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Fünfzehntes Kapitel

Obwohl es für den Tag, um den es sich hier handelte, eine ausgemachte Sache war, daß das Licht der Finsternis weichen müsse, so goß doch die scheidende Sonne noch ebensoviel Helle über das Gewand der Nacht, daß dessen Saum beleuchtet war. So gelang es dem Knaben im Halbdunkel noch eine Zeitlang durch die Straßen Schwetzingens zu streichen und nach seinen Genossen zu suchen. Er lugte in alle Höfe hinein und fragte wohl auch einen oder den anderen der Vorübergehenden, den er seinem Aussehen nach für einen Biedermann hielt, nach dem Verbleib der Ihleins Lisbeth und der Weiblein aus dem Grafenlande mit den perlengestickten Pfauenhäubchen. Niemand konnte ihm Auskunft geben, aber er verzagte nicht, und wenn heute seine Streife kein befriedigendes Resultat erzielen sollte, so wollte er im Schutze irgendeiner überhängenden Mauer übernachten und morgen unverdrossen seine Nachforschungen auf die benachbarten Dörfer ausdehnen.

Schon ward es stille auf den Gassen, man hörte, wie die Riegel der Hoftore vorgeschoben wurden, sah die Lichter hinter den Vorhängen eines nach dem andern erlöschen. Nur aus den Fenstern der hie und da zerstreuten Wirtschaften kam noch ein heller Schein und aus den Türen zuweilen ein später Fußgänger, der unsichern Schrittes den Weg nach seiner Wohnung suchte.

Der Knabe hatte sich auf der Kirchentreppe niedergesetzt, den Rücken gegen die schwere Eichentür gelehnt und sah hinaus ins unermeßliche Dunkel des Himmelszeltes, von dem die flimmernden Sterne auf ihn niederschauten. Er war müde, sehr müde. Und doch konnte er nicht schlafen. Kleine Fliegen, die unselige Brut stagnierender Wasser, umschwärmten ihn und gleichzeitig mit ihrer lästigen Wesenheit drängten sie ihm wieder und wieder die Frage ins Ohr: »Wo ist denn sie, wo ist denn sie?« Ja wenn er das gewußt hätte, dann wäre es ihm leichter gewesen. War es nicht zum Tollwerden, daß diese zudringlichen Plagegeister ihn, den Armen, Verlassenen, nun noch so grausam verhöhnten? Ach wenn er doch schlafen könnte! Er hatte nur den einen Wunsch, die Welt zu vergessen und nicht mehr zu leiden.

Mitten hinein in die Melancholie dieser Seelenstimmung schlug ein Gesang, der von Engelschören zu kommen schien, dessen Weise und Rhythmus gar bekannt auf sein Trommelfell auffielen. Jetzt strengte er alle seine Sinne aufs äußerste an und unterschied deutlich die Worte: »Wir ziehen zur Mutter der Gnade«. Rasch erhob er sich und ging der Richtung des Gesanges nach.

