Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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3.

Die schwarze Polizei.

Als die kleine Gesellschaft, in deren Mitte Miß Murray jetzt fehlte, am Nachmittage desselben Tages die Farm des Mister Graves erreichte, fanden sie die Leute mit Vorbereitungen beschäftigt, wie sie sie besser gar nicht hätten treffen können.

Aus der ganzen Umgegend waren die Farmer zusammengekommen und hatten ihre Arbeiter und Hunde mitgebracht; der große Hof wimmelte von Pferden und breitschultrigen, kräftigen Gestalten mit sonnenverbrannten Gesichtern, welche, sich auf die Büchse stützend, die Zügel ihres Rosses um den Arm geschlungen, nur auf den Ruf des Mister Graves warteten, um sich in den Sattel zu schwingen.

Unerhört war es, wie die Buschrähndscher auf einer nur einige Meilen entfernten Farm, einem Deutschen gehörig, gehaust hatten. Kein Leben, nicht einmal das der Frauen und Kinder hatten sie geschont, alles ermordet und aus bloßem Blutdurst niedergemetzelt, das Vieh in die Ställe getrieben und die Gebäude angezündet. Wie durch ein Wunder war der deutsche Farmer mit Weib und Kind und einigen Arbeitern der Schlächterei entgangen, aber sein Hilferuf hatte alle Farmer aus der Umgegend zusammengebracht, ebenso ihre Angehörigen, denn auf den Farmen waren sie nicht mehr sicher, solange die Buschrähndscher auf freiem Fuße waren; und nun wollten diese wettergebräunten Bauern einmal zeigen, daß sie ebensogut die Büchse führen, wie den Pflug handhaben konnten, daß sie ebensogut die entsprungenen Sträflinge von Hughenden, wie den wildgewordenen Stier bändigen konnten, bei dessen Verfolgung sie Tag und Nacht im Sattel liegen. Hei, wie ein Wetter wollten sie über die Unholde kommen und nicht eher ruhen, als bis der Schädel des letzten von ihren Büchsenkolben zerschmettert war!

Drinnen im Parlor des Hauses befanden sich die Farmer mit ihren Frauen, unter ihnen auch Mistreß Turner, Ellens Freundin, welche unter dem Schutze einer starken Bewachung hier zurückbleiben sollten, bis die Buschrähndscher entweder vernichtet oder gefangen worden waren.

Ellen hatte soeben mit fliegenden Worten geschildert, wie eine ihrer Freundinnen jedenfalls von Eingeborenen entführt worden war, und bat, wenn auch nicht um Unterstützung von waffenfähigen Männern, so doch um Eingeborene oder Hunde, welche der Spur der Geraubten folgen konnten, wenn ein Regen die Fußabdrücke verwischen sollte.

Die Erzählung hatte große Erregung unter den Männern hervorgebracht und in etwas ihren ersten Beschluß geändert.

»Wir warten nur noch auf Leutnant Atkins und seine Leute,« sagte Mister Graves, der als ältester und erfahrenster Farmer einstimmig zum Führer auf diesem Rachezuge gewählt worden war, »und wollen dann sofort aufbrechen, obgleich ich hoffe, auch ohne seine Hilfe mit den Buschrähndschern fertig zu werden. Aber er hat sein Kommen bestimmt zugesagt; jeden Augenblick muß er hier erscheinen, und es wäre eine Unhöflichkeit, wollten wir nicht auf ihn warten und seinen Rat hören. Uebrigens gestehe ich gern, daß wir keinen besseren Führer wählen können, als Mister Atkins, denn trotz seiner Jugend kennt er den Busch, wie kein anderer, und seine Leute verfolgen jede Spur besser, als die besten Schweißhunde. Jetzt aber schlage ich vor, sofort aufsitzen zu lassen, ohne auf Leutnant Atkins zu warten. Kommt er dann, Miß Petersen, so wird er mit Freuden bereit sein, statt der Buschrähndscher die schwarzen Räuber zu verfolgen. Wir könnten darin übrigens nicht viel tun, denn die Eingeborenen verstehen ihre Spur so zu verwischen, daß wir sie nicht verfolgen könnten, und den dazu engagierten Schwarzen ist nicht zu trauen, wenn sie es mit ihren eigenen Landsleuten zu tun haben; Hunde aber verlaufen sich oft auf einer Wildfährte.«

»So sollen wir hier warten, bis Leutnant Atkins kommt?« fragte Ellen ungeduldig, und auch ihre Gefährten schienen mit dem Vorschlag nicht einverstanden.

»Glauben Sie mir,« versicherte aber der alte Mann, »es ist das beste, was ich Ihnen raten kann. Was uns nicht möglich ist, wird Atkins' Leuten eine Kleinigkeit sein, sie führen Sie direkt zum Ziel, wenn sich die Herren der Verfolgung anschließen wollen.«

»Natürlich,« rief Ellen anstatt ihrer Begleiter, »wir werden nicht eher ruhen, als bis Miß Murray wieder in unserer Mitte ist.«

Der Farmer streifte sie mit lächelndem Blick.

»So sind Sie alle mit meinem Vorschlage einverstanden, sofort aufzubrechen?« fragte er dann, im Kreise der Versammelten sich umblickend.

»Wir sind es!« war die allgemeine Antwort.

Graves trat ans Fenster und rief den draußen harrenden den Befehl zum Aufsitzen zu. Im Nu saßen alle in den Sätteln, die Rosse schüttelten die Mähnen, wieherten und stampften den Boden, als könnten auch sie die Jagd nicht erwarten. Es entstand ein Gedränge im Hofe, und dieses ward noch größer, als plötzlich eine stattliche Anzahl von Reitern in die Umzäunung sprengte.

