Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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16.

Unter deutscher Kriegsflagge

Eine stattliche Korvette kreuzte unter vollen Segeln ohne Benutzung der Maschinen durch den indischen Ozean. Wie ein Schwan schwebte der schneeweiße Bau über die Wellen; wie der stolz getragene Kopf dieses Vogels streckte sich der mächtige Klüverbaum weit über das Bugspriet hinaus und bog sich unter der Last der drei Klüversegel, unter denen sich das weitmaschige Netz befand, welches den herabfallenden Matrosen auffangen soll; denn die Arbeit auf dem Klüverbaum ist eine der gefährlichsten auf dem Schiffe; mancher, welcher zum Festmachen der Segel mit keckem Mut wie ein Seiltänzer darauf hinausgelaufen ist, kehrte nicht wieder zurück.

Aber die ›Viktoria‹ konnte auch stolz sein, denn an ihrem Heck wehte die schwarz-weiß-rote Flagge mit dem schwarzen Adler in der einen Ecke; am mittelsten Mast flatterte der lange Kriegswimpel. Auf ihr machten die jüngsten Seekadetten, die Hoffnung Deutschlands, unter denen einige Fürstentitel trugen, die erste Reise um die Erde.

S. M. S. Viktoria, das heißt: Seiner Majestät Schiff Viktoria, war ein Kadettenschulschiff und daher, weil es die zukünftigen Offiziere der deutschen Marine im Segelexerzieren ausbilden sollte, wie eine Bark getakelt. An dem ersten Maste, dem Fockmast, exerzierten die Kadetten, den zweiten, den Großmast, bedienten die Matrosen, ebenso wie den letzten, den Kreuzmast, der aber auf einer Bark Besanmast genannt wird, weil er keine Raaen hat, sondern nur ein einzig großes Segel, das Besansegel, führt.

Das Leben eines Seekadetten ist kein leichtes. Wenn irgendjemand, der zu einem Berufe erzogen wird, über zu große Anforderungen zu klagen hat, so wäre er berechtigt dazu; von keinem jungen Mann wird verlangt, die Kräfte des Geistes und die des Körpers zu gleicher Zeit so anzustrengen, wie vom Seekadetten. Aber der Jüngling, der zu Hause die beste Erziehung genossen und das trauteste Heim bewohnt, hat diesen Beruf aus freiem Antriebe gewählt; man könnte ihn nicht dazu zwingen, er fühlt in seinen Adern die Jugendkraft und den Jugendmut schäumen: er muß hinaus, er will seine Kräfte im Kampf mit den Elementen messen, und dazu bietet sich ihm nirgends eine solche Gelegenheit, wie als Marineoffizier.

Er kommt einige Monate auf die Kadettenschule nach Berlin, dann nach Ablegung einer Prüfung nach Kiel, und erst hier wird er zum Seekadetten ernannt und bekommt das Abzeichen, welches er bisher noch nicht tragen durfte, den lang herabhängenden Dolch mit elfenbeinernem Griff in lederner Scheide.

Sobald ein neues Schiffskommando erfolgt, kommt er an Bord, und ist das Glück ihm günstig, so macht er gleich zuerst auf einem Kadettenschulschiff eine Reise um die Erde.

Der Seekadett steht schon im Range eines Unteroffiziers, nicht aber an Bord eines Schulschiffes – dort ist er nur Matrose und wird während des Dienstes als solcher behandelt. Er muß ebenso, wie jeder andere Matrose, mit Gewehr und am Geschütz exerzieren, die Segel bedienen, die ihm angewiesene Stelle des Schiffes reinhalten, bei jedem Manöver, wie wenden, halsen, (wenden heißt, das Schiff gegen den Wind umdrehen, halsen, mit dem Wind kreuzen), Anker lichten, helfen, und während der Matrose sich dann von der Arbeit erholen kann, muß jener in seiner Freizeit noch die Vorlesungen des instruierenden Offiziers über nautische Wissenschaften anhören und über Büchern schwitzen.

Für die Bemannung eines Kadettenschulschiffes werden die besten Matrosen ausgesucht, und das mit gutem Grunde. Die Kadetten sollen einmal während ihrer ersten Reise nur mit den tüchtigsten Seeleuten zusammenkommen, von denen sie die Praxis der Seemannschaft erlernen können, und dann auch, um ihren Ehrgeiz anzustacheln.

Wenn die Bootsmannspfeife ertönt, das Kommando erschallt, dann fliegen gleichzeitig Kadetten, wie Matrosen die Wanten hinauf und in die Raaen, erstere am Fock-, letztere am Großmast, und jetzt gilt es für die Kadetten, zu beweisen, daß sie den Matrosen an Schnelligkeit nicht nachstehen. Jeder bietet alle seine Kräfte auf, alles arbeitet Hand in Hand; wo ein Arm das Segel nicht allein bändigen kann, da greifen vier andere mit zu, und welcher Teil zuerst an Deck steht, der hat bei der nächsten Musterung (Appell) ein Lob zu erwarten. Aber was für Männer gehen aus diesen Jünglingen auch hervor!

Wenn die furchtbaren Winterstürme der Nordsee nachts um das Schiff brausen und es wie eine Nußschale umherschleudern, wenn das eisige Wasser flutenweise über Deck spült und der Gischt emporspritzt bis an die Mastspitze, so daß selbst der Mann hoch oben auf dem Ausguck wie in einer weißen Nebelwolke erscheint, dann sitzen die Matrosen unter der sicheren Back, rauchen ihre Pfeife und plaudern, nur auf das Kommando horchend, welches sie zu einer geringfügigen Arbeit an Deck ruft, nach deren Vollendung sie schnell wieder in das trockene Versteck kriechen. An Bord von Kriegsschiffen werden die Leute bei Nacht und bei schlechtem Wetter möglichst geschont.

