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Siebentes Kapitel

O diese Abendunterhaltungen beim Michael Hely! Wie viele andere habe ich seitdem mitgemacht in Frack und weißer Halsbinde, auf glatten Fußböden, die den Lichterglanz der Kronleuchter spiegelten, und nicht eine war darunter, die mir ein gleiches Entzücken bereitet hätte.

Da saßen wir unserer sechs oder sieben Auserwählte im Turmgemach des Dorfteufels auf den Backsteinplatten des Bodens um ein Reisigfeuer, das von einem niedern Herdbau emporstrebte. Über den lodernden Flammen pendelte ruhelos der eiserne Kessel, der aus dem ungeheueren Rauchfang an einer Kette niederhing und ließ sich bald da, bald dort von den feurigen Zungen belecken. Alles, was im Bereich des Feuerscheines sich bewegte, war von einer unheimlichen Glut übergossen. Jeder sah die rote Tinte im Gesicht des andern liegen, und dieser selbst gewann in der ungewohnten Beleuchtung etwas Fremdartiges, Seltsames. In den Ecken des Raumes war die Dunkelheit gleichsam zusammengedrängt und niemand konnte sagen, wo die Wände waren. So wähnten wir uns dann im freien Felde um ein Lagerfeuer, weit drüben über dem Mittelmeer auf afrikanischem Boden. Wenn in der Ferne ein Hund bellte, so hörten wir das Heulen hungriger Wölfe, die unser Lager umschlichen, und wenn über uns mit flatscherndem Flug die Eule aus den Schallöchern des Turmes brach, so glaubten wir den Flügelschlag des Aasgeiers in den heißen Lüften zerrissener Felsgebirge zu vernehmen.

Wir waren in unserer Einbildung Soldaten der französischen Fremdenlegion, wir hatten die kurzen Pfeifen aus Krautstrünken im Munde, rauchten kalt, spuckten aber gleichwohl wie Landsknechte, und schürten das niederbrennende Feuer mit den Absätzen unserer Stiefel. Die Käppis waren von den Wänden heruntergeholt und auf unsere Schädel gestülpt. Sie halfen die Illusion vollenden, und wenn die Jungfrau von Orleans von Bertrands Helme sagen konnte: »Mit Götterkraft berühret mich sein Eisen,« so konnten wir dies mit gleichem Recht von dem Futtertuch dieser Mützen behaupten, unter welchem unsere Phantasie mit allen Mitteln arbeitend, uns den Zauber einer afrikanischen Mondnacht vormalte, mit Löwen, die in den Dschungeln schleichen, und Palmen, deren Wipfel traumverloren im Winde nicken. Derartig wohl vorbereitet war der Boden, in den der Michael Hely den Samen seiner Worte streute, wenn er, unsern Bitten nachgebend, sich neben uns niederließ und folgendermaßen zu erzählen begann:

»Jean Jacques Malleton war ein Kind der meerumbrausten Bretagne. Was dies rauhe, von Stürmen durchzogene Land ihm schenken konnte, hatte es ihm gegeben: Große Einbildungskraft, innere Empfindsamkeit und Aberglauben, verborgen hinter äußerer Roheit und Fühllosigkeit.

Die Eindrücke, die er im Elternhaus empfing, waren nicht danach angetan, sein Gemütsleben zu veredeln. Sein Vater war Scharfrichter in einem kleinen Städtchen. Aber die Zeiten waren schlecht und der Redliche mußte sich um einen Nebenerwerb umsehen, um seine Familie ernähren zu können.

So kaufte er in einer Einöde ein wüstes Stück Land und betrieb darauf eine Abdeckerei. Jean Jacques half dem Alten, wenn er den heimgegangenen Karrengäulen das Gewand auszog, das sie den Menschen zur gefälligen Benützung überließen, während ihr Fleisch in den großen Kessel des Stoffwechsels zurückkehrte, aus dem alles geboren wird, Kind und Kegel, Ratte und Elefant. Der gute Vater Malleton, wie ihn die Leute nannten, war zumeist brummig und mißvergnügt. Welcher Erfahrene wollte ihm das verdenken, der in Erwägung zieht, daß der Scharfrichter noch in den Zeiten der großen Revolution amtiert hatte, wo die Guillotine ihren Mann genau so regelmäßig beschäftigte und ernährte, wie die Kanzel den ihrigen. Jetzt hatten sich die Zeiten geändert und die Menschen gleichfalls. Die letzteren waren empfindsam geworden und sentimental. Das Zeitwort ›köpfen‹ erweckte in seiner Aktivform ein gelindes Gruseln, in seiner Passivform ein mit Abscheu gepaartes Entsetzen, und ohne zwingende Gründe ließ sich niemand zur Guillotine führen. Daß unter so ungünstigen Verhältnissen das in der Familie Malleton offenbar vorhandene Talent zum Kopfabschneiden sich nicht entwickeln konnte, ist einleuchtend, aber bedauerlich, wenn man sieht, mit welch genialer Virtuosität der junge Jean Jacques den ersten Fall, der sich ihm bot, zu behandeln wußte.

