Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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25.

Die Hexenprobe.

Tief im Innern der Halbinsel Malakka leben Völkerstämme, welche weder zu den Indiern, noch zu den Malayen gerechnet werden können, so zum Beispiel die Indrargarris, deren Gesichtsbildung die der Eingeborenen Indiens ist. Sie sind Heiden und haben ihre eigenen Götter, und eben daraus schließt man, daß sich in ihnen das Blut der Ureinwohner Malakkas am reinsten erhalten hat, und daß sich durch den Verkehr mit den Malayen nur ihre Sprache verändert hat.

Sie stehen auf einer sehr niedrigen Stufe. Ihre Kleidung besteht bei den Männern, wie bei den Frauen nur aus einem Schurz. Ihre Waffen sind Bogen und Pfeile, Lanze und Wurfspeer, und mit diesen verschaffen sie sich ihre Nahrung; sie erlegen die Tiere, welche der dichte Urwald beherbergt, und begnügen sich mit den Früchten, an denen Malakka das reichste Land der Welt ist.

Gleich primitiv sind ihre Wohnungen; einfache Hütten, aus Bambusrohr zusammengesetzt, in denen die ganze Familie auf Fellen erbeuteter Tiere schläft, wohlgeschützt gegen Wind und Tau, nicht aber gegen die Wassergüsse, welche zur Regenzeit vom Himmel herabstürzen und die ganze Gegend in Morast und Sumpf verwandeln, sodaß nur die hochgelegenen Stellen, auf denen die Hüttendörfer stehen, bewohnbar sind.

Die Ureinwohner Malakkas sind nicht immer ohne jede Kultur gewesen. Wie die alten Bauwerke, Waffen, Goldarbeiten und so weiter, welche man besonders in Südamerika noch heute findet, beweisen, daß Amerika einst von Völkern bewohnt wurde, denen die jetzigen faulen, unwissenden Indianer nicht im entferntesten mehr ähneln, wie in alten Denkmälern vorgefundene Pergamentrollen zeigen, daß unter jenen Völkern vor vielen Tausenden von Jahren die Wissenschaften geblüht haben und Kenntnisse verbreitet waren, mit denen sich unsere Gelehrten noch gar nicht so lange beschäftigen, so zum Beispiel die Berechnung des Laufes der Gestirne, ihre Entfernung von der Erde, ebenso verhielt es sich auch mit den Urbewohnern Malakkas.

Ueber die breiten Ströme führen mächtige Brücken, man wundert sich, wie diese großen Steine übereinander gesetzt worden sind, durch menschliche Kraft allein ist es gar nicht möglich gewesen. Die Steine sind nur lose zusammengepaßt, ohne Anwendung von Kalk, und doch ist der Bau so solid, daß er auch jetzt noch nicht sein harmonisch schönes Aussehen verloren hat. Niemand weiß, wie alt diese Brücken sind, am allerwenigsten der jetzige Eingeborene von Malakka, der diese Bauten als etwas Selbstverständliches betrachtet, als etwas ihm von Gott Geschenktes, ebensowenig, wie er sich wundert, mitten im Urwald auf die Ruinen von großen Gebäuden zu stoßen, deren Wände durch die Kraft der treibenden Schlingpflanzen zerstört worden sind. – – –

An einer hochgelegenen Stelle waren die Bäume ausgerottet worden, die Indrargarris mochten mit ihren Messern Jahre dazu gebraucht haben – die auf hohen Pfählen stehenden Bambushütten, zu denen Leitern hinaufführten, standen im Halbkreis auf der Lichtung, und im Zentrum derselben saßen die alten Frauen des Dorfes um eine Bahre herum, schlugen sich mit Fäusten vor die nackte Brust und stießen ein entsetzliches Wehegeheul aus, hoben dann die Arme gen Himmel, riefen einen Gott an und schlugen sich abermals an die Brust, ritzten sich mit Messern die Arme, daß das Blut hervorsprang, und heulten dazu.

Aber der gerufene Gott mußte faul oder zornig über seine Kinder sein, er kam nicht, um den auf der Bahre liegenden jungen Krieger zum Leben zu erwecken.

Mit steifen Gliedern lag er da, die gläsernen Augen starr, die Fäuste geballt und den Mund halb geöffnet.

Scheu betrachteten die umstehenden Männer des Dorfes das Gebaren der Weiber, die Kinder lugten ängstlich aus den Löchern, welche in den Hütten die Türen vertreten; alle erwarteten, daß der Tote plötzlich aufstehen und die Glieder dehnen würde, aber es geschah nichts desgleichen. Aus dem heiteren Himmel fuhr kein Blitzstrahl, um den kalten Leichnam wieder zu erwärmen.

Noch nie war in diesem Dorfe etwas Aehnliches passiert.

Heute morgen hatten die Männer gesehen, wie der junge Indrargarri die Leiter seiner Hütte herabgestiegen war, mit Bogen und Pfeilköcher ausgerüstet, als wolle er zur Jagd gehen, wie er über die Lichtung schritt, plötzlich stehen blieb, sich auf den hohen Bogen stemmte und dann zu Boden fiel, lautlos, ohne einen Schrei auszustoßen.

Man fand ihn in derselben Lage, die er jetzt auf der Bahre einnahm, kalt, starr – als Leichnam.