Nicht so aber der Seeoffizier.

Mag das Wetter auch noch so toben, mag das über die Kommandobrücke spritzende Wasser auch sofort zu Eis gefrieren, in ihre langen Oelröcke gehüllt, stehen die jungen Offiziere, denen kaum der erste Flaum auf den Lippen sproßt, auf ihren Posten, in der steifgefrorenen Hand das Glas haltend und damit in die Ferne spähend, bald den Kompaß, bald die Segel betrachtend, gehen auf der schmalen Brücke hin und her, als ob die schwankenden Planken der festeste Boden wären, erzählen sich vom vorigen Kasinoball im Hafen und schütteln sich lachend das Wasser aus den Haaren.

Wenn es noch irgend eine Klasse von Menschen gibt, bei der man Kraft, Mut, Kaltblütigkeit, Treue und ritterlichen Sinn gepaart findet, so ist es die der Seeoffiziere. – –

S. M. S. Viktoria hatte außer den Offizieren vierhundert Mann an Bord, die gewöhnliche Besatzung einer Korvette, darunter auch vierzig Seekadetten, von denen nur einzelne ›befahrene‹ Leute waren, die meisten machten ihre erste Seereise.

Es war nachmittags; Arbeit an Deck gab es nicht weiter, aber die ›Routine‹, das heißt der Plan, welcher an Bord der Kriegsschiffe jeder Stunde des Tages, und zwar von früh sechs bis abends sechs Uhr eine Beschäftigung zudiktiert, schrieb Geschützputzen vor, und so standen denn die Matrosen an den Kanonen, von denen sich sowohl an Deck, wie im Zwischendeck welche befanden, und wischten mit öliger Putzwolle die Eisen- und Messingteile derselben ab.

Auch die Kadetten hatten zwei Geschütze zu bedienen und waren mit derselben Arbeit beschäftigt.

Die Bootsmannsmaate und Steuermannsmaate, wie die Unteroffiziere an Bord genannt werden, je nachdem sie das Schiff selbst zu bedienen oder die Führung desselben zu leiten haben, gingen auf dem vorderen Deck auf und ab und beaufsichtigten die Arbeiten der Matrosen, während ein junger Leutnant hin- und herspazierte.

»Tolsten,« flüsterte ein Kadett, ein junges, zierliches Kerlchen von etwa zwanzig Jahren, dem man nur an dem braunen Gesicht und den schwieligen Händen ansah, daß er kein Neuling war, »Tolsten, hast du schon bemerkt, was Leutnant Wiedenfeld heute nacht im Sinn hat?«

Der Angeredete warf einen Blick nach dem Leutnant, der ihm eben den Rücken zukehrte, und erwiderte:

»Will er wieder nach Fischen schießen?«

»Nein, diesmal nicht. Ich habe gesehen, wie er sich vorhin vom Koch ein Stück Speck geben ließ, und habe gerochen, daß er es über Spiritus gebraten hat.«

»Dann wünsche ich ihm guten Appetit,« lachte Tolsten leise.

»Essen will er es nicht, aber ich bin fest überzeugt, daß er wieder Ratten fangen will.«

»Gibt er seine Versuche noch nicht auf?«

»Jetzt hat er sie seit langer Zeit in Ruhe gelassen, nun aber probiert er es noch einmal, und er fängt diesmal eine.«

Tolsten blickte in das hübsche Gesicht des Kadetten, der ihm am Kanonenrohr gegenüberstand.

»Was willst du machen?«

»Ihm einen Streich spielen.«

»Sieh dich vor, Schwarzburg!« warnte Tolsten ernst. »Der Kapitän ist sowieso nicht gut auf dich zu sprechen. Er hat schon einmal gedroht, dich über den Top schicken zu wollen.«

»Ach was,« entgegnete Schwarzburg leichthin, »dabei ist auch nichts weiter. Uebrigens kann der Kapitän Leutnant Wiedenfeld auch nicht besonders leiden.«

Das ›über den Top schicken‹ ist an Bord deutscher Kriegsschiffe eine kleine Ehrenstrafe. Der Betreffende, welcher sich den Unwillen seines Vorgesetzten zugezogen hat, muß auf der einen Seite die Wanten aufentern bis hinauf an den Top, die höchste Spitze des Mastes, über die oberste Raa wegrutschen und an der anderen Seite wieder abentern, während die versammelte Mannschaft unten zusieht. Je nachdem die Strafe leichter oder härter sein soll, muß er ein- zwei- oder dreimal über den Top.

»Tolsten,« flüsterte wieder Schwarzburg, »paß auf, was ich dir sage. Ich lasse mir nachher ein Bad geben, tue auch so, als ob ich in die Zelle ginge, schleiche mich aber unten in den Kielraum. Du stellst dich an die Badetür und sprichst immer recht laut zu mir, damit sie glauben, ich wäre wirklich darin.«

»Was willst du in dem Kielraum?«

»Eine Ratte fangen.«

»Wozu denn nur?«

»Das wirst du morgen früh sehen, der Spaß wird großartig. Wer hat diese Nacht Wache auf der Kommandobrücke?«

»Von zwölf bis vier Uhr Leutnant Wiedenfeld selbst.«

»O weh, das ist schade! Aber es wird mir schon gelingen.«

Jetzt schlug die Schiffsglocke vier Glasen, sechs Uhr, Leutnant Wiedenfeld gab ein Kommando; der ihm zunächst stehende Bootsmannsmaat steckte die Pfeife in den Mund und trillerte darauf, dann das Kommando wiederholend:

»Ausscheiden mit Geschützputzen – Geschütze festzurren!«

Dasselbe Kommando, welches sich abends um sechs Uhr überall auf der ganzen Erde wiederholt, wo nur die deutsche Kriegsflagge weht.