»Sie sind es,« rief der alte Farmer, »Leutnant Atkins und seine Leute. Aber den Weißen, der an seiner Seite reitet, kenne ich nicht, er ist ein Fremder.«

»Aber das sind ja Eingeborene,« riefen unsere Freunde fast wie aus einem Munde.

»Natürlich, Atkins ist Leutnant bei der sogenannten schwarzen Polizei, die in den Wildnissen Australiens Verbrecher verfolgt. Seien Sie unbesorgt, intelligentere und ehrlichere Burschen, als diese, gibt es nicht in Australien.«

Die Reitertruppe, deren beide weiße Anführer eben von den Rossen sprangen und dem Hause zuschritten, gewährte einen prächtigen Anblick, wenn auch die graue Leinwanduniform von Märschen und Strapazen arg mitgenommen war. Sie setzte sich aus zwölf Eingeborenen zusammen, und man sah auf den ersten Blick, daß es alles ausgewählte Leute waren, welche im Busch einen fortwährenden Kampf gegen Buschrähndscher und Verbrecher führten.

Die hohen, kräftigen Gestalten mit den pechschwarzen Haaren saßen wie angegossen auf den edlen Pferden, auf dem Rücken den kurzen Karabiner, im Gürtel das Revolverfutteral und an der Seite den langen Pallasch, in dessen Führung sie Meister waren. Ihre Augen funkelten vor Vergnügen; schon lange hatten sie sich ohne Beschäftigung, das heißt ohne Kampf in Busch und Wald herumgetrieben, aber nun bot sich ihnen wieder einmal Gelegenheit, die Büchse knallen zu lassen und den Pallasch um den Kopf zu schwingen.

Als England seine Sträflinge nach Australien deportierte, was seit fünfzehn Jahren nicht mehr geschieht, da kam es sehr oft vor, daß sich diese Leute durch Flucht ihrer Strafe entzogen und in den Wildnissen ein Räuberleben führten, zum Schrecken der Farmer und Reisenden. Man wollte damals versuchen, Australien durch solche Deportierte zu kolonisieren, man gab sie als Knechte auf eine Farm und ließ sie dort für den geringsten Lohn arbeiten, bis ihre Strafzeit vorüber war; aber unzählige flohen in die Wälder, rotteten sich zusammen, befreiten mit Gewalt die in den Gefängnissen befindlichen Genossen, immer mehr wuchs ihre Macht, und schließlich wußte sich der englische Gouverneur von Australien keinen Rat mehr, diese Verbrecher unschädlich zu machen, welche in den Wildnissen vor jeder Verfolgung durch Militär sicher waren.

Da kam er auf den Gedanken, die Eingeborenen Australiens, sonst völlig unnütze Geschöpfe, zu diesem Dienst heranzuziehen, und schon die ersten Versuche mit ihnen wiesen Erfolge auf, welche alle früheren Behauptungen über diese Neger zu schanden machten.

Man hatte gesagt, die Australneger verstünden weiter nichts als schlafen, essen, betteln und stehlen, nun aber zeigte sich mit einem Male, daß sie als Polizeisoldaten im Busch wie geschaffen waren. Es gab kein besseres, willigeres Militär zu diesem Dienst als die schwarze Polizei. Unermüdlich lagen sie auf der Spur der Verbrecher, Tag und Nacht schweiften sie in Busch und Wald umher, zu Pferd und zu Fuß, ohne Nahrung, ohne Wasser, tagelang aushaltend, bis sie die entsprungene Bande ausfindig, und sie unter der energischen Führung eines englischen Offiziers unschädlich gemacht hatten, dann die ausgeschriebene Prämie schmunzelnd einsteckend.

Die Gouvernements ließen es nicht bei einzelnen Versuchen, sondern errichteten in allen größeren Küstenstädten Stationen mit solchen schwarzen Burschen, wozu sie unter den Eingeborenen nur die intelligentesten und kräftigsten aussuchten, und in kurzer Zeit war es diesen gelungen, ganz Australien von dem verbrecherischen Elemente zu säubern.

Aber die schwarze Polizei blieb bestehen, denn noch immer kam es ab und zu vor, daß Sträflinge ausbrachen oder Männer nach einer verbrecherischen Tat in den Busch flüchteten, sich dort mit Gleichgesinnten vereinigten und eine Bande von Buschrähndschern bildeten. Kein Land, außer Australien, hat solch verlassene und doch bewohnbare Strecken aufzuweisen, in denen jene ein sicheres Räuberleben geführt hätten, wären ihnen nicht die Urbewohner des Landes auf den Hals geschickt worden.

An der Spitze von je zwölf Mann dieser organisierten Negertruppe steht ein englischer Offizier, dem sie wohl gehorchen, ohne aber an irgend eine militärische Disziplin gebunden zu sein – eine solche muß in diesen Wildnissen aufhören, ein jeder muß nach eigenem Scharfsinn handeln, und darin leisten sie großes. Der Offizier hat ein ungeheuer beschwerliches Leben, wie seine Neger, muß er oft wochenlang im Sattel sitzen, dann wieder Hunderte von Meilen zu Fuß marschieren, ohne Nahrung, ohne Schlaf, über Ströme setzen, sich die nassen Kleider auf dem Leibe trocknen lassen und so weiter, und dabei ist er stündlich der tödlichen Kugel aus dem Hinterhalte ausgesetzt.

Der junge Offizier, der, ebenso bewaffnet, wie seine Soldaten, dem Hause zuschritt, zeigte denn auch nicht das Aussehen eines Europäers. Sein Gesicht und seine Hände gaben an Dunkelheit der Hautfarbe der Eingeborenen nichts nach, und nur das blonde Haar, das helle Schnurrbärtchen und die offenen Gesichtszüge mit den blauen Augen verrieten, daß seine Wiege im Norden gestanden.

