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Fünftes Kapitel

Am Abend unmittelbar nach der Beerdigung des unglücklichen Steuereinnehmers gab's in der Wirtschaft zum Hirschen die lebhafteste Debatte. Der Pfarrer, der sonst selten am Tische der Honoratioren erschien, fand sich bereits vorm Dunkelwerden ein, um die anwesenden Herren in seinem Sinn zu beeinflussen. Er klagte über die unerhörte Frechheit des Michael Hely, der jeder Zucht entwachsen die Gemeinschaft der Seligen schände, indem er sie zwinge mit einem Selbstmörder die geweihte Erde des Friedhofs zu teilen und er verlangte nicht mehr und nicht weniger als die Herausgrabung der Leiche und deren Verbringung an den Ort der Schande in der Ecke der Geächteten.

Der Apotheker widersprach, indem er lebhaft betonte, daß das Gericht in Gottes Hand gegeben sei, und daß wir kein Recht hätten, seinem Urteilsspruche vorzugreifen. »Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet,« rief er dem Pfarrer zu. »Die Scheidung der Guten von den Bösen ist Sache dessen, der die Herzen und Nieren der Menschen durchschaut, nicht derer, die nur das Antlitz sehen, in dem die Lüge wohnt und Heuchelei. Mancher geht aus dem Leben, weil er edler denkt, als seine Umgebung und weil ihm unsere Gesellschaft zuwider ist.«

»Nun gut,« sagte der Pfarrer, »wenn er sich von uns absondert, so geschieht ihm kein Unrecht, wenn wir uns von ihm trennen.«

»Ihr Geschäft ist es für die Seele zu sorgen,« erwiderte der Apotheker, »welchen Wert kann für Sie der Leib haben, den die Würmer verzehren, und zwar den der Gerechten ebenso gut wie den der Ungerechten. Beten Sie meinetwegen, wenn Sie etwas tun wollen, für den Verewigten, aber werfen Sie sich nicht zu seinem Richter auf. Der Michael Hely in seinem abgetragenen Rock denkt vornehmer als mancher, der hochmütig unter Sammet und Seide wandelt.«

Der Pfarrer fühlte den Hieb und er sah sich am runden Tische um, ob sich keiner fände, der ihm sekundieren möchte. Da er nirgends die Bereitwilligkeit hierzu entdeckte, trank er aus und mühte sich in die Ärmel seines Überziehers. Der Apotheker, der sich als Herrn der Walstatt suhlte, rief ihm noch höhnisch zu: »Herr Pfarrer, unser Streit war um des Kaisers Bart. Die Chemie wird eine Flüssigkeit finden, in der sich das organische Gewebe auflöst wie Zucker im Wasser. Dann ist die Frage für alle entschieden und trauern werden höchstens die, denen die Stolgebühren entgehen.«

Für den Pfarrer antwortete die Stubentür, die so geräuschvoll ins Schloß fiel, daß ein gußeisernes Bügeleisen vor Schrecken am ganzen Leibe zu zittern begann.

Die Kunde von dem Wortgefecht der beiden schuf im Dorfe zwei enragierte Parteien, so daß der Singverein aus dem Leim ging und die Feuerwehr nur noch mühsam zusammenhielt. Den einen war der Michael Hely ein Heros, den anderen der Auswurf der Menschheit, an dem ihnen nichts imponierte als seine schlagfertige Energie.

Der Pfarrer, der nicht gerne die eigene Haut zum Markte trug, steckte sich hinter den Postmeister, eine kleine kräftige Persönlichkeit, die über ihrem Schlafrock einen Fes trug und eine lange Pfeife rauchte mit schwarz-rotgoldenen Quasten. Der Mann war einzig in seiner Art. Solange die Welt steht, hatte es vor ihm noch keinen Postmeister in Waldmichelbach gegeben.

Er hatte auch seine Verdienste. Er verdrängte die Weckfrau, die im Nebenamte die Briefe herumtrug und sich von den Schulkindern die Adressen entziffern ließ, und erschuf den Postboten, dessen Uniform jedermann entzückte und dem ganzen Dorf gewissermaßen den Charakter einer Garnisonsstadt verlieh. Auch verdankte man ihm den Briefkasten, obwohl dieser zunächst nichts weiter war, als ein mit Weißblech umschlagener Spalt in der Riegelwand des Posthauses, hinter dem man eine leere Zigarrenkiste festgenagelt hatte.

Dieser Herr fing an mit dem Michael Hely zu plänkeln. Er gab Briefe und Pakete zurück, zu denen der Dorfteufel als ein des Schreibens Kundiger die Adressen geschrieben hatte.

Der Angegriffene wußte sich zu verteidigen. Als am Sonntag das Volk von den benachbarten Höfen und Dörfern in langer Prozession, wie zu einem Gnadenbilde, zu dem Turme wallte, um sich die Adressen auf ihre Kuverte schreiben zu lassen, so gab er jedem einzelnen die Weisung, den Brief durch den Einwurf am Posthause zu werfen, aber den Bestimmungsort laut und deutlich solange durch den Spalt zu rufen, bis der Postmeister ein Zeichen gebe, daß er verstanden habe.