Da erscholl im ganzen Schiff, oben an Deck, im Zwischendeck, in den verborgensten Winkeln ein Gepfeife und Trillern. Jeder Unteroffizier – und es gibt auf solch einem Schiffe deren nicht wenige – entlockte seiner Pfeife die gellendsten Töne, und jeder wiederholte das Kommando, so schreibt es ihnen die Pflicht vor, damit sich niemand entschuldigen kann, es nicht gehört zu haben.

Die Geschütze wurden eingerannt, mit Ketten und Tauen festgezurrt, das heißt, festgeschnallt, damit sie beim Schlingern des Schiffes sich nicht bewegen können, das Deck von Putzwolle und herumstehenden Oelflaschen gesäubert und des nächsten Kommandos geharrt, des bei allen Matrosen beliebtesten:

›Backen und Banken.‹

Im Zwischendeck sind die Backen, das heißt, Tische, wie auch die Bänke an der Decke befestigt, denn auf einem Schiffe, wo vierhundert Personen zusammengedrängt sind, gibt es keinen freien Platz, die kleinste Stelle muß ausgenutzt werden.

Auf das Kommando ›Backen und Banken‹ werden die Tische und Bänke heruntergeschlagen; die ganze Mannschaft ist in Backschaften, das heißt, in Gruppen eingeteilt, von denen je eine einen Tisch einnimmt, und wiederum einer von jeder Backschaft hat eine Woche hindurch für die Bedienung seiner Kameraden zu sorgen, ihnen das Essen zu bringen, abzuräumen und das Blechgeschirr auszuwaschen.

Dichtgedrängt standen vor der Kombüse die blaumützigen Jungen und ließen sich vom Koch die Kessel voll Tee schenken, eilten ins Zwischendeck zurück, füllten die Blechtassen und holten dann vom Bottelier Brot und Butter, und, wenn solches die Schiffskasse gestattete, auch noch die Zukost.

Der Bottelier ist ein Unteroffizier, welcher die Nahrungsmittel unter sich hat und diese an Koch und Mannschaft ausgibt.

Nachdem das Abendbrot vorüber ist, hat die Mannschaft bis um acht Uhr Freiheit, und dann beginnt wieder der Dienst, wenigstens für diejenigen, welche gerade auf Wache sind.

Punkt acht Uhr erschallen wieder die Pfeifen, und die Kommandos ertönen:

»Wache zur Musterung – Hängematten empfangen!«

Hat zum Beispiel die Backbordwache Dienst, so stellt sie sich an Backbord auf und wird vom diensttuenden Leutnant gemustert, während die andere Wache, welche jetzt für vier Stunden schlafen gehen kann, ihre Hängematten empfängt.

Die Hängematten liegen in Kästen, welche längs der Bordwand angebracht sind, und sind mit Nummern versehen, sodaß jeder Matrose seine eigene hat. Sie bestehen aus starker Segelleinwand und enthalten eine dünne Seegrasmatratze und eine Decke. Im Kriege werden die fest zusammengerollten Hängematten auch noch so benutzt, daß man sie auf die Bordwand legt und zwischen den entstandenen Scharten herausschießt.

Wer noch niemals das Zwischendeck eines Kriegsschiffes bei Nacht betreten hat, hält es einfach nicht für möglich, daß so viele Leute in einem Raume zusammen schlafen können, dicht nebeneinander, dreifach übereinander, wo nur ein Bändsel zu befestigen geht, da hängt der Matrose sein schwebendes Bett hin, und lustig ist es dann, wenn das Schiff anfängt zu schlingern.

Fortwährend schlagen die Hängematten aneinander, die geschaukelten Schläfer stoßen mit den Köpfen zusammen, ein Bändsel hat sich durch die heftige Bewegung gelöst, und polternd stürzten Mann und Bett an Deck oder erst auf jemanden, und ist der Seegang hoch, so kann man durch ein Ventilationsloch auch noch eine kalte Dusche bekommen.

Aber das hat alles nichts zu bedeuten, dafür ist man auf See und nicht, wie der Matrose spöttisch sagt, ›bei Muttern.‹

Zehn Minuten vor zwölf Uhr! Die Schläfer werden von ihren Kameraden geweckt, schlaftrunken fahren sie hoch, und regelmäßig ist die erste Frage, die sie stellen:

»Was ist für Wetter?«

Darnach richtet sich die Bekleidung.

Diese Nacht war schönes Wetter; herrlicher konnte es gar nicht sein. Vom Himmel blitzten Myriaden Sterne herab, das Meer erglühte im Phosphorschein, und die Luft war mild und weich. Es war eine Nacht, wie man sie nur in den Tropen erleben kann.

Ebenso, wie die Matrosen, wurde auch die Hälfte der Kadetten, welche ebenfalls in Hängematten schlafen, nicht wie die Offiziere in wirklichen Betten, von ihren Kameraden zehn Minuten vor zwölf Uhr geweckt, um mit dem Glockenschlage an Deck erscheinen zu können.

Als der junge Kadett, dessen Bekanntschaft wir schon gemacht haben, in den Gang trat, von welchem sich die Kabinen abzweigten, eilte ein Offizier an ihm vorüber.