Durch die Ritzen eines Hoftores sah er auf die erleuchtete Tenne einer offenen Scheune und erkannte Gestalten, die da auf dem Boden unter Hopfenranken sitzend aussahen, als ob sie aus dem Hofgesinde des Gambrinus wären. Er brauchte nicht allzulange zu suchen, bis er seine Freundin gefunden hatte, und so öffnete er das kleine Gehpförtchen und trat in den Hof. Als er aus dem Dunkel der Nacht plötzlich in den Schein der Laterne trat, die vom Gebälke niederhing, da erfaßte ein jäher Schreck wie vor einer überirdischen Erscheinung alle diejenigen, die ihn sahen und er tat wohl daran, daß er mit den Worten: »Da bin ich wieder und der Besitzer der Nagelmühle hat mich zum besten gehabt,« seine Freunde von der Leibhaftigkeit seiner Gegenwart überzeugte. Zuerst erhob sich die Ihleins Lisbeth. Während sie mit der Rechten sanft seine Schulter umfaßte, griff sie mit der Linken unter die Binde seines Hemdekragens und fühlte nach dem Bilde der Muttergottes von Dettelbach. Als sie es da vorfand, wo sie es vermutete, war sie beruhigt und sagte nur: »Es hat so sein sollen, wer weiß, wozu es gut ist.« Dann ging sie mit ihm in die Küche des Bauernhauses. Der Magd, die sie hier mit Spülen beschäftigt vorfand, trug sie auf, die Kohlen anzufachen und dem Neuangekommenen eine warme Milchsuppe zu bereiten. Als der Knabe, der seit zwei Tagen auf der Landstraße von gefallenem Obst und erbetteltem Brot lebte, diese gegessen hatte, brachte sie ihn in ein Knechtbett, das im Futtergang des Stalles stand. Bald war alles dunkel um ihn und still und man hörte nichts mehr als das gelegentliche Stampfen eines Pferdes oder das mahlende Geräusch der wiederkäuenden Kühe.

Sobald der Tag graute, ging es in die Hopfengärten. Kräftige Männer zerrten die geschälten Fichtenstämme aus der Erde und legten sie, die wie Thyrsosstäbe mit Laub- und Hopfenblüten umwickelt waren, auf die Erde. Dann kamen Kinder oder auch Erwachsene, lösten die zähen Spiralen los und schickten sie in die Scheunen zu den Hopfenzupfern, wo jede Blüte mit einem scharfen Blechnagel, der am Daumen der rechten Hand befestigt war, am Stiele durchschnitten und in Körben gesammelt wurde. Jeder hatte eine Arbeit, wie sie seiner Leistungsfähigkeit entsprach; keiner seufzte unter seiner Last und so herrschte im Feld draußen unter den grünen Laubgängen und zu Hause auf der Tenne eine zur Ausgelassenheit neigende Fröhlichkeit, der man bald durch das Absingen eines Liedes, bald durch allerlei kleine Neckereien ein Ventil öffnen mußte.

Bei den Mahlzeiten fanden sich alle Arbeiter zusammen im Wohnzimmer der Herrschaft. An dem mit einem bunten Wachstuch überkleideten Tisch standen die Stühle und vor jedem ein Teller mit Löffel, Messer und Gabel. Das war ein unerhörter Aufwand für unsern Hely, der von Hause aus gewohnt war, aus der Schüssel zu essen und dann noch warten mußte, bis zunächst der Vater und dann die Mutter gesättigt waren und den einzigen Löffel, der sich im Inventar der Familie vorfand, beiseite legten, resp. ihm zur gefälligen Benützung überließen. Im stillen pries er sein Glück, weil es ihn hierher geführt und nicht nach Amerika, das er sich nun einmal ohne kinderfressende Rothäute, Krokodile und Nashörner nicht recht vorstellen konnte.

Wenn am Abend die Feldarbeit eingestellt werden mußte, fanden sich alle auf der Tenne zusammen und wühlten sich in den duftenden Hopfensegen, so daß kaum mehr von ihnen herausguckte, als der Kopf und die unermüdlichen Hände. Die rotqualmenden Laternen, die aus dem weiten, leeren Raume des Gebälkes herniederhingen, als ob man einen Nagel in die dicke Finsternis über ihnen geschlagen und sie daran aufgehängt, warfen spielende Schatten von Personen und Dingen an die Wände und erzeugten so in den Gemütern eine Ahnung des Übersinnlichen, Metaphysischen, die zur Erzählung von Geistergeschichten förmlich herausforderte. Da glänzte das Erzählertalent der Weiblein aus dem Grafenland, die in dunkler Nacht bei Beerfelden an dem Galgen vorbeimußten und die mit leibhaftigen Augen gesehen hatten, daß die drei steinernen Säulen von innen heraus glühten wie geschmolzenes Eisen, so daß man oben die drei Querbalken sah und die kleinen eisernen Kettchen, die von diesen so menschenmörderisch herniederhingen.

