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Siebentes Kapitel

Seitdem die Barbara ihres Zustandes halber aus dem Bärenwirtshaus hinweggegangen war, hatte der Michael Hely keine frohe Stunde mehr. Nur sein Körper weilte noch bei der Arbeit und in seinem Hause. Seine Gedanken waren im Krankenzimmer der Barbara und seine Blicke lagen wie der Sonnenschein unablässig auf der Straße, an deren fernem Ende der Doktorwagen zu erscheinen pflegte. Geschah dies, so eilte der Bursche nach dem Hofe hinüber und suchte nach einigen gelben Rüben, um damit dem Pferde, das ja im Dienste seiner Liebsten sich abmühte, eine Freude zu bereiten. Das Tier kannte ihn längst und streckte ihm schmeichelnd den Kopf aus der struppigen Mähne entgegen. Immer schien am Geschirr irgend etwas nicht in Ordnung zu sein, denn der Michael Hely drehte verlegen bald an der Kinnkette, bald rückte er am Kammdeckel. Seine Augen waren niedergeschlagen. Er wagte es nicht, aus dem Gesicht des Arztes die unheilvolle Auskunft herauszulesen. Dieser selbst wich einer Auseinandersetzung aus und eilte in Sprungschritten über Pfützen und Tümpel der Haustür zu.

Da wieherte eines Tages das Pferd lebhafter noch als sonst dem Michael Hely entgegen, und jetzt brach auch der Doktor das Schweigen.

»Hörst Du, was der Dir sagen will?«

»Ich hör' ihn wohl, doch es ist mir leid, daß ich ihn nicht verstehe, wenn's was Gutes ist, was er mir zu berichten hat.«

»Es ist was Gutes, aber warum wendest Du Dich nicht an mich, wenn Du Auskunft haben willst, wie's da drüben steht?«

»Ich wagte es nicht. Ich fürchtete, ein Wort von Euch könnte all mein Hoffen vernichten. Und dann die Leute, die da immer an den Fenstern stehen und uns beobachten, wenn Ihr einfahrt.«

»Nun, so will ich Dir ungefragt antworten: Die Barbara ist außer Gefahr.«

»Habt tausend Dank für diese Neuigkeit,« sagte der Michael Hely und wendete zum ersten Male seit vielen Tagen die tränenverschleierten Augen dem Arzte zu. Dieser fühlte, daß in dem Herzen des jungen Mannes jetzt etwas vorging, was er nicht stören durfte, deshalb schwieg er vorerst, aber er entfernte sich nicht und nestelte gleichfalls verlegen am Zaumzeug des Pferdes herum.

Nach einer Weile fuhr er plötzlich heraus:

»Auch der Alte hat seine Knochen wieder hübsch beieinander. Sein Körper ist geheilt, aber das Unglück hat seine Seele nicht gebessert.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Um die Sache kurz zu machen: Ich habe in Deiner Angelegenheit mit ihm geredet.«

»Ihr seid zu gütig, wie soll ich Euch das danken?«

»Danke, wenn man Dir etwas gegeben hat, aber hier ist keine Aussicht, daß Du je etwas erhältst. Der Alte ist widerhaariger denn je. Auch der Säuli und der Kälbeli haben für Dich ein gutes Wort eingelegt. Er bleibt dabei, daß aus der Hochzeit nichts werden kann.«

Im Auge des Michael Hely blitzte es zornig auf: »Nun, es geht auch ohne den Alten, wenn nur die Barbara ...«

»Ja, wenn nur die Barbara,« sagte nachdenklich der Arzt. »Wer kann auf Weiber bauen? Weißt Du, warum der Schreinerseppel zu sagen pflegt: ›Hunde sind besser als Weiber‹?

»Ich will Dir seine Geschichte erzählen, sie kann dem von Nutzen sein, der sie hört und darüber nachdenkt.

»Auch der Schreinersepp, so alt er jetzt aussieht, war einmal jung, jung wie Du, und er hatte einen Schatz liebesbedürftig und schön wie Deine Barbara.