»Freiherr von Schwarzburg,« redete ihn dieser an und blieb stehen, »wollen Sie mir einen Gefallen tun?«

So lange der Kadett nicht in Dienst ist, wird er auch von den Offizieren mit seinem Titel angeredet, sobald er sich aber im Dienste befindet, einfach nur mit ›Kadett.‹

»Mit dem größten Vergnügen,« entgegnete der Kadett, »befehlen Sie über mich!«

»Sie sind der älteste Ihrer Kameraden, deshalb wende ich mich an Sie,« sagte Leutnant Wiedenfeld, »ich habe jetzt Wache auf der Kommandobrücke, fühle mich aber äußerst unwohl. Die Nacht ist ja klar und ruhig, also nichts zu fürchten, und außerdem ist ja noch Leutnant Gebhard oben. Würden Sie mich vertreten?«

»Gewiß, wenn der Kapitänleutnant damit einverstanden ist.«

»Ich habe schon mit ihm gesprochen, er ist es. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Freundlichkeit, Sie dürfen auf einen Gegendienst rechnen. Jetzt gehe ich nach oben, löse den wachthabenden Offizier vorschriftsmäßig ab, bleibe einige Zeit auf der Brücke, bis der Kapitänleutnant Kompaß und Segel revidiert hat und gehe dann wieder in meine Kabine, während Sie meine Stelle einnehmen.«

»Aber seien Sie pünktlich um vier Uhr wieder zurück, wenn Sie abgelöst werden sollen,« bemerkte der Kadett vorsichtig, als Leutnant Wiedenfeld die Treppe emporstieg, welche nach oben führte.

»Seien Sie unbesorgt!« klang es noch einmal zurück.

»Famos,« sagte Schwarzburg zu sich und rieb sich schmunzelnd die Hände, »besser hätte ich es gar nicht treffen können.«

Er hatte bemerkt, daß der Leutnant einen in ein Tuch gewickelten Gegenstand in der Hand trug, und er wußte recht gut, was für einer es war.

Unterdessen traf oben Leutnant Wiedenfeld mit seinen Kameraden zusammen und löste Schlag zwölf Uhr die beiden wachthabenden Offiziere auf der Kommandobrücke ab.

Die Wache auf einem größeren Kriegsschiffe gehen stets zwei Leutnants, welche sich auf der Kommandobrücke befinden müssen. Der Kapitänleutnant, im Range eines Hauptmanns, geht nur ab und zu hinauf und läßt sich von den Offizieren Bericht erstatten, und der Kapitän, im Range eines Majors oder Obersten, je nachdem er Korvetten-Kapitän oder Kapitän zur See ist, befindet sich nur während des Tages an Deck oder höchstens, wenn die Leitung des Schiffes eine sehr verantwortliche ist, auch in der Nacht.

»Was machen Sie denn da?« fragte Leutnant von Gebhardt seinen Kameraden, als dieser in dem geräumigen Kartenhaus in einer Ecke auf die Kniee gesunken war und an der Erde herumsuchte, »beten Sie um Vergebung Ihrer Sünden, oder sind Sie dort, Schätze zu suchen?«

»Beinahe getroffen,« entgegnete Wiedenfeld, »die Ratten nehmen wieder überhand, daß es kaum noch auszuhalten ist. Wie ich gestern meinen Waschtisch aufmache, springt eine riesige Ratte heraus, und wie ich meine Bartpomade suche, ist sie verschwunden – die Bestie hat sie gefressen.«

»Kann ich ihr gar nicht verdenken,« lachte der Leutnant, »Bartpomade ist ein delikates Gericht.«

»Und nun stelle ich eine Falle auf,« fuhr Wiedenfeld fort, immer noch am Boden wühlend, »hier im Kartenhaus haben sie sich auch häuslich eingerichtet. Ich habe schon einige Male welche ganz ungeniert über die Kommandobrücke laufen und im Kartenhause verschwinden sehen.«

»Sie sind doch ein passionierter Jäger, Wiedenfeld, Sie hätten Förster werden sollen. Entweder sie angeln, schießen oder stellen Fallen.«

Jetzt war Wiedenfeld mit Aufstellen der Falle fertig, und bald darauf kam der junge Seekadett, um den Leutnant für diese Wache zu vertreten.

Schwarzburg machte seine letzte Reise als Seekadett, er bereitete sich schon auf die Offiziersprüfung vor und war also vollkommen befähigt, den Leutnant zu vertreten, wenn es auch nicht gerade erlaubt war.

Man darf wiederum die Stellung eines Seekadetten nicht verwechseln mit der Stellung eines Kadetten der Armee. Erstere bekommen oft die verantwortlichsten Kommandos, bei denen es sich um Leben und Tod handelt. So zum Beispiel sind sie die Bootssteurer, das heißt, sie befehligen die Bootsmannschaft und sitzen am Steuer, und wenn der Ruf erschallt: Mann über Bord, und der Seegang ist hoch, so wartet ihrer eine schwere Aufgabe, denn ein Boot im Sturme vom Schiffe abzusetzen und es dann wieder sicher heranzubringen, dazu gehört eine feste Hand und ein sicherer Blick; nur das kleinste falsche Kommando, und das Boot zerschellt am Schiff.

Ueberdies tun auf jedem anderen Schiffe die älteren Seekadetten Offiziersdienste, nur auf den Schulschiffen nicht.

