Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Ach, welch ein Auftritt im Vaterhaus! Da stand sie an der Stubentür. Ihre Hand hielt in einem kleinen Bündel ihre armselige Habe, das letzte, was sie aus dem Hause mitnehmen sollte, in dem sie geboren und erzogen war. Der letzte Brocken Brot, der ihren Hunger stillen konnte, das letzte Stückchen Leinwand, ihren zitternden Leib vor der Kälte zu schützen.

In der rechten Hand hielt sie bereits die Klinke. Ein Schritt über die Schwelle und sie trat aus gesicherten Verhältnissen hinaus ins Ungewisse, vom sicheren Strande in ein gebrechlich Schiff, mit dem der Sturm des Lebens spielen und es an den Klippen zerschellen wird.

Ihr letzter tränenfeuchter Blick ruhte auf dem harten Antlitz des Vaters, der wie ein Bild aus Stein gemeißelt unbeweglich dasaß und für sein Kind ein Fremder war. Sein Mund war fest geschlossen. Jeder Schimpf und Fluch, den je ein Vaterherz erdenken konnte, war in polternden Worten über diese Lippen gerollt und wie Messerstiche waren sie in ihr armes Herz gedrungen. Nun war er fertig, starr und schweigsam wie ein Vulkan, nachdem er die blühenden Gefilde um sich her verwüstet hat.

Die Mutter lag mit dem Antlitz auf dem Tisch und ihre Hände zerrten verzweifelt in dem ausgelösten Haar. In dem Kampf zwischen Kind und Vater stand sie auf der Seite ihrer Tochter, aber sie wagte es nicht, ein Wort der Bitte oder der Entschuldigung hervorzubringen.

Unter der Bank saß der Hund. Er hatte die Tochter in der Wiege gesehen, war ihren ersten unsicheren Tritten gefolgt, war mit dem ausgelassenen Mädchen über Stock und Stein gesprungen, hatte stolz an der blühenden Jungfrau heraufgesehen. Was war vorgefallen, daß der Bauer sie so schlecht behandelte? Er wußte es nicht, er fühlte, daß sie eine Verworfene sei, allein was kümmerten ihn die verschrobenen Ansichten der Menschen über Schuld und Sühne, er nahm die Partei der Gefallenen, erhob sich und pflanzte sich mit herausforderndem Blick neben ihr auf.

In der rauchgeschwärzten Ecke überm Tisch hing das Kreuzbild Gottes. Zu ihm warf die Verstoßene noch einen flehenden Blick und bat, daß Gott sich ihrer erbarmen möge, nicht ihrer selbst willen, sondern wegen eines Wesens, dessen Dasein sie ahnte und für das sie bereits Verpflichtungen fühlte. Dann trat sie über die Schwelle in den Flur.

Durch die Haustür drang der Widerschein der sinkenden Sonne, der an den eisbekrönten Zacken der Alpen sich fing und Himmel und Erde mit einem schillernden Farbenregen übergoß. Das grelle Licht blendete sie; Scham und Reue hatten sie erschüttert. Ihre Sinne versagten, in ihren Augen schwammen die Gegenstände verwirrt durcheinander; ihr Ohr füllte das brausende Getöse eines Wasserfalles, sie schwankte und unter der Dachtraufe des Vaterhauses brach sie ohnmächtig zusammen.

So fanden sie die Knechte, hoben sie auf und trugen sie heimlich durch die Hintertür hinauf in eine Kammer unter dem Strohdach. Die Mutter und eine jüngere Schwester nahmen sich ihrer an, pflegten sie und schickten nach dem Arzte in Rickenbach.