Nicht lange und vor dem Posthause entwickelte sich ein lebhafter Verkehr. Männer mit dreieckigen Hüten, Frauen mit faltenreichen Röcken und bunt gestickten Halstüchern, alle voller Harmlosigkeit, drängten sich nach der blechbeschlagenen Öffnung, warfen ihre Briefe hinein und während der eine rief: »Nach Baltimore,« schrie der andere: »Nach Mainz in die Musketierkaserne.«

Im Inneren des Hauses fuhr derweilen ein kleines Männchen aus den Armen eines ledergepolsterten Sorgenstuhles, der seinen Schlummer gehütet hatte, wütend empor. Seine Lippen bebten, die Augen leuchteten wie die einer Wildkatze im Dunkeln und in kurzen, hüpfenden Sprüngen durchmaß der Postmeister wie ein junges Känguruh sein Zimmer. Der Kragen seines Schlafrockes suchte vom Halse loszukommen. Die Quaste des Fes richtete sich auf und stand drohend da wie ein Komet am Himmel. Die Gefahr, daß die kleine wutgeladene Persönlichkeit wie eine Rakete plötzlich explodieren könne, war bedenklich nahe gerückt, weshalb die Frau Postmeister schleunigst den Ausgang nach der Küche suchte, während der Hund sich unter das schützende Polster des Sofas verkroch. Nach einigen Augenblicken des Tobens ließ der Sturm etwas nach. Das Fauchen, Spucken, Sieden und Wallen verdichtete sich zu den Worten: »Das hat der Dorfteufel getan, dafür soll er büßen.«

Unterdessen wiederholten sich die Rufe vom Schalter her. Am liebsten hätte der Postmeister einen ganzen Schrotbeutel voll Rehposten verschossen, um alle auf einmal zu vernichten, wie eine Kette Rebhühner, aber er hatte keine Flinte und so begnügte er sich Stückchen von seiner Pfeifenspitze abzubeißen und schluckte diese mitsamt seinem Ärger wie Aloepillen hinunter. Dem Dorfteufel aber schwur er bittere Rache. Doch blieb er sich trotz seiner Erregung bewußt, daß er wie die spielende Katze nur die weiche Sammetpfote zeigen dürfe und nicht die Krallen, die dahintersteckten.

So verbreitete er unter der Hand die Nachricht, daß der alte Torturm baufällig sei und mit dem Einsturz seinen Bewohner ebenso bedrohe, wie die Nachbarschaft. Damit fand er Glauben zunächst bei einem anwohnenden Wirte, der in einem ewigen Schnapsdusel seit Jahren keine gerade Linie mehr gesehen hatte und der deshalb den Turm für nicht minder wackelig hielt, wie er selber war. Die Furcht steckt an. Bald kamen noch andere Hausbesitzer herbei, stellten sich in kleinen Gruppen auf und diskutierten mit Lebhaftigkeit die Frage, nach welcher Seite der Turm überhänge. Dann kam die Baukommission, und da eine einflußreiche Persönlichkeit des Dorfes zu einem Neubau gerade Steine brauchte, so einigte man sich darüber, daß das Gebäude niedergelegt werden müsse, einerlei, ob der Michael Hely gutwillig herausgehe oder nicht.

Der kleine lebhafte Postmeister, in seinem Eifer seinen Gegner zu vernichten, war allen voran. Während die Masse noch in der Gegenwart weilte und mit dem Abbruch rechnete, war er schon mit einem Fuße in der Zukunft und dachte an den Wiederaufbau und an die Anschaffung neuer Glocken.

Er teilte, um das Unternehmen finanziell gut zu fundieren, die Bevölkerung ein in Männervereine und Jünglingsvereine, in Frauen- und Jungfrauenverbände, in Pfennig- und Kreuzervereine. Gab einer dem anderen eine Ohrfeige, so entschied das Sühnegericht, daß der Verurteilte dem Baufond fünf Mark beizusteuern habe. Neben jedem Weihwasserkessel hing eine Sammelbüchse und auf jedem Wirtstisch stand ein Musikautomat, und wer zehn Pfennige hineinwarf, konnte sehen, wie zugunsten des gottgefälligen Werkes ein Hund aus Pappdeckel mit einer Katze aus dem gleichen seelenvollen Material tanzte und ihr Hintennach einen Kuß gab. So wurde der Strom des Geldes aus vielen Quellen gespeist. Der Michael Hely sah die Flut steigen und ahnte, daß sie ihn ersticken könne. Aber die Gefahren des Soldatenlebens im Lager und in der Schlacht hatten ihn gelehrt, das Gestern zu vergessen und auf ein Morgen nicht zu hoffen. So lebte er ruhig auf seinem Turme oben und teilte noch sein karges Mahl mit einem Genossen.

 


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