Die beiden jungen Leute schritten plaudernd auf der Kommandobrücke auf und ab und brachten nur, wenn der Matrose, der oben auf einem noch über der Brücke befindlichen, eisernen Aufbau stand, ein Feuer, das heißt, ein Licht meldete, das Fernrohr ans Auge und musterten es – meistenteils waren es die Seitenlichter von Schiffen. Würden sie ein Feuer eher entdeckt haben, als es der Matrose vom Ausguck meldete, so würde dieser eine Rüge bekommen, aber das kam nicht vor.

Ebenso wie am Tage, kann man auch bei Nacht einen Dampfer von einem Segelschiff unterscheiden. Ein Segler führt am Backbord die rote, am Steuerbord die grüne Laterne, ebenso der Dampfer, aber dieser hat noch am vordersten Mast ganz oben die Toplaterne hängen mit einem weißen Licht, die Fischerfahrzeuge fahren nur mit der Toplaterne, wenigstens die kleineren.

»Großes, weißes Feuer, vier Strich Backbord,« sang der Matrose oben.

Beide Wachthabende musterten das Licht durch das Fernrohr.

»Ein Fischerfahrzeug kann es nicht sein,« meinte Gebhardt, »auch kein Leuchtturmfeuer, wir befinden uns nicht in der Nähe von Land.«

»Aber der Mond kann es sein,« ergänzte Schwarzburg, und nach einigen Minuten stand auch schon die Sichel des Erdtrabanten über der Meeresfläche.

Sofort eilte Schwarzburg ins Kartenhaus, um nach der Uhr zu sehen, denn mit Hilfe der Zeit und nach dem Aufgange des Mondes konnte er ungefähr berechnen, wo sich das Schiff befand.

Nach einigen Minuten kam er wieder heraus und las von einem Zettelchen das Resultat seiner Rechnung dem Leutnant vor.

»Dann können wir,« sagte dieser, »wenn der Wind so bleibt, in etwa achtundvierzig Stunden Java in Sicht bekommen. Ich sehne mich wieder nach frischem Fleische. Das präservierte Zeug bekommt man doch einmal über.«

»Was sollen dann erst die Matrosen sagen,« lachte Schwarzburg, »die bekommen nun schon seit vier Wochen nichts weiter als Salzfleisch, Erbsen und Bohnen. Die Kartoffeln für sie sind alle, das Hartbrot wird rar, und das Waschwasser wird ihnen zugemessen, als ob es Goldsand enthielte. Gestern wuschen je zwanzig Mann ihre Sachen in ebensoviel Litern Wasser, und dann muckte der Kapitän bei der Musterung noch auf, daß die Arbeitsanzüge nicht weiß genug wären.«

»Pscht,« flüsterte der Leutnant, »der Kapitän kommt aus seiner Kajüte. Das kann eine schöne Geschichte werden.«

»O weh,« seufzte der Kadett, »wenn der heraufkommt, dann adieu, Urlaub. Wiedenfeld und ich können Batavia von weitem bewundern.«

Er rief mit leiser Stimme einen wachthabenden Matrosen, der gerade unter der Brücke stand, und trug ihm auf, schnell Leutnant Wiedenfeld heraufzuschicken.

Kapitän Graf von Hanisch war unterdessen auf dem Hinterteil des Schiffes auf- und abspaziert und hatte mit den Kadetten, welche teils an Deck gelegen oder auf der Bordwand gesessen hatten und bei seinem Anblick aufgesprungen waren, einige freundliche Worte gewechselt, sie zum Sitzenbleiben nötigend.

Kapitän zur See, Graf von Hanisch, war überhaupt ein sehr freundlicher Mann, und bei Offizieren, wie bei der Mannschaft äußerst beliebt. Daß er im Dienst sehr streng war und nichts durchgehen ließ, war kein Fehler, sondern trug nur dazu bei, daß alle vor ihrem Vorgesetzten Respekt hatten. Im übrigen ließ er seinen Leuten viele Freiheit und gestattete an Land den ausgiebigsten Urlaub; kamen aber Ungehörigkeiten vor, so wurde dieser von ihm dem Schuldigen rundweg abgeschlagen, ohne andere darunter leiden zu lassen.

»Wo ist von Schwarzburg?« fragte er einen der Kadetten.

Sie alle wußten, daß dieser für Leutnant Wiedenfeld Wache ging, und ohne ihm eine Unwahrheit zu sagen, meldete einer:

»Auf der Kommandobrücke.«

Hätte der Offizier jetzt gefragt, was jener dort mache, so mußte ihm die Wahrheit gesagt werden, und ihr Kamerad, wie auch der Leutnant wären verraten gewesen, aber er tat dies nicht, sondern meinte nur:

»Sagen Sie ihm, ich möchte ihn nach Ablösung von der Wache in meinem Arbeitszimmer sprechen.«

Er unterhielt sich wieder mit einigen der Kadetten, welche ja meistens Söhne von Seeoffizieren waren, und alle atmeten erleichtert auf, als hinter seinem Rücken Leutnant Wiedenfeld die Kajüte verließ und unbemerkt die Kommandobrücke betrat.

Es war unterdes heller geworden, die Nacht kämpfte schon mit der Morgendämmerung, und jeden Augenblick mußte es acht Glasen schlagen.

Der Kapitän begab sich auf die Kommandobrücke, wo er mit dem Kapitänleutnant zusammentraf, welcher ebenfalls der Ablösung der beiden wachthabenden Offiziere beiwohnen wollte, welche sich jedesmal das Schiff- und Logbuch, in welches alle außergewöhnlichen Vorfälle eingetragen werden, übergeben.

Schwarzburg hatte die Brücke verlassen.

Als die Zeit herannahte, erschienen die neuen Offiziere, und mit dem Glockenschlag übernahm die neue Wache, Mannschaften, wie Offiziere, das Schiff.

