Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel

Der Michael Hely traf alles so, wie er es gewünscht hatte, und die Ihleins Lisbeth, die vorm Fenster stand und durch die blinden Scheiben lugte, freute sich über den Empfang, der dem Knaben bereitet ward. Beim Scheine der Ampel gab der Junge der Mutter das Geld. Sie streichelte ihm dafür die Wangen, schnitt große Brotscheiben in einen Teller und übergoß sie mit Milch. Dann zog sie den Kasten unterm Bett hervor und ordnete, so gut es gehen wollte, die Lumpen, die sein Lager bildeten. Bevor er zur Ruhe ging, nahm er seiner Mutter das Versprechen ab, daß sie ihm am nächsten Morgen die sieben harten Taler noch einmal für eine Stunde überlassen solle. Als diese Forderung zugestanden war, legte der Knabe das Haupt auf die alten Kleiderfetzen und schlief ein. Als auch die Mutter schlafen ging, schob sie den Kasten unter die Bettlade und so war alles wieder an seinem alten Ort. Der Vater im Wirtshaus, die Mutter im Bett und das Kind auf seinen Lumpen und Hobelspänen.

Kaum hatte der Junge am nächsten Morgen ausgeschlafen, so eilte er mit seinen sieben Talern in die Barbierstube des Nägele. Dieser stand am Fenster, hatte den Streichriemen in einen Riegel eingehängt und zog eines seiner Messer ab. Als er hinter sich die Tür gehen hörte, drehte er sich um und schrie: »Oho, der Dorfteufel, na Du kannst Dich auf eine Tracht Prügel gefaßt machen, Du Landstreicher! Der Bürgermeister hat schon dem Polizeidiener Auftrag gegeben, daß er Dich, wenn Du wieder da wärest, und jener einmal wieder nüchtern wäre und nicht das Zittern hätte, auf das Rathaus brächte zum Empfange von fünfundzwanzig mit dem Haselstöckchen.«

Diese an sich wenig tröstliche Eröffnung machte übrigens auf den Dorfteufel nicht den geringsten Eindruck; denn er wußte, daß eher Weihnachten und Pfingsten auf einen Tag fallen könnten, als die angedeuteten zwei Möglichkeiten Wirklichkeit wurden. Ohne eine Aufforderung zum Platznehmen abzuwarten, setzte er sich lautlos auf die Bank neben der Tür, holte einen seiner sieben Taler heraus und klemmte ihn wie ein Monokel ins Auge. Hier überließ er ihn eine Zeitlang der Bewunderung seines Gönners und steckte ihn dann in die linke Tasche. So fuhr er fort, bis die ganze heilige Zahl die kleine Reise von der einen Seite über die Nase nach der anderen zurückgelegt hatte. Als er mit dieser Vorstellung zu Ende war, verließ er stumm, wie er gekommen, den Salon des Bartkünstlers und überließ diesen selbst einem sprachlosen Neide, der allmählich an seiner dürren Seele zu nagen begann.

Vor Ablauf einer Stunde besuchte der Knabe noch einige Häuser der Nachbarschaft und zeigte sein Geld. Er hatte das Bedürfnis, sich für die Verachtung zu rächen, die seine lieben Nebenmenschen ihm seither entgegengebracht hatten, und diese seine Absicht glaubte er am besten dadurch zu erreichen, daß er sie – wie er dies beim Nägele getan hatte – zwang, ihn zu beneiden.

So klopfte er zunächst an die Tür des Erbhannädel, den man auch das Wochenblättchen nannte. Diesem Mann schien der Weg zum Reichtum durch die Arbeit zu beschwerlich und deshalb hatte er sich vorgenommen, die Reinhard Somru, eine Königin von Siam, zu beerben. Seine Erbansprüche begründete er damit, daß der Bruder seines Großvaters, ein gewisser Reinhard, der nachgewiesenermaßen eine Zeitlang bei der französischen Fremdenlegion in Algier gedient hatte, von dort aber entwichen war, als der erlauchte Gemahl dieser siamesischen Majestät gestorben sei. Nach seiner mit vieler Beredsamkeit in Volksversammlungen und hinter dem Biertisch vorgetragenen Ansicht lag sein und seiner Verwandtschaft Erbrecht sonnenklar, und man brauchte bloß Geld, um einen Advokaten in Mannheim oder Darmstadt für den Fall zu interessieren. Seine Bemühungen, diese Summen aufzubringen, führten ihn die Woche über in die meisten Häuser des Kirchspiels, wobei er nebenbei einen kleinen Handel mit Rosenkränzen, Heiligenreliquien und die Vermittlung von allerlei Neuigkeiten betrieb. Dieser Mann mit dem ausgedehnten Bekanntenkreis war die geeignete Persönlichkeit, jeder Sache, die man geheim zu halten suchte, die weiteste Verbreitung zu vermitteln.