Der junge Indrargarri mußte die Götter schwer beleidigt haben, sicher hatte er einmal vergessen, ihnen die fetten Eingeweide des erlegten Wildschweines als Geschenk anzubieten, daß sie ihn so plötzlich aus dem Leben abriefen, ihn von der Seite seiner jungen Frau rissen, oder aber, er war von irgend jemand des Stammes durch Zauberei getötet worden.

Stunde auf Stunde verging; die Sonne hatte schon ihren höchsten Stand am Horizont erreicht, und noch immer hörten die alten Weiber nicht auf, den Gott um Erbarmen anzuflehen.

Da trat aus der Reihe der Männer eine hohe Gestalt hervor, an den kunstvoll geschnitzten Waffen und an den Perlenschnüren und Kupfergeschmeide, welches sich ihm um Hals und um Stirn schlang, als Häuptling erkenntlich, und gab den Weibern ein Zeichen, ihre Bemühungen einzustellen.

An ihre Stelle traten jetzt die Männer, um den Worten des Häuptlings zu lauschen.

»Krieger der Indrargarri,« redete er sie an, »ein Gott ist zornig auf uns; noch sind keine zwei Tage verstrichen, seit ein Tiger zwei Männer aus unserer Mitte holte, ihre Weiber jammern, sie haben niemanden mehr, der ihnen Fleisch bringt und die Kinder lehrt, wie sie den Bogen zu spannen und den Speer nach dem flüchtigen Hirsch zu schleudern haben.

»Und wieder hat uns ein Mann verlassen, der beste Jäger dieses Dorfes. Er ist nicht im Kampfe gefallen, der Tiger hat ihn nicht zerrissen, der Kaiman hat ihn nicht zermalmt, und auch die bösen Geister haben ihn nicht mit Krankheit gequält; und dennoch ist er tot. Was hat er verbrochen? Warum ist er plötzlich getötet worden, und warum weint sein Weib in der Hütte, daß es den Ernährer verloren hat?«

Alles schwieg, niemand konnte die Frage beantworten, da aber scholl eine Stimme aus der hintersten Reihe:

»Es ist Zauberei!«

Die Augen richteten sich nach dem Sprecher, und unaufgefordert trat der junge Indrargarri hervor und stellte sich vor den Häuptling.

»Du, Pelanbang?« fragte dieser. »Wenn der Tote, sein Leben durch Zauberei verloren hat, auf wen willst du die Schuld werfen?«

»Buwenna ist es gewesen,« sagte der Mann mit tiefer Stimme und blickte dem Häuptling fest ins Auge.

Ein Murmeln des Erstaunens ging durch die Reihe der Umstehenden, und des Häuptlings Stirn runzelte sich finster.

»Buwenna, sein eigenes Weib?« fragte er. »Bedenke, was du sprichst!«

»Ist nicht ihre Mutter auch eine Zauberin gewesen? Wurde sie nicht von den Kaimans gefressen?«

»Wohl ist das wahr, aber deshalb kann ihre Tochter unschuldig sein. Wodurch willst du beweisen, daß auch Buwenna eine Zauberin ist und mit bösen Geistern verkehrt?«

»Ich kehrte erst diese Nacht von der Jagd zurück,« begann der Kläger zu erzählen, »tagelang war ich in den Wäldern umhergestreift, ohne mehr erlegen zu können, als ich eben zu meiner Nahrung bedurfte, da lockte mich gestern abend das Geschrei eines Fasans nach einer Waldblöße hin, sie liegt nicht weit von hier, und als ich die vom Mond hell beschienene Fläche betrat, um nach dem im Schlafe aufgeschreckten Vogel zu spähen und ihn zu schießen, sah ich plötzlich etwas, was mich veranlaßte, mich auf den Boden zu werfen und zu verstecken.

»Mitten auf der Lichtung kauerte eine Gestalt und wühlte im Boden, ich wußte erst nicht, was sie tat, dann aber merkte ich, daß sie mit einem Messer die Erde aufgrub und Wurzeln auszog, die sie in einen Binsenkorb warf. Als sie aufstand, erkannte ich im hellen Mondenschein an dem Kopfschmuck, daß sie zu den Indrargarris gehörte, daß es ein Weib war – Buwenna.

»Dann stand sie auf und ging suchend hin und her, bückte sich wieder und grub abermals Wurzeln aus, ebenso, wie es einst ihre Mutter, die Zauberin, getan hat, die dafür von den Kaimans gefressen wurde. Wer zweifelt nun noch daran, daß Buwenna ebenfalls eine Zauberin ist? Wie ist es anders möglich, daß heute morgen ihr Mann plötzlich tot umfiel, ohne vorher eine Krankheit gehabt zu haben? Buwenna hat Umgang mit bösen Geistern gehabt, aus den Wurzeln braute sie sich den Trank, daß sie mit ihnen verkehren konnte, und dann hat sie verlangt, ihren Mann zu töten.«

Triumphierend blickte sich der junge Krieger um, überall begegnete er angstvollen, aber gläubigen Mienen.

»Aber warum soll Buwenna den Tod ihres Mannes gewollt haben?« suchte der Häuptling die Partei der Angeschuldigten zu ergreifen.

»Wer mit bösen Geistern umgeht, der verfällt ihnen. Sie flüstern ihm unheilvolle Dinge zu, und, ob er will oder nicht, der ihnen Dienende muß sie ausführen.«

»So ruft Buwenna, sie mag sich verantworten!« befahl der Häuptling, und bald stand das junge Weib des so früh Dahingeschiedenen vor ihnen.

