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Viertes Kapitel

So hätte denn aller Wahrscheinlichkeit nach die Ahnung der Volksseele wieder einmal das Richtige getroffen, und der Michael Hely wäre als Herr in das Bauernhaus hinterm Walde eingezogen, wenn nicht gegen Ende des Winters, als die Märzensonne schon über alle Berge schien, die Großmutter des Batzefriedle eigentlich ohne alle Veranlassung den Weg ins Jenseits angetreten hätte. Man fand sie eines Morgens im Bette tot, maustot, wie ihr Sohn und Erbe sagte, als er dem Pfarrer das traurige Ereignis zum Eintrag in die Standesbücher vermeldete. Natürlich begrub man sie erster Klasse, womit gesagt sein soll, daß man ihren Manen mindestens drei Schweine opferte und soviel Bier, als zwei Ochsen aus dem Murgtal heraufziehen konnten.

Damit war jedoch die Reihe der Festlichkeiten noch nicht abgeschlossen. Acht Tage später folgte eine kleine Nachfeier. Die Verstorbene hatte eine Anzahl Kinder hinterlassen, und es war Sache des Notars, das Erbe nach Recht und Billigkeit unter die Deszendenz zu verteilen. Dieser Beamte von kleiner Figur war ein jovialer Herr, der zwischen Eheverträgen und Testamenten ein recht erträgliches Dasein führte, da er jedem Ding eine gute Seite abzugewinnen wußte. Das verschrobene Deutsch der Gesetzesparagraphen wußte er in eine populäre Form zu gießen und es so dem Verständnis der Leute näher zu rücken. Die durch den Widerstreit der Interessen erregten Parteien suchte er durch ein gelegentliches Witzwort abzulenken und gefügig zu machen. Wurde einer unhöflich, so sagte er: »So grob wie ich's vertragen kann, können Sie noch lange nicht werden.« Er redete mit dem Volk in seiner Sprache und wußte sich in dessen Denken und Empfinden aufs trefflichste zu versetzen. Auch besaß er eine ausgesprochene Leutseligkeit gegen den weiblichen Teil der Bevölkerung, insofern dieser nicht zu hoch hinauswollte und sich damit begnügte, unter hundertfünfzig Zentimeter zu bleiben; größer war er nämlich selber nicht. Erwägt man all diese Umstände, so wird man zugeben, daß nach vollbrachten Amtsgeschäften der Herr Notar der richtige Mann war, Stimmung in die Versammlung zu tragen, um so mehr, da im Hause des Batzefriedle zwei Töchter waren, munter wie Eichkätzchen und rotwangig wie Boisdorfer Äpfel an der Sonnenseite. Die eine war die Kreszenz, die andere die Barbara, zwei Mädchen, die einen lyrischen Dichter zum Überschnappen bringen konnten.

Da der Herr Notar selber nicht dichtete, sondern sich mit dem begnügte, was andere gedichtet hatten, so hielt er beim Anblick dieser urwüchsigen Schönheiten den Knopf seines Stockes unter die Nase und zitierte in tiefe Rührung versunken die ersten Verse aus der Frithjofssage:

»Es wuchsen einst auf Hildings Gut
Zwei Pflanzen auf in treuer Hut,
Nie schön're sind dem Nord erschienen;
Sie wuchsen herrlich auf im Grünen.«

Dann reckte er seine kleine Persönlichkeit auf die Zehenspitzen und streichelte der einen über die rechte Wange und der andern, wenn sie nahe genug zusammenstanden, über die linke.

Mit dieser menschenfreundlichen Zeremonie hatte er auch heute seinen Einzug in den Bauernhof bewerkstelligt; denn die zwei drallen Dirnen waren ihm auf der Diele vor dem Eingang in die Herrschaftsstube, wir wollen annehmen rein zufällig, in den Weg gelaufen. Dann trat er über die Schwelle und stand vor einer Volksversammlung, deren einzelne Teilnehmer im Festtagsschmuck den Wänden entlang auf den Bänken saßen und sich bei seinem Anblick ehrfurchtsvoll erhoben. Ein Geruch nach Schweinebraten füllte den Raum und brachte dem Vollstrecker des Gesetzes eine Ahnung dessen bei, was ihn nach vollbrachter Arbeit erwarte. Er beschleunigte deshalb das Teilungsgeschäft nach Möglichkeit und bald hantierte alles in der fröhlichsten Stimmung mit Messer und Gabel aus den Zinntellern herum, die man heute aus dem Glasschranke, wo sie sonst als Schaustücke prangten, herausgenommen hatte, damit sie bei der feierlichen Veranlassung ihrem eigentlichen Berufe dienen möchten.