Die Richter hatten François Roquet zum Tode verurteilt, der Staatsanwalt hatte den Stab über ihm gebrochen und den Verurteilten Jean Jacques übergeben, damit er seines Amtes walte. Das war eine traurige Sache, aber Jean Jacques wußte das Harte in etwas zu mildern. Er flüsterte dem armen Sünder Mut zu, half ihm beim Besteigen des Schafotts und erinnerte ihn daran, daß nun in wenigen Sekunden die Zeit da sein werde, wo er von seinen Mitmenschen auf den Händen getragen werde.

Möglich, daß diese Aussicht den armen Teufel etwas aufrichtete, denn er zeigte sich durchaus willfährig, ließ sich auf dem Brette festschnallen, und was nun noch zu besorgen war, besorgte die glatte Schärfe des Beiles, das in der Hohlkehle zweier Balken niederfiel. Der alte Malleton, der während dieses Vorganges seinen Sohn kaltblütig dastehen sah, war stolz auf ihn und wünschte im stillen seinem Erben ein langes Leben und die Wiederkehr der blutigen Aufstände der Chouanerie.

Am Abend, der dem Tage seines ersten öffentlichen Auftretens folgte, zog Jean Jacques das Pferd mit dem abgefressenen Schwanze aus dem Stall und spannte es vor eine Art Weinleiter, die auf vier Rädern lag und einen Sarg trug. Jean Jacques legte den Deckel des Sarges beiseite und verschwand. Bald kehrte er wieder mit einer Last auf dem Rücken, die in einem Sacke verborgen war. Schweigend legte er das schwere Bündel in den Sarg und schraubte den Deckel fest. Jean Jacques legte noch ein Gebund Heu vor das Fußende des Sarges, setzte sich darauf, zündete seine Pfeife an, ließ die Peitsche über den Ohren des Pferdes mit zischendem Geräusch die Luft durchschneiden, und fort ging es in die unheimliche Nacht hinaus, der nächsten Universitätsstadt entgegen.

Jean Jacques hatte es übernommen, die Leiche des Gerichteten auf der Anatomie abzuliefern. Der Weg führte durch Felder, die nicht enden wollten, dann wieder durch Wälder und sumpfige Gräben, aus denen der Unkenruf erschallte. Das Gefährte kam durch Dörfer, in deren Häusern das arbeitsmüde Landvolk schnarchte. Dann kamen sie an Kirchhöfen vorbei, an deren Kreuzen das Rauschgold verwelkter Kränze verdächtig raschelte und überglaste Inschriften das Licht der Mondsichel unheimlich widerspiegelten. Was kümmerte das den Fuhrmann! Jean Jacques war einer, der sich nicht fürchtete, auch vor dem Teufel nicht.

Die Nacht war kalt. Er wärmte die Hände an seinem Pfeifenkopf und seinen Magen an einem Schlucke Schnaps, der aus einer Bulle fließend unter lautem Glucksen in seine Fuhrmannskehle rann.

In der Ferne sah man lange, schwarze Schatten sich in den Nachthimmel hinein recken. Es konnten Pappeln sein, vielleicht aber waren es auch Türme, und Jean Jacques kam seinem Ziele näher. Unter den senkrechten, schwarzen Streifen sah man bald andere erscheinen, die wagrecht verliefen, sich in stumpfen Winkeln schnitten, länger oder kürzer waren und mit solcher Unregelmäßigkeit durcheinander liefen, wie Furchen, die Hühnerfüße in ein frisch bereitetes Gartenbeet gezeichnet haben.

Jetzt fielen aus der Luft hernieder die Schläge einer Glocke und verkündeten die Stunde. Jean Jacques hätte wohl wissen mögen, wie weit die Nacht vorgerückt sei, aber er hatte zu spät angefangen zu zählen, und somit blieb ihm zur Orientierung in der Zeit nur ein gewisses Hungergefühl, das sich bei ihm bemerkbar machte und ihm einredete, daß es gegen Morgen gehe.