Leutnant Wiedenfeld begab sich in das Kartenhaus, in dem noch halbe Dunkelheit herrschte, und ein Freudenschrei entfuhr seinen Lippen, als er die Drahtfalle zugeschlagen und darin einen dunklen Gegenstand liegen sah.

»Endlich,« rief er seinem Kollegen zu, »endlich ist einmal eine in die Falle gegangen, die soll aber schwimmen.«

Er trat hinaus, und da er jetzt außer Dienst war, so konnte er mit seinen Vorgesetzten so intim verkehren, als diese es zuließen – und Graf von Hanisch war gewöhnt, mit den Offizieren sehr zwanglos zu plaudern.

»Was haben Sie denn da?« fragte der Kapitän und musterte erstaunt den Gegenstand, den der Leutnant vorsichtig in der ausgestreckten Hand hielt.

»Eine Ratte, Herr Graf,« antwortete dieser und blickte dem Kapitän ins Gesicht, »ich habe schon lange auf diesen Burschen gelauert. Das Tier wurde immer unverschämter, neulich lief mir sogar eine in der Nacht übers Gesicht.«

Die umstehenden Offiziere brachen in ein Gelächter aus.

»Faktisch wahr,« beteuerte Wiedenfeld, »fragen Sie nur meinen Burschen, der weiß es auch, wie sie in meiner Kammer hausen.«

»Aber sagen Sie, um Gottes willen,« lachte der Kapitän, »hat sich denn die Ratte aus Lebensüberdruß selbst getötet?«

Jetzt erst lenkte der Leutnant den Blick auf die Falle, und was er da sah, veranlaßte ihn, ein äußerst verblüfftes Gesicht zu ziehen.

Allerdings war eine Ratte darin, aber sie lag lang ausgestreckt da und war tot, und was das Merkwürdigste war, um ihren Hals schlang sich ein feuerrotes Band, das oben in einer prächtigen Schleife endete.

Leutnant Wiedenfeld warf unter dem Gelächter der Offiziere seinem Kollegen, der noch auf der Brücke stand, einen wütenden Blick zu.

»Ich bin es nicht gewesen,« sagte dieser beteuernd, »ich würde mir einen solchen Scherz mit Ihnen niemals erlauben.«

»Das war Schwarzburg,« murmelte Wiedenfeld, der nicht wußte, ob er sich ärgern oder auch mitlachen sollte.

»Immer Schwarzburg und immer Schwarzburg,« meinte der Kapitän, sein Lachen noch nicht unterdrücken könnend; dann aber ernst werdend, fuhr er fort, »der Kadett wird zu übermütig, ich werde einmal strengere Saiten bei ihm aufziehen müssen, sonst wirkt er noch ansteckend auf seine Kameraden.«

»Das tut er nicht, Herr Graf,« verteidigte aber der Kapitänleutnant den Kadetten, »Schwarzburg ist allerdings etwas übermütig, aber er versäumt nie seine Pflicht und geht seinen Kameraden während des Dienstes stets mit gutem Beispiel voran. Er hätte nur nicht auf ein Schulschiff kommandiert werden sollen, er übertrifft die anderen Kadetten in jeder Hinsicht.«

Der Kapitän zuckte mit den Achseln und begab sich in sein Gemach, wo ihn der eben besprochene Kadett nach Befehl bereits erwartete und ihn mit militärischer Haltung begrüßte.

Graf von Hanisch setzte sich und betrachtete den vor ihm stehenden jungen Mann.

»Freiherr von Schwarzburg,« begann er, »es tut mir leid, daß ich Sie kommen lassen muß, um mich ungünstig über Sie auszusprechen. Ich bin mit Ihrem Betragen nicht zufrieden.«

»Der Kapitän hat nicht gut geschlafen,« dachte der Kadett.

»Ich meine mit Ihrem Betragen außer Dienst,« fuhr der Kapitän fort, »aber ich habe Ihnen und den anderen schon öfters wiederholt, daß ein Schiff, so lange es unter Seiner Majestät Flagge steht, immer in Dienst ist, und daß die Besatzung sich dessen bewußt sein soll. Sie dagegen halten sich in Ihrer sogenannten Freizeit, sogar immer, für berechtigt, Streiche zu spielen, und das ist eines zukünftigen Offiziers nicht würdig. Erst gestern erfuhr ich zufällig einen Ihrer Streiche, den Sie einem Matrosen gespielt haben, und vorhin wieder den mit Leutnant Wiedenfeld.«

»O weh,« dachte der Kadett, »es ist alles verraten, der Urlaub ist hin.«

»Waren Sie es, der die Ratte in die Falle gesteckt hat?«

»Zu Befehl, Herr Graf.«

»Machen Sie derartige Sachen nicht wieder,« fuhr der Kapitän fort, »dafür aber, daß Sie gestern dem Matrosen seine Exerzierpatronen aus der Patronentasche genommen und dafür Zigarren hineingetan haben, werde ich Sie bestrafen, hingegen dem Matrosen die Strafe erlassen. Sie werden nachher einmal über den Top spazieren.«

Keine Muskel zuckte in dem Gesicht des Kadetten, es war die erste Strafe, die er bekam, aber er machte sich nicht viel daraus. Einige seiner Kollegen waren schon öfter zur Strafe über den Top gegangen, und sie hatten ihm schon Vorwürfe gemacht, daß er dieses Vergnügen noch nicht gekostet.

»Ich danke Ihnen,« sagte der Kapitän.

Schwarzburg trat ab.

