Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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24.

Ein Reporter der ›Times‹

Wie jede größere, außereuropäische Stadt ein Viertel aufzuweisen hat, in dem die dem betreffenden Volke eigentümlichen Wohngebäude durch Villen, nach europäischem Stil gebaut, verdrängt worden sind, so auch Hongkong, der größte Hafen Chinas, in den sich die unersättlichen Engländer fest einzunisten gewußt haben.

Die Villen, Kontors und Geschäftshäuser derselben bilden hier eine ganze Stadt für sich; man glaubt sich beim Durchschreiten der schönen, breiten Straßen wahrlich nicht im Reiche der Mitte, wenn sich nicht auch noch hier die langbezopften Söhne des Himmels zeigten, wenn nicht Mandarinen in Sänften hindurchgetragen würden, und wenn sich nicht der englische Kaufmann im zweirädrigen Karren, der von einem halbnackten, nur mit einem Schurze bekleideten Kuli, einem Eingeborenen, gezogen wird, nach seinem Hause fahren ließe.

Eben jetzt trabte ein solcher Kuli mit breitrandigem Strohhut durch eine der Hauptstraßen, hinter sich einen

Karren ziehend, in dem ein schöner, älterer Herr saß, in der einen Hand einen großen Sonnenschirm haltend und mit der anderen die Bartkoteletten streichend, welche die fleischigen Wangen schmückten.

Der gelbhäutige Kuli hielt vor einem kleinen, hübschen Häuschen, an dessen Tür ein Messingschild mit der Inschrift ›Expedition der Times‹ angebracht war, der Herr stieg aus, gab dem Eingeborenen eine kleine Silbermünze und trat in das im Parterre gelegene Kontor, wo er von zwei bereits arbeitenden Herren mit einem ›guten Morgen‹ begrüßt wurde. Die ›Times‹ sind die verbreitetste Zeitung Englands oder überhaupt der Welt; wo sich die Engländer niedergelassen haben – und wo sind sie nicht vertreten? – da sind auch die ›Times‹ zu finden; fehlen sie, dann fühlt sich der Sohn Albions unglücklich, ohne sie schmeckt ihm morgens sein Tee nicht.

Aber die in London stationierte Redaktion der ›Times‹ sorgt dafür, daß ihr Blatt durch die ganze Welt fliegt, in jeder größeren Stadt hat sie Expeditionen errichtet, welche die Verbreitung besorgen, und nun gar in dem britischen Hongkong, welches von Engländern wimmelt.

Mister Haddon, der jetzt in das Kontor eintretende Herr, war Chef dieser Expedition, er sorgte dafür, daß das Blatt nach Ankunft des Postdampfers sofort an die Abonnenten ausgetragen wurde, und benachrichtigte zugleich die Redaktion in London, wie viele und was für Schiffe in Hongkong einliefen, ob es in China Regen gebe oder die Sonne scheine, wie hoch der Reis im Preise stände, ob der Kaiser von China in den letzten Nächten gut geschlafen, wie viele Tassen Tee seine Frau Gemahlin täglich schlürfe, und so weiter, alles Sachen, über welche Mister Haddon so genau Auskunft geben konnte, als hätte er sie selbst gesehen, obgleich sich sein einziger Weg nur von der Wohnung zum Kontor, von diesem zum Hotel und wieder zur Wohnung erstreckte. Aber die ›Times‹ scheuen keine Kosten, sie müssen alles erfahren, und wenn auch noch die Schlüssellöcher der verschlossenen Türen zugestopft wären; sie erhalten eine ganze Legion von Reportern, welche gleich Spürhunden sich in allen Erdteilen herumtreiben.

»Etwas Neues für mich?« fragte Mister Haddon und trat an das Schreibpult des jungen Mannes, welcher die eingegangenen Briefe erledigte. Der Chef führte die Leitung des Ganzen, er kam nur auf eine Stunde des Tages, um eine eventuelle Anweisung zu geben oder Fragen zu beantworten; den Geschäftsgang selbst überließ er vollkommen diesem Herrn, der schon lange Jahre hier tätig war.