»Und das Mädchen schien glücklich zu sein, wenn sie so neben ihrem Bräutigam herging, denn sie waren verlobt. Sie konnte ihrem Manne allerlei schöne Dinge in die Ehe einbringen, Äcker und Wiesen, Pferde und Rindvieh. Auch einen Hund hatte sie, der wedelnd das Pärchen umkreiste, und der jeden zornig anknurrte, der es wagte, die beiden scheel anzusehen, wenn sie ausgingen, die Felder zu besehen. Der Tag der Trauung war schon ganz nahe, und noch nadelwarm hing dem Schreinersepp der Hochzeitsanzug vom Durchzug hernieder in die Stube. Als der Morgen graute, der das Paar vereinigen sollte, schlüpfte der Sepp in seinen Hochzeitsrock und wartete, durchs Fenster blickend, auf seine Braut. Aber sie kam nicht. Sie war in der Nacht mit dem Jägerfranzel auf und davon gegangen. Nur der Hund kam und blieb, als ob er das Unrecht, das man dem Schreinerseppel angetan hatte, wieder gut machen wollte, bei ihm bis ans Ende seines Hundelebens. Der Seppel hat sich nicht umgebracht und andere auch nicht. Anfangs saß er mit seinem Hunde, jetzt sitzt er allein vor seiner Haustür, raucht Pfeife und sieht die Straße entlang, abwartend, wer eher kommen werde, der Sensenmann oder die ungetreue Braut.«

»Hunde sind besser als Weiber,« wiederholte noch einmal der Arzt und eilte ins Haus.

Das Mißgeschick des Schreinersepps hatte den Michael Hely nachdenklich gemacht, aber es erschütterte nicht den Glauben an sein Glück. Er wollte ringen um den Preis, deshalb verdoppelte er seine Arbeit, aber er öffnete doch auch dem Glück eine Tür mit frommen Dombaulosen und schwindelhaften Geldlotterien.

Wenn er am Abend müde und der Schleier der Nacht dicht genug war, um ihn zu verhüllen, dann schlich er um das Haus herum, das sein Liebstes barg. Der brave Hofhund war klug genug und schwieg zu dem, was vorging, obwohl er es merkte. So gelang es dem Vater, manchmal die Stimme seines weinenden Kindes zu hören, und in ihm erwachte das Pflichtbewußtsein, für das Unmündige zu sorgen,

Am nächsten Morgen wartete er auf den Hausierer von Säckingen, der keuchend unter seinem Bündel an seiner Werkstatt vorbeizugehen pflegte und rief ihn herein. Dieser mußte vor seinen Augen auf der Werkbank auskramen, was er an Kinderausstattung mit sich trug. Kleine Strümpfe mit bunten Ringeln lagen neben gestrickten allerliebsten Jäckchen, und weiße gehäkelte Häubchen mit Blumenmustern aus farbigen Perlen in Seidenpapier fein säuberlich verpackt, vollendeten die Garderobe so eines kleinen Weltbürgers. Dann suchte der Michael Hely die schmucksten Stücke heraus, feilschte mit dem Händler um den Preis und trug dem Verschmitzten auf, diese Prachtstücke seiner zukünftigen Schwiegermutter »in die Hälfte, um ein Dritteil des Wertes anzubieten. Wo die Bäuerin ein Geschäft zu machen glaubt, da ist sie Liebhaberin. Darauf baute er seinen Plan, der ihn nicht betrog. Zahlte er dann das Fehlende zu, so hatte er für sein Kind gesorgt und genoß die Freude, sich den kleinen Bengel in seiner schmucken Kleidung so prächtig vorstellen zu können, wie er nur je ein Kind, von feisten Ammen in kleinen Wägelchen gedrückt, durch die schattigen Anlagen reicher Städte kutschieren sah.

So war sein Dasein nicht ganz freudlos und wenigstens erträglich. Indessen hoffte er auf eine Aussöhnung mit dem Vater seiner Braut durch Vermittlung irgendeines einflußreichen Mannes, durch den Landesfürsten, durch einen Engel. Mein Gott, er war jung und glaubte an seine Zukunft und an den Schuldschein zum Glücke, den die Vorsehung jedem Kind in die Wiege gelegt zu haben scheint.

Aus den Träumen, mit denen er sich umgab, schreckte ihn ein Brief seiner Geliebten, den ihm der Hausierer zugesteckt hatte. Sie schrieb: »Gib die Hoffnung auf, daß wir uns je gehören können. Der Vater hat bereits für mich gewählt. O daß ich nie den Tag der Genesung gesehen hätte!«

Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen und er erkannte, daß er alles wagen müsse, wenn er nicht alles verlieren wollte.