Die junge Frau, an deren Wangen noch die Tränen hingen, warf einen verzweifelten Blick auf den Toten und stellte sich dann mit gesenkten Augen vor den Häuptling. Sie wußte noch nicht, daß sie der Zauberei beschuldigt worden war, daß sie selbst den Tod ihres Mannes herbeigeführt haben sollte, aber das barsche Benehmen der Männer, welche sie gerufen, hatte sie ängstlich gemacht.

»Buwenna,« begann der Häuptling in ernstem Ton, »du bist angeklagt worden, mit bösen Geistern zu verkehren.«

Das Weib fuhr auf.

»Wer wagte das?« rief sie erregt aus.

»Pelanbang.«

Die Augen des Indrargarri senkten sich verlegen zu Boden, mit solch entsetztem Ausdruck begegneten ihnen die des Weibes.

»Du?« hauchte sie. »War es nicht genug, daß dein Vater meine Mutter eine Zauberin genannt hatte?«

»Und ist sie es nicht gewesen?« fragte Pelanbang, der sich wieder gesammelt hatte, trotzig.

»O, ich weiß wohl, warum du mich hassest,« rief das Weib bitter, »wenn dieser noch lebte, würdest du nicht gewagt haben, so etwas zu sagen.«

»Sprich, Buwenna,« unterbrach der Häuptling das Zwiegespräch der beiden, »hast du Umgang mit bösen Geistern?«

»Nein,« sagte sie fest, »ebensowenig wie meine Mutter, wenn Ihr es auch nicht geglaubt habt.«

»Hast du in voriger Nacht im Walde Kräuter und Pflanzen gesucht?« forschte der Häuptling weiter.

»Ich tat es.«

»Sagte ich es nicht?« frohlockte Pelanbang. »Ist sie eine Zauberin oder nicht?«

Der Häuptling machte eine Bewegung, daß er schweigen solle.

»Wozu grubst du die Wurzeln aus?«

»Um für Sigadung einen Trank aus ihnen zu kochen.«

Jetzt brachen die Umstehenden in Rufe der Entrüstung aus, also war sie doch eine Zauberin, schuld an dem Tode ihres Mannes – sie hatte sich selbst das Todesurteil gesprochen.

»So hast du also den bösen Geistern befohlen, deinen Mann zu töten? Warum tatest du das?«

Dem Häuptling wurde es selbst angst vor dem Weibe, das mit bösen Mächten in Verbindung zu stehen schien. Es mußte schleunigst aus ihrer Mitte entfernt werden, des Feuertodes sterben.

»Ich Sigadung getötet?« rief die Frau verzweiflungsvoll aus. »Was sollte mich dazu getrieben haben?«

»Die Geister haben es dir befohlen!«

»Ich bin keine Zauberin, aber ich will Euch sagen, wozu ich die Wurzeln in der Nacht gesammelt habe. Gestern abend wurde Sigadung plötzlich krank, es wurde ihm heiß in dem Kopf, als hätte er Fieber bekommen, aber dieses war es nicht; es flimmerte ihm vor den Augen, und er war so schwach, daß er sich nicht vom Lager erheben konnte. Ich wartete, bis er eingeschlafen war, und ging dann in den Wald, um Kräuter und Wurzeln zu suchen, aus denen ich einen Trank kochen kann, der gegen jede Krankheit gut ist –«

»Wie deine Mutter!« rief der Häuptling unwillig dazwischen. »Deshalb mußte sie als Zauberin sterben.«

»Meine Mutter war keine Zauberin,« rief die Frau hastig aus, »sie hatte nur dort, wo das salzige Wasser ist, von einem alten Malayen gelernt, wie man aus einigen Pflanzen den Saft gewinnen und damit Krankheiten heilen kann. Von ihr habe ich es gelernt.«

»Sie war eine Zauberin,« beharrte der Richter, »sonst wäre der Häuptling nicht gestorben.«

»Aber mein Trank gestern abend hat geholfen. Als Sigadung ihn getrunken hatte, war er gesund und fühlte sich heute morgen so kräftig, daß er auf die Jagd gehen wollte.«

»Woran ist er denn gestorben?«

»Ich weiß es nicht,« entgegnete sie niedergeschlagen, »nicht an dem Tranke.«

»Die bösen Geister haben ihn geholt; verzaubert hast du ihn,« fuhr Pelanbang sie an, »in das Feuer mit der Zauberin.«

Angstvoll irrten die Augen Buwennas von Gesicht zu Gesicht, überall erblickte sie nur grimmige Mienen. Aufschreiend warf sie sich dem Häuptling zu Füßen.

»Erbarmen,« flehte sie, »ich bin keine Zauberin! Warum sollte ich Sigadung, meinen Mann, den ich liebte, der mich ernährte, getötet haben?«

Sie wollte die Kniee des Häuptlings umfassen, aber er wich scheu der Berührung mit der Zauberin aus.

»Was der böse Geist dir befiehlt, das mußt du tun,« sagte er finster.