Heftige Krämpfe schüttelten tagelang ihren Körper, und wenn sie ruhiger wurde, sah sie mit stieren Blicken verständnislos nach ihrer Umgebung. Dann kamen wieder finstere Wolken, ballten sich zu ungeheuren Klumpen, wie die verschlungenen Leiber fabelhafter Drachengebilde, und aus dem wilden Durcheinander streckte sich zuweilen eine scharfe Kralle und wühlte in ihrem Eingeweide, zuweilen öffnete sich ein zähnestarrender Rachen und schnappte nach ihr. Dann wieder lag sie bergetief in einem Schacht und über sie herein wälzten sich riesenhafte Säcke mit weißen Federn gefüllt, drückten sie nicht, aber wie sie von den Füßen aufwärts rollend immer höher kamen, schnürten sie ihr die Brust zusammen und drohten sie zu ersticken. Dazu das unablässige Rauschen in den Ohren, als ob vom Mühlbach mit fortgetragen in schäumendem Strudel Taufende von Blechkästen sich über die Räder stürzten.

So ging es fort durch manche Nacht und manchen Tag, bis einst das Dunkel, das ihren Geist überschattete, dem neuen Licht der dämmernden Erkenntnis wich. Sie hatte sich im Bette aufgesetzt und betrachtete mit neugierigem Staunen die kleinen Säcke, die von dem Durchzug der Stube nach ihrem Bette niederhingen. Es waren alte Bekannte. Sie wußte, daß in den« einen die Mutter ihre Zwiebeln aufbewahrte, in dem anderen die Daunen ihrer Gänse. Sie sahen ganz harmlos aus, und sie mußte lachen, als sie sich erinnerte, in wie schrecklichen tausendköpfigen Gestalten sie ihr eben noch erschienen waren.

Aber was war denn das? Neben ihr im Bett lag ein Kind, und aus einem kleinen Spitzenhäubchen sah ihr ein doppelbärtiges, rotes Gesicht entgegen, und vor den Ärmeln einer gestrickten weißbaumwollenen Jacke lagen zwei drohende Fäuste. Sie war Mutter geworden ohne es zu wissen, und auch jetzt noch dauerte es einige Minuten, bis sie in ihrem Geiste die Fäden wieder knüpfte, die ihre Vergangenheit mit der Gegenwart verbanden. Tränenbäche rannen aus den Augen der Wöchnerin über die Hand ihrer Mutter nieder, die am Bette stand und ihren Arm um ihr Kind geschlungen hatte, während der Kummer von ihren Wangen in Tropfen niederfiel auf das Antlitz des Enkels.

Die Großmutter war weich und zum Verzeihen geneigt. Sie war, selber von gesunder Sinnlichkeit, dem Frühling des Lebens noch nicht so fern gerückt, daß sie vergessen konnte: »Auch ohne Feind hat Jugend inneren Kampf.« In ihr war die Mutter erwacht und damit der elementare Drang, ihre Nachkommenschaft zu verteidigen. Sie fühlte in sich die Kraft einer Löwin. Allein das Strohfeuer ihres Zornes erzeugte nicht jene stille nachhaltige Glut, aus der mit Hilfe der Arbeit der Erfolg geboren wird. Es sank bald in sich zusammen und der Gedanke, daß sie zum Willen des Vaters in Opposition kommen könne, verlöschte es ganz.

Dieser Mann, in dem die bäuerlichen Anschauungen ganzer Generationen verknöchert waren, fand die Schuld seiner Tochter weniger in dem Vergehen an sich, als in dem Komplizen ihres Verbrechens. Ein von den Vätern vererbter Bauernstolz setzte in seiner und der Vorstellung aller seiner Landsleute einen unüberbrückbaren Abgrund zwischen den alteingesessenen Hofbauer und den Handwerker; und diese schmutzige Schlucht, gefüllt mit der verächtlichen Nachrede der Übelwollenden eines ganzen Kirchspiels, hatte seine Tochter durchwatet einem Hergelaufenen zuliebe, dem kein Halm in den Tälern wuchs, kein Baum auf den Bergen, zu dessen Vorteil kein Stück Rindvieh kälberte und kein Esel den Rücken bog, der nichts sein Eigen nannte als das Ungeziefer, das – nach der Anschauung des Alten – den wenig appetitlichen Beruf hatte, ihn langsam aufzufressen. Was seine Tochter entehrte, war nicht das Vergehen an sich; – o dafür hatte der Bauer ein mildes Urteil, und er tröstete sich mit dem Gedanken, daß auch ein gutes Pferd ein Hufeisen verlieren kann, – es war der Widerspruch, in den sie sich durch ihre Liebe mit den alt hergebrachten Anschauungen der Bevölkerung gesetzt hatte. Der Schandfleck einer Mesalliance mußte von der Familie um jeden Preis fern gehalten werden, und da die Ehe de facto bereits vollzogen war, so blieb nur noch übrig, sie de forma zu verhindern, und dazu war er entschlossen, kostete es selbst das Leben seines Kindes.