Nach dem Essen war Scheibenschießen auf dem Anger hinter dem Hause, und diesem folgte am Abend ein Tanz, dem ein blinder Geiger aufspielte und mit seiner Harmonika der Michael Hely.

Man war genügsam und verzichtete zuweilen auf eines dieser Instrumente. So gab man dem Hely Gelegenheit sich unter die Tanzenden zu mischen. Jetzt hatte die Barbara einen guten Tänzer. Ihre Taille wiegte sich in seinen Armen, und ihr voller Busen wogte an seinem Herzen. Sie tanzte so gern und die Zinnteller tanzten mit. Und je länger das Pärchen sich umschlungen hielt, desto näher schienen sie sich zu kommen. Erst berührten sich nur die Spitzen ihrer Haare und buhlten miteinander, wie Blütensträucher buhlen in einer warmen Juninacht. Dann streiften sich wie zufällig ihre Wangen, und dies wiederholte sich mit großer Regelmäßigkeit immer dann, wenn sie durch die dunkle Ecke am Kachelofen tanzten. Auch ihre Hände lagen fester ineinander, als dieses eigentlich durch das Bedürfnis, sich gegenseitig festzuhalten, bedingt war; und war der Reigen beendet, so trennten sie sich offenbar nur ungern und nicht ohne einen kleinen Extradruck, welcher der Sache Bedeutung gab wie der Accent einem Worte. Auch ihre Augen hingen aneinander mehr noch und ausdauernder als ihre Hände.

Löste der Michael Hely den Geiger ab, und die Paare drehten sich nach seinen Weisen, so durchquerten die Blicke der tanzenden Barbara über die Schultern ihres Tänzers weg den Saal nach dem Spielmann hin und wenn sie denen des Harmonikaspielers begegnete, so flog über die Wangen des Mädchens der Rosenhauch einer verschämten Liebe.

Der Bauernhof ihres Vaters liegt in der Nähe von Säckingen, und warum sollte nicht auch einmal eine Harmonika fertig bringen oben im Gebirge, was unten im Tal einer Trompete gelungen war?

Der Herr Notar hatte bei der Erbverteilung für sich einen kleinen Affen herausgeschlagen, der ihn auf dem Heimweg zu allerlei tollen Streichen verleitete. Im Dunkel des Hausganges küßte er unzählige Menschen ab. Auf der Straße kommandierte er, obwohl er nur Leutnant der Reserve war, ganze Regimenter und führte sie durch kniehohen Klee gegen einen eingebildeten Feind; dann wieder setzte er den Hut auf ein Ohr und fing an zu singen:

»'s war einstens ein Notari, der trank bei Tag und Nacht,
Und auch sein Sekretari hat's besser nicht gemacht.«

Sein Schreiber sang mit, griff aber seinem Herrn etwas unter die Achselhöhlen, um allzubedeutende Ausbiegungen von der geraden Linie zu verhindern.

Der Michael Hely verhielt sich durchaus schweigend und wankte wie einer, der unter dem Einfluß einer großen Seelenrevolution steht, fast willenlos hinter der Rotte her. In seinem Geiste wechselten wie in einem Kinematographen die Platten der Barbara, so daß diese mit all ihren Reizen lebend und sich bewegend vor ihm stand. Bald drehte sie den blonden Kopf nach der Seite und zeigte einen wohlgeformten Nacken, so sammetweich und zart wie ein Teppich von Blättern der wilden Rose. Dann wieder leuchtete ihm ihr volles Antlitz entgegen und ihr schwimmendes Auge unter den schattigen Wimpern erschien wie der Bergsee, wenn sich der Mond in seinen Fluten badet. In den Grübchen der Wangen schienen alle Liebesgötter zu wohnen, und wenn er an das schwellende Rosa der Lippen dachte, das wie ein Rahmen die weiße Perlenschnur der Zähne umgab, so erfaßte ihn eine wahre Liebestollheit, und er war eifersüchtig auf jeden Bissen Brot, der dieses weiche Polster berühren durfte und auf jeden Tropfen Wasser, der es beim Trunke benetzte.

Und neben diesem Engelsbild erschien gleichsam absichtlich, um die Wirkung des Schönen noch durch den Kontrast zu steigern, das Antlitz von der Witwe des Rößliwirts Heiner. Mein Gott, wie hatte er sich mit den schielenden Augen befreunden können und mit dem Unterkiefer, der sich vordrängte, wie der Schnabel eines Holzschuhes! Jetzt fing er an zu begreifen, daß zu einer glücklichen Ehe mehr gehörte als gehörntes Rindvieh im Stall und Äcker in der Gemarkungsgrenze, und er dankte seinem Schöpfer, daß die Dinge seither noch nicht zu einem Punkte gediehen waren, der eine Umkehr unmöglich machte.