Leutnant Atkins war auf jeder Farm ein gern gesehener Gast. Alle und am meisten die weiblichen Mitglieder der Kolonien bedauerten den jungen Mann, dessen Leben ein so beschwerliches war, und kam er irgendwo an, oft halb verhungert, verschmachtet und vor Erschöpfung dem Tode nahe, so fand er liebevolle Aufnahme, bis sich nach einigen Rasttagen sein eiserner Körper erholt hatte und er sich von neuem auf den Weg machte. War er es doch, der für die Sicherheit der Farmer wachte.

So streckten sich dem Eintretenden auch jetzt zwanzig Hände entgegen.

»Willkommen, Leutnant,« rief Graves und schüttelte herzhaft dessen Hand, »der Teufel ist wieder los. Sie mit Ihren paar Mann sind nicht im stande, die ganze Bande zu bewältigen und so haben wir alten Kerls das Gewehr von der Wand genommen, um einmal zu probieren, ob unsere Kugeln noch so, wie früher, ihr Ziel finden.«

»Das ist recht gesprochen,« lachte Atkins. »Selbstschutz bleibt der beste. Wie ich sehe, sind alle die Herren bereit, sofort aufzubrechen. Ich habe mich verzögert, weil ich bereits die Spur der Buschrähndscher aufgefunden und sie beobachtet habe. Es sind etwa achtzig Kerls, alle wohlbewaffnet, liegen gegen hundert Meilen von hier im Busch versteckt, wo sie, wie ich denke, diese Nacht bleiben werden. Morgen früh noch bei Dunkelheit, sind wir bei ihnen, umzingeln sie und ergeben sie sich nicht, fallen wir über sie her. Ich reite jetzt mit meinen Leuten voraus und lasse Ihnen zwei zurück, damit sie auf unserer Spur bleiben können.«

»Halt, halt,« unterbrach ihn Graves, »Sie lassen mich gar nicht zu Worte kommen, so reiten Sie sich ins Feuer hinein. Nein, wir haben eine andere Bitte an Sie.« Und nun erzählte der alte Farmer, was für ein Unfall die kleine Gesellschaft, welche nach Blackskin reiten wollte, betroffen habe, wie eine der Damen unterwegs wahrscheinlich von Eingeborenen entführt worden sei, und bat schließlich den Offizier, mit seinen Leuten die Verfolgung dieser Räuber aufzunehmen.

»Wir genügen,« schloß Graves, »um die Buschrähndscher zu überwältigen, diese Sträflinge wissen im Busch doch lange nicht so gut Bescheid, wie wir Farmer; lassen Sie uns das Vergnügen, auf eigene Faust das einem unserer Freunde zugefügte Uebel zu rächen. Geben Sie uns nur zwei von Ihren Schwarzen mit, damit wir die Schufte finden können, und machen Sie sich dann selbst mit auf die Suche nach dem armen Mädchen, das vor Angst vergehen wird.«

Alle unterstützten die Bitte und am meisten unsere Freunde, denn sie hatten erkannt, daß Atkins der Mann war, der ihnen Jessy am schnellsten wieder zuführen konnte.

Aber sonderbar, der junge Offizier schien sehr verlegen zu werden, als man dieses Verlangen an ihn stellte. Er war vollständig frei, keine Vorschriften banden ihn, er hätte die Bitte rundweg abschlagen können, denn sein Amt schrieb ihm eigentlich vor, die entsprungenen Sträflinge unschädlich zu machen, ehe sie neue Greueltaten ausführen konnten, und wiederum gebot es ihm die Pflicht als Kavalier, sofort dem Verlangen nachzukommen und das geraubte Mädchen aufzusuchen.

Weder Lord Harrlington, noch Williams, noch Ellen oder die anderen zweifelten, daß Atkins ein Gentleman war; dieser hübsche, schlanke Offizier mit dem dunklen Gesicht und den blauen Augen, dessen ganzes Wesen Ritterlichkeit atmete, konnte sicher seine Hilfe nicht verweigern.

Verlegen spielte der Leutnant mit der Stahlkette, an der er den riesigen Pallasch kurzgehängt hatte.

»Verzeihen Sie,« sagte er dann, »wenn ich nicht einwillige. Gern würde ich mich mit meinen Leuten sofort aufmachen, die Dame zu suchen, aber ein stärkeres Gefühl beherrscht mich. Unter den Beamten, welche den Sträflingen in Hughenden zum Opfer fielen, befand sich ein lieber Freund von mir, und ich habe geschworen, nicht eher zu ruhen, als bis ich seinen Tod gerächt. Aber hier,« fuhr er fort und deutete auf den Mann, der mit ihm gekommen war, »stelle ich Ihnen einen Herrn vor, Mister Drake, welcher gern bereit sein wird, mit der Hälfte meiner Leute die Verfolgung aufzunehmen. Er ist ein Freund von mir, den ich von früherher kenne, und den ich auf einer Farm getroffen habe. Sie können ihm dasselbe Vertrauen schenken, welches Sie mir entgegenbringen, ich bürge für ihn mit meinem Ehrenwort.«

Aller Augen wandten sich nach dem Fenster, an dessen Kreuz der junge Mann lehnte, der mit dem Offizier gekommen war. Er war ebenso, wie dieser, in graue Leinwand gekleidet, nur hatte der Anzug einen anderen Schnitt, als die Uniform der schwarzen Polizei, wie er auch nicht mit Karabiner und Pallasch bewaffnet war, sondern an dem Gürtel nur das Lederfutteral trug, das den Revolver barg. Sein Gesicht zeigte die braune Farbe, welche das Leben im Freien mit sich bringt.