Da er in die Gesinnungstüchtigkeit der Weiber kein so rechtes Vertrauen hatte und voraussah, daß seine Frau über kurz oder lang zugunsten der Gefallenen intervenieren werde, so erhob er sich von seinem Sitze hinter dem Tische, warf den Kopf ins Genick, so daß die Troddel seiner Zipfelmütze nach hinten überpendelte und machte sich, mit Knechten und Mägden handelnd, im Hof und Stall zu schaffen, so oft seine Ehehälfte ins Zimmer trat. Tagelang war er mit der Flinte im Arm durch die Furchen der Kartoffeläcker gestrichen, durch das Unterholz der Waldungen und wenn er kein Wild tot getreten hat, geschossen hat er keines. Er wollte die Zeit totschlagen, und wenn er am Abend sein Lager aufsuchte, so schlief er, oder er stellte sich, als ob er schliefe.

Die Mutter aber befleißigte sich in ihrem Vorgehen einer zuwartenden Taktik und nicht eher wagte sie einen Angriff, als bis sie sicher war, einen Erfolg zu erringen. Bald zeigte sich eine günstige Gelegenheit.

In seiner üblen Laune war der Hausherr gegen alles, was ihm in den Weg kam, von brutaler Rücksichtslosigkeit. Das Gesinde ging ihm aus dem Wege, der Hund hielt sich in respektvoller Entfernung von seinen, mit groben Nägeln beschlagenen Schuhen, und nur das Rindvieh mußte seiner Wut standhalten, weil es eben mit Ketten an die Krippe befestigt war. Mit grimmigem Mißfallen bemerkte der Ochse die Härte, mit welcher der Bauer gegen das Kleinvieh vorging, und wie er selbst die geduldige Mutter in der Nachbarschaft nicht schonte, und er schnaubte nach Rache.

Als nun eines Tages der Unhold sich in seinen Stand wagte, um das Futter in der Krippe aufzuschütteln, so tat der kluge Ochs, als ob er die erfreuliche Gegenwart seines Brotherrn nicht gemerkt hätte und ließ sich in nonchalanter Weise etwas auf die Seite fallen. Dabei quetschte er die ganze hagere Bauernfigur derartig gegen die Riegelwand, daß sie platt wurde wie ein Handtuch und wie ein leerer Sack lautlos in sich zusammensank. Dann neigte das gekränkte Tier das Haupt, hob den Gegenstand mit Grazie auf seine Hörner und ohne weiter zu überlegen, daß die Herrschaft des Menschen über die Tiere zu den von Gott gewollten Realitäten gehöre, warf es seinen Gebieter respektlos über die Scheidewand hinüber in den Futtergang. Da lag der Bauer denn nun eine Zeitlang und von all den kräftigen Muskelbündeln, die seinen Körper zusammensetzten, regte sich zunächst keine Faser.

Nach und nach kam dem Geprellten zum Bewußtsein, daß es so nicht weiter gehen könne und daß er etwas für sich tun müsse. Nun schnappte er wie ein Karpfen, den die Angel eines Fischers aufs Trockene geworfen hat, ein paarmal nach Luft und fing dann in der erbärmlichsten Weise, immer noch am Boden liegend, zu fluchen an. Der Ochse, der dies hörte, legte seinen ehrfurchtgebietenden Schädel auf die Holzverkleidung der Scheidewand und half ihm eine Zeitlang brüllen. Dann sah er seinen Herrn mit zwei Augen an, die deutlich verrieten, daß er sich Vorwürfe mache über die Unterlassungssünde, dieses Lästermaul nicht völlig zum Schweigen gebracht zu haben.