So warf er sich denn in seinen Sonntagsanzug, nahm den Hut aus dem Schrank, den Stock in die Hand und wanderte erst durch das Wiesental, dann über eine kleine Bodenerhöhung dem Hofe entgegen. Unterwegs überlegte er sich, wie er sich am besten einführen könne, und was er zu seinen Gunsten vorbringen wolle. Daß er sich des einheimischen Dialektes bediene, erschien ihm deshalb vorteilhaft, weil er glaubte, dann weniger als Fremder oder – wie sich wohl der Bauer ausgedrückt haben würde – als ein Hergelaufener zu erscheinen. Dann wollte er darauf hinweisen, daß er gesund und fleißig sei, wollte daran anschließend Erfolge erwähnen, zu denen seine Tätigkeit ihm bereits verholfen. Auch daran dachte er, gelegentlich einfließen zu lassen, daß er ehrbarer Leute Kind wäre, denn er hoffte, daß alles, was von Mißachtung von seinen Eltern her auf ihn überkommen, ihm nicht auf so weite Entfernung gefolgt sei. Doch konnte er über diesen Punkt nicht schlüssig werden, denn er fühlte, daß die kleine Notlüge nicht so recht überzeugend über seine Lippen kommen würde. Von den glänzenden Aussichten, die ihm durch seine Losanteile in Braunschweig und Köln winkten, wollte er vorerst schweigen, denn er hoffte späterhin durch die vollendete Tatsache seine Frau, seine Schwiegereltern, kurzum alle Welt überraschen zu können.

Nachdem er sich alles so gut zurecht gelegt hatte, daß es aus ihn selber überzeugend wirkte, ging er mit leidlicher Sicherheit seinem Schicksal entgegen. Sobald er aber das Strohdach des Hofes in Sicht bekam, wurde er unruhig und sein Vertrauen schwand mit jedem Schritt, der ihn seinem Ziele näher brachte. Beim Betreten des Hofraumes merkte er wohl, daß sich vor der Scheune und den Ställen Menschen hin- und herbewegten, aber er erkannte sie nicht. Sein Blick haftete am Boden, und ein feuchter Schleier, der über seinen Augen lag, erzeugte auf seiner Netzhaut verschwommene Bilder, gespenstische Schatten, die seine durch die Ahnung eines nahen Unglücks gedrückte Seele nur noch mehr erschreckten.

Wie ein Blinder tastete er sich zuletzt mit den Füßen über die Schwelle des Hauses, fand die Stubentür und klopfte mit zitternder Hand an die morschen Bretter, in denen der Holzwurm nagte.

Von innen rief eine Stimme, die so mißtönig und ohrenzerreißend klang, als ob sie aus einer Gänsegurgel käme: »Herein!« Er folgte der Aufforderung und stand dem Vater seiner Geliebten, dem Großvater seines Kindes gegenüber.

»Grüaß Gott!« »Schön Dank!« waren die frommen Worte, mit denen die unselige Unterredung begann.

Jetzt trat eine lange Verlegenheitspause ein, während welcher der Bauer seinen Besuch, den er nicht sogleich erkannt hatte, mit mißtrauischen Blicken musterte.

Vergebens besann sich der Michael Hely auf den Anfang feiner wohleinstudierten Rede. Er hatte alles vergessen, und wenn ihn jemand nach seinem Vornamen gefragt hätte, so hätte er auch den nicht zu sagen gewußt.

In seiner grenzenlosen Verlegenheit platzte er endlich heraus:

»Wie hent mer's jetzt auch mit seller Geschicht?«

»Höh, bi Gott, mit weller Geschicht?« rief der Bauer.

»Höh, mit der Heirat von der Barbara.«

»Gohts dar Weg!« brüllte der Unmensch und fuhr von seinem Sitze empor, als ob ihn eine Natter gestochen hätte. Der Stern seiner Augen floh nach oben, und zwischen den Lidern zeigte sich nur ein weißes Oval, das unheimlich und kalt aussah, als ob es aus dem Kopfe einer antiken Statue genommen wäre. Haupt- und Barthaar sträubte sich wild, ein schmutziger Rahmen um die von Zorn und Haß entstellten Gesichtszüge. Der ganze Mann sah aus, als ob er aus der Tobzelle eines Irrenhauses entsprungen wäre. Unfähig, sein Handeln der Vernunft unterzuordnen, griff er nach einem schweren Schemel, der auf vier kurzen Beinen wie eine giftgeschwollene Kröte vor dem Tische lag, hob ihn vom Boden und ließ ihn mit der ganzen Wucht seines nervigen Armes niedersausen auf den Schädel des ungebetenen Freiers.

Dieser schwankte. Aber er kam nicht zum Fallen. Der Bauer hatte seine schwieligen Finger wie Raubtierkrallen um den Nacken seines Opfers geschlagen, schob den Ohnmächtigen zur Tür hinaus, schleifte ihn über den Hof und warf ihn in den Schmutz des tiefgeleisigen Feldweges, der an seiner Wohnung vorüberzog. Mit einem Fußtritt verabschiedete er sich von dem Mißhandelten.