Jetzt trat er vor und sagte mit sonorer Stimme: »Wenn die Herren damit einverstanden sind, so bin ich allerdings mit Vergnügen bereit, die Dame aufzusuchen, und ich kann Ihnen versprechen, sie in kürzester Frist zurückzubringen, wenn sie noch am Leben ist.«

»Wir stellen Ihnen auch einige unserer Leute zur Verfügung,« sagte Graves erfreut, für Atkins Ersatz gefunden zu haben, »wenn Ihnen die sechs Schwarzen nicht genügen. Es sind alles Männer, welche das Leben im Busch kennen.«

Gleichzeitig wehrten die beiden diesen Vorschlag ab.

»Nein,« entgegnete Atkins, »ich gebe Mister Drake darum nur sechs Mann mit, weil das Verfolgen einer Spur, wie sie die Eingeborenen hinterlassen, umso leichter und umso schneller vor sich geht, je weniger Leute es sind. Jeder Weiße würde dabei ein Hemmnis bedeuten. Nur wir, die wir an solche Unternehmungen gewöhnt sind, vermögen solche Märsche zu ertragen. Sind Sie bereit, Mister Graves?« fuhr er, zu diesem gewandt, fort. »Jede Minute ist kostbar.«

»Dann auf die Pferde,« rief der Farmer und schritt nach kurzem Abschied auf den Hof, begleitet von den übrigen Männern und Atkins, während Mister Drake, Harrlington, Hastings, Williams und alle Frauen, unter ihnen unsere Freundinnen zurückblieben, um sich über die weiteren Vorbereitungen zu besprechen.

Draußen sprangen die Farmer in die Sättel, der Leutnant verließ mit sechs seiner Neger zuerst den Hof, dann folgten die übrigen Reiter, und schließlich befanden sich nur noch die zurückgebliebenen Schwarzen auf dem Hofe, noch immer zu Pferde sitzend, und diejenigen Arbeiter, welche zum Schutze der Frauen zurückblieben.

»Natürlich machen wir eine Ausnahme von dem, was vorhin der Leutnant sagte,« begann Harrlington, als die letzten der Reiter im Walde verschwunden waren. »Wir werden Ihnen so wenig bei der Verfolgung hinderlich sein, wie die Schwarzen selbst. Uns ist die Dame geraubt worden, und so ist es auch selbstverständlich, daß wir sie auch wieder befreien.«

Zu ihrem Erstaunen sahen sie, wie der junge Mann nachdenklich das schwarze Schnurrbärtchen strich und gar nicht gesonnen schien, diese als selbstverständlich geltende Aeußerung zu beachten.

»Ich weiß nicht, ob das für uns ein Vorteil ist,« sagte er langsam, »es giebt erst einen heißen Ritt nach dem Ort, wo die Dame entführt worden ist, und dann beginnt wahrscheinlich eine lange Fußwanderung.«

»Meinetwegen,« unterbrach ihn Lord Hastings energisch, »reiten Sie allein mit ihren Niggern ab, aber wir schließen uns Ihnen an.«

»Gut,« entschied Drake, »nehmen Sie es auf eigene Verantwortung! Aber dann mache ich noch aus, ehe ich die Verfolgung beginne, daß Sie sich allen meinen Anordnungen unbedingt fügen.«

»Einverstanden!« sagten alle drei Herren gleichzeitig und folgten dem Führer, der schon nach der Tür schritt.

Aber er blieb noch einmal stehen, drehte sich um und maß mit erstaunten Blicken die drei Mädchen, welche sich angeschlossen hatten.

»Wollen Sie etwa auch mit?«

Der Ton, in dem er die Damen anredete, klang sehr rücksichtslos, es lag eine Mischung von Spott und Hohn darin, welche Ellen empörte.

»Gewiß wollen wir auch mit,« entgegnete sie herb, »ebenso, wie die Herren, werden auch wir Ihnen folgen, unsere Pferde stehen schon bereit, und Sie werden sich wundern, wenn wir Ihnen nicht von den Fersen kommen werden.«

Mister Drake trat ruhig in das Zimmer zurück. »Dann suchen Sie sich einen anderen,« erklärte er kaltblütig und lehnte sich wieder an das Fensterkreuz, »mit denen mag ich mich nicht im Busch bewegen.«

»Wir brauchen Sie auch gar nicht,« fuhr Ellen jetzt auf, »wir brauchen auch nur einen Eingeborenen, der uns die Spur der Vermißten aufsuchen hilft, alles übrige besorgen wir selbst. Geben Sie uns einen Ihrer schwarzen Soldaten mit, und Sie können ruhig hierbleiben und unsere Rückkehr abwarten.«

Drake war über den verletzenden Ton durchaus nicht aufgebracht. Lächelnd beobachtete er die Sprecherin und sagte:

»Ich gebe Ihnen keinen der Leute mit, welche jetzt unter meinem Kommando stehen, und ich rate Ihnen dringend ab, einen der hier herum wohnenden Eingeborenen zu engagieren, weil der Sie leicht in eine Falle locken kann. Die Spur von Wild oder Europäern würde er wohl verfolgen, nicht aber die seiner eigenen Landsleute; vielleicht steht er sogar mit den Räubern im Bunde. Lassen Sie sich davon abraten, mit mir zu gehen, morgen abend kann die Dame vielleicht schon hier sein, aber ich tue keinen Schritt, wenn ich die Verfolgung in Damengesellschaft unternehmen soll.«

Aergerlich wandte sich Ellen ab; sie hätte vor Scham vergehen können, daß sie diese Worte so ruhig hinnehmen mußte. Aber er hatte recht, jetzt, da Graves und alle fort waren, konnte man ohne diesen Mann, der so selbstbewußt auftrat, nichts anfangen.

Sir Williams war zu Drake getreten und sprach eindringlich auf ihn ein.