Das Geschrei lockte übrigens Leute herbei. Man wälzte den Verunglückten, der jeden inneren Halt verloren hatte und nur noch ein mit Knochen gefüllter Sack zu sein schien, auf eine Pferdedecke, faßte an den vier Zipfeln kräftig zu, trug ihn in die Stube auf sein weiches Lager und überließ ihn der Sorge seiner bekümmerten Gattin. – Während diese in entschuldbarer Verwirrung dem Verunglückten Leinöl auf die Lippen träufelte und ihm die Pulse mit altem Kirschwasser befeuchtete, rasten die Pferde mit dem Bernerwägelchen über Stock und Stein, den Doktor von Rickenbach zu holen.

Der hochgewachsene junge Mann stand auch bald tief gebeugt vor dem Bette des Kranken, aber weniger aus Kummer als des Umstandes halber, weil die niedere Decke ihm nicht gestattete, seine vollen zwei Meter Länge zur Entfaltung zu bringen. Er untersuchte den Kranken, gab eine beruhigende Erklärung ab und erkundigte sich, während er sich nach einem Stuhle umsah, über das, was man als Nothilfe angewendet hatte. Als er von der Hausfrau erfuhr, was geschehen sei, so billigte er zu deren großer Freude ihr geistvolles Verhalten und gewann sich im selben Augenblick auch das volle Vertrauen des Bauern, indem er an dem Heilverfahren die kleine Änderung anbrachte, daß das Kirschwasser lieber im Gesicht zur Anwendung kommen möchte und das Leinöl an den Handgelenken. Auch war er so gütig hinzuzufügen, daß man nicht ängstlich zu sein brauche, wenn von dem gebrannten Naß einiges in den Mund fließen sollte. Des weiteren empfahl er dann dem Verunglückten und seiner Umgebung noch die äußerste Ruhe und fügte bescheiden hinzu, daß es seinen Verordnungen mit Gottes Hilfe wohl gelingen werde, den Kranken wiederherzustellen. Dann suchte er seinen Stock, zwängte seine langen Finger in ein Paar schmutzige Handschuhe und verließ unter den ehrfurchtsvollen Blicken der sämtlichen Anwesenden getragenen Schrittes das Krankenzimmer.

In den nächsten Tagen lag der Bauer ruhig da und bewegte nur die Kaumuskeln, wenn die Bäuerin, was öfter vorkam, ihm allerlei Leckerbissen zwischen die Zähne schob. Das kluge Weib scheute nicht den weiten Umweg, der über den Herd durch den Magen zum Herzen des Mannes führt, um ihr Ziel zu erreichen: den Vater mit dem Kinde zu versöhnen. Mehr, als nötig war, schüttelte sie das Kopfkissen auf, ordnete mit dem Kamme das wirre Haar und säuberte die schwieligen Hände.

Als der Bauer eines Tages mit erschrockener Miene seinen Brustkorb betrachtete, auf den das unter die Haut ergossene Blut in wirrem Durcheinander allerlei Farbenkleckse geworfen hatte, so daß er aussah, wie die Palette eines Malers, so wußte sie ihm dies befremdliche Symptom als ein Zeichen der beginnenden Genesung zu deuten. Er wurde wieder ruhig und in seinem Herzen keimte die Hoffnung. Alle diese Aufmerksamkeiten seiner Pflegerin strich der Kranke mit Wohlgefallen ein, freute sich ihrer im stillen, und zuweilen hatte es sogar den Anschein, als ob aus seinen Augen ein Strahl der Dankbarkeit leuchtete.