Da wurde die Geschichte zum besten gegeben von dem dreibeinigen Hasen, der in Möngelbach heraussprang, sobald die Gölzebäuerin den Schmutz der Stube über die Schwelle kehren wollte. Ja und die Geschichte war gewiß nicht verlogen. Die Annakathrin meldete sich als Zeuge, sie hatte dort gedient und wenn sie auch nicht behauptete, daß sie den Hasen erblickt, so setzte sie doch ihrer Seele Seligkeit dafür zum Pfande ein, daß sie den Dreck gesehen habe.

Nichts aber fesselte all die Hörer so, als wenn die Mauererbettche von Falkengesäß die traurige Geschichte erzählte, wie ihr seliger Mann um seine Leichenrede gekommen war.

»Ja, er war tot,« so fing es an, »und ich nahm die zwei harten Taler aus dem Wandschrank und ging traurig nach dem Pfarrdorf. Nicht genug, daß ich meinen Mann verloren hatte, nun sollte ich auch das Geld noch einbüßen. Der Verstorbene hatte bestimmt, daß es zu einer Leichenrede für ihn verwendet werde. Was wollte ich machen?

»Als ich ins Pfarrhaus kam, hieß es: Der alte Herr sei krank und fort in einem Bad, aber man werde den Herrn Kaplan rufen. Da hab' ich mir schon nichts Gutes vorgestellt. Kaum, daß sie zur Not Messelesen und Kinder taufen können, da werden sie hinausgeschickt unter die Bauern, damit sie auch das Predigen lernen und wenn sie das können, dann kommen sie wieder fort in die Stadt.

»Nun, er kam. In seiner schwarzen Soutane sah er so lang und hager aus wie ein Uhrkasten und er war so kurzsichtig, daß er mich trotz seiner Brille nicht sah und nur von oben herunter fragte, ob jemand da sei?

»›Ich,‹ sagte ich, ›Hochwürden!‹ Da fragt er auch noch so überzwerg, wer der Ich sei?

»Die Mauererbettche von Falkengesäß und ich will die Leich von meinem Manne ansagen und eine schöne Grabred für ihn bestellen. Aufs Geld kommt's nicht an, sie darf bis zu zwei Taler kosten.«

»›Schön,‹ sagte er, ›gute Frau‹ und er drückte mich auf einen Stuhl nieder und setzte sich mir gegenüber.

»›Aber Sie verzeihen,‹ fuhr er fort, ›ich bin noch so kurz hier, ich habe den Seligen nicht gekannt. Sie müssen mir einige Fragen, die das Leben Ihres Mannes betreffen, wahrheitsgetreu beantworten.‹

»›Verzeihen,‹ sag' ich, ›nein Verzeihen, das tu ich nicht. Verzeihen und Lossprechen das ist Ihr Geschäft, aber Antwort will ich Ihnen geben auf jede Frage.‹

»›Nun gut; so sagen Sie mir doch: hat Ihr Mann ein gottgefälliges Leben geführt?‹

»›Ja, ein Leben hat er geführt und was für eines, aber ob es gerade immer dem lieben Gott gefallen hat, das weiß ich nicht‹

»›Ist er fleißig zur Kirche gegangen?‹

»›Ja, von daheim fortgegangen ist er jeden Sonntag, ob er aber jedesmal in die Kirche gekommen ist, das weiß ich nicht, es stehen so viele Wirtshäuser am Wege.‹

»›War Ihr Mann ein Trinker? Sie müssen mich einen Blick tun lassen in sein Inneres.‹

»›Ob er ein Trinker war? Wie können Sie so fragen? Sie wissen doch, daß er ein Maurer war und die sind außen dreckig und innen feucht. Weiter kenne ich sein Inneres auch nicht.‹

»›Was hat er getrunken?‹

»›Alles was flüssig war.‹

»›Wie war denn Ihr Eheleben,‹ fuhr er fort. ›Sind sie gut zusammen ausgekommen?‹

»›Danke der Nachfrag, recht gut, Hochwürden. Nur die Kleider müssen manchmal ausgeklopft werden. Den Weibern gehören von Zeit zu Zeit Schläge, das ist einmal nicht anders.‹

»Jetzt fing das Herrle an ungeduldig zu werden und meinte: Ob ich ihn zum besten halten wolle? Aus diesen Angaben könne er keine Predigt zusammenstellen.

