wood doch recht, als er sagte, die Aussagen des Chinesen wären falsch gewesen; wirklich, nun zweifle auch ich nicht mehr daran!« rief Ellen.

»Miß Staunton war die klügste unter allen Vestalinnen,« meinte der offenherzige Reporter, »sie wenigstens glaubte ihm und schloß sich gleich ohne Aufforderung der Expedition an, welche Mister Wood den geraubten Mädchen nachführt.«

»Aber warum hat sie uns das nicht gesagt?« »Sie hätten ihr es doch noch weniger geglaubt, als Mister Wood, das wußte die junge Dame ganz genau.«

Ellen schwieg verlegen, sie gab zu, daß Mister Youngpig recht hatte.

»Die Sache ist nun nicht mehr zu ändern,« sagte sie dann, »also nach Kiu-Liang zu fahren hat keinen Zweck mehr, aber diese Piraten wollen wir doch dingfest machen.«

»Ich schlage vor, doch nach Kiu-Liang zu fahren,« warf ein anderes Mädchen dazwischen, »natürlich unter Beobachtung aller Vorsicht. Wer weiß, ob wir dort nicht etwas entdecken können, vielleicht ein neues Verbrechen, welches schon vorbereitet wird, und, wenn nicht jetzt, so doch später zur Ausführung gegen uns gelangen wird.«

Diesem Vorschlag wurde von allen Seiten beigestimmt.

Zwar meinten einige, es wäre besser, sofort nach Scha-tou zurückzukehren und die Verfolgung der geraubten Mädchen aufzunehmen, aber ihr Antrag ging nicht durch.

Einmal war nun der Wind der jetzt eingeschlagenen Richtung wohl günstig, nicht aber zur Rückfahrt, und dann behauptete Mister Youngpig auch ganz energisch, Mister Wood hätte, wie immer, sein Vorhaben sofort ins Werk gesetzt, und er wußte die Geschicklichkeit und Tatkraft dieses Herrn in derartigen Unternehmen in solch gutes Licht zu setzen, daß selbst die Freundinnen der unglücklichen Mädchen beruhigt wurden.

Außerdem hatte auch schon Ellen in Batavia gemerkt, daß dieser Mister Wood zwar ein etwas grober Patron war, wie sie sagte, sonst aber in jeder Weise zuverlässig und talentvoll, und so stimmte auch sie dafür, den Weg nach Kiu-Liang fortzusetzen und das Schicksal der beiden Damen in den Händen des Mister Woods zu lassen. Die Vestalinnen waren ja durch Hope Staunton vertreten.

Ihr Wille gab den Ausschlag.

Nun galt es noch zu beraten, wie man am besten die Piraten unschädlich machen könnte, ohne dabei weder Blut vergießen, noch das eigene Leben in Gefahr bringen zu müssen.

Lange wurde darüber debattiert, jede machte einen anderen Vorschlag. Schließlich kam man dahin überein, einen nach dem anderen nach der Kajüte zu rufen, um sie vorgeblich ins Verhör über den Schiffsbrand zu nehmen und ihre Unterschrift über die Aufnahme auf der ›Vesta‹ zu verlangen, und dann einzeln zu überwältigen und schadlos zu machen, etwa jedem bei Eintritt in die Kabine einen Schlag über den Kopf zu geben, der ihn vorläufig betäubte.

»Ich wüßte einen anderen Plan,« meinte der Reporter.

»Nun?«

»Versprechen Sie mir aber, mich nicht mehr prügeln zu wollen.«

»Nein, wir verzeihen Ihnen diesmal noch,« lächelte Ellen.

»Haben Sie eine Apotheke an Bord?«

»Allerdings.«

»In der sich Schlafmittel befinden?«

»Ah,« rief Ellen, »ich verstehe Sie, der Vorschlag ist gut. Wir wollen ihnen ein Frühstück geben, nach dem sie sehr gut schlafen werden.«


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