Als der Michael Hely in seine Stube trat, stand er vor seinem Tisch. Den Oberkörper verhüllte ein fadenscheiniger Sommerüberzieher und wo dieser nach unten abschnitt, bemerkte man ein Paar greulich behaarte Beine, als ob es ursprünglich im Schöpfungsplane gelegen hätte, daß der Erbhannädel ein Hund werden solle. Die Füße steckten in ausgetretenen »Pirmasensern«. Er sortierte gerade an seinen Rosenkränzen, die er an einem Drahtring nach der Farbe ordnete, weil er so am leichtesten sich merken konnte, wieviel Tage Ablaß er mitverkaufen wollte. Da waren braune Kränze mit Glasperlen und fünfhundert Tagen Ablaß, so daß einer durch das hundertmalige Abbeten eines solchen Rosenkranzes einen Nachlaß seiner Sündenstrafe auf beinah zwanzig Jahre hinaus für das Lausegeld von sechs Kreuzern erwerben konnte. Die grünen waren um die Hälfte billiger, aber freilich auch bei weitem nicht so wirksam.

Ganz in seine heilige Tätigkeit versunken, hatte der fromme Rosenkranzhändler nicht gemerkt, daß die Tür aufging, und erst als der Dorfteufel neben ihm stand und ihm zärtlich auf seine Hühneraugen trat, wurde er aufmerksam und blickte, während sich ein »Millionendonnerwetter« über seine Lippen wälzte, unter der Hornbrille nach seinem Pedal, wobei er des Knaben ansichtig wurde. Dieser wartete eine weitere Anrede nicht ab, sondern sagte kurz heraus: »Wieviel forderst Du für den Kasten Rosenkränze mit samt den Gebetbüchern und dem Konterfei all der lieben Heiligen?«

»Scher' Dich zum Teufel, Du Bettelbub, hättest Du Geld für Läusesalbe!« war die für die Eröffnung eines Handelsgeschäftes, dessen Gegenstand so überirdische Dinge waren, gewiß nicht allzu zeremoniöse Antwort.

»Gut, wenn Ihr nicht wollt, ein anderer tut's schon,« sprach der Knabe, ging mit resoluten Schritten nach der Tür und nahm die Klinke in die Hand. Dort drehte er sich um, griff in die Tasche, holte seine Taler heraus, die in seiner kleinen Hand keinen Platz hatten und zum Teil über die Diele rollten.

Als der Alte das Klingen des Geldes, das er seither nur in vorahnenden Träumen gehört hatte, nun in Wirklichkeit vernahm, geriet er in eine Art frommer Ekstase, die sein Gesicht mit einem Heiligenschein verklärte und seinen Körper, zum Glück für den Besitzstand des Knaben, in einen kataleptischen Zustand versetzte, der erst wieder von ihm wich, als der Junge sein Geld zusammengerafft hatte und verschwunden war.

Jetzt, wo die Reue zu spät kam, überfielen ihn Gewissensbisse, daß er so kurz angebunden war und der quälende Verdacht, daß die siamesische Erbschaft ohne sein Vorwissen bereits gehoben sein könne, folterte seine Seele. Er riß das Fenster auf, um das Kind zurückzurufen. Es war nicht mehr zu sehen.

Der Drang, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, steigerte die Verwirrung des Alten so, daß er aus seinem Warenvorrat Insektenpulver schnupfte und mit dem rechten Fuß in einen Milchhafen seiner Frau untertauchte und eine weiße Überschwemmung anrichtete, als er den Versuch machte, seine Stiefel anzuziehen.