»Habt Mitleid mit mir!« flehte sie weiter. »Ist es denn nicht genug, daß ich Sigadung verloren habe? Habt Ihr nicht gesehen, welcher Schmerz mich durchwühlte, als ich vor seiner Leiche stand. Ich bin keine Zauberin, ich bin unschuldig!«

Unter den zuhörenden Indrargarris war eine Bewegung entstanden; einige waren durch die mit verzweifelter Stimme ausgestoßenen Beteuerungen der Frau gerührt worden und wollten, wenn sie auch nicht gerade Partei für sie nahmen, doch nicht zugeben, daß sie ohne weiteres auf dem Scheiterhaufen sterben sollte. Daß sie ihren Mann, ohne den sie nun von den Unterstützungen anderer, gegen Arbeitsleistungen, leben mußte, selbst getötet haben sollte, kam doch verschiedenen etwas seltsam vor.

Aber man konnte ja leicht sehen, ob sie eine Zauberin war oder nicht.

Ein alter Mann trat an den Häuptling heran und sagte:

»Laßt sie die Probe machen; sie hat noch nie getäuscht. Ist sie schuldig, so wird sie sterben, wie einst ihre Mutter; ist sie unschuldig, so wird den Kaimans der Rachen geschlossen werden.«

Auch der Häuptling fühlte etwas wie Mitleid mit dem jungen Weibe, das noch immer vor ihm auf den Knieen lag und die Augen angstvoll auf ihn gerichtet hielt. Als dem alten Manne von vielen Seiten beigestimmt wurde, gab er dem Verlangen nach; Pelanbang war der einzige, welcher die Probe direkt verweigerte, aber seiner Stimme wurde kein Gehör geschenkt.

»Nach der Brücke,« rief der Häuptling, »dort wollen wir uns von ihrer Schuld überzeugen.«

Die Menge drängte sich durch den Urwald, zwischen sich Buwenna führend, aber doch in genügender Entfernung, um nicht mit der Zauberin in Berührung zu kommen und sich selbst unglücklich zu machen. Die arme Frau ging mit schwankenden Knieen vorwärts, sie kannte ihr Schicksal; nur ein Wunder konnte sie vor dem sicheren Tode retten, aber das Wunder konnte doch zur Möglichkeit werden.

Nicht weit vom Dorfe wälzte ein breiter Fluß sein schlammiges Wasser träge dem Westen zu. Gerade da, wo die Indrargarris aus dem Walde traten, wurde er von einem hohen Steinbogen überspannt, dem Reste einer von den Ureinwohnern zusammengesetzten Brücke.

Der Bogen ruhte auf zwei Säulen, die mitten im Wasser standen, aber er konnte nicht mehr als Brücke dienen, denn die Zugänge waren zerstört, die Steine zerstreut worden, und die Eingeborenen gaben sich nicht die Mühe, sie wieder zusammenzusetzen und somit einen bequemen Uebergang über den Fluß zu haben. Lieber ruderten sie auf ihren schmalen Nachen hinüber.

Jetzt standen die Männer am Ufer des Flusses, und das Weib starrte mit angstvollen Augen in die Fluten, aus denen eine Unzahl von scheußlichen Köpfen hervorsahen.

Die Flüsse Indiens sind alle sehr fischreich; aber auch die Kaimans sind in großer Anzahl in ihnen zu finden, und besonders die Flüsse der Halbinsel Malakka wimmeln förmlich von ihnen. Da, wo die Säulen im Wasser standen, war eine Sandbank angeschwemmt worden, und auf dieser lagen die riesigen Ungeheuer und wärmten sich in den Strahlen der Sonne, andere wieder trieben mit geschlossenen Augen im Wasser selbst herum.

Bei Annäherung der Menschen kam Leben in die trägen Tiere, sie zogen sich zwar nicht zurück, als hätten sie Furcht, im Gegenteil, als wüßten sie, daß ihrer ein Mittagsmahl wartete. Die auf der Sandbank liegenden Tiere verließen diese und legten sich ins Wasser, schnappten mit den furchtbaren Rachen und starrten die Menge mit den glitzernden Augen an, und nur die dem Ufer zunächst liegenden Kaimans schwammen nach der Mitte zu, drehten sich um und lauerten auf ihre Opfer.

An dieser Stelle mußte Buwenna zweimal durch den Fluß schwimmen, hin und wieder zurück; war sie keine Zauberin, dann würden die Götter den Kaimans die Rachen zuhalten, war sie aber schuldig, dann würde sie von ihnen aufgezehrt. Diese armen Menschen waren fest davon überzeugt, daß diese Art von Gottesgericht niemals täuschte.

Die Augen aller Indrargarris richteten sich auf die junge Frau, die verzweifelnd am Ufer des Flusses stand und entsetzt die riesigen Ungeheuer betrachtete. Kaum konnte sie sich noch aufrecht halten, die Kniee versagten ihr fast den Dienst.

Aber es half nichts, der Tod drohte ihr doch, entweder auf dem Scheiterhaufen oder hier, aber hier war doch wenigstens die Möglichkeit vorhanden, ihm zu entgehen. Außerdem fühlte das junge Weib sich selbst unschuldig. Also vorwärts!

Mutig schritt sie ins Wasser; schon reichte es ihr bis an die Hüften, da entstand eine Bewegung unter den Kaimans. Sie schlugen rasselnd mit den beschuppten Schwänzen aneinander; wieder klappten sie mit den Rachen und schwammen, die Augen starr auf ihr Opfer gerichtet, langsam auf dieses zu.

Da verließ die junge Frau die Fassung, sie konnte diesen Anblick nicht ertragen.

Laut aufschreiend flüchtete sie zurück und warf sich dem Häuptling zu Füßen.