»Für Sie persönlich nichts,« erwiderte der Schreiber, »aber vielleicht interessiert Sie dies.«

Damit reichte er dem Chef einen Brief.

»Schon wieder ein neuer Reporter?« sagte Mister Haddon nach Lesen der ersten Zeilen, und dann: »Ach, als Spezialkorrespondent? Soll sich nur hier vorstellen und Rat holen. – Bitte, ihm mit Rat und Tat behilflich zu sein – hm, der Mann wird sehr empfohlen, scheint eine tüchtige Kraft zu sein, empfangen Sie ihn höflich! Aber was für mich besonders Interessante soll dies enthalten?«

»Haben Sie seinen Namen übersehen?« fragte lächelnd der Schreiber.

»Sein Name? Er ist Absalom Youngpig – in der Tat, ein seltener Name; wie reimt sich Absalom und Ferkel zusammen?«

Youngpig heißt auf deutsch Ferkel.

»Aber wie ist mir denn?« fuhr der Chef nachdenkend fort. »Ist Mister Youngpig nicht jener Mann, der erst vor einem Jahr von den ›Times‹ engagiert worden ist und seit jener Zeit nur dazu verwendet wurde, Luftballonfahrten mitzumachen, dem Ausgang verrückter Wetten beizuwohnen, und so weiter?«

»Es ist derselbe,« lachte der Schreiber, »er war erst bei dem ›New-York-Herald‹ tätig, verließ diesen dann und ging als Reporter zu den ›Times‹, wo er bald eine Art Berühmtheit wurde. Fragen Sie Mister Planter, der kennt ihn persönlich.«

Der andere Schreiber, welcher erst vor einiger Zeit aus London gekommen war, bestätigte es.

»Viele halten ihn für etwas verrückt,« setzte er hinzu, »aber es ist nicht so, er steckt nur voller Schrullen, hat seltsame Angewohnheiten und gefällt sich in allen Extremen. Im übrigen ist er ein gemütlicher, harmloser Mensch. Als Reporter hatte er immer eine ganz eigenartige Beschäftigung. Wollte ein Luftschiffer im Ballon eine noch nie dagewesene Höhe erreichen, so mußte Youngpig mit, schloß sich ein Hungerkünstler sechs Wochen lang ein, Youngpig wachte Tag und Nacht bei ihm und notierte jeden Seufzer, photographierte jede Miene des Dulders, und machte jemand die Wette, von London nach Liverpool zu rennen, so lief Youngpig nebenher, immer den unvermeidlichen Photographenapparat, das Notizbuch und die Uhr in der Hand. Wir nannten ihn gewöhnlich Mister Nevermind, weil er die Angewohnheit hatte, fast hinter jedem Satz never mind zu sagen.«

Never mind, von den Engländern sehr häufig gebraucht, bedeutet ungefähr soviel wie ›schadet nichts‹.

»Wann soll er denn hier eintreffen?« sagte Mister Haddon und nahm wieder den Brief zur Hand. »Am achtzehnten, das wäre ja heute! Ich hätte wirklich Lust, auf ihn zu warten, um diesen sonderbaren Kauz kennenzulernen. Eine Stunde werde ich noch hier bleiben.«

In diesem Augenblicke wurden draußen auf dem Korridor schwere Schritte hörbar, die Tür öffnete sich, und der Erwartete trat herein.

Mister Absalom Youngpig war ein noch sehr junger, bartloser Mann, er mochte erst etwa zwanzig Jahre zählen, eine mittelgroße, schlanke Gestalt mit rotem, gutmütig aussehendem Gesicht, aus dem die blauen Augen freundlich, aber auch zugleich unternehmungslustig hervorblitzten.

Sein Anzug bestand aus einer grauen Joppe, einer grau und braun gewürfelten Hose, welche aber nur bis an die Kniee reichte, sodaß man die von braunen Strümpfen bedeckten, kräftigen Waden sehen konnte – eine von den Engländern bevorzugte Reisekleidung – an den Füßen trug er derbe Schuhe, die sogar mit Nägeln beschlagen waren, und auf dem kurzgeschorenen Haar saß eine bunte, schottische Mütze.

An einem Riemen hingen ihm zur einen Seite ein Holzkästchen, zur anderen eine Ledermappe herab.