Kaum war sein äußerer Mensch so weit geordnet, daß er ohne ein öffentliches Ärgernis zu erregen, die Straße betreten konnte, so überflutete er förmlich die Nachbarschaft. Fast gleichzeitig sah man ihn unter mehreren Haustüren verschwinden und wieder zum Vorschein kommen. Jeden Menschen, den er sah, redete er an, und wenn er zufällig niemand hatte, der seinen Auseinandersetzungen standhielt, so führte er das lebhafteste Selbstgespräch und in der Kurzsichtigkeit seines leiblichen und geistigen Auges stampfte er da ein Huhn in den Boden, dort eine junge Katze.

Da auch der Nägele, wo immer er mit Vorsicht, um seine Finger nicht zu beschmutzen, eine Nase beim Rasieren in die Höhe hob, dem dazu gehörigen Ohrenpaare die fabelhafte Kunde zuflüsterte, so verbreitete sich das Gerücht von den Reichtümern des Dorfteufels, wie eine Lawine im Fortschreiten sich immer vergrößernd, durch das Dorf und hypnotisierte alle, die davon hörten.

Die schnappige Margret erzählte dem Zigarrenstummel, einem Besenbinder: »Der Dorfteufel ist aus Amerika gekommen und hat siebenhundert Gulden mitgebracht, der Nägele hat's gesagt.« »Siebentausend,« verbesserte der Besenbinder, »soviel hat der Erbhannädel mit seinen eigenen Augen gesehen.« »Siebenzigtausend,« sagte der Stangefranz, der des Weges kam und alles wußte. »Das meiste hat seine Mutter im Bettstroh versteckt, damit man's nicht finden kann. Ein reicher Herr hat den Dorfteufel mitgenommen übers Wasser. So kam er in das Goldland, und stehlen kann er ja, das liegt ihm im Blut. Wie er reich war, ist er direkt von Mainz aus über Jerusalem nach Deutschland gefahren.«

So wurde alles, was über die vierwöchentliche Abwesenheit des Knaben Wahres und Falsches durchsickerte, zusammengetragen und mußte als Beweismaterial dienen, um damit die Sage von seinem Reichtum glaubhaft zu machen.

Der Michael Hely, der die Stimmung im Dorfe wohl kannte und sich über die Dummheit seiner lieben Mitbürger amüsierte, spielte den Hochmütigen, lief am hellen Werktag mit dem Sonntagsanzug in den Straßen herum und las die Blicke auf, die seinen mit klingenden Glasscherben gefüllten Hosentaschen galten, weil er längst das Geld an seine arme Mutter abgeliefert hatte.

So lebte er vierundzwanzig Stunden nach seiner Ankunft wieder in der gleichen Atmosphäre von Klatschsucht, Neid und Bosheit, die er vor vier Wochen verlassen hatte, die er einatmen mußte und gegen die er sich mit den Lufthieben kleiner Bosheiten wehrte.

Während in der Weise sich der Haufe des Volkes mit unserm Helden befaßte, beschäftigte die gleiche Persönlichkeit auch den hohen Magistrat. Man war in dieser erlauchten Körperschaft nach einem eingehenden Vortrage des Schusters Ranz zur Überzeugung gekommen, daß der Junge, indem er sich eigenmächtig über die hehre Errungenschaft des Schulzwanges hinwegsetzte, das Gesetz und alle die Organe, die berufen waren, ihm Achtung zu verschaffen, auf das gröblichste verletzt habe. Das Verbrechen verlangte eine Sühne, die man darin zu finden glaubte, daß man den Polizeidiener beauftragte und ermächtigte, im Betretungsfalle den Jungen exemplarisch durchzuhauen. Allein man wollte auch für die Zukunft sorgen und da man auch zur Besserung des Delinquenten etwas tun mußte, so beschloß man, ihn von seinen Eltern hinwegzunehmen und ihn, da er nun doch der Schule bald entwachsen sei, dem Stoffelsdick in die Lehre zu geben.

 


 << zurück weiter >>