Eine Bestellung am nächsten Morgen zu der Witwe zu kommen, um irgendeine Reparatur an einem Haushaltungsgegenstand vorzunehmen, ignorierte er einstweilen und leistete auch einer wiederholten Aufforderung in den nächsten Tagen keine Folge.

Die verschmitzte Frau merkte, wo es hinaus wollte, und grollte ihm, aber doch nicht länger, als bis sie einen andern gefunden hatte, den sie ihrer Liebe für würdig hielt und der dieselbe dankend entgegennahm.

Nun war der Michael Hely vor sich und der Welt entlastet, und er konnte all sein Denken und Empfinden seiner neuen Liebe weihen.

Das tat er denn auch redlich und ob er fröhlich war oder betrübt, ob er an einem Lehnstuhl arbeitete oder an einer Häckselbank, immer begleiteten ihn die schwarzen Augen der schönen Barbara. Ihr feuchter Glanz strahlte aus dem Sternenzelt auf ihn nieder und sah aus den Tautropfen der Wiesen zu ihm empor. Im Säuseln der Weide hörte er ihr Flüstern, im Drosselschlag ihren Gesang.

Zuweilen erhielt sein Hoffen und Sehnen Nahrung durch ein kleines Liebesmanöver, wie es der Zufall oder der erfinderische Gott Amor die Liebenden gelehrt hat.

An den Sonntagen kam nämlich die fromme Barbara regelmäßig in die Kirche nach Rickenbach. Dann sah er sie vor sich knieen in den Stühlen der Jungfrauen, und sein Auge hing verzaubert an der blendenden Weiße ihres Nackens und an ihren kleinen Ohren, zart und durchscheinend wie eine weiße Kamelie. Mochte der Priester am Altar das Rauchfaß schwingen oder das Allerheiligste zeigen, ihm war's einerlei; er sah nichts als das kleine allerliebste Fleckchen ihrer schneeigen Haut, begrenzt von dem buntseidenen Halstuch und den flächsernen Strähnen ihres Kopfhaares. Auf dieser Stelle ruhte sein Auge, wie das des betenden Muselmannes auf dem Mihrab der Moschee, und seitdem er es entdeckt, war ihm der Winter in der Kirche nicht mehr zu kalt, der Sommer nicht mehr zu heiß und seinetwegen hätte die Andacht ewig dauern können, wenn nicht am Schluß des Gottesdienstes ein noch höherer Lohn seiner Liebe gewinkt hätte.

Beim Ausgang aus der Kirche wußte er es wohl so einzurichten, daß er im Gedränge der Andächtigen vor der Kirchentür dicht an der Seite der Barbara war. Dann schmiegten sich die weichen Linien ihres Körpers an seine Hüften, er fühlte die Wärme, die von ihr ausging und roch den Duft ihres Haares. Wenn sie dann mit den frommen Fingern in das Weihwasserbecken reichte, dann war auch er in dem gebenedeiten Naß, und ihre Hände berührten sich an einem Orte, der nicht heiliger sein konnte. Es war nicht mehr wie billig, daß sie vor dem Verlassen des Gotteshauses aus vollem Herzen dem dankten, der den Sabbat eingesetzt hat und auch dem, der das Weihwasser erfunden, weil dieses ihnen, seltsam genug, in so zuvorkommender Weise die Gelegenheit vermittelte, das Feuer ihrer Liebe zu schüren.

Die Woche über sahen sie sich nicht. Jedes war an seinem Geschäft. Sie auf den Feldern und Wiesen ihres väterlichen Hofgutes, er in der Werkstätte. Er war zurückgezogener und fleißiger als je in seinem Leben. Er wußte, daß er sich den Besitz der Geliebten in hartem Kampfe mit der Pflicht erringen mußte. Er mußte Erfolge seiner Tätigkeit aufweisen können, und bevor er nicht wie der Erzvater Jakob sieben Jahre lang gedient hatte, konnte er nicht hoffen, als Brautwerber vor dem Batzefriedle bestehen zu können.

Er hatte ein Programm entworfen, nach dem er sein Leben gestalten wollte. Seine kleine Barschaft benützte er zum Ankauf eines Hauses, seine freie Zeit, dasselbe einzurichten. So besserte er zunächst die alten Fenster aus und strich die Rahmen mit blühend weißer Ölfarbe. Dann pflanzte er sich am Sonntag hinter den Scheiben auf und freute sich, wenn er sah, wie die Augen seiner Barbara bei dem sonntägigen Kirchgang mit Wohlgefallen auf dem Hause ruhten.

Sein Meister, der Alte mit den zahnlosen Kiefern, sah alles und begriff auch den Zusammenhang. Er gönnte seinem Gesellen jedes Glück und doch schüttelte er bedenklich den Kopf und brummte vor sich hin: »Hunde sind besser als Weiber.«

 


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