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Drittes Kapitel

Diese kühne Tat, die den Heldenruhm des Preuße-Wilhelm für immer vernichtete, brachte den Namen »Dorfteufel« bald wieder auf die Lippen aller Gegner des Michael Hely, Allein auf feiten der katholischen Partei erstanden einem so brauchbaren Manne kräftige Gönner, und obwohl man berechtigten Zweifel hegte, ob sein Dogmenglaube einwandsfrei sei, brachte man ihm doch Vertrauen entgegen und betraute ihn mit wichtigen verantwortungsreichen, wenn auch nicht gerade übermäßig einträglichen Ehrenämtern. Zunächst beförderte man ihn zum Blasbalgtreter.

In dieser Eigenschaft kam er zu meiner geringen Persönlichkeit in ein kollegiales Verhältnis, insofern wir beide gemeinsam mit meinem Vater, dem Schullehrer, an Sonn- und Feiertagen zur Ehre Gottes die Orgel bearbeiteten. Während der Michael Hely den Wind lieferte, den mein Vater durch das gefühlvolle Spiel seiner Finger in die Pfeifen verteilte, hatte ich als erstes Stadium meiner musikalischen Ausbildung die Noten zu lesen, in entscheidenden Momenten das Blatt zu wenden und wenn wir's besonders feierlich geben wollten, trat ich das Pedal und riß die Register heraus.

Hatten wir drei in der Art während des Hochamtes unsere Schuldigkeit und – wie wir glaubten – noch mehr als dies getan, so dispensierten wir uns im Gefühle einer gewissen Selbstgerechtigkeit von dem Anhören der Predigt. Während nun mein guter Vater, über die Klaviatur seines Orgelspieles gebeugt, ein wenig nickte, schlich ich mich auf leisen Sohlen hinter die Orgel zu meinem Freund und Gönner.

Da saß er denn auf dem Fußbänkchen, stützte die Ellbogen auf die Kniee und kaute Tabak in verschwenderischer Menge, als ob er ein König wäre. Den braunen Saft, dessen er sich zuweilen entledigen mußte, spritzte er mit unübertrefflicher Virtuosität durch ein Astloch ins Interieur der Orgel. Eine derartige Leistung erregte natürlich in mir, dem Knaben, außer einem Gefühl der Bewunderung, den Drang der Nachahmung, So stand ich denn öfters, während der Pfarrer sein: »Blicken wir aufwärts, blicken wir abwärts, sehen wir zur Rechten, sehen wir zur Linken,« verzapfte und der Bürgermeister von Scharbach vernehmlich schnarchte, vor dem kleinen, ovalen Loch in der Bretterwand und versuchte, in das große unbekannte Dunkel zu spucken, das hinter dem Verschlage lag, wie die Ewigkeit jenseits des Grabes. Wenn es mir nicht gelang, das Ziel zu treffen, dann lächelte der Meister Hely und sagte wohl gelegentlich einmal: »Um das zu lernen, muß man bei der Fremdenlegion gedient haben.«

Da ich wohl einsah, daß ich diese Bedingung, so sehr es mich auch in die Weite trieb, vorläufig nicht erfüllen könne und vermutete, daß der Michael Hely ein ehrgeiziges Interesse daran habe, seine Kunst wie eine patentierte Erfindung allein zu verwerten, so suchte ich wenigstens all die physikalischen Vorbedingungen herzustellen, die dem Zwecke dienlich sein könnten.

Ich kaute verstohlenerweise Tabak und da ich gemerkt hatte, daß im Gebisse des Hely einer der oberen Schneidezähne fehlte und glaubte, daß in diesem Mangel das Geheimnis seiner Kunst stecke, so verfügte ich mich mutvoll in die Barbierstube des Nägele, dem ich submissest den Wunsch vortrug: Er möge mir für gute Worte und einen Sechser, den ich seit dem letzten Besuche meines Paten mit mir herumtrug, einen Zahn ziehen. Er ging scheinbar auf mein Verlangen ein, beugte mir den Kopf zurück und ließ mich den Mund aufsperren. So sehr er nun auch nach dem Gelde verlangen mochte und so notwendig er es brauchen konnte, um seiner durstigen Seele eine Kühlung zu verschaffen, es siegte doch sein Rechtlichkeitsgefühl, und er blieb in der Versuchung Herr über seine bösen Triebe. Der Zahn blieb im Munde, und als ich ihm am Schlusse seiner vielen Fragen endlich eingestand, warum ich die Entfernung desselben wünschte, da wußte er mir wenigstens einen Trost zu geben in dem Sprichwort: »Übung macht den Meister.«

Die Weisheit dieses Ausspruches sollte mir nicht umsonst gesagt sein. Wo immer ein Astloch war, da stand ich davor, und da bekanntlich ein Narr hundert andere macht, so entstand bald in der Schule ein epidemisches Spucken, unter dem die Schlüssellöcher und Tintenfässer erheblich zu leiden hatten. An den freien Nachmittagen versammelten wir uns in dem Hofe eines Bauernhauses und hielten vor der Stalltür ganze Scheibenschießen ab mit Ehrenbechern für den Sieger, Preisverteilung und Festjungfrauen.