»Ich kann nicht,« wimmerte sie, »und wenn ich auch noch so unschuldig bin, sie fressen mich doch.«

Weiter kam sie nicht, schon war sie von einigen gepackt und wieder dem Wasser zugeschleppt worden, und als sie dennoch nicht schwimmen wollte, sondern immer wieder dem sicheren Ufer zustrebte, da stießen die Männer, allen voran Pelanbang, die Unglückliche mit langen Bambusstangen unbarmherzig in das tiefere Wasser, bis sie den Boden unter den Füßen verlor. – – – –

Auf eben demselben Gewässer, dessen unheimliche Bewohner jetzt vor gefräßiger Gier zitterten, fuhren vier Boote unter kräftigen Ruderschlägen stromaufwärts.

Zwei der Boote waren mit in Jagdkostümen gekleideten Herren, die anderen beiden mit Mädchen besetzt – der Besatzung unserer beiden Schiffe. Nur die eine Hälfte ruderte, die andere tauschten Bemerkungen über den wundervollen, tropischen Urwald aus, wie sie ihn in solcher Fülle noch nie gesehen hatten, und ließen sich dann von den mitgenommenen Malayen, welche alle professionelle Führer waren und daher englisch sprachen, die aus dem Walde hallenden Tierstimmen deuten.

In den Booten lagen noch Waffen und Teile von Zelten, welche bei einer eventuellen Jagdpartie von den Malayen getragen werden sollten, so daß man bequem im Walde kampieren konnte. Das Klima an der Küste, besonders an der Westküste von Malakka ist zwar sehr schädlich, dagegen ist das Innere der Insel frei von Fiebermiasmen, man kann straflos die Nächte im Freien verbringen.

Die Reisenden hatten von einer großen Brücke erzählen hören, welche über diesen Fluß führe und noch von den Ureinwohnern herstammen sollte, und um diese sich anzusehen, bewegten sie schon seit der frühesten Morgenstunde taktmäßig die Ruder.

Die Lords hatten den Vorschlag gemacht, sich hinrudern zu lassen, aber die Vestalinnen waren damit nicht einverstanden gewesen, und so hatten sich schließlich auch die englischen Herren dazu bequemen müssen, im Schweiße ihres Angesichts den Wasserweg zurückzulegen.

Mächtige Bäume beschatteten den Fluß, auf dem Wasser war es doch etwas kühler, und so war die Fahrt gerade keine unangenehme, wenn auch mancher Schweißtropfen über die braune Stirn perlte.

»Wie weit ist es noch bis zur Brücke?« fragte Ellen den Malayen, der den anderen Führern befahl.

Der bis jetzt phlegmatisch dahockende Malaye hatte seit einiger Zeit scharf nach den Seiten und nach vorn gespäht, als suche er nach einem Merkmal, und daraus schloß Ellen, daß sie nicht mehr weit von dem Ziele entfernt seien.

»In einer Viertelstunde müssen wir sie erreichen, Herrin,« antwortete der Mann. »Biegen wir dort um die Ecke, so liegt sie dicht vor uns.«

Er deutete nach vorn, wo der Fluß mit einem Male aufzuhören schien, weil er eine scharfe Krümmung machte.

»Werden wir in der Nähe der Brücke übernachten?« wurde Ellen von Miß Nikkerson gefragt, welche einen Verband um den Kopf trug. Der Streifschuß hatte nur eine leichte Verletzung erzeugt, in den letzten Tagen hatte sie etwas Wundfieber gehabt, aber sich jetzt schon so weit erholt, daß sie den Ausflug mitmachen konnte, ohne von ihren Freundinnen daran gehindert zu werden.

»Ist dort ein günstiger Platz, ja, wenn nicht, müssen wir uns einen anderen suchen,« war die Antwort. »Am liebsten wäre es mir, könnten wir in der Nähe eines Dorfes von Eingeborenen lagern, damit wir mit deren Sitten bekannt würden.«

»Nicht weit von der Brücke, an der rechten Seite des Flusses, liegt ein solches,« bemerkte der Führer, »es gehört einem Stamme, welcher zu den Indrargarris zählt.«

»Sind diese friedliebend?«

»Sie sind es. Ich kenne ihren Häuptling gut; sie werden Euch freundlich aufnehmen und Euch, wenn Ihr gewillt seid, morgen oder auch heute noch zu einer Jagd verhelfen.«

»Diese Eingeborenen hier leben doch nur von den Erträgnissen der Jagd,« meinte Ellen zweifelnd. »Sehen Sie es denn auch gern, wenn wir mit unseren sicheren Büchsen ihnen das Wild wegschießen?«

Der Malaye lächelte schlau.

»Ihr schießt das Wild nicht weg, Ihr schießt es für sie, denn das Fleisch gehört doch ihnen, Ihr könnt es nicht aufessen. Die Indrargarris haben keine Feuerwaffen. Mit ihren Pfeilen können sie nur notdürftig ihr Leben fristen. Die größeren Raubtiere, wie die Tiger, deren Fell zu besitzen ihr Stolz ist, sind für sie unerreichbar, und selbst der Hirsch muß erst mit ihren Pfeilen gespickt werden, ehe er verendet. Sie werden sich freuen, wenn ihr ihnen Fleisch verschafft, daß sie sich einmal den Magen bis zum Platzen füllen können.«

»Also Egoismus kennen diese Wilden auch!« lachte Miß Thomson. »Nun das Vergnügen sollen sie einmal haben. Wenn sie sich den Magen verderben, ist es nicht unsere Schuld.«

Jetzt bog das erste Boot, in dem sich Ellen befand, um die vorhin bezeichnete Ecke, und wirklich bot sich ganz in der Nähe der steinerne Brückenbogen den Blicken der Damen dar.

