Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Zuruf.

            Wollt ihr denn immer nur seufzen und klagen
Daß am vergänglichsten eben das Schöne?
Laß wie im Lenz bis zum Herbste sie schlagen –
Zauberlos würden der Nachtigal Töne.
Heute noch hörst du mich, singt sie, drum lausche,
Bald ist die Sangeszeit wieder vergangen!
Inniges Fühlen im süßesten Rausche
Schenkt uns allein dies heimliche Bangen.

Sieh, wir empfingen im sterblichen Loose
Wonnegewürz mit der Gabe, zu trauern!
Schöner und duftiger macht uns die Rose
Eben der Wahnwunsch: möchte sie dauern!
Süßer noch, wenn du mit ruhigem Muthe
Denkst an den Winter, schmeckt dir die Frucht;
Geizend erfüllen die letzte Minute
Lehr' uns der Freuden eilige Flucht.

Weil du noch lieben kannst, Sterblicher, liebe!
Niemals erneuert sich was du versäumest,
Und an dir selbst nur wirst du zum Diebe
Wenn du von Liebesewigkeit träumest.
Besser, die Lust wird zu Grabe getragen
Ehe dein Herz an die Kost sich gewöhnt.
Süßeste Freuden werden zu Plagen
Wo sie kein Ende mit Ewigkeit krönt.

Doch was im höchsten Genuß wir verloren,
Ewige Jugend hat es gewonnen;
Schöner noch steigt es wiedergeboren
Aus der Erinnerung magischem Bronnen,
Aehnlich wie weiland die Göttin entstiegen,
Liebegebietend, dem wogenden Schaum;
Denn der Vergangenheit Schleier umschmiegen
Alles was störte den seeligen Traum.

Ueber dem Abgrund mit schwankendem Kiele
Tanzen des Lebens gebrechliche Boote –
Zweifle nicht, daß es uns minder gefiele
Wenn es der Tod nicht stündlich bedrohte.
Eben im Kampf mit dem tobenden Meere
Sollst du die Flagge des Glückes erhöhn.
Glaube mir, wenn es kein Trauerspiel wäre,
Wäre dies Spiel des Lebens nicht schön.

Breite entgegen die Schmetterlingsschwingen,
Psyche, des Daseins freundlichem Glanze.
Bis du, ermüdet nach muthigem Ringen,
Reulos zurücksinkst in's nachtende Ganze
Lerne vereinigen Trauern und Scherzen,
Wehmuth empfindend in jauchzender Brust,
Wehmuth, die heimliche Freude der Schmerzen,
Wehmuth, den heimlichen Schmerz in der Lust.


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