»Good morning« rief er schon im Türrahmen und brachte sofort aus einer Innentasche der Joppe eine riesige Taschenuhr zum Vorschein, »fünf Minuten über elf, also doch fünf Minuten Verspätung, never mind. Habe ich die Ehre mit Mister Haddon, Chef ...«

»Bin ich, bitte nehmen Sie Platz!« unterbrach ihn Mister Haddon und rückte ihm einen Stuhl hin, »Freut mich, daß ich Sie persönlich sprechen kann, Sie sind mir warm empfohlen worden. Haben Sie gute Reise gehabt?«

»... der Timesexpedition in Hongkong zu sprechen?« fuhr der junge Mann in seiner ersten Ansprache ruhig fort, als Mister Haddon ausgeredet hatte.

»Haben Sie gute Reise gehabt?« fragte Mister Haddon nochmals, der nicht merkte, wie beide Schreiber zu lächeln begannen.

»Danke, eine ausgezeichnete,« und Absalom Youngpig brachte aus einer Seitentasche ein Notizbuch hervor, welches an Umfang einer Bibel glich, und schlug es auf, »am zweiten vorigen Monats London bei schönem Wetter verlassen, am dritten starken Seegang gehabt, Wind, Süd, Süd-West, dreiviertel Süd, Temperatur durchschnittlich 21 Grad Celsius, hielt einige Tage an, am achten sprang der Wind nach ...«

»Haben Sie vor Ihrer Abreise noch einmal Mister Scott, meinen speziellen Freund, gesprochen?« unterbrach der Chef den Vorlesenden abermals.

»... Norden um, Temperatur sank plötzlich auf 17 Grad herab,« fuhr der Reporter unbeirrt weiter fort und hielt nicht eher inne, als bis er den ganzen Reisebericht vorgelesen hatte.

Die Schreiber kämpften mühsam mit dem Lachen, und soviel hatte der Chef jetzt schon heraus, daß sich Mister Absalom Youngpig wohl ruhig unterbrechen ließ, aber dann stets wieder da fortfuhr, wo er gerade stehen geblieben war.

Als er zu Ende war, klappte er das Notizbuch zu, steckte es ein und beantwortete erst jetzt die an ihn gestellte Frage – Mister Haddon wagte nicht mehr, ihn zu unterbrechen.

»Never mind, ich habe Mister Scott gesprochen, soll Ihnen viele Grüße bestellen, bittet, daß Sie ihm doch privatim schreiben möchten.«

»Ich bin leider sehr in Anspruch genommen,« log Mister Haddon, »meine Zeit erlaubt mir nicht, eine große Korrespondenz zu führen.«

»Never mind.«

»Kann ich erfahren, was Sie nach Hongkong führt? Sollten Sie in irgend etwas Rat gebrauchen, ein besseres Auskunftsbureau als die Expedition der Times gibt es hier nicht.«

»Können Sie mir sagen,« nahm der Reporter das Wort, »wo sich zur Zeit die ›Vesta‹ befindet, und ob sie bei einem Besuche in China auch nach hier kommt? Es wäre eine –«

»Ah,« rief Mister Haddon überrascht, und auch die beiden anderen Schreiber horchten hoch auf, »nun verstehe ich Ihre Mission. Also Sie sollen über diese verwegenen Abenteurerinnen Bericht erstatten; nun, Sie werden eine schwere Nuß zu knacken bekommen, diese amerikanischen Damen halten ihre Handlungen sehr geheim.«

»In Hafenstädten können Sie wohl über sie reportieren,« meinte ein Schreiber, »aber da ist ja nichts Neues mitzuteilen. Am Lande laufen ihnen doch die Reporter auf Schritt und Tritt nach.«

»Das ist es eben,« stimmte ihm der Chef bei. »Ueber ihr eigentliches Matrosenleben an Bord der ›Vesta‹ herrscht noch vollkommenes Dunkel, das muß endlich einmal gelüftet werden. Erwarten Sie die ›Vesta‹ hier, Mister Youngpig?«