»Was ist denn das?« rief das Mädchen. »Warum haben sich dort am Ufer die Eingeborenen versammelt?«

»Sie werden fischen,« entgegnete der Malaye und richtete seine Aufmerksamkeit der Menge zu, sprang dann aber plötzlich auf, legte die Hände über die Augen und spähte scharf hinüber.

»Nein,« rief er, »sie fischen nicht.«

Er wechselte mit den Malayen in den anderen Booten einige Worte in seiner Sprache und wandte sich wieder zu Ellen:

»Ihr werdet gleich ein seltenes Schauspiel zu sehen bekommen. Jemand von den Eingeborenen muß die Probe ablegen, ob er eines Vergehens schuldig ist.«

»Wieso?«

»Er muß durch den Fluß schwimmen. Wird er dabei von den Kaimans gefressen, so ist er schuldig und stirbt den verdienten Tod, ist er aber unschuldig, so tun ihm die Bestien nichts.«

Alle, welche diese Worte gehört hatten, brachen in Ruft der Entrüstung aus; schaudernd betrachteten sie die Köpfe der Kaimans, welche überall an dem Flußrande auftauchten.

»In die Riemen gelegt,« rief Ellen, »vielleicht kommen wir noch nicht zu spät, um solch eine barbarische Justiz verhindern zu können.«

Auch die Insassen der anderen Boote waren von den Malayen über die Handlung aufgeklärt worden, welche die Eingeborenen vornahmen, und alle bewegten die Riemen kräftig, um womöglich hinzugelangen, bevor die Kaimans ihr Opfer verschlungen hatten.

»Seht Euch vor,« warnte der erste Führer, »die Indrargarris sind friedliebend, aber sie wollen von Fremden nicht in der Ausübung ihrer Sitten gestört sein.«

Sein Ausspruch blieb unbeachtet, schnell schossen die Boote durchs Wasser.

»Entsetzlich!« rief Ellen und sprang auf. »Sie versuchen, ein Mädchen mit Bambusstangen ins Wasser zu stoßen, es wehrt sich, aber es nützt nichts, immer weiter wird es in die Mitte gedrängt – ich kann schon die Kaimans sehen –«

Einige Schüsse unterbrachen die kurz hervorgestoßenen Worte Ellens, denen die Ruderer, welcher der Szene den Rücken wandten, gelauscht hatten – das Mädchen selbst hatte eine Büchse in die Luft abgefeuert, um die Aufmerksamkeit der Eingeborenen, welche die Boote noch gar nicht gesehen hatten, auf sich zu lenken.

Erschrocken drehten die Indrargarris die Köpfe nach der Richtung, wo die Schüsse gefallen waren, und mit Freude sah Ellen, wie das Mädchen die Ueberraschung der Männer dazu benutzte, das Ufer wiederzugewinnen, woran nur einer es hindern wollte, den es aber mit aller Kraft der Verzweiflung von sich stieß.

Eine Minute später lagen die Boote an der Brücke, und die Ruderer sprangen ans Ufer.

Schnell hatten sich die Malayen erkundigt, um was es sich handle, und als die Herren und Damen davon erfuhren, entstand eine allgemeine Entrüstung.

»Wir nehmen die Frau unter unseren Schutz,« rief Ellen, »sag' das dem Häuptling! Es darf ihr kein Haar mehr gekrümmt werden.«

»Mischt Euch nicht in die Angelegenheiten dieser Leute!« meinte der Malaye finster, »Ihr habt kein Recht dazu.«

»So nehmen wir es uns, geh' hin und sage es ihnen! So lange wir hier sind, ist das Leben der Frau gesichert und wird uns nicht gehorcht, geben sie ihr Vorhaben nicht auf, dann –« und Ellen schlug mit der Hand auf den Lauf der Büchse, auf die sie sich stützte.

Die Eingeborenen dachten vorläufig nicht mehr daran, die Zauberin ins Wasser zu stoßen, selbst Pelanbang unterließ es. Mehr ängstlich, als zornig, betrachteten sie die 54 Weißen, welche an sie den Befehl ergehen ließen, in ihrem Tun einzuhalten. Umsonst trugen sie wahrscheinlich die großen Büchsen und Revolver nicht bei sich.

Die Indrargarris hatten schon oft Gelegenheit gehabt, die furchtbare Wirkung der Feuerwaffen, wenn auch noch nicht an sich selbst, kennen zu lernen.

Buwenna hatte gehört, daß die ankommenden Fremdlinge für sie eintreten, sie beschützen wollten, ein Hoffnungsstrahl leuchtete in ihrem Herzen auf, sie blickte um sich, ob sie jemand hindern würde, wenn sie sich mit einigen Sprüngen zu der Gesellschaft flüchten würde, in deren Mitte sie sich sicher wußte.

Alle umstanden den dolmetschenden Malayen, nur Pelanbang nicht, der eine Ahnung von dem haben mochte, was in der Seele der von ihm Angeschuldigten vorging, die er haßte, weil sie ihn verschmäht und einen anderen, seinen Feind, zum Manne genommen hatte, und der sie deshalb unausgesetzt beobachtete und auf dem Sprunge stand, einen Fluchtversuch zu vereiteln.

