Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Laurentiusthränen.

                  Mein Auge trank die stille Pracht
Der heiligen Laurentiusnacht.
Da schießt und rennt's, da blitzt und brennt's
Im Ruheglanz des Firmaments
Als spalt' ein Stern zu Spänen.
Die lichte Kielspur ihrer Trift
Verschlingt sich mir zu Runenschrift
Und Urgeheimes offenbart
Die schaarenweise Niederfahrt
Der Himmelsfeuerthränen.

Weil uns mit treuem Mutterarm,
Das Haupt gekehrt zum Sternenschwarm,
Die Erde an den Füßen hält,
So sagen wir, das Himmelszelt
Umwölb' uns hoch dort oben.
Besinnet euch und glaubet mir:
Wir stehn auf höchstem Gipfel hier
Und schaun hinab den Raumesschlund
Wo bis zum tiefst erreichten Grund
Millionen Höllen toben.

Die Erde schuf, zu sehn gewillt,
Das Menschenauge, dies das Bild
Der blauen Kuppel sternbesät;
Doch ihre Friedensmajestät
Ist Lüge nur der Ferne.
Viel tausend Jahre Lichtgang weit
Ist Alles rings nur Wuth und Neid.
Ein steter Sturz von Erden nährt
Den ungeheuern Gluthenheerd
In jedem Eigensterne.

Der Unterschied von groß und klein
Ist enger Wahn und Sinnenschein.
Verspott' es nicht als Unverstand
Daß Du schon manchen Weltenbrand
Gesehn beim Schnuppenfalle.
Was flammig schmelzend niedersaust,
Wovon die Schlacke deine Faust
Umspannt – im eignen Sonnenflug
War's auch ein Stern der Leben trug
Gleich unserm Erdenballe.

Ja, solcher Welten Todesqual
Verkündet jeder Sonnenstrahl.
Sie sinds was unsre Sonne speist;
Hinab in's Feuerchaos reißt
Sie stündlich Millionen,
Und stürzt ein Schwarm aus seiner Bahn
In ihren Flammenocean,
Dann schießen aus dem Gluthgewog
Zehntausend Himalayas hoch
Des Lichtrauchs Palmenkronen.

Ein Meer von Schmelz das Wogen schlägt
Wie keinen Berg die Erde trägt,
Ein fürchterlicher Feuerpfuhl,
Nicht eines Gottes Strahlenstuhl,
Das ist die schöne Sonne.
Was wir vom Himmel wissend schaun
Erweckt nur namenloses Graun.
Drum banne, was den Hochmuth schwellt,
Dein karges Erdenglück vergällt:
Den Traum von Himmelswonne.

Ein Auswurf aus dem Gluthkoloß
Ward unser Stern. Den Schmelz umschloß
Ein Schlackenrahm; der wurde hart,
Und diese Erde schien, erstarrt,
Nicht mehr mit eignem Lichte.
Ihr Dunst ward Fluth, Metall ward Rost,
Nun kühlt sie hin zum Todesfrost.
Ein Weilchen zwischen Brand und Eis
Ist unsrer Gattung Daseinskreis
Und heißt uns – Weltgeschichte!

Die Blindheit wich. Als grimmen Hohn
Verwirf nun endlich, Erdensohn,
Den Dünkel, der dich wahnberauscht
Zum Zweck der Schöpfung aufgebauscht;
Dein Reich ist nur hienieden.
Nicht langer träume weltengroß
Und ewig lang das Menschenloos.
Dein Stern verglüht als Meteor
Nachdem Aeonen ehevor
Der letzte Mensch verschieden.

So nutzet wohl die Spanne Zeit
Stets mehr zu werden als ihr seid.
Schon wissensreich und wunderstark
Beginnt euch selbst Gestalt und Mark
Zu steigern und verklären.
Den blind und stumm im Sternenreich
Gefangnen Gott erlöst in Euch
Und macht ihn frei aus Neid und Noth –
So laute nun das Heilsgebot
Anstatt der Kindheitsmären.

Vielleicht, daß jener Gott die Frist
Der Erdenwallfahrt nicht vergißt
Wann alle Stäubchen Menschenhirns
Längst wieder in des Taggestirns
Qualvoller Hölle sieden.
Daß uns in dieser Neidnatur
Doch unser Herz die Gottesspur
Und Pfade zur Erlösung zeigt,
Es ist Erinnerung vielleicht
An frühern Gottesfrieden.

Doch blieb' auch nicht ein Traum zurück
Von Menschenkunst und Menschenglück
Wann unsern Stern die Gluth begräbt,
Der Mensch hat nicht umsonst gelebt,
Kein Trugbild war sein Sehnen.
Der Augenblick der Gott befreit
Ist größer als die Ewigkeit.
Krönt Er äonenlange Müh'n,
Dann mag die Erde froh zersprühn
Zu Sanctlaurentiusthränen.


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