Dabei aber, daß wir dem Dorfteufel glücklich abgeguckt hatten, wie er spuckte, blieben wir nicht stehen. Wir betrachteten ihn vielmehr als einen Idealmenschen, den wir nach jeder Richtung möglichst vollkommen zu kopieren hätten. Da er aus einer kurzen Tonpfeife zu rauchen pflegte, so formten auch wir uns mit Hilfe von Krautstrünken und durchlöcherten Nußbaumzweigen kleine Pfeifen, die wir mit genialer Nachlässigkeit in dem linken Mundwinkel hielten, während wir mit dem rechten mit großer Naturtreue Bewegungen machten, als ob wir dem Überdruck des Tabakrauches in unserer Mundhöhle notgedrungen von Zeit zu Zeit ein Ventil öffnen müßten. Auch die Nonchalance der Haltung, die unser Held aus seinem Soldatenleben unter den Fahnen Frankreichs herübergerettet hatte in die Gesellschaft seiner eckigen Landsleute, ahmten wir nach, besonders dann, wenn er uns gestattete, die roten Käppis von den Nägeln seiner kahlen Wände herunterzunehmen und uns damit zu schmücken.

So standen wir oft, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und aus den kalten Pfeifen qualmend mit unsern roten Käppis, wie junge Hähne, denen der Kamm geschwollen, vor dem Sägeloch des Preuße-Wilhelm und ärgerten diesen patriotisch gesinnten Biedermann durch unsere Gegenwart und durch die rücksichtslose Manier, in der wir unsere Sympathien mit dem Erbfeind alles deutschen Wesens ungescheut und öffentlich zur Schau trugen. Seine Drohungen ignorierten wir geflissentlich, und vor seinen Tätlichkeiten bewahrte uns schon die Furcht vor dem, der unser erklärter Beschützer war, und die Flinkigkeit unserer Beine.

Der Michael Hely, der sich übrigens nach seinem Kampfe im »fidelen Sägebock« wieder durchaus ruhig und gesittet benahm, seine Tat als etwas Selbstverständliches betrachtete und ohne Ruhmrederei darüber sprach, wenn er eben darüber sprechen mußte, gewann an Ansehen unter seinen Glaubensgenossen immer mehr und man übertrug ihm, um sein Einkommen zu verbessern, auch das Amt eines Totengräbers.

Somit war denn nun ein jeder von dem Augenblick an, wo die Seele dem Leibe Adieu gesagt hatte, bis zur Einsenkung in die kühle Erde, seiner Sorge anvertraut. Er nahm das Maß zum Sarge, machte diesen, kleidete die Leiche an und bettete sie zur ewigen Ruhe auf Hobelspäne, womit er fürsorglich den Sarg belegte. Alle diese Geschäfte verrichtete er ohne Abscheu, ja sie waren ihm zuweilen eine Quelle stiller Genugtuung. Wenn er müden, abgerackerten Menschen die fleißigen Hände, die doch nicht mehr erringen konnten, als gerade nötig war, um Haut und Knochen in jedem Jahre durch dreihundertfünfundsechzig trübselige Tage zu schleppen, über dem knöchernen Brustkorb faltete, dann empfand er ein inneres Behagen darüber, daß alles ein Ende nehme, das stillste Leid ebenso wie die lauteste Freude, das Glück wie das Unglück. In solchen Augenblicken fühlte er sich als ein Organ der ausgleichenden Gerechtigkeit, als einen, der in der letzten Stunde noch in der Lage war, die Strenge des Geschickes etwas zu mildern. Er bevorzugte, soviel er vermochte, die Enterbten, die Verleumdeten und Verfolgten. Er machte ihren Sarg weit und bequem, er stopfte das Kopfkissen mit Erbsenstroh und schob es behutsam und sachte unter das kalte Haupt, mit dem trockenen, von Sorgen gebleichten Haar. Er drückte den Armen fürsorglich die Augen zu, mit denen sie lange genug der Menschen Unart und Hartherzigkeit gesehen hatten.

Wenn er aber einen im Sarge zu betten hatte, der im Bewußtsein seines Reichtums stolz auf solche herabgesehen hatte, denen kein Baum im Walde grünte und kein Halm auf den Feldern reifte, die nichts ihr Eigen nannten, als Hände zur Arbeit tauglich, und guten Willen sich etwas zu erwerben, dann zeigte sein ganzes Wesen eine ihm sonst nicht eigene Schroffheit. Zwar vernachlässigte er keinen der kleinen Liebesdienste, die der Mensch dem entschlafenen Bruder schuldig ist, aber er verrichtete sie ex officio, kurz und mit vornehmer Herablassung. Er ließ den Toten aus etwas größerer Höhe in den Sarg fallen und beugte ihm das Haupt, das er ehedem so selbstbewußt auf den Schultern trug, auf die Brust, damit er am letzten Tage, wo ihn die Sonne beschien, Demut lerne und so bescheiden hintrete vor den, der unser aller Herr und Meister.

In diesen kleinen Kämpfen gegen jene schmähliche Herrschaft, die der Reichtum ausübt, verpuffte unschädlich ein Teil des gewaltigen Explosivstoffes, der einst in seinem Busen gelagert und ihm an der Tanne neben dem Wege nach Rickenbach das Messer in die Hand gedrückt hatte, mit dem er zum Mörder werden wollte.

Ein Zufall hatte ihn von dieser ungeheuren Schuld bewahrt, aber er hatte ihm doch nicht allen Groll aus dem Herzen genommen, und immer war es ihm, als ob er damals nicht zu seinem Rechte gekommen wäre, als er dem tierischen Instinkt, der die Vernichtung seines Feindes forderte, aus physischem Ekel Fesseln anlegte. Wer ohne den Werdegang des Mannes zu kennen, sein Handeln ansah, der mußte zu der Ansicht kommen, daß er voller Schrullen steckte, aber auch die Schrullen haben ihre Naturgeschichte.

Ja, er war ein sonderbarer Heiliger und störrig wie ein Maulesel. Darüber waren alle einig und dann erst recht, als er durch eine neuerliche Untat auch seine tief gewurzelten Freunde los und wankend machte.

 


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