Nur diesem mußte Buwenna zu entkommen suchen, dann war sie gerettet.

Plötzlich duckte sie sich zusammen und floh mit großen Sprüngen der etwa zwanzig Meter entfernten Gesellschaft zu, aber so schnell sie auch rannte, Pelanbang war schneller als sie – auf der Hälfte des Weges hatte er sie erreicht, umfaßte sie von hinten, und im nächsten Moment blitzte ein Messer in seiner Hand, um es der Verhaßten in den Rücken zu stoßen.

Da aber geschah etwas, was niemand erwartet hatte und was der ganzen Szene eine furchtbare Wendung gab.

Wie schon früher mitgeteilt wurde, nahm Jamyhla, die Dahomeh, bei den Vestalinnen nicht die Stelle einer befreiten Sklavin ein, sondern wurde von ihnen wie eine befreite Gefährtin betrachtet und schloß sich öfters bei Ausflügen den Mädchen an. Sie war still und zurückhaltend, aber schon hatte sie den Vestalinnen große Dienste geleistet, und alle liebten diese Genossin, welche stets bereit war, ihr Leben für das ihrer Retterinnen aufs Spiel zu setzen.

Die Mädchen stießen einen Ruf des Entsetzens aus, als sie den unvermeidlichen Tod des Weibes vor Augen sahen, die Männer rissen die Büchsen hoch, aber es wäre doch zu spät gewesen, den zum Stoß erhobenen Arm des Eingeborenen unschädlich zu machen, wenn nicht in demselben Augenblicke, da Pelanbang der Flüchtigen nachsetzte, Jamyhla gleich einem vom Bogen geschnellten Pfeil vorgestürzt wäre und die beiden eben erreicht hätte, als Pelanbang den Arm senkte.

Die Finger, welche sich um sein Handgelenk und um seinen Hals legten, ließen die Knochen knacken; gegen dieses muskulöse Weib, welches von Jugend auf zum Kampf erzogen war, war der schmächtige Indrargarri wie ein Kind, stöhnend schloß er die Augen, ließ das Messer fallen und wäre, schon jetzt fast erdrosselt, zu Boden gesunken, wenn ihn Jamyhla nicht gehalten hätte.

Die Kampfeswut, welche schon lange in der Dahomeh geschlummert, war plötzlich wieder erwacht, sie konnte sich nicht damit begnügen, das junge Weib befreit zu haben, sie fühlte, wie ihre Muskeln schwollen, wie ihre wilde Kraft ungebändigt wieder hervorbrach, und plötzlich hob sie den gepackten Eingeborenen wie ein Spielzeug empor und schleuderte ihn mit mächtigem Schwunge mitten in den Fluß, daß das Wasser aufspritzte.

In demselben entstand ein Rasseln und Plätschern, ein Knacken und Schnappen; ein entsetzlicher Weheschrei gellte noch einmal durch die Luft, dann schwammen die Kaimans durch das von Blut gerötete Wasser und verschlangen auf der Sandbank die erbeuteten Stücke des zerrissenen Körpers.

»Das war ein Gottesurteil,« sagte Ellen leise, als sich die Aufregung, die sich beim Anschauen dieser Szene aller bemächtigt, gelegt hatte. »Dieser Mann ist es gewesen, der das Weib der Zauberei beschuldigt und sie zur Beute der Kaimans bestimmt hatte.«

Die Indrargarris selbst waren vor Schrecken stumm, eine furchtbare Angst hatte sich ihrer bemächtigt, auch sie glaubten jetzt, daß Buwenna, welche sich schon in der Mitte der Mädchen befand, unschuldig war. Wenn es nicht so gewesen, dann wären die Fremdlinge nicht gekommen und hätten das Gericht nicht gestört – sie waren von den Göttern geschickt worden.

Ellen ließ sich von dem Dolmetscher ausführlich erzählen, warum Buwenna der Zauberei angeschuldigt wurden war, und sie fühlte eher Mitleid, als Zorn mit diesen unwissenden Eingeborenen.

»Es wird ein Schlaganfall gewesen sein, der den Indrargarri so plötzlich getötet hat,« meinte sie.

»Wir wollen fragen, ob wir das Dorf besichtigen können,« meinte einer der Herren, »dann bekommen wir vielleicht auch den Toten zu sehen, und uns ist es doch leichter möglich, als den Eingeborenen, zu beurteilen, ob der Mann eines natürlichen Todes gestorben ist oder ob sein Weib ihn vergiftet hat.«

»Was brauchen wir da erst zu fragen?« entgegnete Ellen, und auch die übrigen stimmten ihr bei. »Wir wenden uns direkt dem Dorfe zu. Die Wilden scheinen einen ungeheuren Respekt vor uns bekommen zu haben.«

Sie ließen die Boote unter Aufsicht einiger Malayen zurück und machten sich auf den Weg nach dem Dorfe, wobei sie von den Eingeborenen begleitet wurden. Die Herren suchten sich freundlich mit diesen zu beschäftigen, und wirklich gelang es ihnen auch, besonders durch einige Hände voll Tabak, deren Furcht und Zurückhaltung nach und nach zu beseitigen.

Als sie nach einem kleinen Marsche das Dorf erreicht hatten, zeigten die Indrargarris keine Spur von Mißtrauen mehr gegen die weißen Männer und Frauen.

