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Fünftes Kapitel

Bei vernünftigem Nachdenken nämlich mußte der Michael Hely herausfinden, daß er den gefährlichen Absturz in das Bachbett, die nassen Kleider, den partiellen schmerzlichen Verlust seines Haupthaares und das tagelang anhaltende Brennen der Bißwunden der Intrigue des Pfarrers verdanke und er beschloß, sich an diesem zu rächen. Dieser Vorsatz und seine Ausführung kostete leider mehr als einem unschuldigen Wesen den Kopf.

An schönen Sommertagen lag nämlich so recht gemütlich ein Schwarm Tauben auf dem roten Ziegeldach des Pfarrhauses, breitete die Flügel aus, sträubte die Federn und erlaubte den lieben Sonnenstrahlen ganz freien Zutritt zu den intimsten Stellen der Haut. Wenn sie dann durchwärmt waren und wenn sie sich geschnäbelt hatten und zur Überzeugung kamen, daß man von der Liebe allein nicht leben könne, dann machten sie in corpore kleine Ausflüge, je nach dem Stand der Dinge, bald auf das frisch gepflügte Saatfeld, bald auch zwischen die nickenden Halme reifer Kornfelder. Ihre Zugehörigkeit zum Pfarrhaus war diesen Vögeln ein Reisepaß und gab ihnen wie einst dem Ibis im alten Ägypten einen Schimmer von Heiligkeit, und darauf bauten die Frechen ein förmliches Privilegium ihrer Raubzüge. War im Felde nichts mehr zu holen, so fielen sie ohne alle Bedenken über die Hühnerhöfe her und nahmen dem Hahn und der Henne das Futter vor dem Munde weg. Bei einer solchen Auffassung von Mein und Dein gediehen sie natürlich wie die Kirche selber, zu der sie sich rechneten, und dieses Fettwerden kam späterhin dem zugute, der nun bereits einmal bei einer solchen Weltanschauung angekommen war, daß er auch noch so alte Vorrechte nicht mehr anerkannte, dem Helden unserer Erzählung.

Eines Morgens, als er ausgeschlafen und weiter nichts zu tun hatte, untersuchte er das wandernde Haus seines Großvaters, der gerade im Dorfe anwesend war und grub aus dem kostbaren Inventar außer andern schätzenswerten Gegenständen zwei alte Siebe aus. Diese stellte er auf dem Felde hinter seiner Wohnung auf eine kleine Holzgabel und streute Futter darunter. Ein Zug an einem dünnen Faden, den er mit der leichten Stütze in Verbindung gebracht hatte, ermöglichte ganz nach seinem Willen ein Zufallen des Siebes, so daß unter diesem alles gefangen war, was sich fliegend oder kriechend darunter gewagt hatte. Von dem Augenblick an, wo diese sinnreiche Idee Wirklichkeit geworden war, schwand aus dem Hause des Erfinders die Not, und wenn man drei Tauben für ein Huhn rechnet, so begann für die Familie Hely jenes glückliche Zeitalter, das Heinrich IV. jedem seiner Untertanen zu schaffen wünschte.

Mit berechtigtem Erstaunen nahm der Pfarrherr im Dorfe wahr, daß die Zahl seiner blauschimmernden Starenhälse sich verminderte und daß auch seine braungeflügelten Kragenträger und die koketten Pfauentauben sich nicht vermehrten, und er warf einen schwarzen Verdacht auf den unglückseligen Hauskater. Obwohl nun dieser, der die schwere Anklage vom Antlitz seines Herrn herunterlas, sich mit allem Eifer aufs Mäusefangen verlegte und Dinge, die sonst nicht zu seinen Lieblingsgerichten zählten, wie gestampfte Weißrüben, zum allgemeinen Erstaunen herunterwürgte, lediglich nur um den Beweis zu liefern, daß er sich auf den Wegen des Unrechts keine Mahlzeit ergattert haben könne, so war er doch nicht imstande, sich vor den Augen seines gestrengen Herrn genugsam weiß zu waschen. Als er nun in einer Mondscheinnacht die Unvorsichtigkeit beging, den Weg zu der Geliebten am Taubenschlag vorbei übers Dach zu nehmen, hatte er eine blaue Bohne in den Eingeweiden, überschlug sich und stürzte, hingemordet ob eines schmählichen Verdachtes, entseelt auf das Steinpflaster des Hofes.

Als aber nach dem Tode des zuerst Angeschuldigten kein Wandel in dem großen Sterben des Federviehs zu erkennen war, bedauerte man gebührend das Opfer einer ungerechten Justiz und fahndete um so eifriger mit Gift und Falle nach Ratten und dem geschmeidigen Hermelin, bis ein Taubenflügel, den der unvorsichtige Michael Hely, wie alte Ritter ihre Helmzimier, auf dem Hut trug, und sein gemästetes Exterieur auf die richtige Spur führten.

Klar war der Indizienbeweis und kurz das Strafverfahren, wobei der silberbeschlagene Stock des Pfarrherrn eine schonungslos durchschlagende Rolle spielte, ohne daß einerseits die Blutschuld, die der Verbrecher sich seines Seelsorgers wegen dem Hunde gegenüber aufs Gewissen geladen, anderseits der Umstand, daß er als gutes Kind durch seinen Eingriff in fremdes Eigentum seinen Eltern einige gar behagliche Mahlzeiten verschafft hatte, irgendwie strafmildernd ins Gewicht gefallen wäre.

»Wirst Du eingestehen, daß Du gestohlen hast?« sagte der Pfarrer.

»Nein,« sagte der Knabe, der seinen Kopf zwischen den Knieen seines Peinigers fest geklemmt fühlte. Ein neuer noch verstärkter Druck sollte das Geständnis erzwingen, und neue Hiebe regneten nieder.

»Gestehe oder ich schlage Dich tot!«

»Meinetwegen, aber ich werde mich wehren.« Damit biß er den Pfarrer ins Bein.

»Verdammter Racker!« schrie dieser, aber er ließ los, und der Michael Hely war zur Tür hinaus.

So steigerten sich die Gegensätze zwischen dem Hirten und räudigen Schäflein fast von Jahr zu Jahr und Mißtrauen und Erbitterung gegen die Menschen erfüllte die Seele des Knaben, während anderseits der Ruf aller seiner Schandtaten, der sich wie eine Lawine im Weiterrollen vergrößerte, ihn mehr und mehr von dem Verkehr mit den besseren Elementen seiner Umgebung schied und ihn auf einen Umgang beschränkte, der nichts weniger als veredelnd auf seine Seelenstimmung einwirkte.

 


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