Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Dichters Rache.

            In Himmelshöhen
In Erdentiefen
Lieb' ich zu schweifen,
Die Bahnen der Sterne
Das Werden der Berge
Recht zu begreifen;
Gestorbener Völker
Verklungene Lieder
Neu zu beleben,
Aus Göttermärchen
Des ewigen Geistes
Schätze zu heben.
Vom Schreiten der Gottheit
Im Völkerschicksal
Fährten zu ahnen,
Dem Bunde der Freiheit
Und heiligsten Sitte
Wege zu bahnen:
Das ist mein Ringen
Das ist mein Trachten
Dichten und Träumen.
Nun aber läßt mich
Ein junges Mädchen
Alles versäumen.

Nun fesselt nur eine
Olympische Göttin
All meine Sinne;
Nun les' ich einzig
Die lange verschmähten
Lieder der Minne.
Und wenn ich längst nicht
Granit und Schiefer
Forschend zerspalte,
So kenn' ich einzeln
Der einen Straße
Pflasterbasalte.
Nicht mehr umrahmet
Das Feld des Sehrohrs
Himmlische Ferne:
Die hellen Fenster
An ihrem Hause
Sucht es für Sterne.
Es zittert die Erde
Von großen Kriegen
Blutigen Schlachten: –
Mich läßt der Aufruhr
Im eigenen Herzen
Kaum darauf achten.

Ich muß mich schelten,
Ich muß mein Fühlen
Selber verdammen;
Doch desto heller
Und desto wilder
Lodern die Flammen.

Ich sollte dich hassen;
Denn ohne dich wär' ich
Weise geblieben –
Es ist vergebens,
Ich muß dich dennoch
Grenzenlos lieben.

Die weichen Fesseln
Der süßen Thorheit
Kann ich nicht brechen;
Doch meine Freiheit,
Du junges Mädchen,
Will ich nun rächen.

Den Ball des Luftschiffs
Umstricken der Gondel
Seidene Schnüre;
Sie hält ihn gefangen,
Doch nur daß er sie
Himmelan führe.
So bin ich, umwoben
Von deinen Reizen,
Dein seeleigen;
Doch Du, du mußt nun
Von mir getragen
Himmelan steigen.

In lichten Höhen
In dunkeln Tiefen
Wollen wir schweifen,
Die Bahnen der Sterne
Das Werden der Berge
Staunend begreifen.
Den schönsten Liedern
Gestorbener Völker
Sollst du nun lauschen,
Vernehmen in Märchen
Der ewigen Wahrheit
Heiliges Rauschen;
Erkennen wie Träume
Unsterblicher Dichter
Wurden zu Thaten,
Des Lebens Geheimniß,
Das Räthsel der Schönheit
Ahnend errathen.
Wie Gott zur Welt wird
In Meeren und Ländern
Steinen und Erzen,
Im Milchstraßenringe,
Im Kelche der Blumen,
Menschlichen Herzen:
Das sollst du schauen
Und, selber empfindend
Gottesentzücken,
Mich mitgenießen
Es lassen in deinen
Leuchtenden Blicken.

Wie süßer Gluthwein
Erfüllt krystallne
Köstliche Schaalen,
Daß wie Rubin sie
Vom flüssigen Feuer
Funkeln und strahlen:
So soll mein Bestes
In dir die schönste
Schaale sich wählen;
So deiner Seele,
Geliebte, soll sich
Die meine vermählen,
Damit die deine
Zu neuem Leben
Wonnig erwache.
Das, junges Mädchen,
Das ist des Dichters
Drohende Rache.

Du lächelst freudig;
Doch laß dich warnen
Wenn es noch Zeit ist
Und glaube dem Freunde
Daß diese Rache
Nicht ohne Leid ist.

Nachdem du zusammen
Mit mir den wahren
Himmel durchmessen, –
Mich fliehen kannst du,
Vielleicht erkalten,
Nimmer vergessen.
Du wirst auch im Prunksaal
Bei rauschenden Festen
Oft nun allein sein;
Dich werd ich verlieren
Doch deine Seele
Ewig mein sein.


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