»Gut,« sagte der junge Mann nach Schluß der leise geführten Unterhaltung, »ich bin willens, auch mit den Damen mich auf den Weg zu machen, aber nur unter der Bedingung, daß auch sie meinen Vorschriften unbedingt Folge leisten. Wer diese Art von Ritten kennt, weiß, daß ein einziger Fehler den sorgsamsten Plan vernichten und das Leben der Verfolger in Gefahr bringen kann.«

»Wir sind's zufrieden,« entgegnete Ellen, »Sie werden aber bald herausfinden, daß Sie sich in uns getäuscht haben, wenn Sie uns für solch einem Unternehmen nicht gewachsen hielten.«

Die Gesellschaft begab sich, nachdem sie sich mit Waffen und einigen Lebensmitteln versehen hatte, auf den Hof und stieg auf die Pferde, welche ihnen der Farmer vorher zur Verfügung gestellt hatte.

»Haben Sie es gesehen?« flüsterte Williams dem Lord Harrlington zu. »Der grobe Kerl scheint ja ein wahrer Kunstreiter zu sein.«

Die Bemerkung galt dem Manne im Leinwandanzug, der in den Sattel gesprungen war, ohne die Steigbügel zu berühren, oder auch nur die Hand als Stütze zu benutzen.

»Vorwärts!« kommandierte er, gab dem Braunen die Sporen und flog allen voran der Richtung zu, welche ihm vorher von einem der schwarzen Soldaten angedeutet worden war.

Hatte die Gesellschaft heute mittag noch zwei Stunden des schnellsten Marsches gebraucht, ehe sie von dem Wasserfall aus die Farm von Graves erreicht, so legten sie jetzt den Weg in weniger als zwanzig Minuten zurück.

Der graue Reiter an der Spitze, dem der zunächstfolgende Schwarze ab und zu etwas zurief, trieb sein Pferd schonungslos zum schnellsten Lauf an, sodaß es fast mit dem Bauche den Boden berührte, wenn er es über Wiesenflächen trieb. In voller Karriere jagte er durch den Busch, setzte einmal über ein niedriges Gebüsch hinweg, bog sich dann wieder weit hinab, wenn das Pferd unter Zweigen dahinjagte, die seinen gebeugten Kopf streiften.

Er kümmerte sich nicht darum, ob die Herren und Damen ihm folgen konnten oder nicht, von seinen schwarzen Soldaten wußte er es, und das genügte ihm. Diese Burschen waren an derartige wilde Ritte gewöhnt; der hier war ihnen eine Kleinigkeit; wenn es aber erst durch den Gummiwald ging, wo das Pferd über Wurzeln setzen mußte und der Reiter dabei achtzugeben hatte, daß sein Kopf nicht an den Aesten zerschmetterte, dann waren sie in ihrem Elemente. Jetzt fanden sie noch Zeit, sich zu unterhalten und sich noch manchmal lachend umzuwenden, um das Verhalten der Weißen bei diesem Ritte zu beobachten.

»Mehr rechts, Massa,« rief der eine Schwarze, der bereits oben auf einem Hügel stand. In demselben Augenblick war Drake neben ihm.

Drake wendete den Kopf; hinter ihm hielten die Neger und alle Herren und Damen.

Lächelnd blickte er in das erhitzte Gesicht Ellens und fragte, auf den Wasserfall deutend:

»Hier war es, wo die Wasserflasche von Miß Murray gefunden wurde?«

Ellen bejahte.

Alle sprangen von den Pferden, und schon wollte Lord Hastings den steilen Hügel hinabklettern, da wurde er aber von dem Anführer zurückgehalten.

»Das ist keine Arbeit für uns,« sagte er kurz. »Ueberlassen Sie die Untersuchung den Schwarzen, während wir uns hier ausruhen. Wir werden heute noch manchen Schweißtropfen vergießen müssen.«

»Warum betreiben Sie denn die Verfolgung mit solch ungewöhnlicher Schnelligkeit?« fragte Lord Harrlington, als er sich neben Drake ins Gras legte.

An dessen Stelle übernahm Ellen die Beantwortung dieser Frage.

»Jede Stunde kann uns Regen bringen; der Himmel hat sich schon stark bewölkt, und dann würde die Verfolgung einer Spur um das Zehnfache erschwert werden. Ist es nicht so, Mister Drake?«

Der junge Mann nickte bejahend und sagte:

»Noch ein anderer Umstand kommt hinzu. Wie meine Schwarzen sagen, mündet dieser Bach in einen größeren, und es ist unzweifelhaft, daß die Schwarzen, welche die Dame geraubt haben, auf diesem sich weiter fortbewegt haben – jeder Baum liefert ihnen ein Boot. Finden wir aber die Stelle, wo sie gelandet sind, vor heute abend nicht mehr, so haben wir zwölf Stunden vollständig verloren, weil wir dann vor morgen früh nicht weitersuchen können.«

»Und haben wir diesen Landungsplatz gefunden?«

»Dann marschieren wir auch des Nachts weiter.«

»Können diese Neger auch im Dunkeln eine Spur verfolgen?« fragte Hastings zweifelnd.

»Sehen Sie nur, wie sich die Burschen benehmen – gerade wie Hunde auf der Fährte.«

Die Neger waren den Abhang hinuntergeklettert und untersuchten den Boden, sorglich darauf achtend, daß sie nur auf Steine traten; das erste, was auch sie bemerkten, waren die abgeknickten Zweige des Busches, aber sie fanden noch viel mehr Merkmale, daß hier vor kurzem einige Personen gewesen waren.

Jedes Blatt wurde von den Schwarzen sorgsam untersucht, sie knieten auf den Steinen nieder, den Kopf dicht am Boden, und betrachteten diesen, sie forschten an der Felswand und besprachen sich darauf leise in ihrer Sprache.

Dann kehrten sie alle auf den Hügel zurück; fünf von ihnen schwangen sich auf die Pferde, trieben dieselben den Weg hinab und jagten das Tal des Baches entlang, sich dabei weit vornüber neigend, und die Augen starr auf den Boden geheftet.