Bald darauf bog der Wagen in die winkligen Straßen einer Stadt. Die Räder schlugen auf dem holperigen Pflaster, und ihr Schreien und Stöhnen weckte hinter den geschlossenen Läden die verschlafenen Schoßhunde, die mit lautem Bellen gegen diese Störung ihrer Nachtruhe Protest erhoben.

Jean Jacques, das Pferd und der stille Reisende hinter ihnen kamen auf einen freien Platz, auf dem ein großes, ödes Gebäude stand. Die hohen Fenster, hinter deren Scheiben nirgends eine Gardine zu erblicken war, waren durch Eisenstangen vor Einbrechern und Dieben geschützt, obwohl das ganze Haus nichts enthielt, was die Habsucht eines Menschen hätte reizen können. Den gleichen Charakter der Abwehr gegen Eindringlinge trug auch die massive Tür aus schwarzgestrichenem Eichenholz mit den schweren Riegeln und dem Beschlag aus blankem Metall.

Ein Türklopfer oder Schellenzug war nirgends zu sehen; aber Jean Jacques mußte da hinein, und zwar während es noch dunkel war, wenn sich nicht um ihn und sein Frachtgut ein Volksauflauf bilden sollte.

Er nahm die Peitsche und schlug mit der Schnur nach den Fenstern. Lange ließ sich nichts hören. Endlich vernahm das Ohr des Horchenden den klappernden Tritt von Holzschuhen auf den Steinplatten des Ganges, und bald darauf fragte eine Stimme hinter der eisenbeschlagenen Pforte, was für ein Flegel sich zu solcher Stunde erlaube, ehrbare Menschen um ihre Nachtruhe zu bringen?

Jean Jacques, der sich gut einzuführen suchte, bekannte sich als Sohn seines Vaters, aber dies versöhnte den hinter dem Tor keineswegs, denn er brummte entsetzlich und stieß die wenig freundlichen Worte hervor: ›Nachdem ich nun den Ochs kenne, von dem Du abstammst, kann ich mir schon denken, was für ein Kalb ich da draußen finden werde.‹

Unsern Jean Jacques belustigte zunächst der Zorn des Mannes und während er drinnen den Schlüsselbund rasseln hörte und merkte, daß jemand nach dem Schlüsselloch tastete, rief er dem Ergrimmten zu: er möge sich eilen und die Tür öffnen, denn ihn verzehre hier draußen die Ungeduld zu sehen, welche Mißgeburt zum Vorschein käme.

›Großmäuliger Galgenvogel,‹ antwortete es von innen, ›hab Geduld, für Dich kommt sicher die Zeit, daß Du in dieses Haus eingehst und von uns mit dem Besen wieder hinausgekehrt wirst, nachdem Dich unsere Etudiants in ein Frikassee von Eselsfleisch zerschnitten haben werden.‹

Nach diesem Zwiegespräch öffnete sich die Tür mit Knarren und der Anatomiediener, ein kleiner buckliger Kahlkopf, stand dem Hünen Malleton gegenüber. Diese Konfrontation beim Zwielicht der neu erwachenden Sonne änderte plötzlich die Gemütsverfassung der beiden Männer. Jean Jacques brach beim Anblick der wütenden Mißgeburt in lautes Lachen aus, und der kleine, zornige Mann wurde kleiner, als er sah, wen er zu beschimpfen gewagt hatte, verteilte alle Freundlichkeit, deren seine vertrocknete Seele fähig war, über die Runzeln seines bartlosen Gesichtes und fing mit näselnder Stimme zu winseln an:

›Ach, Jean Jacques, junger Jean Jacques, wer hätte auch denken sollen, daß Ihr zu nachtschlafender Zeit vor meinem Hause Einlaß begehren würdet. Ach, guter Malleton, wie Ihr doch Eurem Großvater gleicht. Seht, ich kenne all die Malletons von Urzeiten her. Lauter rechtschaffene Männer, fleißig und geschickt im Handwerk. Ich kannte auch Eure Mutter, als sie noch ein junges Mädchen war und dazumal – wer kann dafür? – verliebt in mich. Ach! schöner Malleton, das Glück hat Euch wohlgewollt, seht mich an, habe ich nicht das Gesicht eines Affenpinschers? Ihr könntet heute mir ähnlich sehen, wenn ich weniger tugendfest war, und das wäre kein Vorteil für Euch bei jungen Mädchen, kein Vorteil ha, ha, ha, schöner Malleton! Doch sagt, was bringt Ihr für eine Last auf Eurem Karren?‹

›In der Tat eine Last,‹ sagte Jean Jacques, ›aber damit sie Euch nicht zu schwer wird und Ihr sie über die Stufen tragen könnt, habe ich sie in zwei Teile zerlegt. Hier,‹ sagte er, ›greift zu,‹ und er übergab dem Mißgestalteten den Kopf des Gerichteten.