»Dummheit, wenn ich warten wollte, bis die ›Vesta‹ zufällig nach Hongkong käme,« setzte der Reporter sein erst angefangenes Gespräch fort, wodurch diesmal ein etwas seltsamer Sinn entstand, weil es als eine Antwort auf die Frage des Chefs hatte gelten können. »Wenn ich hier den Hafenplatz erfahren kann, wo sie ankert, so fahre ich unverzüglich dorthin.«

»Gegenwärtig liegt sie in Singapur, aber wohin sie dann fährt, und wie lange sie in Singapur bleibt, das hat keine unserer Spürnasen herausbekommen. Bleiben Sie lieber hier, Mister Youngpig, es steht zu erwarten, daß die Damen Hongkong besuchen werden.«

»Never mind, ich werde mir die Sache überlegen, habe ja noch Zeit.«

»Wie gedenken Sie sich über die Verhältnisse der ›Vesta‹ zu orientieren?« fragte Mister Haddon lächelnd. »Keines Mannes Fuß darf das Damenschiff betreten. Ich wüßte nicht, wie Sie auf dasselbe kommen wollen.«

»Never mind, werde schon einen Plan finden. Wo ist hier das Hotel d'Europe, Mister Haddon?«

»Das beste ist, Sie engagieren einen Kulikarren und lassen sich dorthin fahren – Sie brauchen nur den Namen des Hotels zu nennen – es ist ein sehr weiter Weg von hier nach dem Platze, wo es liegt, der Weg führt durch das chinesische Viertel, und Sie könnten sich leicht verlaufen. Haben Sie Ihr Gepäck nach dort bringen lassen?«

»Mein Gepäck? Nein, ich führe auf Reisen nie Gepäck bei mir, das macht nur Umstände.«

»So haben Sie Ihre Reisetasche noch an Bord?«

»Reisetasche? Nein, ich habe keine Reisetasche.«

»Aber Sie müssen doch irgend etwas bei sich haben,« sagte der Chef erstaunt. »Sie können doch nicht die weite Reise von London nach Hongkong ohne alles Gepäck zurückgelegt haben?«

»Warum denn nicht?« klang es ruhig zurück.

»Never mind, Kamm und Seife habe ich immer bei mir.«

Förmlich erschrocken blickten alle drei Herren auf den Reporter.

»Sie hätten zum Beispiel keine – keine – Hemden weiter bei sich?« klang es unsicher aus dem Munde Mister Haddons. Dieser Gentleman schämte sich fast, eine solche Unglaublichkeit auszusprechen.

»Gewiß habe ich ein Hemd an, sogar zwei. Ist das eine schmutzig, so wird es gewaschen und über das andere gezogen, das ist never mind; alles, was ich sonst brauche, bekomme ich ja überall zu kaufen.«

Diese Erklärung war ohne jedes Zögern gegeben worden, Mister Youngpig schämte sich dieser Tatsache durchaus nicht.

Jetzt zog er wieder die kartoffelähnliche Uhr aus der Tasche und warf einen Blick darauf.

»Ein halb zwölf Uhr,« sagte er und stand auf. »Good bye, meine Herren, meine Zeit ist abgelaufen. Sollte ich noch über etwas zu fragen haben, so werde ich Sie wieder belästigen müssen. Good bye

»Good bye, Mister Youngpig.«

»Never mind.«

Und der Reporter war schon zur Tür hinaus.

Die drei zurückgebliebenen Herren sahen sich mit förmlich bestürzten Mienen an.

»Das ist ja ein merkwürdiger Kauz, dieser Mister Youngpig,« sagte endlich der Chef lachend, »reist fast um die halbe Erde und hat nur zwei Hemden mit.«

»Als er sagte, daß er Seife und Kamm bei sich führe, wurde er ordentlich stolz,« lachte ein Schreiber.

»Dieser Mister Youngpig macht seinem Namen alle Ehre, das ist ein richtiges Ferkelchen,« schloß der Chef die Betrachtungen über den hinausgegangenen Reporter.