»Massa,« sagte der zurückgebliebene Neger, sich an Drake wendend, der ruhig liegen geblieben war, »nur ein Schwarzer ist hier gewesen.«

»Gut,« entgegnete Drake, »wie weit ist es von hier bis zur Mündung des Baches?«

»Pferd läuft zehn Minuten, bekommen Zeichen.«

»Wir werden gleich den Ritt wieder aufnehmen können,« erklärte Drake der Gesellschaft und stand auf, welchem Beispiel alle folgten.

Nach einiger Zeit ertönte dreimal hintereinander das langgezogene Geheul des Dingo, des australischen Wolfes, und sofort saß der Neger im Sattel und sprengte die Schlucht hinab, den Bach entlang, und ihm nach Drake und die übrigen.

Jetzt hatte der Schwarze die Führung übernommen, er verfolgte die Spur seiner Kameraden, während diese auf der Fährte der Räuber waren.

Bald hatte man die Mündung des Baches erreicht und bog nach links ab. Der vorausreitende Schwarze hielt sein Pferd nur noch in Trab, denn auch seine Genossen schienen sich langsamer fortzubewegen, obgleich man sie nicht mehr sehen konnte.

»Was habt ihr gefunden?« fragte Drake.

»Boote,« entgegnete der Mann kurz und deutete nach einigen Bäumen, von denen die Rinde abgeschält war. Drake nickte mit dem Kopfe.

»Dachte es mir,« brummte er.

Eine Stunde mochte wieder vergangen sein, als der Schwarze plötzlich vom Pferde glitt und etwas vom Boden aufhob. Einen Blick nur warf er auf das Aestchen, das in eigentümlicher Weise geknickt war, dann sagte er etwas zu dem Anführer, und es war Ellen, als ob er dabei einen bedauernden Blick auf die Mädchen geworfen hätte.

Drake hatte sein Pferd gezügelt und sich umgewendet.

»Wir müssen durch den Bach,« sagte er und trieb den Hengst sofort dem Wasser zu.

»Aber wozu denn?« fragte Harrlington. »Wir können ebenso gut auf dieser Seite bleiben, wenn die Spur drüben weitergeht. Vielleicht müssen wir dann nochmals übersetzen.«

»Leicht möglich,« meinte Drake kaltblütig, »bedenken Sie aber, was Sie mir versprochen haben. Ich frage auch nicht darnach, warum mir die Neger sagen, ich soll über den Fluß setzen, sondern folge ihnen ohne weiteres und bin nicht besser daran, als Sie oder die Damen.«

Damit gab er dem Pferde die Sporen und war mit einem Satze mitten in dem hier ziemlich breiten Gewässer.

Eine Sekunde kämpfte das Roß gegen die heftige Strömung an, dann hatte es das andere Ufer erreicht und fiel drüben sofort wieder in Trab.

»Er hat recht,« rief Ellen, und ehe Harrlington, der seine Hand nach ihrem Zügel ausstreckte, ihr wehren konnte, war ihr Pferd ebenfalls im Wasser, das ihr nur bis an die Hüften reichte, und war drüben.

Die übrigen folgten ihr und zuletzt Hastings, der über das unfreiwillige Bad schimpfte und fluchte.

Es war dies die Stelle gewesen, wo der Häuptling die Boote über eine Stromschnelle hatte tragen lassen.

Wieder waren die Verfolger eine Stunde getrabt, der Abend brach schon an, als man in der Ferne die Gestalten der vorausgerittenen Schwarzen erkannte, die von den Pferden gesprungen waren und das Ufer untersuchten.

Sie standen aber wieder auf der anderen Seite des Baches.

»Sie haben recht gehabt,« wandte sich Drake lächelnd an Lord Harrlington, »wir müssen abermals hinüber.«

Nochmals mußten die Pferde durch das Wasser, diesmal aber fanden sie keinen Grund wie vorhin, und beim hineinspringen sanken die Reiter bis an den Hals ins Wasser.

»Schönes Vergnügen,« murrte Hastings, »jetzt sollen wir wohl die ganze Nacht mit nassen Kleidern im Freien schlafen, Mister Drake?«

»O nein,« lachte dieser, »die Schwarzen laden uns, wenn ich nicht ganz irre, zu einem Spaziergang ein, bei dem Sie schnell genug warm werden dürften.«

Einer der Neger trat zu dem Anführer und sprach lange mit diesem, dabei nach Westen deutend.

»Es ist, wie ich ahnte,« sagte dieser zu der Gesellschaft. »Meine Herren und Damen, steigen Sie von den Pferden! Es giebt einen Nachtmarsch, bei dem die Kleider bald wieder trocken werden; dafür kann ich Ihnen auch ganz bestimmt versprechen, daß Sie morgen früh die Vermißte wiedersehen werden.«

»Können wir nicht zu Pferde bleiben?« fragte Sir Williams, der ganz wehmütig wurde, als er die langen Kleider der Mädchen betrachtete, welche von Wasser trieften und schwer an die Lenden der Pferde schlugen.

»Es geht nicht,« erwiderte Drake, »die Finsternis bricht gleich an, und ein Ritt durch einen Gummiwald bei Nacht ist eine Unmöglichkeit.«

»So lassen Sie uns ein Feuer anzünden und hier die Nacht verbringen.«

»Nicht eine halbe Stunde gewähre ich Ihnen dazu,« beharrte der junge Mann, »Die Eingeborenen sind den ganzen Nachmittag gewandert, sind vielleicht auch jetzt noch unterwegs und haben einen bedeutenden Vorsprung vor uns. Wir müssen sie unbedingt diese Nacht noch erreichen, denn bei Nacht wandern sie nicht; aber morgen beim frühesten Sonnenstrahl erheben sie sich und nehmen ihren Marsch wieder auf, und wie schnell die Australneger laufen, davon haben Sie gar keine Ahnung.«

»Gut, so wollen wir uns unverzüglich auf den Weg machen,« rief Ellen, sprang vom Pferd und gab somit das Zeichen für die übrigen, ihrem Beispiel zu folgen. »An uns soll es nicht gelegen haben, wenn wir diese Nacht Miß Murray nicht erreichen.«

»Wir werden es,« versicherte Drake bestimmt.