Einen derartigen Moment benützte die Bäuerin, um ihr gepreßtes Herz durch einen Stoßseufzer zu erleichtern, der aus einem bergetiefen Abgrund von Menschenjammer und Elend heraufzusteigen schien. Der Bauer blickte durch die halbgeschlossenen Lider seine Frau fragend an, tat aber zunächst nichts, sondern wartete, ob das traurige Phänomen sich wiederholen würde. Als dies geschah, griff er nach der Hand seiner Frau und zog diese von den Augenhöhlen, wo sie seither geruht, hatte, nieder, wobei er fühlte, daß sie naß war. Dies rührte ihn und vom eigenen Leid empfindlich gemacht, weicher als man das von ihm gewohnt war, sagte er: »Ich weiß, was Dich drückt. Sei still, Bärbel, mit unserm Kind kommt die Sache ins reine, aber Strafe muß sein, sie muß wissen, daß sie gefehlt hat.«

Die Bäuerin wußte, daß vorläufig nicht mehr zu erreichen war und blieb schweigend noch eine Weile am Bette sitzen, bis die Uhr schlug. Jetzt fuhr sie auf, als ob es dieses Mahners bedurft hätte, sie an ihre Pflicht zu erinnern, drückte in eiliger Geschäftigkeit die sich bauschende Bettdecke an den Körper des Kranken und eilte in die Küche.

In dem Krankenzimmer unter dem Strohdach war die Genesung früher eingekehrt als in dem, das ebener Erde lag. Der Vater hörte, wie unter den leisen, verscheuchten Tritten seines Kindes über seinem Haupte die Dielen krachten und sah zuweilen Wassertropfen vor seinem Fenster zur Erde fallen. Er schloß daraus, daß die Kranke wenigstens zeitweise außer Bett sei und ihre Lieblinge, die dankbar blühenden Geranien am Fenster, nicht vergessen habe.

Ihr Verhältnis zur Natur war dasselbe geblieben wie vor ihrem Fall, ja es war vielleicht ein innigeres geworden, nur ihr Verhältnis zu den Menschen war verändert. Indem sie selber Mutter geworden, war das Abhängigkeitsverhältnis von ihren Eltern gelöst und indem sie selber eine Familie gründete, waren die zarten Bande durchschnitten, die sie an ihre Geschwister knüpften. Ihre Pflichten und Interessen lagen nicht mehr auf der gleichen Ebene, wie die der übrigen Hausbewohner, selbst solange sie noch unter dem gleichen Dache wohnte. Der Nachbarschaft und der Gemeinde war sie ein Gegenstand der Neugierde, vielleicht auch der Schadenfreude, bei dessen Anblick sich manche ihrer frommen Jugendfreundinnen im stillen gratulierte. Doch der harmlose Verkehr mit den Gespielinnen aus ihren Kinderjahren war zerstört, und selbst in der Kirche konnte ihr Platz nicht mehr in den Stühlen der Jungfrauen sein.

Alles, was sich die Tochter selber sagte, überlegte sich der Vater in seinem Bette und er wußte, daß es nur ein Ding gab, seinem Kinde wieder eine gesicherte Position zu verschaffen, und zwar die Ehe. Leider fiel es ihm nicht im Traume ein, daß der zukünftige Mann der Tochter der Vater ihres Kindes sein solle. Er kannte die toleranten Anschauungen seines Volksstammes in sittlicher Beziehung und er wußte, daß eine Gefallene, wenn sie nur über eine bemerkenswerte Mitgift verfügte oder eine schätzenswerte Arbeitskraft war, auf dem Markte der Bräute noch immer al pari gekauft werde.

Auch machte er seine Pläne nicht so ins Blaue hinein, sondern rechnete bereits mit ganz bestimmten Personen und Tatsachen.

Drüben über dem Murgtale, in der Luftlinie keine zwei Stunden entfernt, wohnte der Saufaus. Er hatte von seinem Vater ein schuldenfreies Gütchen geerbt und den Spitznamen, den jener sich durch die heroische Tat verdient hatte, daß er am Ostertage in frommer Versunkenheit den Abendmahlkelch, der für die ganze Gemeinde gefüllt war, in einem langen, inbrünstigen Zuge geleert hatte. Der junge Mann war seit einem Vierteljahr Witwer und da er sich eines Jochs Ochsen wegen gerade auf der Handelschaft befand, so benützte er die sehr gelegene Orientierungsreise in der Nachbarschaft, um sich nach einer Person umzusehen, die fähig und geneigt wäre, ihm die Heimgegangene zu ersetzen. Alle diese belangreichen Tatsachen waren durch einen Handelsmann zur Kenntnis des Batzefriedle gekommen, der mit diesen Realitäten zu rechnen wußte.