Dieser warf den Sack mit dem blutigen Haupt über die Schulter, entfernte sich nach dem Hause, und aus dem dunklen Gang klang wieder das Klappern der Holzschuhe.

Nach kurzer Frist war er zurück und befühlte mißtrauisch prüfend den Inhalt des zweiten Sackes, der noch im Stroh verborgen lag.

›Ein schwerer Mann,‹ sagte er, ›sicher ein Metzger, ist es nicht so, Jean Jacques? Ja dieses Handwerk, es verdirbt den Charakter. Seht, es ist noch nicht lange her, da hatten wir gleichzeitig vier Metzger oben liegen, lauter Mörder. Ja das Arbeiten im Blute verroht die Menschen.‹

›Wenn sie nur nicht alle so gut genährt wären. In der Tat, wer unter der Last solcher Leute zu seufzen hat, der ißt ein schwer erworbenes Stück Brot.‹

›Guter Malleton, wenn Ihr wüßtet, wie viele Gefälligkeiten ich Euerm Vater erwiesen habe, ha, ha, ha, und gar Eurer Mutter, gewiß Ihr wäret mir wohl geneigt. Ihr werdet doch die Gefälligkeit haben, mir etwas tragen zu helfen?‹

Leider hatte er die Zuvorkommenheit des Jean Jacques gewaltig überschätzt. Dieser stellte sich auf die Absätze, steckte die Hände in die Hosentaschen und sagte trocken: ›Bis hierher habe ich ihn gebracht, seht zu, wie Ihr ihn weiter bringt.‹

Doch der Bucklige ließ sich nicht abspeisen, er hoffte noch immer, daß er den Widerspenstigen bereden könne, ihm beizustehen.

›Sehet Malleton,‹ sprach er in salbungsvollem Tone, ›wie ich ein Jüngling war in Euern Jahren, da konnte ich Berge versetzen und tat es gern, um einem andern Menschen gefällig zu sein, und Ihr wäret nicht einmal bereit, mir diesen Kadaver über die Treppe schleppen zu helfen? Nein, Jean Jacques, saget das nicht, Ihr müßtet kein Malleton sein, wenn Ihr nicht jedem Eure Arme liehet, der danach begehrt.‹

Jean Jacques schwieg und machte nur eine abwehrende Bewegung. Der Bucklige fuhr fort: ›Aber seht, Ihr sollt es nicht einmal umsonst tun, ich bin bereit, Euch meinen Tabaksbeutel zu leihen, damit Ihr Eure Pfeife stopfen könnt, und falls Ihr etwa das Kauen liebet, so soll es mir auf einen Mundvoll auch nicht ankommen.‹

Allein der junge Scharfrichter blieb taub und unerbittlich dem Sirenengesang dieser Versprechungen gegenüber und er bewegte nur sein Haupt zu einer verneinenden Geste.

Der Anatomiediener, der nun wohl die Überzeugung gewonnen haben mochte, daß man einen solchen Hecht nicht mit einem Köder aus Tabak fangen könne, hing das Silber eines Franken an die Angel.

›Und wenn ich nun bereit wäre, Eure Dienste fürstlich zu bezahlen, Jean Jacques, was dann?‹ Bei diesen Worten steckte er ein neues Frankenstück wie ein Monokel vor das rechte Auge und blinzelte mit dem grünen Stern des linken spitzbübisch flehend nach seinem Gegenüber.

Jean Jacques verstand die Andeutung und sagte dem Buckligen gerade heraus, daß er nun das Mittel gefunden habe, seinen Beistand zu erkaufen, allein er riet ihm, die Summe zu verfünffachen.

Als der Kleine dies hörte, schien es einen Augenblick, als ob er zu Marmor erstarrt wäre vor Schrecken und Bestürzung. Aber er erholte sich bald wieder, nieste ein paarmal und schien dann bersten zu wollen vor Lachen.