Es dauerte lange, bis der Michael Hely sein Denken soweit geordnet hatte, um einzusehen, daß er auf freiem Felde nicht liegen bleiben könne. So erhob er sich denn und lief eine Strecke geradeaus, bis er merkte, daß die Richtung seines Weges eine falsche sei. Er kehrte um, kam nochmals an dem Hofe vorüber, ohne etwas anderes zu empfinden als einen heftigen Kopfschmerz und eine unendliche Kraftlosigkeit der schwankenden Beine, die das Gewicht des Oberkörpers kaum zu tragen vermochten. In seinem Gehirn herrschte eine sonderbare Verwirrung der Erinnerungsbilder, die unmittelbare Vergangenheit schien ausgelöscht, zeitliche und örtliche Verhältnisse deutete er falsch, er kam sich vor wie ein Kind und ungeheuere Schafherden wimmelten vor seinen Augen. So kam er unter vielem schwerfälligen Niedersetzen und mühseligem Wiederaufstehen zu Hause an und fiel wie ein Stück Holz in seiner einsamen Stube auf sein kaltes Bett nieder.

Das Bärenweible hatte ihn fortgehen sehen und erriet aus seinem Anzug und der Feierlichkeit seines Ganges mit der den Frauen eigenen Kombinationsgabe seine Absicht. Unruhig hatte sie über tags, wo immer ein Fenster den Ausblick auf die Straße gestattete, den Weg entlang gesehen, ob und in welcher Verfassung er heimkehren würde. Als sie sein todbleiches Gesicht sah und die Arme, die an seinem Körper niederhingen und durch ihr Gewicht die Schultern nach sich zogen, erschrak sie heftig. So stark hatte sie sich die Einwirkung auch des tiefsten Herzeleids auf den Körper nicht gedacht, und daß dieser Zustand die Folge körperlicher Mißhandlung sein könne, kam ihr zunächst nicht in den Sinn. Sie hoffte, daß der Liebeskranke vielleicht bei ihr vorsprechen und Trost suchen würde.

Als er dies nicht tat, wartete sie, ob er ihr vielleicht vom Fenster aus ein Zeichen gebe, daß sie kommen solle. Doch auch dies geschah nicht, und so band sie resolut eine frische Schürze um, strich im Gehen die Haare aus dem Gesicht und trat in das Zimmer des Michael Hely.

Da lag er in seinem beschmutzten Sonntagsstaat auf der Bettdecke, lächelte zuweilen blöde und murmelte Worte, die sie nicht entziffern konnte. Sie lief zum Arzte und brachte ihn gleich mit.

Der erfahrene Praktiker befühlte den Schädel des Kranken und als er unter den Haaren eine fluktuierende teigig-weiche Stelle fand, war ihm klar, was vorgegangen war. Nach einigen Stunden schon wußte das ganze Kirchspiel soviel wie der Arzt, und wie ein Lauffeuer eilte die Kunde von Hof zu Hof, von Dorf zu Dorf, daß der Batzefriedle dem Michael Hely den Schädel eingeschlagen habe.

Ganz so schlimm war's nun nicht. Der Doktor tat seine Schuldigkeit, das Bärenweible pflegte den Verletzten, so gut sie nur konnte. Der Säuli, der Kälbeli und der Schreinersepp kamen mit allerlei Speisen und kräftigen Tränklein und so war der Kranke bald soweit genesen, daß er auf Stunden das Bett verlassen konnte. Zunächst saß er im warmen Sonnenschein auf der Bank vor seinem Häuschen und zeichnete mit seinem Stocke allerlei Figuren in den Sand. Und wenn er sich die Sachen betrachtete, waren es kleine Kinderschuhe, ungelenke, hölzerne Pferde, wie man sie auf den Jahrmärkten kauft, zottige Hunde, die auf einem kleinen Kästchen saßen und bellen konnten, wenn man auf den Deckel drückte, Hampelmänner und anderes Spielzeug für Kinder. In seinem Denken und Fühlen lebte er immer zusammen mit denen, die er vor sich selber die Seinen nannte und an deren definitiven Verlust er nicht glauben konnte.

So saß er eines Abends in seine lieben Träume verloren, als der Hausierer von Säckingen sich ihm näherte, und ihm mitteilte, was die Spatzen von den Dächern pfiffen, was der Wind durch jedes Schlüsselloch flüsterte, was alle Welt wußte, nur der nicht, für den es eine so furchtbare Bedeutung hatte. Die Barbara war von dem Hause ihres Vaters fort, niemand wußte, wo sie war. Die Vorbereitungen zur Trauung wurden beschleunigt; von der Kanzel herunter hatte der Pfarrer das Aufgebot verkündigt. Der Tag der Hochzeit war bestimmt.

 


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