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Fünftes Kapitel

Öfters als er sie leibhaftig vorüberwallen sah, sah er sie im Geiste das kleine Haus mit dem Glanze ihrer Gegenwart erleuchten. Bald ging die bewegliche Gestalt mit elastischen Tritten über die knarrende Diele des Wohnzimmers, bald stand sie vor der Feuerstelle und die roten Flammen, die an dem rußigen Kessel hinaufleckten, übergossen ihr Antlitz mit Purpur und umrahmten es mit einem lichten Strahlenkranz, daß sie verklärt und unnahbar erschien wie eine Heilige. Dann wieder stieg sie in den Keller, und die Nacht da unten verschlang ihre ganze Figur bis auf ihr Gesicht, das er lächelnd, über der Finsternis schwebend, erblickte, wie die Seerose über der dunklen Tiefe des Wassers.

Aber er sah sie auch aus dem Speicher niedersteigen, sah ihren kleinen Schuh auf der Sprosse der Leiter und über diesem die feingedrechselten Knöchel, und diese kleinen Schäker erregten seine Phantasie, daß er an ihre Fortsetzung dachte, und eine trunkene Wonne durchrieselte mit Schauer und Wollust seinen ganzen Körper.

Wenn er Sorgen hatte, so wußte er, wem er sie klagen sollte; brauchte er Rat, so wandte er sich an ihr Schattenbild, und wenn er gefehlt hatte, so bestellte er sich eine kleine Gardinenpredigt. So lebte er in einer geradezu idealen Ehe, da er nur mit den guten Seiten seiner Geliebten verheiratet war.

Dieses Verhältnis hob seinen moralischen Wert über das hinaus, wie er sich seither selbst eingeschätzt hatte und gab seinem Dasein Ziel und Bedeutung. Er war nicht mehr der hergelaufene Stromer, der von der Hand in den Mund lebte, keine Zukunft hatte und im Straßengraben immer noch ein Plätzchen fand, auf dem er sterben konnte. Er hatte ein Wesen an sich gekettet, dem er wie ein Vogel im Weißdornhag ein Nest bauen mußte. Er wurde ernster und wenn er seine Harmonika hervorholte, so tat er es, um seine lyrische Seelenstimmung in Töne auszuhauchen. Er wurde fleißiger, und um seinem Ziele näher zu kommen, zog er die Stunden der Nacht zur Arbeit heran.

So hätte wohl die Glut ihrer Liebe im verborgenen weiterglimmen können, bis sie nach Jahr und Tag in der Ehe zur Flamme angefacht, den häuslichen Herd erwärmen durfte und zwei glückliche Menschen, die um seine Steine saßen, wenn nicht die Ungeduld der Jugend von dem Baume der Zeit die Frucht schüttelte, bevor sie noch reif war.

Eines Abends saßen in der Dämmerung beim Batzefriedle Vater und Mutter einander gegenüber und schwiegen sich in allen europäischen Sprachen gründlich aus über das, was ihre Herzen bewegte. Das Bärenweible aus Rickenbach war über Tages dagewesen und hatte gebeten, daß man die Barbara, die nun schon eine große Tochter sei, zu ihr ins Haus geben möchte, damit sie das Kochen lerne, und auch sehe, wie es in der Welt ausschaue. Längst schon hatten die Eltern diesen Moment vorausgesehen, denn es war in der ganzen Gegend Sitte, daß eine Familie der andern bei der Kindererziehung entgegenkam. Sie wurden dem Einfluß der häuslichen Verhältnisse entrückt, lernten die Gebräuche eines anderen Haushaltes kennen und mußten sich fügen unter den Willen eines Fremden. Der Gesichtskreis wurde so erweitert und Ecken und Kanten des Charakters wurden abgeschliffen.