Dieser war unterdessen auf die Straße geeilt und rannte mit großen Schritten davon, nach einem Karren spähend, der ihn nach dem Hotel d'Europe bringen sollte. Als er in seinem heftigen Laufe um eine Ecke bog, rannte er mit einem dicken Chinesen zusammen, welcher ebenfalls um die Ecke ging, und der Stoß, den der himmlische Sohn vor seinen ansehnlichen Bauch empfing, war so heftig, daß er sein gelbes Gesicht in schmerzliche Falten zog und beide Hände auf die getroffene Stelle legte und somit ein sehr lächerliches Bild abgab, woran sich der Reporter ergötzte.

Im Nu hatte er den Kasten von der Seite gerissen, hielt ihn vor den noch immer dastehenden Chinesen, ein Druck auf den Knopf, ein leises Knacken, und das Bild war in seinem Besitz.

»Danke, never mind,« sagte Absalom Youngpig höflich, legte einen Finger an die schottische Mütze und rannte weiter, den Chinesen stehen lassend, der ihm mit angstvollen Blicken nachsah.

Kaum war der Reporter einige Schritte weiter gelaufen, als er einen kräftigen Schlag auf die Schulter bekam, der ihn bald in die Kniee sinken ließ, und wie er sich umblickte, sah er in das Gesicht eines ihm völlig fremden, elegant gekleideten jungen Mannes.

»Na, Kleiner, du kennst mich wohl nicht mehr?« redete ihn dieser freundlich an, »was hat denn mein Ferkelchen in Hongkong zu suchen?«

»Nick,« jubelte jetzt der Reporter auf und fiel ohne alle Umstände dem vor ihm Stehenden um den Hals und küßte ihn auf die Backe, »ist das ein Glück, daß ich dich hier treffe! Ich glaubte, du wärst mit bei den Vestalinnen in Singapur. Wie geht es Johanna?«

»Johanna ist munter wie ein Fisch im Wasser,« entgegnete Nick Sharp, denn dieser war es. »Wird die sich aber freuen, wenn sie ihr Ferkelchen wiedersieht! Komm, jetzt wollen wir erst ein paar Flaschen Wein ausstechen, dieser Tag muß gefeiert werden.«

Der Detektiv, der immer deutsch gesprochen hatte, schob seinen Arm unter den des Reporters und geleitete ihn nach einem Hotel, wo beide bald in einem netten Zimmerchen bei einer Flasche Wein saßen.

»Vor allen Dingen, hast du Nachricht von den Eltern bekommen?« begann Sharp das Gespräch. »Ich habe lange nichts von ihnen gehört.«

»Ja, es geht ihnen gut, Gott sei Dank. Und dir, Nick, wie geht es dir?«

»Ich habe einen guten Verdienst, bin mit ihm zufrieden; aber nun sag', Absalom, was führt dich hierher nach Hongkong?«

»Weißt du schon, daß ich seit einem Jahre nicht mehr bei dem ›New-York-Herald‹ sondern bei der ›Times‹ tätig bin?«

»Nein, ich hatte keine Ahnung.«

»Never mind, es ist so. Jetzt fängt mein Weizen zu blühen an,« sagte Mister Youngpig freudestrahlend, »endlich habe ich einen Auftrag bekommen, bei dem ich einmal etwas Ordentliches verdienen kann. Mit der Zeilenschreiberei ist es vorbei, ich bin von den ›Times‹ mit monatlich zwanzig Pfund Sterling festem Gehalt engagiert und bekomme alle Reisespesen vergütet.«

»Na das freut mich, daß aus dir noch etwas geworden ist,« sagte der Detektiv wirklich erfreut, »ich hatte immer eine höllische Sorge um dich, denn ich glaubte dich ganz aus der Art geschlagen, viel zu schüchtern und ängstlich, um durch die Welt zu kommen. Prosit, Ferkelchen, auf deine Gesundheit!«

»Aber nun zu deinem eigentlichen Auftrage,« begann der Detektiv wieder. »Was hast du hier in Hongkong zu suchen? Ich kann dir vielleicht in vielen Sachen nützlich sein.«

