Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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An einen Tondichter.

            Mein hoher Freund, dein Werk vernahm ich gestern
Und heute hör' ich Dich voll Mißmuth lästern
Der Muse Dir so reich bewährte Huld?
»Sie floh, so klagtest du voll Ungeduld,
Sie ward mir ungetreu und kehrt nicht wieder;
Durchaus versiegt ist mir der Quell der Lieder.«

Versiegen kann in heißer Sommergluth
Was nur ein Sturzbach ist der Frühlingsfluth;
Doch was empor aus Erdentiefen quillt
Und bald als breiter Strom der Landschaft Bild
In seiner Wellen klarem Spiegel malt,
Den Himmel und die Sterne wiederstrahlt:
Das kann ein Winterfrost mit Eis bedecken,
Doch sicher wird ein Lenz es wieder wecken.
Das kann, dem Rhone gleich, im Abgrund schwinden,
Doch nur um stärker sich empor zu winden;
Das kann, vom Bodenwiderstand gebrochen,
Zu Schaum zerstäubt in wilden Sprudeln kochen;
Doch sammelt sich's im selbstgeschaffnen Bette
Zu neuer Ruhe stets und Spiegelglätte,
Um abermals im grünen Uferrahmen
Die ganze Welt verschönert nachzuahmen.
Es ist und bleibt ein ächter großer Fluß
Und was der kann, das thut er weil er muß.

Verstummt ist Mancher dem ein Lied gelang
Das nur entquoll der Jugend frischem Drang;
Doch wessen Brust von ächter Poesie
Den Funken birgt, in dem verstummt sie nie.
Er schweigt ein Weilchen wohl aus Weltverdruß
Und – dichtet weiter, weil er dichten muß.

So darf ich dreist, mein hoher Freund, es wagen
Den Künstler eines Irrthums anzuklagen,
Der glaubt, es könne jemals dem Beruf
Entsagen, wer ein Werk wie dieses schuf.

Wem dieser Strom von Melodieen rauschte,
Wer so genau das Menschenherz belauschte,
Wer so der Leidenschaften wilden Streit,
Der Liebe Leid und höchste Seeligkeit
In Tönen malte, um Gewissenspein
Und Selbstverachtung noch den Heiligenschein
Von Melodieen wob zu vollster Sühne,
Der ist geborner Herrscher auch der Bühne,
Den lächelt' in der Wiege schon die Gunst
Der Musen all. Den Zauberstab der Kunst,
Er kann ihn rastend wohl bei Seite legen,
Doch drängt er sich der Meisterhand entgegen.
Ihn führen ist und bleibt sein Hochgenuß
Und wieder wird er schaffen weil er muß.
Das Eis der Winterpause kommt in Bruch,
Der Lenz erscheint – und dieses ist der Spruch
Zu dem er stets vom Zweifel sich bekehrt:
Die Kunst nur macht das Leben lebenswerth.


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