Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Die Entführung Iduns.

                  Einst durchwanderten wieder,
Die Welt beschauend,
Odin und Loki
Und Hönir die Lande.
Da entbehrten sie bald
In Bergesöden
Und wüsten Marken
Des labenden Mahles.
So gingen sie tiefer
Und sahen im Thale
Eine Heerde Ochsen.
Sie holten sich einen
Und wollten ihn rösten.
Nach reichlichem Warten
Deckten sie auf
Die Grube und dachten
Er sei nun geröstet;
Doch war er noch roh.
Sie warteten wieder
Geraume Weile,
Doch wieder vergebens;
Er wurde nicht gahr.
Sie frugen verdutzt
Was das nur bedeute?
Als über ihnen
Im Wipfel der Eiche
Eine Stimme erscholl:
»Ich bin schuld an der Störung;
Ich hindre die Hitze,
Den Braten zu bräunen.«

Sie sahen empor:
Da saß auf dem Baume
Ein riesiger Adler
Und rief herunter:
»Gelobet mir erst
Erlauben zu wollen
Daß Ich an dem Ochsen
Mich ebenfalls ätze,
So soll der Braten
Bald gahr gebräunt sein.«

Sie gelobten es ihm;
Da ließ sich der Adler
Zum Röstloch am Boden
Herunter vom Baume;
Doch beide Buge
Als Beute nahm er
Und die Lenden des Ochsen,
Die leckersten Stücke.

Darob ergrimmend
Ergriff aber Loki
Eine große Stange
Und stieß sie dem Adler
Mit Macht in den Leib.
Gemartert in's Luftreich
Stieg da der Aar,
Die Stange aber
Stak wie befestigt
Im Rumpfe des Vogels
Und leimfest hafteten
Lokis Hände
Am unteren Ende.
Nun flog der Adler
So nah am Boden
Daß Lokis Beine
Die Bäume, Gesträuche
Und Steine streiften,
Während ihm war
Als wollten die Arme
Aus den Achseln reißen.
Aechzend rief er:
Um Frieden bitt' ich!
So hab' Erbarmen.

 
Der Adler:
Ich löse dich, Loki,
Nur wenn du gelobest
Mit Eiden, aus Asgart
Sammt ihren Aepfeln
Die schöne Idun
Von dannen zu führen
Und mir sie zu bringen
Als meine Braut.«

Das gelobte denn Loki;
Da ward er entlassen
Und kehrte zurück
Zu den Reisegefährten.

Als die Zusage fällig,
Die Zeit erfüllt war,
Da lockte Loki
Mit listigen Worten
Aus dem Garten der Götter
Idun von dannen
In das Dickicht des Waldes.
Dort, so sprach er,
Hab' ich Aepfel beschaut,
Noch schöner als deine;
Nimm die deinigen mit,
Sie zu mustern und messen.

Und es kam in den Wald
Verkappt als Adler
Thiassi, der Riese,
Raubte Idunen
Und trug die Betrübte
Nach Thrymheim von dannen.

Die Asen aber
Befanden sich übel
Nachdem Iduna
So plötzlich verschwunden;
Zur Schwäche des Alters
Beugte sie bald
Die Entbehrung der Aepfel;
Ihr Herz war voll Gram
Ihre Haare ergrauten.

Da hielten sie Rath
Und verhörten einander
Was Jeder von ihnen
Als Jüngstes wisse
Von der Schwester Idun
Bevor sie verschwunden.
Da war denn das Letzte,
Daß sie mit Loki
Aus dem Garten der Asen
Hinaus gegangen.

So fingen sie Lokin
Und führten ihn vor sich
Und drohten ihm Folter
Und furchtbaren Tod.

Erbangend und bebend
Erbot sich Loki
Aus dem Lande der Riesen
Idun zu retten
Sofern ihm nur Freya
Ihr Falkenkleid liehe.

Und nordwärts flog er
Und nahte der Wohnung
Des Riesen Thiassi.
Hinaus gerudert
War der in die See
Und so saß denn Iduna
In der Wohnung allein.
Flugs wandelte Loki
Sie nun um zur Nuß;
Die nahm er sorgsam
In seine Kralle
Und flog nach Kräften.

Doch als der Riese
Nun wieder zurück kam
Von seiner Meerfahrt,
Vermißt' er Idunan.
Warf sich um
Sein Gewand als Adler
Und verfolgte den Entführer
Mit rascherem Fittich.

Von ferne gewahrten
Die Asen den Falken
Mit der Nuß in der Klaue,
Den Adler ihm nah.
Sie traten hinaus
Und nahmen jeder
Eine Traglast mit
Von trockenen Spänen.
Die häuften sie auf
Im Hofraum Asgards.

Sobald in die Burg
Sich geborgen der Falke,
Machten sie Feuer.
Der Aar vermochte,
Als unvermuthet
Hinter der Mauer
Der Falke verschwand,
So geschwind nicht die Schwungkraft
Des Fluges zu hemmen:
Die flammende Hitze
Faßte seine Federn;
Er fiel herunter
Und schleunigst erschlugen
Im Schloßgehege
Die bereiten Asen
Den Riesen Thiassi.


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