»Mein Auftrag ist der, auf irgend eine Weise mich vollständig über die Einrichtung der ›Vesta‹ und über das Treiben, über die Gesetze, Lebensweise, Schicksale, Kleider, Frisuren, Toiletten der amerikanischen Mädchen zu orientieren, wie sie kochen, waschen, scheuern, ob sie sich gegenseitig vertragen oder zanken, streiten, prügeln; wann sie geboren, getauft, konfirmiert sind, kurz und gut, eben über alles, was die Vestalinnen und die ›Vesta‹ betrifft.«

»Hm,« meinte der Detektiv nachdenkend, »so sehr schlimm ist der Auftrag eigentlich nicht, er erfordert nur Geduld. Wie gedenkst du, ihn auf die beste Weise zu lösen?«

»Ich muß unbedingt an Bord der ›Vesta‹.«

»Das wird nicht gehen, mein Junge,« entgegnete der Detektiv kopfschüttelnd. »Sie passen höllisch auf, daß keine Mannsperson den Fuß auf die ›Vesta‹ setzt.«

»Johanna ist doch als Vestalin darauf, sollte die mich nicht an Bord schmuggeln können?«

»Mit dem Verstecken ist dir nicht gedient. Die Mädchen schmeißen dich einfach über Bord, wenn sie dich finden, und Johanna kann darin gar nichts tun. Du würdest vielleicht als Johanna gehen können, aber deine dicke Nase kann ich nicht dünn machen, du bist überhaupt kein Schauspieler, und außerdem ist Johanna auch nicht von der ›Vesta‹ abkömmlich, sie muß darauf bleiben. Nein, so geht es nicht.«

»Wie wäre es denn, wenn ich mich in den Koffer einer Dame packen ließe, wenn sie hier im Hotel wohnt? Ich würde so an Bord getragen und käme heraus, wenn das Schiff auf hoher See ist?«

»Sie schmeißen dich sofort über Bord, sage ich dir.«

»Never mind, dann schmuggele ich mich wieder auf eine andere Weise darauf, und zwar so lange, bis ich alles habe, was ich wissen will.«

»Energie hast du, Absalom, das muß man dir lassen,« sagte Sharp und klopfte dem Reporter freundlich auf die Schulter. »Na, ich werde vielleicht noch etwas finden, wie du am besten zum Ziele kommst; überlaß das nur mir, ich werde schon für mein Ferkelchen sorgen. Im schlimmsten Falle kannst du dir alles von Johanna erzählen lassen, ich werde sie schon zum Sprechen bringen.«

»Das geht nicht, ich muß alle Räume und Kabinen der ›Vesta‹ photographieren,« unterbrach ihn der Reporter.

»Kann Johanna auch besorgen.«

»Nein, nein,« wehrte der junge Mann aber energisch ab, »ich selbst muß mich von allem persönlich überzeugen. Uebrigens habe ich schon schwerere Sachen als das gemacht, und es wird mir schon gelingen, an Bord der ›Vesta‹ zu kommen, ich hoffte nur, du könntest mir dabei behilflich sein.«

»Kann ich auch! Aber jetzt laß deine Sorgen fahren, du hast ja noch eine Woche Zeit, ehe die ›Vesta‹ nach dieser Gegend kommt, und bis dahin wird mir schon etwas einfallen.«

»Wo ist die ›Vesta‹ jetzt?«

Der Reporter bekam dasselbe zu hören, wie in der Expedition der ›Times‹, aber Nick Sharp war noch besser unterrichtet, als jene Herren.

»Von Singapur fahren die Mädchen nach einem Hafen von Cochinchina, wahrscheinlich nach Saigun, und von dort nicht nach Hongkong, wie erst beschlossen war, sondern nach Scha-tou, einem etwas westlicher gelegenen großen Hafen, den du mit der Bahn in einigen Stunden erreichen kannst. Hongkong ist den Mädchen schon zu sehr zivilisiert, Scha-tou dagegen trägt noch einen völlig ursprünglichen, chinesischen Charakter und das ist es, was sie sehen wollen.«

Der Detektiv klingelte dem Kellner und füllte aus der neu herbeigebrachten Flasche die Gläser wieder.