Als er wieder aus dem Bette war und auf kleinen Fußtouren in die Gemarkung erprobt hatte, was er seinem geschundenen Körper zumuten könne, nahm er eines Morgens den Weg zwischen die Beine, ohne daß er zu Hause irgendeine Andeutung hinterlassen hätte, was das Ziel seiner Wanderung sei. Seine Frau, die nicht ohne Befremden seine Vorkehrungen zur Reise beobachtet hatte, sah ihm nach und bemerkte, daß er in den buschigen Waldungen vor dem Harpolinger Schlosse verschwand.

Genau an der Stelle, wo er am Morgen untergegangen war, kam er am Abend wieder zum Vorschein und schwebte freundlich wie der Vollmond und in zielbewußter Majestät seinem Hofe entgegen. Er traf die Familie mit samt dem Gesinde bei der Abendmahlzeit um einen auf den Tisch geschütteten Haufen Kartoffeln versammelt, von dem eine Dampfwolke aufstieg, wie weiland vom Opfer Abels.

Die Barbara hatte die Abwesenheit des Vaters benutzt, um nach langer Pause zum ersten Male wieder ihren Platz an der Familientafel einzunehmen, an der sie aber scheu und verzagt, auf halbem Stuhle, wie eine Fremde saß.

Als der Vater so unvermutet zur Tür hereintrat, erhob sie sich erschrocken und machte Miene, sich schweigend zu entfernen. Er aber legte ihr die Hände auf beide Schultern und drückte sie nieder auf den Sitz. Für ihn war sie bereits nicht mehr das Kind, sondern die Frau eines andern, die er von jetzt ab als solche zu respektieren hatte. Dann setzte er sich auf den bequemen Lehnstuhl, aß mit gutem Appetit, war launig und aufgeräumt.

Nach Tisch entfernte sich das Gesinde in die Ställe, und in der Stube blieb nur der Bauer mit Weib und Kind. Die beiden letzteren blieben nicht ganz freiwillig auf ihren Plätzen, gehorchten vielmehr einem Winke, den ihnen der Herr mit der Pfeifenspitze gab. Eine Zeitlang herrschte eine ziemliche Verlegenheit in dem kleinen Kreise, aus dem Grunde, weil einerseits die Frauen ahnten, daß sich eine entscheidende Wendung vorbereite, und weil anderseits der Bauer die Einleitung zu dem, was er sagen wollte, offenbar nicht finden konnte.

Nachdem er sich nun eine geraume Weile in überlautem Räuspern geübt hatte, stieß er endlich das erlösende Wort hervor: »Mutter, der Ochs muß aus dem Stall!« und als ob er fürchtete, daß er die Fortsetzung seiner Rede vergessen oder aus der Konstruktion fallen könne, fügte er eilig hinzu, »aber auch die Barbara kann nicht mehr lange bei uns im Hause bleiben. Ihr Kind wird größer und soll nicht ohne Vater in der Welt herumlaufen. Ich war deshalb heute über Feld und hab mit dem Saufaus geredet, drüben überm Murgtal. Er will die Bärbel zu seiner Frau nehmen, will sich als Vater einschreiben lassen und den Ochs, nun, den nimmt er als Mitgift. Er kann ihn eher brauchen als ich, denn jung muß man sein, wenn man mit Weibern haushalten, oder mit störrigen Ochsen Pflügen will.« Damit beendete er seine Rede, eine der längsten, die er jemals im Leben gehalten hatte.

Mutter und Tochter merkten, daß sie jetzt in Gnaden entlassen waren. Sie versuchten keinerlei Entgegnung, denn sie wußten, daß der Wille des Vaters, wenn der Starrkopf sich einmal in eine Sache verbissen hatte, nicht zu beugen war. Sie verließen gemeinsam das Zimmer, die eine, um sich an die Arbeit in der Küche zu begeben, die andere, um in ihrer Kammer das Gesicht in die Kissen ihres Bettes zu vergraben und den Strom ihrer Tränen fließen zu lassen.