»An überflüssiger Galanterie leidet dieser Mister Drake eben nicht,« flüsterte Miß Thomson Johanna zu, als sie zwischen den Bäumen des Gummiwaldes schritten, in dem es schon fast dunkel war. Daher kam es auch, daß die Sprecherin das Lächeln nicht bemerkte, welches den Mund des Mädchens umschwebte.

Es war ein ungeheuer beschwerlicher Marsch, dem sie sich unterzogen hatten. Die nassen Kleider klebten am Körper; die Nächte in Australien sind kalt, und doppelt wird die Kälte fühlbar in solchem Zustande; dazu schritt noch der Schwarze, der den Zug führte, mit solcher Schnelligkeit vorwärts, daß sie ihm kaum folgen konnten.

Wieder waren fünf der Schwarzen vorausgeeilt, jetzt aber ebenfalls zu Fuß, und suchten die Spuren der Verfolgten. Diese hatten sich nicht mehr die Mühe gegeben, ihre Fußtapfen zu verbergen, und so konnten die Eingeborenen ihnen trotz der Finsternis leicht folgen.

Fortwährend erschollen im Walde die heulenden Töne der Dingos, die krächzenden Laute des Kauzes, und man wußte nicht, ob das von Tieren herrührte oder dem an der Spitze gehenden Neger als Signale dienten, welche Richtung er einzuschlagen habe. Man nahm letzteres an, weil der Schwarze ebenfalls manchmal ein Geheul oder ein Krächzen ausstieß, zum Zeichen, daß er seine Kameraden verstanden habe.

Stunde auf Stunde verstrich! Unermüdlich schritt der schwarze Führer voran, dicht hinter ihm Drake, der ebenfalls keine Spur von Müdigkeit zu empfinden schien; destomehr aber ließen die Kräfte der übrigen nach, welche das Marschieren nicht gewohnt waren und heute, nach einer halb schlaflosen Nacht, bereits einen bedeutenden Weg zurückgelegt hatten.

Aber dennoch scheute sich jeder, sich einen Seufzer entschlüpfen zu lassen. Niemand wollte der erste sein, der eine Schwäche zu erkennen gab. Lord Harrlington, der ausdauerndste von den Herren, wunderte sich immer mehr, daß keines der Mädchen zurückblieb; jede Minute wartete er, daß Miß Thomson oder Johanna, das am zartesten gebaute Mädchen, zusammenbrechen würde, und hielt sich darum in ihrer Nähe auf, aber es geschah nichts Derartiges. Einmal wollte er versuchen, mit Ellen eine Unterhaltung anzuknüpfen; aber beim ersten Wort stieß Drake ein mahnendes Zischen aus, das ihn sofort zum Schweigen brachte.

Da endlich, es mochte schon weit nach Mitternacht sein, stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen, eine schwarze Gestalt vor ihnen und hob den Arm zum Zeichen in die Höhe, daß gehalten werden sollte.

Drake tauschte mit den Soldaten flüsternd einige Worte, dann führte er die Gesellschaft etwas abseits und bedeutete sie, hier zu warten, bis er wiederkäme. Er wollte mit den sechs Schwarzen ausspionieren, ob Miß Murray in dem Lager von Eingeborenen, welches sich vor ihnen befände, wäre.

»In einer Stunde spätestens bin ich zurück, machen Sie ja kein Feuer an,« flüsterte Drake und war sofort mit seinen Leuten in der Dunkelheit des Waldes verschwunden.

In einiger Entfernung machten die sieben Männer Halt und hielten einen Rat ab, worauf sie beschlossen, gemeinschaftlich soweit vorzudringen, bis auch sie die Feuer bemerkten, die von einem der Schwarzen entdeckt worden waren.

Es dauerte nicht lange, so sahen sie in der Ferne den schwachen Schein einiger Feuer, die im Verglimmen zu sein schienen.

»Die Schwarzen sind heute weit gelaufen,« flüsterte einer der Soldaten, »sie sind müde, sie lassen die Feuer ausgehen.«

»Desto leichtere Arbeit werde ich haben,« brummte Drake und begann ohne weiteres, sich seines grauen Leinwandrockes zu entledigen.

»Was wollt Ihr thun, Massa?« fragten erstaunt die Neger, als sie ihren bisherigen Anführer plötzlich in einem schwarzen, trikotähnlichen Anzug dastehen sahen.

»Ich werde ins Lager schleichen und mich selbst überzeugen, ob das Mädchen darin ist oder nicht,« antwortete Drake. »Du hast bestimmt gesehen, daß nur eine einzige Rindenhütte aufgebaut ist?«

»Es ist so,« versicherte einer der Soldaten, »und darin ist die weiße Missis. Aber, Massa, Ihr könnt nicht unbemerkt dahineinschleichen. Balkuriri ist es, den wir verfolgt haben, ich habe ihn an seinen Fußspuren erkannt, und dieser Häuptling schläft nur mit einem Auge. Wir müssen sie erschrecken und davonjagen.«

»Nicht einmal wir wagten das zu thun, Massa,« sagte ein anderer der Schwarzen, »und wie wollt Ihr denn heimlich zwischen die Lager schleichen, ohne daß es gemerkt wird?«