»›Daraus können Sie keine Predigt machen? Na, dann bedauere ich, daß der Herr Pfarrer nicht da ist, zwei hätte der daraus gemacht. Übrigens, Sie brauchen ja von meinem Mann gar nicht zu reden. Reden Sie von mir, ich hab' ihn gewaschen und gepflegt, geputzt und gefegt. Das können Sie alles sagen, daß dieses die Leute hören und Sie können darüber sogar den Doktor fragen, der ist jeden Tag ins Haus gekommen.‹

»›Herr, steh mir bei,‹ seufzt er auf einmal, faltet die Hände und schlägt die Augen gen Himmel auf, daß ich denke, er will ausbleiben. Dann aber faßt er sich wieder und indem er seine Brillengläser putzt, fragt er: ›Wie ist Ihr Mann gestorben?‹

»›Im Frieden ist er eingeschlafen. Nur hat er kurz vor seinem Ende noch geröstete Kartoffel essen und Bier dazu trinken wollen und weil ich ihm das nicht gegeben hab', erstens weil's nicht miteinander harmoniert und zweitens, weil's der Doktor verboten hatte, da hat er mit seinem Bein selig nach mir getreten und gleich darauf ist er sanft eingeschlafen.‹

»Wie ich so alles der Wahrheit gemäß erzählt hatte, da ist das Männle giftig geworden und hat mir zu verstehen gegeben, daß ich eine alte dumme Kuh wäre.

»›Nein,‹ sag ich: ›Er kann nichts, er ist kein Vokativus und deshalb behalt' ich lieber mein Geld und wenn ich schon meinen Mann verloren habe, so will ich nicht auch noch mein Geld verlieren.‹ Und damit stand ich auf, knickste schön vor Hochwürden und ging zur Tür hinaus.«

So kam's, daß dem Mann von der Mauererbettche keine Leichenrede gehalten wurde. Sie war darüber noch immer recht verstimmt und sah traurig auf die Hopfenranken in ihrem Schoße nieder; aber es gereichte ihr doch zur Genugtuung, daß alle, die ihre Geschichte mit angehört hatten, der übereinstimmenden Ansicht waren, daß der Kaplan in der Tat kein Vokativus gewesen sei.

Nicht zu jeder Zeit aber war man willens sich mit traurigen Geschichten zu unterhalten. Man war nicht immer so unter sich, denn zuweilen kam das Männervolk aus den Ställen. Sie stellten sich der Mauer entlang, legten die Arme kreuzweise übereinander, rauchten Pfeife und schauten zu, wie sich die Hopfenblüten in den Körben häuften und, als ob sie bereits Bier wären, über die Ränder schäumten. Dann verschlossen die Frauen ihre schauervollen Geheimnisse vor dem skeptischen Lächeln der Burschen tief in der Brust. Scherzreden fielen, man hänselte sich gegenseitig. Die Jugend wollte sich ausleben und der Michael Hely holte seine Harmonika hervor. Die jungen Männer traten in die verschlungenen Ranken des Hopfens hinein und säuberten die Tenne, indem sie das Blattwerk mit den Unterschenkeln nach den Ecken schoben. Dann faßten sich die Paare und wirbelten umeinander herum, daß die Röcke flogen und die Laternen in Gefahr waren, vom Luftzug ausgelöscht zu werden.