Die alten Weiber, welche die Bahre umstanden, auf der noch immer der Tote in seiner alten Stellung lag, flüchteten schreiend die Leitern hinauf, als sich der große Zug ins Dorf hineinbewegte; sie glaubten nicht anders, als daß die bewaffneten Fremdlinge in der bösen Absicht kämen, ihnen das Wenige, was sie besaßen, auch noch zu nehmen.

Alle scharten sich um den Toten und ließen sich noch einmal von dem Malayen verdolmetschen, auf welch seltsame Weise er plötzlich dahingeschieden war.

»Er ist ohne allen Zweifel an einem Schlagfluß gestorben,« meinte Ellen, »den Leuten hier ist das wahrscheinlich etwas Neues, und so glauben sie nun gleich an Hexerei.«

»Aber der Trank kann ihn auch vergiftet haben,« warf ein anderer zweifelnd ein.

Als Buwenna erfuhr, daß selbst ihre Retter nicht frei von Zweifel waren, ihr Trank hätte ihrem Manne das Leben genommen, brach sie in Tränen aus und versicherte wieder und wieder, daß der Saft der von ihr gesammelten Wurzeln ganz schadlos sei, vielmehr gegen jede Krankheit helfe.

Der einzige, welcher mit seiner Meinung völlig zurückhielt, war John Davids. Ernst, wie immer, stand er dicht vor der Bahre und betrachtete unausgesetzt den Toten, legte die Hand auf dessen Brust, bewegte die steifen Glieder, fand aber nichts, was ihm etwas anderes als den eingetretenen Tod anzeigte.

»Hast du noch solche Wurzeln?« fragte er das Mädchen.

Buwenna bejahte und wurde aufgefordert, sie zu holen, ebenso den übriggebliebenen Trank.

»Die Wurzeln enthalten kein Gift,« erklärte Davids nach Besichtigung derselben, »ich kenne sie. Der Saft ist allerdings eine Art von Medizin, er übt auf die Nerven eine erfrischende Wirkung aus, zu reichlich genossen regt er sie aber so auf, daß dann eine große Erschlaffung eintritt.«

»Sind Sie Arzt?« fragte eine der Damen lächelnd.

Davids beachtete die Frage nicht, sondern ließ sich von Buwenna noch einmal ganz genau erzählen, wie sich ihr Mann gestern abend verhalten hatte, wieviele Wurzeln sie ausgekocht und wieviel er von dem Safte getrunken habe, wie er sich heute morgen befunden und so weiter.

Dann untersuchte er nochmals den Toten, legte das Ohr auf dessen Brust, suchte den Mund zu schließen, was ihm nicht gelang, brachte dann ein Brennglas zum Vorschein und konzentrierte damit die Sonnenstrahlen auf die Fußsohle, bis die Haut versengte, ohne daß etwas Auffälliges geschah.

»Glauben Sie denn nicht, daß er tot ist?« fragte Ellen, die ebenso, wie alle anderen, über das sonderbare Benehmen Davids erstaunt war.

Dieser zuckte mit den Achseln.

»Er scheint allerdings tot zu sein,« sagte er ausweichend, »doch wir werden uns gleich davon überzeugen.«

Er zog ein Besteck hervor, in dem sich Scheren und Messer befanden, und nahm eins davon.

»Was wollen Sie machen?« fragte Harrlington.

»Sehen, ob er wirklich tot ist, ob sich das Blut zersetzt hat,« entgegnete Davids und fuhr mit dem haarscharfen Messerchen über das Handgelenk des Toten.

Sofort quoll ein dicker, dunkelroter, fast schwarz aussehender Blutstrom hervor.

»Er ist nicht tot,« rief Davids, »er lebt.«

Sofort ließ er die Bahre aus der Sonne in den Schatten tragen, und da die Eingeborenen, denen es immer unheimlicher wurde, nicht dazu zu bewegen waren, Hand an den Toten zu legen, so bat Davids einzelne der Engländer, ihm Hilfe zu leisten.

Der Indrargarri wurde mit Wasser begossen, geknetet, gerieben und seine Glieder hin- und herbewegt, ohne daß Davids den Versuch machte, das noch immer fließende Blut zu stillen. Dieses wurde nach und nach immer heller, es begann immer schneller zu fließen, und im gleichen Verhältnis ließen sich auch alle Glieder leichter bewegen, ja, es schien sogar manchmal, als mache der Tote einige Bewegungen.

»Der Herzschlag kehrt wieder,« sagte Davids, hob den Kopf, den er fast immer auf der Brust des Mannes liegen gehabt hatte, und machte mit Hilfe einiger Taschentücher einen Verband, legte diesen an den Oberarm des Eingeborenen an, zog sie fest, und das Blut, welches schon eine ganz natürliche Farbe angenommen hatte, hörte auf zu fließen.

Jetzt war kein Zweifel mehr, der Tote wurde wieder lebendig. Er schloß den Mund von selbst, ebenso die Augen, machte die Fäuste auf, und schon konnte man ein leises Heben und Senken des Brustkastens wahrnehmen.

Davids ordnete noch an, daß man mit dem Kneten fortfahren sollte und sagte dann:

»Hätten die alten Weiber, statt sich selbst zu zerfleischen, den Mann mit den Messern geritzt, so wäre er bald wieder aus dem Scheintode erwacht.«


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