Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Albumblatt.

              Was ist es, das der feinen Welt
Im Blumenreiche heut gefällt?
Jetzt stehen in der höchsten Gunst
Die Zöglinge der Gartenkunst.
Vergessen sind als viel zu schlicht
Wildveilchen und Vergißmeinnicht.
Der Tulpe Kelch in fettem Beet
Das nie ein rauher Wind verweht;
Die Dahlia, vor Frost verhüllt,
Gepflegt bis üppig sie sich füllt;
Die Kinder ferner Gluthenzonen
Die stolz in Glaspalästen wohnen;
Kamelien, deren Farbenpracht
Es vorthut allen Edelsteinen
Und deren Blätter aus Malacht
Gezirkelt und gedrechselt scheinen:
Für diese reich geputzten Damen
Mit hochgelehrten fremden Namen
Hat heute Jeder Lob und Preis;
Die Kunst erzieht sie frei von Tadel,
Sie sind der auserwählte Kreis,
Des Blumenvolkes hoher Adel.

Bewunderung für sie und Staunen
Empfind' auch ich, doch Neigung nicht.
Ich bin voll bürgerlicher Launen
Und mein Geschmack ist äußerst schlicht.
Ich zog bisher bei Weitem vor
Der Wildniß bunten Blumenflor
Und besser als der Glashauspalme
Unangefochtne Majestät
Gefielen mir die Wiesenhalme,
Die, hin und her vom Sturm geweht,
Von ihm Geschmeidigkeit erwarben
Und nur mit eigner Wurzelkraft
Sich Formenzier, bescheidne Farben
Und Dauer des Geschlechts verschafft.

Denn wenn die vollen Gartennelken
Im Herbste kinderlos verwelken,
So wissen alle wilden Blüthen
Ihr Saatkorn selber wohl zu hüten,
Und trotz der Elemente Sturm,
Umringt von jeglicher Gefahr
Durch Sichel, Maulwurf oder Wurm,
Erhebt sich mit dem jungen Jahr
In gleicher Zahl und ungeschwächt
Dasselbe blühende Geschlecht.
Du glasbeschützter Palmenbaum,
Wo bliebest du, das muß ich fragen,
Wenn dir den warm geheizten Raum
Ein Hagelsturm entzwei geschlagen?
Ihr auserwählten, allzuzarten
Seid, schloß ich, nicht was mir gefällt;
Nicht unter Glas und nicht im Garten,
Mein Blumenreich ist Wald und Feld.

Da fand ich einen Rosenstrauch,
Der wuchs an auserwählter Stelle,
Bewegt von mildem Windeshauch
Getränkt aus reicher Nachbarquelle.
Der Platz glich einer Gartenflur
Und war doch frei wie die Natur,
Umhegt mit manchem Schattengang,
Doch ohne steifen Regelzwang.
Hier hatte sich die ächte Kunst
Verbunden mit der Erde Gunst,
Hier war sie schöpferisch und frei
Von jeder falschen Künstelei.
Nicht jedem Winde preisgegeben,
Doch luftbewegt, nicht unter Glas,
Sah ich die Rosenzweige streben,
Vom Himmelsthau die Blätter naß.
Und sieh, der Zweige Spitzen schufen
Auch Knospen schon, auf allen Stufen
Von kaum beginnender Gestaltung
Der engverschlossnen grünen Hülle,
Bis zum Momente der Entfaltung
Der morgenrothen Blätterfülle.

Hier lern' ich nun die rechte Mitte.
Wo sich Natur vermählt und Sitte,
Wo sich der Erde Segensgaben
Mit feinem Sinn verbunden haben,
Wo reich und wohlgehegt ein Garten
Doch frei erscheint wie Wald und Feld,
Da dürfen wir mit Fug erwarten
Die schönsten Blumen von der Welt.

Von jenen Knospen öffnet eine
Gerade jetzt dem Sonnenscheine
Den jungen Kelch zum erstenmal
Und scheint im hellen Morgenstrahl
Verschämt, erschrocken fast zu glühen,
Als fürchte sie sich aufzublühen.

Doch furchtlos, junge Rosenblüthe,
Begehrest du daß Ich dich hüte,
Zum Licht empor und fest im Winde
Dich sänftlich an ein Stäbchen binde?
Ich soll dich pflegen, soll dich stützen,
Dir Blatt und Kelch vor Raupen schützen?
Das Alles kannst du sonder Bangen,
O Blumenkind, von mir verlangen?

Ei, merkst du nicht, wie dein Vertrauen
Mein Herz durchbebt mit süßem Grauen?

So muß und will ich dessen werth sein;
Du sollst gepflegt und nicht begehrt sein.
Doch welche Kraft und Leidenspflicht
Du damit forderst weißt du nicht!

Ach ja, du weißt es, junge Rose,
Und willst es doch? Du Mitleidslose!


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