Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6.
Abschied von Wien.

(9. April 1868.)

                        So wär' ich gelangt nun zum letzten Worte,
Zu dem des Danks für die deutlichen Zeichen
Daß der wandernde Sänger euch werth geworden;
Denn ihr habet huldvoll und herzerfreuend
Meine Lieder belohnt mit lautestem Beifall.

Erst freilich maaßt ihr mit fragenden Blicken
Den dreisten Fremdling der völlig freundlos
Nach Wien sich gewagt, mit lebendigem Worte
Vor euch zu erneuen die Niblungensage.
»Der ist mehr als muthig!« sagte so Mancher,
Und nicht Wenige dachten: was will der Dichter
Vom deutschen Rhein hier im Donaureiche?
Was soll uns der Sigfrid? Die Sorge des Tages
Verleidet die Lust, zu lauschen auf Mären,
Dem Geiste der Gegenwart gänzlich entfremdet,
Der Theilnahme todt seit tausend Jahren.

Doch wie völlig das falsch, wie kein Fünkchen Wahrheit
Der Vorwurf enthält, nun habt ihr's erfahren.

Ihr merktet es bald daß die Mären der Vorzeit
Vom Muster der Mannheit und deutschen Gemüthes
Das noch heut in euch pochende Herzblut durchpulse,
Und zu raschem Verständniß der Riesengestalten
In den heiligen Hallen des Heldenruhmes
Wies euch den Pfad euer eignes Empfinden.

O vermöchte mein Mahnen nicht minder siegreich
Auch den verwandten Wahn zu entwurzeln
Daß Belustigung nur des Liedes Amt sei,
Daß nur dunkle Zeiten zu heiligem Dienste
Der Dichtung bedürfen, die jetzt verdämmernd
Nur noch Spätlingsgebild zum Spielen treibe!

Ja, des Menschen Macht hat die Erde bemeistert;
Wie mit Zauberkraft dient sie sein Dasein zu zieren.
Doch schaltend mit Schätzen und schimmerndem Reichthum,
In der wirklichen Welt in Wohlsein schwelgend,
Vergißt er zu gern des göttlichen Erbtheils,
Des unsterblichen Ursprungs der eigenen Stärke
Und neigt zu Genüssen, die zehren statt nähren.

Dann will er's nicht merken, daß erst das Märchen,
Von Dichtern erdacht, auf Dädalusschwingen
Den machtlosen Menschen beflügeln mußte
Um dann einst auch durch Arbeit nach endlosen Altern
Zu erfinden die Fahrt auf dem Feuerwagen;
Daß Gesang in der Seele die Sehnsucht erst wecken
Und die Ziele der Zukunft ihm zeigen mußte,
Um, langsamen Schrittes, doch niemals erschreckend
Vor Hindernissen, in fester Hoffnung
Und rastlosem Ringen dies Ziel zu erreichen.

Dann hält er wohl Heere allein für die Heilskraft
Ein Reich zu retten und ruhmvoll zu mehren
Und vergißt es fast ganz, daß Ein Götterbildner,
Ein Meister Homer weit mächtiger waltend
Den gewissesten Weg zur Weltbeherrschung
Für Hellas erschloß, als hundert Schlachten.

Wenn mein Lied es vermocht hat, mit leiser Mahnung
Euch deutlicher Das in's Gedächtniß zu rufen;
Wenn mein Zauberspiegel euch zeigte die Spuren
Nach dem Ziele der Zucht in die Zukunft zu schreiten;
Wenn ihr nicht nur genascht habt und flüchtig genossen
Sondern zugleich mit gläubigem Sinne
In der Sage vernommen die Seherworte,
In den Helden der Vorzeit die Heilsgefäße
Erkannt, die das Köstlichste kunstvoll bewahren:
Jenes göttliche Mark des germanischen Geistes
Das vor allen auf Erden Unserem Volke
Die Stärke verleiht zu der stolzen Bestimmung
Die Völker zu führen als leuchtendes Vorbild: –
Dann – und nur dann, ich sag es euch deutlich –
Dann übt' ich mein Amt als Mund der Sage
In eurer Mitte nicht völlig erfolglos.

So lebet nun wohl und widmet zuweilen
Ein fragendes Wort, ein freundlich Gedenken
Dem fahrenden Sänger der Vorzeitsage.


 << zurück weiter >>