Um sechs Uhr wurde zur Musterung in Divisionen gepfiffen, die Matrosen und Heizer stellten sich zu beiden Seiten in Reih' und Glied auf, der Kapitänleutnant schritt schnell zwischen den Gliedern hindurch und musterte flüchtig den Arbeitsanzug.

Dann trat der Wachtmeister, welcher an Bord eines Kriegsschiffes den Feldwebel vertritt, hervor, zog sein dickleibiges Notizbuch aus der Tasche, las erst die ihm gestern abend diktierte Arbeitseinteilung vor und dann den neuesten Straferlaß des Kapitäns:

»Seekadett Freiherr von Schwarzburg geht einmal über den Top, weil er in seiner Freizeit Unfug getrieben hat.«

»Seekadett von Schwarzburg über den Top,« kommandierte der die Wache habende Leutnant.

Der Kadett trat aus den Reihen seiner Kameraden die nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken konnten machte kehrt, schwang sich auf die Bordwand und enterte im Laufschritt die Wanten hinauf, ohne dabei die Hände zu benutzen. Dann kletterte er durch das Loch im Mars, der die Stelle des früheren Mastkorbes einnimmt, und setzte seinen Weg nach oben weiter fort.

Als er die oberste Raa erreicht hatte, über die er wegrutschen mußte, um die anderen Wanten wieder hinabzusteigen, blieb er plötzlich rittlings auf der Raa sitzen und spähte in die Ferne, ohne sich um den Pfiff des Wachtmeisters zu kümmern.

»Seekadett von Schwarzburg, weiter!« brüllte dieser hinauf, denn schon zog sich das Gesicht des Kapitäns in finstere Falten.

Gehorsam rutschte der Kadett weiter und meldete sich eine halbe Minute später an Deck dem Grafen zur Stelle.

»Warum haben Sie oben gezögert?« fragte dieser streng.

»Ich sah ein Segel,« war die Antwort.

Mit einem Segel bezeichnet der Seemann in diesem Sinne ein Schiff.

»Was kümmert Sie das?«

»Es ist die ›Vesta‹.«

Sofort wandten sich die Augen aller Offiziere dem Schiff zu, welches in der Ferne sichtbar wurde, und die Leute benutzten den unbewachten Augenblick dazu, die Köpfe unmerklich zur Seite zu drehen.

Die Nennung dieses Namens brachte eine elektrisierende Wirkung hervor. Alle hatten schon von dem Damenschiff gehört, täglich wurde von ihm gesprochen, und die unglaublichsten Gerüchte liefen sowohl in der Offiziersmesse, (Kasino) als auch im Zwischendeck von Mund zu Mund, man besaß Zeitungsbilder und Photographien von der ›Vesta‹, und daher hatte Schwarzburg das Schiff sofort erkannt, denn der Seemann findet an jedem Fahrzeug irgend etwas heraus, wodurch es sich von anderen unterscheidet.

»Lassen Sie die Leute wegtreten,« sagte der Kapitän zum diensttuenden Offizier, »und erst nach dem Passieren des Schiffes die Arbeiten beginnen, sonst sind sie doch nur mit halbem Kopf dabei.«

»Dort fährt auch der ›Amor‹,« meinte einer der Offiziere, welche sich alle vollzählig an Deck mit ihren Ferngläsern versammelt hatten, und deutete auf eine Brigg, die sich abseits hielt. »Herr Graf, lassen Sie die Farben zeigen?«

»Gewiß,« antwortete dieser und gab Befehl, die deutsche Flagge zu hissen.

Jedes Kriegsschiff, auch ein außereuropäisches, hat das Recht, sich Nationalität und Namen des ihm begegnenden Fahrzeuges signalisieren zu lassen, während es selbst dieses nicht nötig hat; es braucht nur die Kriegsflagge seines Landes zu zeigen, nicht seinen Namen zu nennen. Kommen die Wimpel innerhalb drei Minuten nicht hoch, so nimmt der Kapitän des Kriegsschiffes an, man hat seine Aufforderung, das Hissen der Kriegsflagge, nicht gesehen, und läßt einen Kanonenschuß lösen. Zeigt sich auch dann noch nicht der Name, so fährt es an das betreffende Schiff heran, überzeugt sich von Namen und Nationalität und meldet den Kapitän dem Seegericht seines Landes zur Bestrafung; oder aber, wenn Verdachtsgründe vorliegen, läßt er das Schiff von seinen Leuten nehmen, besetzen und in den nächsten Kriegshafen schleppen.

Doch natürlich kommt dieser Fall höchst selten vor.

Kaum flatterte an der Fahnenstange der ›Viktoria‹ die schwarz-weiß-rote Flagge, so gingen auf der Brigg die englische Flagge und der Name ›Amor‹ hoch.

Das Kriegsschiff dankte, das heißt, die Flagge wurde dreimal auf- und abgezogen und mittels Anwendung der Maschine auf die ›Vesta‹ zugehalten.

Bald hatte man sie erreicht, Kopf an Kopf standen die Matrosen der ›Viktoria‹ an Steuerbordseite und musterten die weiblichen Seeleute, die oben in der Takelage arbeiteten, um jetzt bei dem stärker werdenden Winde mehr Segel zu setzen. Die Offiziere befanden sich alle auf der Kommandobrücke, die Kadetten auf der Back. Das ganze Gespräch drehte sich natürlich um die ›Vesta‹ und um die Damen, und daß es unter den Matrosen an Witzen nicht fehlte, ist selbstverständlich.

»Was täten Sie, wenn diese den Namen nicht zeigen würden?« fragte einer der Offiziere den Kapitän.