So gingen zwischen Arbeit und Scherz die Wochen hin. Die Felder wurden leer und die kahlen Hopfenstangen wurden zusammengestellt und bildeten große graue Kegel, die einem Zelte glichen. Der Landmann wendete sich anderer Arbeit zu und wer in der Hopfenernte noch notwendig war, wurde jetzt überflüssig.

Eines Tages stand die kleine Arbeitergruppe unter der Einfahrtshalle zum Hofe und drückte dem Hausherrn und der Hausfrau zum Abschied die Hand. Man wünschte sich gegenseitig Glück und Gesundheit und ein frohes Wiedersehen, so Gott will, im nächsten Jahre. Dann zogen die Leute aus dem Odenwalde zum Städtchen hinaus und weiter auf einer schnurgeraden Landstraße, die in der Ferne sich in einem Tannenwalde verlor, den blauen heimatlichen Bergen entgegen, die nach Osten zu die Rheinebene begrenzen.

Alle waren heiter und guter Dinge. Nur in die Freude des Michael Hely mischte sich eine gewisse Beklommenheit und eine Furcht vor der Ungnade der Götter. Er hatte die rechte Hand in der Hosentasche und ballte sie krampfhaft zur Faust über sieben harten Talern, dem Lohn seiner vierwöchentlichen Arbeit. Nicht um alle Welt, daß er sie losgelassen und dem Boden seiner Hosentasche auch nur einen Augenblick anvertraut hätte. Konnte er sich nicht in dessen Zuverlässigkeit täuschen? Es sind schon ganz andere Säulen des Glücks gebrochen wie der fadenscheinige Baumwollbiber einer Hosentasche. Nein, dies sollte ihm nicht passieren, daß er das Geld verlieren könnte, dafür wollte er schon sorgen. Aber es gibt böse Menschen, und da vor sich sah er den Tannenwald und hinter jeden Baumstamm, hinter jeden Strauch malte seine Phantasie so ein kleines Häuflein habgieriger Räuber. Doch seine Furcht war grundlos. Sie kamen ungefährdet durch die Tannenschonung, zogen durch freundliche Dörfer und Städtchen, setzten zusammen mit einem Joch Ochsen und einem Dudelsackpfeifer auf einer fliegenden Brücke über den Neckar und näherten sich dem Städtchen Weinheim am Fuße ihrer geliebten Berge.

Vor seinem Kramladen an der Weschnitzbrücke stand wieder der joviale Kaufmann, der sie vor vier Wochen, als noch der Alters Lorenz bei ihnen war, auf ihre Frage, ob sie noch recht zum Zuge kämen, so vorsichtig beraten hatte. Sie gingen auf ihn zu. Er griff mit der Linken nach dem Stulpkäppchen, das den Kahlhieb seines Schädels überdeckte und warf mit der Rechten die Ladentür zurück, daß sie krachend wider ein im Wege stehendes Heringsfaß flog. Dann folgte er seiner verehrten Kundschaft auf dem Fuße und pflanzte sich mit einem Gesichte, das von Bereitwilligkeit, jedem gefällig und dienstbar zu sein, geradeso glänzte, wie der Fußboden von Öl und Margarineflecken, hinter dem Ladentische auf. Die Frauen hatten allerlei einzukaufen. Ein Viertel gebrannten Kaffee, ein Viertel Zucker, für drei Kreuzer Reis und gerollte Gerste zur Suppe, dann Zichorie und Lorbeerblätter, und alle diese kleinen Errungenschaften wanderten in die geöffneten Kissenüberzüge und wurden mit Vorsicht so verstaut, daß beim Transporte keines dem andern gefährlich werden konnte.