›Ha, ha, ha,‹ rief er aus, ›seht, so seid Ihr Malletons, so waren sie alle; immer aufgelegt zum Scherzen und andere zum besten zu halten. Aber Ihr möget Euch noch so hartherzig zeigen, Ihr könnt doch nicht leugnen, daß Ihr ein uneigennütziger Mensch seid, auf dessen Gewissen kein unrechtlich erworbenes Silber brennt.«

Jean Jacques fühlte, daß der Bucklige nun einen neuen Faden auf die Spindel genommen habe, an dem er das Garn der Unterhandlung fortspinnen könne, bis vielleicht der kommende Morgen einen Menschen vorüberführen würde, der ihm Rettung brächte aus der Verlegenheit; denn bereits lag ein heller Schimmer über dem Dachfirst der Häuser, und die berußten Schornsteine bliesen kräuselnde Rauchwolken in den lichten Schein des neuen Tages, zum Zeichen, daß die Menschheit am Erwachen sei.

Jean Jacques stieg mit entschlossenen Schritten auf seinen Wagen und machte eine Gebärde, als ob er den Sarg herabwerfen wolle, um dann, seiner Last ledig, davon zu fahren. Dieses Äußerste mußte der Anatomiediener zu verhindern suchen. Erschrocken sprang er herbei, breitete die Hände aus, als ob er den Toten mitsamt dem Gehäuse, in dem er lag, auffangen wolle, sah den Mann auf dem Wagen mit flehenden Blicken an und versprach bei Heller und Pfennig zu zahlen, was jener verlange.

Der Leichentransport vollzog sich jetzt in guter Ordnung, und bald lag der Körper des Gerichteten mit seinem Haupte notdürftig wieder vereint auf einem der Marmortische des Seziersaales, in Gesellschaft manches andern, der in den Kleidern gestorben war und doch, ausgezogen bis auf die Knochen, ins Grab ging.

Jean Jacques warf einen neugierigen Blick auf all die traurigen Trümmer von Gottes Ebenbild, aber all diese Dokumente entgleister Lebenswege machten keinen allzugroßen Eindruck auf ihn. Zu lebhaft beschäftigte ihn der Gedanke an seinen Trägerlohn und an die Wohltaten, die er mit dem verdienten Gelde seinem hungrigen Magen zu verschaffen vermochte.

In seiner ganzen Größe pflanzte er sich vor dem Buckligen auf und streckte diesem eine Hand entgegen, auf welcher das Hundertfache von dem, was er zu fordern hatte, bequem unterzubringen war. Allein, nachdem die Arbeit getan war, dachte der verwachsene Schelm nicht mehr daran, zu bezahlen. Er machte allerlei Ausflüchte und drohte, indem er eines der herumliegenden Messer ergriff, den Jean Jacques totzustechen.

Jetzt riß diesem die Geduld. Er faßte die boshafte Kreatur unter den Armen, hob sie auf, ließ sie eine Zeitlang mit den dünnen Beinen die Luft durchsäbeln und warf sie dann gegen ein Holzgestell, an welchem eine Anzahl Skelette aufgehängt war, die klappernd niederfielen und den Mann, der sie zu hüten hatte, unter einem Haufen von Ober- und Unterschenkeln, Vorder- und Oberarmen, Kopf- und Beckenknochen begruben.

Da lag er und regte sich nicht, auch dann nicht, als Jean Jacques ihn an einem Beine ergriff und aus dem Knochenragout hervorzog. Starr und ausdruckslos glotzten die weit geöffneten Augen ins Leere. Die Seele schien ihr gebrechliches Haus verlassen zu haben. Der Bucklige war tot. Er war so tot, wie eine gestorbene Raupe, so tot, wie Falstaff auf dem Schlachtfeld von Shrewsbury. ›Maske, Heinz, Maske!‹

Dem riesenstarken Malleton wurde es doch etwas unheimlich zumute, als er sah, was er angerichtet hatte. Zwar bedauerte er den Tod des Zwerges kaum mehr, als wenn er eine giftgeschwollene Kröte am Wege zertreten hätte, aber er fürchtete die Folgen seiner Tat; denn Jean Jacques war noch jung und liebte das Leben und die Freiheit über alles.

Mit großen Schritten durchmaß er den Saal, der auch für ihn jetzt etwas Unheimliches hatte, hörte das Echo seiner Tritte aus den Winkeln und Gewölben der Gänge rufen und erreichte sein Fuhrwerk. Er drehte sein Pferd, schwang sich auf den Wagen und sobald er vor dem Stadttore die Landstraße erreicht hatte, jagte er über die Ebene hin, daß der Staub wie ein graues Ungetüm sich unter dem Wagen wälzte und feurige Funken mit rotem Glanze aus den Hufeisen des Rosses sprühten.

Zu Hause angekommen, stellte er das Pferd in den Stall und von diesem Augenblick an galt Jean Jacques Malleton für seine Freunde ebenso, wie für seine Feinde, als verschollen.«

 


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