»Ich würde sie durch einen Schuß dazu auffordern,« antwortete er.

»Und wenn sie der Aufforderung nicht nachkämen?«

»Dann müßte ich das Schiff besuchen, so leid es mir auch täte.«

»Ich glaube fest, sie werden unserem Befehle nicht nachkommen,« meinte Wiedenfeld lachend. »Was ich bis jetzt von den Damen gehört habe, läßt mich dies vermuten.«

Auch der Graf war nachdenklich geworden, und vergebens hofften Offiziere und Leute, daß die Kriegsflagge gehißt werden sollte – der Kapitän unterließ es vorsichtshalber.

»Sehen Sie nur da unseren Schwarzburg, er hat schon die Bekanntschaft einer der Damen gemacht,« lachte der Leutnant Gebhardt, »wahrhaftig, er unterhält sich schon ganz vertraut mit ihr.«

Die Kriegsmarinen aller Nationen haben ein Mittel, um sich auf große Entfernung hin, wenigstens soweit das Fernrohr reicht, unterhalten zu können. Es sind dies zwei Bretter, welche an eine Stange angebracht sind und sich um eine Achse drehen, der sogenannte Semaphor, deren sich auf jedem Schiffe mehrere befinden. Durch verschiedene Stellung der Flügel nun kann man alle fünfundzwanzig Buchstaben des Alphabets wiedergeben, und wer darin Uebung besitzt, spricht mit ihnen ebensoschnell, wie man schreibt. Um dieses System auch in der Handelsmarine einzuführen, muß jeder Matrose, der in der Kriegsmarine dient, die Zeichen erlernen.

Hat man keinen Semaphor-Apparat, so verrichten auch schon die Arme denselben Dienst, und auf diese Weise hatte Schwarzburg eins der Mädchen, welches hinten am Heck stand, angeredet und auch sofort auf dieselbe Weise eine Antwort erhalten, zur Freude aller, denn natürlich kann eine solche Unterredung von allen Zuschauern abgelesen werden.

Es war eine sehr lustige Unterhaltung, welche beide führten, und fast schien es, als ob das junge Mädchen öfter von ihren Gefährtinnen aufgefordert würde, mit dem Semaphorieren einzuhalten, aber einmal im Schwatzen, wenn auch nur mit Armbewegungen, ließ sie nicht sobald wieder nach.

»Was ist das für ein Schiff?« signalisierte der Kadett.

»Die ›Vesta‹, kam es zurück. »Nationalität?«

»Vereinigte Staaten.«

»Sind nur Amerikaner an Bord?«

»Alles Yankees.«

Ein lautes Bravorufen der Matrosen erscholl, das Mädchen hatte sich mit dem Spitznamen der Nordamerikaner genannt, welcher aber so populär geworden ist, daß sie auf diese Bezeichnung stolz geworden sind.

»Yankee doodle went to town
On a little pony
»Stick a feather in his cap
And call him Maccaroni!"

erklang es von den Lippen eines Matrosen, und nach der ersten Strophe fielen jubelnd die übrigen mit in die Melodie der Nationalhymne der Yankees ein, als Text allerdings eine Parodie des eigentlichen Liedes benutzend, der aber bei weitem bekannter ist, als der eigentliche Wortlaut.

Die weiblichen Matrosen auf den Raaen hielten erstaunt in ihrer Arbeit inne und blickten auf das Kriegsschiff, auf dem aus vierhundert Kehlen ihre Nationalhymne erscholl.

»Und woher kommt Ihr?« signalisierte der Kadett weiter.

»Vom Norden.«

»Wohin geht die Fahrt?«

»Mit dem Winde.«

»Was ist Euer nächster Hafen?«

»Wo wir ankern.«

Wieder erscholl ein lautes Gelächter aus dem Munde der Matrosen über die Antworten des Mädchens.

»Jetzt werde ich einmal anders fragen,« sagte der Kadett zu seinem Kameraden, und wieder flogen die Arme wie die Flügel einer Windmühle durch die Luft.

»Haben Sie sich heute morgen schon die Locken gewickelt?«

Einige Sekunden blieb die Antwort aus, dann aber kam es zurück:

»Haben Sie sich heute schon den Schnurrbart gewichst?«

Schwarzburg kratzte sich unter dem Gelächter der Matrosen hinter den Ohren, das Mädchen hatte eine schwache Seite getroffen; es war bekannt, daß er seiner Oberlippe eine sorgsame Pflege angedeihen ließ und gern da drehte, wo sein zukünftiger Schnurrbart entstehen sollte.

»Wie heißen Sie?« signalisierte er jetzt.

Das Mädchen blieb die Antwort schuldig, es wurde von einem anderen gerufen und kam der Aufforderung nach, doch noch im Abgehen konnte sie lesen, daß ihr der Kadett zusignalisierte:

»Auf Wiedersehen in Batavia.«

»Wie kommen Sie darauf, daß die ›Vesta‹ nach Batavia fährt?« wurde Schwarzburg von einem anderen Kameraden gefragt.

»Ich habe es nur geraten,« antwortete er, »die ›Vesta‹ steuert ungefähr diesen Kurs, und es ist anzunehmen, daß die Mädchen an diesem Platze nicht vorbeisegeln werden. Hoffentlich treffen wir übermorgen dort mit ihnen zusammen.«

Jetzt erscholl die Pfeife des Bootsmannes und rief die Leute zur Arbeit, es wurde mehr Dampf aufgemacht, und bald hatte S. M. S. ›Viktoria‹ die beiden unzertrennlichen Schiffe hinter sich und außer Sicht.


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