Obwohl nun das Ersuchen des Bärenweible den Wünschen und Hoffnungen der Eltern entgegenkam, so hatten sie doch zunächst keine bindende Erklärung abgegeben. Eine zaudernde Unentschlossenheit liegt so sehr im Charakter dieses Volksstammes, daß ein Halbverhungerter eine Einladung zum Essen zunächst mit der Bemerkung abweisen wird, daß er über Gebühr gesättigt sei. Diese Erklärung hindert ihn übrigens keineswegs, sobald erst einmal etwas auf dem Tische steht, mit beiden Händen zuzulangen, und je nachdem, einen halben Schinken oder sonst eine kleine Vorspeise hinunterzuschlagen. So wußten auch jetzt die verehrlichen Eltern unserer schönen Barbara, daß sie zusagen würden, allein der Vater erwartete von der Mutter, daß sie um seine allerhöchste Genehmigung nachsuchen werde, und die Mutter ihrerseits war entschlossen, im Gegensatz zu ihrer innern Gesinnung, vorläufig nein zu sagen, damit sie ihr Ja als ein Abgedrungenes erscheine und damit sie späterhin jegliche Verantwortung von sich abweisen könne.

So herrschte denn in der niederen Stube immer noch ein banges Schweigen, das eine Schmeißfliege benützte, um sich hören zu lassen. Erst summte sie dem Bauer um den Kopf und versuchte, ihm in die Ohrlöcher zu kriechen. Als sie aber an dem stark behaarten Eingang Hindernisse fand, die sie nicht zu überwinden vermochte, stand sie von ihrem Vorhaben ab und ließ sich, eingehüllt in eine Wolke von Tabaksrauch, die der Bauer ihr nachsandte, auf der Nase der Bäuerin nieder. Diese schlug nach ihr und in ihrem Unmute sagte sie leise vor sich hin: »Ist das ein Aas!«

»Das mußt Du nicht sagen, Mutter. Ich weiß, daß Du von unserer Base, dem Bärenweible, nicht gut denkst. Etwas hart ist sie schon. Aber ein Aas, das ist sie nicht.«

Die Bäuerin war froh, daß ihr Mann den Ausdruck ihres Unwillens fälschlich auf die Person bezogen hatte, an die auch sie den ganzen Abend dachte und spann das begonnene Thema mit den Worten weiter: »Daß Du eine Schwäche für sie hast, weiß ich längst, und daß es Dir dort besser gefällt, als zu Hause, das weiß ich auch und ich hätte ja auch nichts dagegen gehabt, wenn Du statt mich zu heiraten, die geheiratet hättest, und wenn ich sterben würde, dann könnte ich's ja wohl erleben, daß Du sie dann nimmst und deshalb willst Du nun auch Deine Tochter hingeben, damit Du eine schickliche Gelegenheit findest, öfter hinzukommen.«

Nachdem sie so in direkter Rede eine Zeitlang fortgemacht hatte, ging sie zur indirekten Redeweise über und behauptete: »Es gebe Leute, die minder schweigsam und geduldig wären und die, an ihrer Stelle, nicht so zusehen würden und die schon wüßten, was sie zu tun hätten, aber sie wolle nichts sagen, sondern schweigen, so wie heute auch fernerhin und sie wolle den Leuten die Mäuler nicht aufreißen und wenn sie nicht gutwillig nachgeben wolle, zwingen könne sie niemand dazu, und verpflichtet wäre sie nicht, aber sie wolle nichts dagegen haben und alles dulden, was Gott über sie verhänge.«

Als sie soweit war, überwältigte sie das Mitleid, das sie mit sich selber hatte, und ihre Tränen kugelten wie Erbsen aus der geplatzten Schote in großen Tropfen und hurtig eine hinter der anderen die Wangen herunter.

Ohne jede Gemütsbewegung zog ihr gefühlloser Gemahl aus Leibeskräften an seiner Pfeife und stellte zu dem Regen, den seine Frau spendete, nachträglich die Wolken. Er kannte ihre Methode und wußte, daß sie alles, was sie von Herzen gerne durchzusetzen wünschte, so darzustellen beliebte, als ob es ein Opfer sei, das sie mit einem Teil ihres kostbaren Herzblutes bringe.

Für soviel Hingabe rechnete sie gelegentlich auf kleine Gegenkonzessionen und sie erreichte auch diesmal wieder einen Vorteil.