»Laßt nur gut sein,« sagte aber Drake, den die Eingeborenen noch lange nicht zu kennen schienen, und schnallte sich den Gürtel mit dem Revolver und Messer über das schwarze Unterkleid, »wenn ich wollte, könnte ich Balkuriri selbst mit Haut und Haaren mausen, ohne daß er davon etwas merkt. Bleibt still hier liegen, bis ich zu Euch zurückkehre!«

Wie eine Schlange verschwand die schwarze Gestalt in den Büschen. Verblüfft schauten die Eingeborenen ihr nach; so etwas war ihnen doch noch nicht passiert während ihres bewegten Lebens, daß sich ein Weißer unterfing, in das Lager von Australnegern zu schleichen, um darin zu spionieren. Leutnant Atkins war zwar ein Mann, vor dessen Geschicklichkeit und mehr noch, vor dessen Mut sie alle Achtung hatten, aber so etwas hätte er nicht gewagt. Doch Atkins hatte ihnen befohlen, sich den Anordnungen des Mannes, den er unterwegs getroffen und freudig begrüßt hatte, in allen Dingen zu fügen, und so warteten sie, geduldig am Boden liegend, neben sich den Karabiner, die Lederscheide des Pallasch zwischen den Knieen auf die Rückkehr des Verwegenen, jeden Augenblick bereit, ihm zu Hilfe zu eilen, um ihre feigen Brüder durch ein paar Flintenschüsse in die Flucht zu jagen.

Drake war unterdessen vorsichtig weitergekrochen. Dieser Mann schien die Fähigkeit der Eingeborenen zu besitzen, unhörbar zu schleichen, denn trotzdem er sich sehr schnell vorwärts bewegte, verriet doch nicht einmal ein raschelndes Blatt seine Gegenwart.

Als er soweit gekommen war, daß er die Feuer und die um dieselben liegenden Eingeborenen sehen konnte, welche alle in festem Schlaf zu liegen schienen, orientierte er sich über die Lage der Rindenhütte, von welcher ihm einer der Soldaten erzählt hatte, kroch dann wieder um das Lager herum und näherte sich dieser.

Ein Feuer mußte er aber doch passieren, ehe er zu ihr gelangte, ja, er war sogar genötigt, über einen schlafenden Eingeborenen hinwegzusteigen. Deutlich konnte er das schwarze Gesicht im Scheine des flackernden Feuers erkennen, er merkte, wie sich die Brust des Schlafenden langsam hob und senkte; im nächsten Augenblick lag Drake neben der Rindenhütte.

Kein Laut hatte die Stille unterbrochen, keiner der Eingeborenen ahnte, daß sich mitten unter ihnen ein weißer Spion befand; selbst wenn sie Hunde bei sich gehabt hätten, würden sie nicht die Anwesenheit eines Fremden vermutet haben. Und doch ist der Schlaf der Eingeborenen, dieser Kinder der Natur, die selbst fast wie Tiere in der Wildnis leben, ein so leiser, daß sie in ihm das Fallen eines trockenen Blattes vom Baum vernehmen.

Drake lag hinter dem Eingang der Hütte und spähte an der Wand, die nur aus Rindenstücken zusammengesetzt war. Trotz der Dunkelheit erkannte er eine Stelle, wo zwei Teile zusammenstießen; leise griff er in die Spalte und begann ein Stück nach dem anderen abzulösen, so vorsichtig, daß auch nicht das geringste Geräusch dabei zu hören war.

Kaum war die so geschaffene Oeffnung groß genug, um den Kopf des kühnen Spions durchzulassen, dennoch glitt er ganz hindurch und verschwand im Inneren der Hütte.

Im Nu hatte er sich orientiert.

Jessy lag sanft schlafend an der einen Wand auf einigen Grasbündeln, und nun galt es, sie so vorsichtig zu wecken, daß der vor dem Eingange ruhende Häuptling nicht merkte, daß die Hütte noch einen Bewohner bekommen hatte.

Aber es gelang dem jungen Manne; Jessy wachte auf. Sie besann sich sofort, als eine Hand auf ihren Mund gelegt wurde, und sie verstand den Sinn der Worte, die kaum vernehmbar an ihr Ohr drangen.

»Ruhig, Miß Murray!«

»Wer sind Sie?« klang es zurück.

»Miß Petersen, Lord Harrlington und die übrigen sind hier, um Sie zu befreien.«

Drake war nicht so eitel, sich selbst als den Retter zu bezeichnen, sondern wollte dem Mädchen die Freude gönnen, sich von den Freundinnen gerettet zu wissen.

Zwischen beiden entspann sich nun eine lautlose Unterhaltung, und wäre es in der Hütte nicht stockfinster gewesen, so hätte man bemerken können, welch ein überraschtes Gesicht Drake zog.

Nur einmal wurde das Gespräch unterbrochen.

An das Ohr des Schläfers vor dem Eingange mochte ein zischelnder Laut gedrungen sein; er richtete sich auf und steckte den Kopf durch die Oeffnung, aber selbst sein scharfes und an die Finsternis gewöhntes Auge vermochte nicht die schwarze Gestalt zu erkennen, die plötzlich auf dem Boden zusammengesunken war und sich dicht an die Hüttenwand schmiegte.

Als sich der Häuptling beruhigt hatte und eine Weile verstrichen war, tönte wieder die flüsternde Stimme an Jessys Ohr:

»All right, Miß Murray, so überlasse ich Sie Ihrem Schicksal. Ich gehe jetzt! Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?«

»Nein, nur zähle ich auf Ihre eventuelle Hilfe.«

Lautlos, wie er gekommen, verließ Drake wieder die Hütte, stieg abermals über den schlafenden Eingeborenen und verschwand im Walde, bald darauf zu seinen Leuten stoßend, die über den Befehl, den er ihnen gab, sich höchlichst wunderten, aber trotzdem gehorchten.


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