»Nick,« begann der Reporter nach einer Weile, während welcher er mit dem danebengeflossenen Weine Ringe auf den Tisch gemalt hatte, und seine Stimme klang sehr verlegen, »ich möchte dir etwas mitteilen, ich möchte – never mind

»Sprich dich nur ruhig aus, mein Junge,« sagte der Detektiv und klopfte den jungen Mann väterlich auf die Wangen. »Brauchst du Geld? Hast du Schulden gemacht? Ich weiß, du hast früher nicht viel gehabt und etwas lustig gelebt. Sage es mir nur offen!«

»Heiraten möchte ich,« platzte der Reporter jetzt heraus, »ja, heiraten! Never mind

Da aber zog der Detektiv die Stirn in krause Falten, betrachtete den vor ihm Sitzenden mit mißbilligendem Kopfschütteln und sagte dann, spöttisch lächelnd:

»Heiraten? Nein, mein Junge, das erlaube ich dir nicht. Du bist ja kaum trocken geworden hinter den Ohren. Absalom, Absalom! Kaum bekommst du etwas Geld zwischen die Finger, und gleich denkst du an solchen Unsinn. Wir passen beide nicht zum Heiraten, ich sowenig, wie du. Hast du etwa eine Frau gefunden, die gewillt ist, mit dir sich in einen Koffer oder in ein Faß packen und als Frachtgut verschicken zu lassen? Hast du eine solche, gut, dann gebe ich dir meinen Segen, sonst nicht.«

»Never mind, Nick,« entgegnete der junge Mann lachend, »ich will doch nicht immer ein solches Leben wie jetzt führen. Das soll das letzte, derartige Unternehmen sein, es bringt mir etwas Hübsches ein, und dann gebe ich die Reporterlaufbahn auf, ich etabliere mich selbst.«

»Willst du eine Zeitung gründen?«

»Nein, ich werde ein statistisches Bureau einrichten, wo jede Nachfrage über irgendwelche Zahlenverhältnisse beantwortet werden kann. Um den Ruf des Bureaus zu befestigen, werde ich erst ein Buch erscheinen lassen, gegen welches alle bisher herausgegebenen Statistiken wahre Kindereien sind.«

Der Reporter hatte sich in Eifer geredet, und kopfschüttelnd hörte ihm Sharp zu.

»Ich kann noch nicht begreifen, wie sich ein solches Bureau rentieren kann. Statistiker existieren jetzt doch massenhaft, wieviele Menschen, wieviele Christen, Mohammedaner, Juden und Teufelsanbeter es auf der Welt gibt, wieviele Ochsen jährlich geschlachtet werden, und wieviele Hühner nach einem Jahre in der Welt herumlaufen würden, wenn keine Eier mehr gegessen würden, ist schon festgestellt. Das ist nichts, Absalom, die Branche ist ausgeleiert.«

»Durchaus nicht,« rief der Reporter erregt und sprang von seinem Stuhle auf. »Die Sache muß nur einmal ganz anders angefangen werden, wie es noch nie gewesen ist. In meinem Buche berechne ich ganz genau, wie hoch die einen Meter im Durchmesser habende Säule wäre, wenn alle in England innerhalb eines Jahres gegessenen Butterbrote übereinander gesetzt würden, ich berechne, wie dick das Buch sein würde, wenn man alle Bücher der Welt in eins binden läßt, wie lang ungefähr der Faden ist, wenn man alle menschlichen Kopfhaare zusammenknüpfte, wie lange die Schnecke braucht, um den Weg von der Erde nach der Sonne zurückzulegen, wie lange ein normaler Mann braucht, um alles auf der Erde zur Zeit existierende Rindfleisch aufzuessen. Was sagst du zu dieser Idee?«

»Sehr normal wird dieser Mann wohl nicht sein,« lachte der Detektiv, »aber wirklich, einen findigen Kopf hast du. Wird sich ein Bureau, wo solche Sachen ausgerechnet werden, aber auch rentieren?«