Der Batzefriedle rührte mit dem Zeigefinger seiner Rechten einen Augenblick in der Asche seines Pfeifenkopfes herum und sammelte seine Gedanken zu folgender Anrede: »Nun denn, da Du es doch einmal nicht anders haben willst, so bringen wir am nächsten Sonntag unsere Barbara zu dem Bärenweible nach Rickenbach. Aber das sag' ich Dir, in Deinem verschossenen Sonntagskleid gehst Du mir nicht mit. Morgen früh spannt der Knecht vor das Bernerwägelchen die Füchse und fährt Dich nach Säckingen hinunter zu der Nählisbeth. Du hast ja nichts anzuziehn.«

Als so der gute Mann die Bedürfnisfrage bejaht und die Mittel und Wege, wie dem Mangel abgeholfen werden könne, verständnisvoll angedeutet hatte, hellte sich im Antlitz seiner Frau der Himmel wieder auf und die letzten Tränenperlen sammelten sich in den Grübchen der Wangen, wo sie stehen blieben und allmählich austrockneten wie kleine Tümpel nach einem Gewitterregen.

Am kommenden Sonntag, lange vor dem Zusammenläuten, hielt vor der Wirtschaft zum Bären in Rickenbach ein Fuhrwerk, dem drei Personen entstiegen, der Batzefriedle nebst Frau und Tochter. Die Wirtin, eine kleine runde Person, lief geschäftig vor ihrem Hause auf und ab, begrüßte die Gäste und tat sehr erfreut über die Ehre, die ihrem Hause widerfahren sei. In knappen Worten befahl sie den Knechten, sich der Pferde anzunehmen, und half mit eigenen Händen den Mägden, einen eisenbeschlagenen Koffer vom Wagen heben, worin die Habseligkeiten ihres neuen Zöglings untergebracht waren.

Diesen selbst sah man noch am Nachmittag des gleichen Sonntags unter der Tür stehen. In ihren blank gewichsten kleinen Schuhen spiegelte sich die Sonne, und ihre Weiße Lappenschürze blähte sich über den Wunderwerken ihres blühenden Busens. Sie war verführerisch zum Anbeißen.

Dieser Ansicht schien vor allem der gemalte Bär zu sein, der auf dem Schilde über ihrem Haupte sich begehrlich die Schnauze leckte, dann aber auch der Michael Hely, der durch die Scheiben seines Häuschens beobachtete, was drüben vorging. Er beneidete den Meister Petz, der sich ungescheut in ihrer Nähe sehen lassen durfte und die Ranken des Geißblattes, die sorglos über ihrem Haupte im Winde spielten und sich in ihren blonden Locken festzukrallen suchten, während er sich ängstlich zurückhalten und sein Geheimnis vor aller Welt verbergen mußte.

In seinem Innern tobte ein furchtbarer Sturm und trieb die Wogen seiner Erregung gegen die konventionellen Dämme, die altes Herkommen und Vorurteil dem elementaren Drange des Herzens gesetzt haben, den man Liebe nennt. Ihm erschien es abgeschmackt und lächerlich, daß das Individuum nicht einmal das Recht haben solle, über seinen eigenen Körper zu verfügen, daß äußere Zufälligkeiten und das Wohl oder Übelwollen dritter darüber entscheiden, welches Aussehen und welche geistige Veranlagung die Kinder haben sollen, um deren Fortkommen sie sich dann, wenn sie einmal da sind, nicht mehr kümmern. Am liebsten hätte er es hinausgeschrien in alle Winde, daß dieses Mädchen dort unter der Tür durch freie Liebeswahl die seine sei, und daß er entschlossen sei, den Dolch in der Faust, mit Nägel und Zähnen seinen Besitz zu verteidigen, gegen jeden, der ihm denselben streitig zu machen versuchen sollte.

War die Welt nicht groß und weit? Konnte er nicht mit seinem Schatz von dannen ziehen und wo anders sein Haus hauen, wie das Schwalbenpaar, dessen Nest über dem Gesimse der Kirchentür man gestern beim Reinmachen zerstört hatte? Sollte die Welt so bettelarm sein, daß nicht vier kräftige Arme den Hunger von einer bescheidenen Hütte verjagen könnten?