Das Mädchen dachte an ihr Zusammenleben mit einem Manne, der nicht der Erwählte ihres Herzens war; an die ermüdende Langeweile, an die Kälte und Gleichgültigkeit, die aus einem solchen Verhältnisse geboren werden mußten, und sie schauderte zusammen.

Aber der Gedanke an das eigene Unglück war nicht einmal der quälendste. Geburt und Erziehung hatten den Willen in ihr verkümmern lassen und sie fühlte auch, daß sie nicht die Kraft haben werde, an dem entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens sich dem Zwang zu entziehen, den die väterliche Autorität über ihr Handeln und Entschließen erlangt hatte. Weit mehr zerriß der Gedanke an ihr Kind das Mutterherz und die Vorstellung jener immerwährenden Lüge, die in ewiger Wiedergeburt weiter lebte, sobald das Kind denjenigen Vater nannte, der doch nichts weiter war, als der Mann seiner Mutter, peitschte alles, was in ihr an gesunden Vorstellungen lebte, zu wilder Empörung gegen das Joch, das man ihr aufzulegen im Begriffe war.

Ein konvulsivisches Schluchzen schüttelte ihren Körper, daß die Bettstelle erbebte, über die sie sich geworfen hatte, und in ihrer Verbleiung knirschten mit klirrendem Geräusch die Fensterscheiben, als ob sie protestieren wollten gegen die rohe Vergewaltigung eines Menschenherzens.

Die Mutter, die vielleicht eine Ahnung hatte von der Schwere des Kampfes, der zwischen kindlichem Gehorsam und Liebe in dem Herzen ihrer Tochter tobte, war ihr nachgeschlichen in die Kammer. Das weit vorspringende Strohdach verdeckte die niederen Fenster zur Hälfte und wehrte den Strahlen der untergehenden Sonne den Zutritt. Es war dunkel in dem Räume, dem das in den Kissen erstickte Schluchzen des Mädchens das düstere Gepräge eines Sterbezimmers verlieh. Und das war es auch, denn hier starb die Hoffnung auf Glück in einem schwergeprüften Menschenherzen.

Auf leisen Sohlen hatte sich die Mutter genähert und ihre Hand suchte tastend die Wange der Tochter. Erschrocken fuhr die Weinende unter der Berührung zusammen und wendete den Kopf nach rückwärts. Ihre weitgeöffneten Augen durchschweiften die Dunkelheit, um zu ergründen, wer da sei. Als sie die Mutter erkannte, schlug sie die Arme um ihren Nacken und zog sie nieder auf den Rand des Bettes. Da saßen sie denn, Wange an Wange gelehnt, und ihre Tränen flössen zu einem Strome zusammen, als ob ihre vereinte Kraft hinwegschwemmen könnte, was von Schmutz und Unrat sich auf ihren Lebensweg gelagert hatte.

Lange schwiegen sie, dann suchte die Mutter zu reden. Aber was konnte sie sagen? Nichts, was das Schicksal zu wenden vermochte und so begnügte sie sich mit einigen landläufigen Trivialitäten wie: »Du bekommst es gut. Habt Ihr nicht ein schönes Besitztum, um das Dich manche beneiden wird? Ist Dein Zukünftiger nicht geradegewachsen und gesund? Die Liebe, sie kommt. Sieh' mich an, zehn Tage vor der Hochzeit war mir Dein Vater noch ein Fremder und haben wir nicht gut zusammengelebt? Haben wir Euch nicht erzogen und sind wir nicht zu Vermögen gekommen?« »Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser.« »Ehre den Willen Deiner Eltern und der Herr wird Dir ein langes Leben schenken.«

Wir sind es der Reputation des Mädchens schuldig, hier zu bemerken, daß die guten Worte, die sich hier wie überall da einstellten, wo man der guten Tat ausweichen wollte, ihren Zweck verfehlten. Lassen wir die unglückliche Barbara und sehen wir nach dem Michael Hely.

 


 << zurück weiter >>