Während all dieser wichtigen Kaufabschlüsse stand der Michael Hely ganz versunken in den Anblick seiner sieben Taler, die er vor sich auf dem Ladentische ausgebreitet hatte und wartete, bis an ihn die Reihe käme. Er hatte keineswegs die Absicht irgend etwas zu kaufen, er suchte nur nach einem Maßstabe, an dem er seine Reichtümer messen könne. Er hätte lieber ein Ohr eingebüßt, wie eines seiner Geldstücke. Der Kaufmann war daher einigermaßen enttäuscht, als er statt einen Auftrag zu bekommen, mit der Frage überrascht wurde: »Ob er glaube, daß es einen Menschen gebe, der jemals soviel Geld auf einem Haufen gesehen habe?« Als der freundliche Mann, den die Einfalt des Kindes rührte, ihm den Gefallen tat, in so gutherzigem Ton, als er ihm zur Verfügung stand, »Nein« zu sagen, strich der Michael Hely seine Taler ein, grüßte im Gefühle seines Reichtums mit herablassender Gönnermiene den Kaufmann, versicherte ihn seines ferneren Wohlwollens und stolperte hinter den anderen zur Ladentür hinaus.

So fleißig er auch des Weges fürbaß schritt, so schien doch für die Ungeduld des Knaben das Ziel eher in die Ferne zu rücken, als näher zu kommen. Er malte sich im Geiste die Stube seiner Eltern aus, in der er alles wiederzufinden hoffte, was vorher darinnen war, nur seinen Vater nicht. Nicht als ob er dem wüsten Trunkenbold irgendein Leid wünschte, nein, er konnte ihn nur nicht brauchen in dem Augenblick, wo er unter vier Augen der Mutter die ungeheuren Reichtümer zeigen wollte, die er verdient und keineswegs gestohlen hatte. Wie mußte sie erst die Augen weit aufreißen, sie, die doch an den Anblick des Geldes weit weniger gewohnt war, als der reiche Kaufmann in der Stadt. Ob der Pfarrer so viel Geld sein eigen nennen könne? Kein Gedanke daran! Und was sie nun alles anfangen wollen mit dem Gelde, das er mitbrachte? Ein neues Kleid für die Mutter, daß sie sich doch auch wieder einmal am Sonntage in der Kirche sehen lassen könne, und dann? und dann? und dann? – – –

Es war Nacht geworden. Während er so seinen Träumen nachhing, stieß er zuweilen auf den steilen Waldwegen seine Barfüße wider die Baumwurzeln, die sich über die Erde herausgeschafft hatten, daß das Blut davonlief. Er beachtete es nicht. Immer wieder kam ihm die Vision von dem rußigen Stübchen mit den Heringsseelen, die von der Decke hingen, mit dem qualmenden Öllämpchen, mit der Mutter darin und der Freude, die er ihr bereiten wolle, dem Glück, mit dem er den Raum erfüllen werde, vor die trunkene Seele.

Während er im Geiste seine Schätze so anlegte, dachte auch die Ihleins Lisbeth darüber nach, wie sie ihren Überschuß an Geld nutzbringend verwerten solle. Ihr Mann war fort und sie hatte nur die eine Tochter, ihr alles, ihre Sorge und ihr Glück. Ihre Zukunft war ihre eigene. Für das Kind entbehrte sie, arbeitete sie, sparte sie, damit sie es einst gut haben solle. Sie war ein Mädchen und konnte nicht allein durchs Leben gehen. O die Mutter sah weiter. Sie sah an der Seite ihrer Tochter einen Mann, das Ideal eines Mannes, einen Gendarm. Aber um eine Frau von so hervorragender Stellung werden zu können, mußte ihre Tochter eine Ausstattung haben. Das war's, woran sie arbeitete und jetzt eben berechnete sie, wieviel sie zurücklegen könne und wieviel Jahre sie noch sparen müsse.

So lief dieser Trupp durch den nächtlich dunklen Buchenwald. Jedes schleppte mit sich herum ein anderes Phantom von Glück, das ihre Freude und gleichzeitig ihre Last war.

Jetzt noch über einen kahlen Gebirgssattel und sie hörten das Rauschen des kleinen Forellenbächleins, das auf seinem Wege nach dem Neckar zwischen den Scheunen und Häusern des Dorfes sich hindurchwinden muß. Man war zu Hause!

 


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