So wie er das Mädchen jetzt vor sich stehen sah, steigerte sich die Begier, sie zu besitzen. Die Wochen, während derer er sie noch entbehren sollte, streckten sich zu Jahren, die Jahre zu Ewigkeiten und er nahm sich vor, mit der Angebeteten seines Herzens zu reden und ihr den Vorschlag zu machen, mit ihm zu fliehen.

Schon am gleichen Abend hätte er Gelegenheit gehabt, sein Anliegen vorzutragen, als er – sagen wir einmal zufällig – im Dunkel der Straße mit ihr zusammenstieß. Aber ach! In ihrer Gegenwart war er stumm, auch war die Zeit leider zu kurz, sich mit ihr auseinander zu setzen. Sie reichte ihm die Hand, die er heimlich drückte und sie erwiderte diese chiffrierte Depesche der Liebe durch ein Zeichen, das auf dem gleichen Draht andeutete, daß er verstanden sei. Dann huschte sie von dannen mit einer abwehrenden Gebärde, die ihm zu verstehen gab, daß er ihr nicht folgen dürfe.

Derartige kleine Gelegenheiten, bei denen die Liebenden zuweilen einen vielsagenden Blick, einen Händedruck oder gar ein paar freundliche Worte wechseln konnten, gab es im Laufe der Zeit noch mehrere und wir überlassen es der schöpferischen Phantasie unsrer geneigten Leserinnen, sich die Kulissen zu den kleinen Liebesszenen selber zu stellen, indem wir nur andeuten, daß der Weg nach der Mühle durch eine kleine Fichtenschonung führte, daß hinterm Berg eine Tante wohnte, und daß das Bärenweible öfters des abends müde war und, den Kopf gegen den Uhrkasten ihrer Stube gelehnt, sanft entschlummerte. Erde und Himmel schienen mit den Liebenden im Bunde zu sein. Die gefällige Lampe brannte trüber und der Kuppler Mond warf zuvorkommend den schwarzen Schatten einer Wolke über das Wiesental und über den Pfad, der von der Mühle nach dem Dorfe führte.

Öfterer Umgang mit der Gefahr vermindert die ursprüngliche Vorstellung von der Größe derselben und macht die Menschen dreister. So ereignete es sich schon einmal, daß das Mädchen, wenn es gerade Feuer unter den Herd legen mußte, kein Kienholz hatte. Dann sprang sie über die Straße in die Schreinerwerkstätte, ließ sich auf die Kniee nieder und raffte Hobelspäne in den weiten Bauch der Schürze.

Und wie sie nun so allein waren, er und sie, da faßte der Michael Hely Mut, griff mit der Hand unters Kinn des Mädchens und bog das schöne Oval ihres Gesichtes zurück. Sie hatte natürlich da unten mit den Hobelspänen alle Hände voll zu tun, und sie mußte in Gottes Namen da oben geschehen lassen, was geschah. Vielleicht auch vergaß sie im Augenblick zu widerstehen, und so geschah es, daß aus ihrem keuschen Schatze einige kostbare Kleinigkeiten geraubt wurden. Arme, unvorsichtige Barbara!

»Das schönste Mädchen ist verschwenderisch schon,
Wenn sie dem Monde ihren Reiz enthüllt!«

Mit der Zeit wurde der Widerstand, den sie seinem ungestümen Liebeswerben entgegensetzte, geringer. Sie gab, und jede neue Spende steigerte ihre Freigebigkeit, bis sie wie ein Verschwender auf dem Grunde ihres Reichtums angekommen war und nichts mehr zu vergeben hatte. Den sonnenhellen Faschingstagen der Liebe folgte ein grauer, trüber Aschermittwoch.

Denn es wurde aus dem Bärbelchen ein Gretchen

»Und alles, was sie dazu trieb,
Ach, war so hold, ach, war so lieb!«

 


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