»Natürlich, du kennst doch die Engländer! Ist mein Auskunftsbureau erst einmal bekannt, dann werde ich Anfragen in Hülle und Fülle bekommen. Zwei Engländer streiten zum Beispiel darüber, wieviel Bier täglich in England konsumiert wird, ihre Meinungen sind verschieden, sie schreiben an mein Bureau, ich erkundige mich, wer der besser Zahlende von beiden ist, teile diesem mit, ich würde die Berechnung sofort beginnen, schicke ihm die Rechnung, mit dem Bemerken, aller Wahrscheinlichkeit nach würde seine angegebene Zahl die richtigere sein, das heißt, er würde die Wette gewinnen, und habe ich das Geld erhalten, so gebe ich ihm das verbrauchte Quantum an, auf ein paar tausend Hektoliter mehr oder weniger kommt es dabei nicht an, der Durst richtet sich eben nach der Temperatur.«

»Junge, laß dich umarmen,« rief der Detektiv, »du hast ja fast einen findigeren Kopf als ich. Wahrhaftig, der Gedanke ist nicht so übel! Und du willst ein ganzes Kontor einrichten?«

»Natürlich, nur immer alles recht großartig. Ich miete mir in einer der feinsten Straßen Londons ein großes Lokal, stelle zehn Schreibpulte auf und hinter jedes einen Mann, dann sagen die Vorübergehenden: Donnerwetter, hat der aber eine Masse Nachfragen zu beantworten, da müssen wir doch einmal hingehen und fragen, wieviele Frauen alle türkischen Sultane bis jetzt zusammen gehabt haben. Ich empfange die Herren mit einer tiefen Verbeugung, und sage: Innerhalb eines Tages können Sie die Antwort bekommen, meine Herren, ich werde sofort an meinen Reporter in Konstantinopel telegraphieren, daß er in den Chroniken nachschlägt. Bitte, hier ist die Rechnung. Ich fertige ein Telegramm aus, gebe es einem meiner Kommis, und dieser eilt sofort nicht nach der Post, aber nach der nächsten Restauration und bestellt dort mein Frühstück. Unterdessen mache ich eine kleine Berechnung, das ist kinderleicht und gebe am anderen Tage die Zahl an.«

»Aber wirst du gleich anfangs so viel verdienen, daß du sofort zehn Leute beschäftigen und bezahlen kannst?«

»Unsinn, ich mache überhaupt alles allein, die Kommis sind nur zur Reklame da. Nebenbei lege ich mir nämlich auch noch eine Zigarrettenfabrik an, und zwar auf folgende Weise: Die Stehpulte sind alle mit dicken Büchern und Stößen von Schreibpapier bepackt, so daß man von der Straße nur die Köpfe meiner Leute sehen kann, und natürlich glauben alle, besonders da sie ab und zu ein Buch hernehmen und aufschlagen müssen, sie schreiben und rechnen, in Wirklichkeit aber drehen sie hinter den Aktenstößen Zigarretten. Kommt jemand herein, so klappen sie einen Deckel herum, auf welchem Papier angeklebt ist, und beginnen mit der Feder zu kratzen, murmeln Logarithmen, seufzen, stöhnen, rufen einander die ungeheuerlichsten Zahlen zu, einer kommt auf mich zu und spricht: Entschuldigen Sie, wieviele Maikäfer sind voriges Jahr in England gefangen worden? Ich sinne einen Augenblick nach, lege die Hand an die Stirn und antworte: Achtundsiebzig Millionen, viermalhunderttausend, sechshundertzweiundsechzig, und ist der Besuch hinaus, dann werden die Deckel wieder aufgeschlagen und weiter Zigarretten gewickelt.«

Jetzt lachte der Detektiv aus vollem Halse.

»Du bist ein Prachtkerl,« rief er aus, »ich hätte gar nicht geglaubt, daß das kleine Ferkel, welches sich früher nie waschen lassen wollte, noch so ein Mann werden würde. Prosit denn, auf gutes Gelingen deiner Pläne!«

»Und wie ist es mit der Heirat, hast du noch etwas dagegen?« fragte der Reporter vorsichtig.

»In Gottes Namen denn, ich gebe dir meinen Segen, meinetwegen kannst du eine Chinesin heiraten. Aber erst mußt du natürlich deinen jetzigen Auftrag ausführen.«

»Gewiß, das werde ich tun, und hoffentlich wird es nicht lange dauern.«

»Es ist keine Kleinigkeit, an Bord der ›Vesta‹ zu kommen.«

»Never mind.«


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