Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Allmählich geriet Fox Fräulein Heine gegenüber ins Nachdenken; sie begann ihm deutlicher zu zeigen, daß er ihr sehr sympathisch sei. – Eine ganze Million bekam Fräulein Heine einmal später. Das hatte sie ihm selber mitgeteilt, als sie ihm erzählte, wie ein Herr sich vergeblich um ihre Gunst bemüht habe.

Der ganze große Luxus dort im Hause hatte Fox verwöhnt; Elsa schien ihre verschiedenen Anbeter alle zu verachten. Wie sehr würde er über diese triumphieren, wenn er sie gewann! Was würde Pitt für ein Gesicht machen, wenn Fox das errang, um was er selbst sich vergeblich bemüht hatte! Vielleicht war Pitt der Kerl gewesen, von dem Fräulein Heine sprach?! – Eine ganze Million! Der höchste Wert des Daseins bestand nun doch einmal in einem guten Leben, das mußte jeder zugestehen, und wer es nicht zugestand – dem fehlten eben die Mittel zu einem solchen Leben, und er hatte leicht reden vom Zufriedensein in der Bescheidenheit, denn was blieb dem armen Kerl sonst übrig?! – Allerdings: Heiraten – nur um zu einem guten Leben zu gelangen, das war niedrig, das war gemein, und Fox war der erste, der das in jedem Falle verdammte! Nein nein, die Liebe mußte dazukommen, und er fühlte ganz deutlich, daß sie bei ihm schon im Anzuge war; wenn er sie heiratete, würde es eine reiche Liebesheirat sein, dies war das rechte Wort, knapp, präzise bezeichnend. Fühlte er sich nicht eigentlich direkt verliebt?! Er runzelte die Stirn, in sich hineinlauschend. Eigentlich gab es da im Innern nichts, was ihm dies bestätigt hätte. – Aber Liebe ist oft blind gegen sich selber; wie häufig kommt es vor, daß Menschen von ihr überhaupt erst dann erfahren, wenn durch einen plötzlichen Windstoß der Leidenschaft alle verhüllenden Schleier des sogenannt wachen Bewußtseins zerrissen werden! Es bedurfte dazu manchmal nur eines kleinen Anlasses, eines reinen Zufalls! Romeo liebte sogar die Julia sofort, ohne daß irgendein Anlaß da war, nachdem er erst um seine Rosalinde geschmachtet hatte.

Fox begann auf seinen Zufall zu warten. Mitunter, wenn er bei Fräulein Heine im Zimmer war, sah er sie lange und nachdenklich an, während sie ihm etwas auseinandersetzte. Sie glaubte ihn dann ganz vertieft in ihre Worte und fragte ihn nach seiner Meinung; er antwortete noch immer nichts, so daß sie, halb unsicher, das Wort wieder ergriff, um noch einmal fortzufahren, bis er es ihr zu deutlich zeigte, daß sein Grübeln nach einer ganz anderen Richtung ging; dann stockte sie, brach mitten im Satze ab und ließ den Blick an Fox vorbeigehen, in eine Ecke, während ihre Augen ganz groß wurden, nur für einen Moment; dann führte sie sie über einen leichten Niederschlag zu seinem Gesichte zurück, auch nur für einen Augenblick, und schließlich saß sie unbeweglich, mit einem Ausdruck, als werde sie gerade photographiert und wolle, daß ihre Züge still-bedeutend würden. – Ein ungewisses Fluidum strömt jetzt von ihr zu mir, von mir zu ihr! dachte Fox: Ein Fluidum, das einem den Atem versetzen könnte, wenn man sich ihm zu lange hingäbe! Also wirklich: ich fange an zu fühlen, wie mich die unsichtbare Macht der Liebe bewegt, ganz leise, so, wie es Unterströme gibt in einem anscheinend stillen Wasser! – Und Fräulein Heine dachte mit halbem Zagen: was mag in ihm vorgehen! Wenn es jetzt über ihn und über mich käme, mit elementarer Gewalt alle Schranken niederreißend?!

Fox wurde sich über sein Gefühl immer klarer. Eines Morgens, als er gerade aufgestanden war, seufzte er tief, indem er, noch halb schläfrig, um sich starrte. Was hatte er nur geträumt? – Er träumte eigentlich niemals. – Zwei große, dunkle, schwarze Augen! Hatte er die nicht im Traum gesehen?! Ja ja, so schwarz wie schwarze Diamanten! – Die hatte Fox zwar auch noch nicht gesehen, aber er stellte sie sich als das schwärzeste vor, was es in der Welt gäbe. Und wem gehörten diese Augen? – Eine ganze Million; schoß es ihm dazwischen durch die Gedanken. Aber er sprach nervös zu sich selbst: Kann man sich denn nicht einmal für kurze Zeit ungestört dem Gedanken der Liebe ergeben? Muß denn ewig die reale Welt dazwischen kommen? – Also: Zwei schwarze, große Augen; ich weiß bestimmt, daß ich von denen geträumt habe, sonst würde mir doch das nicht jetzt auf einmal einfallen, es muß doch dem ein tatsächliches Erlebnis zugrunde liegen! Was habe ich denn nun aber von denen geträumt?! Sie waren also erst mal: feurig. – Fox suchte vor sich selbst eine Brücke herüberzuschlagen zu Fräulein Heine; da er aber nicht weiter kam, genügte ihm das schon Gesagte als ein Beweis, daß sein Traumbild nur Fräulein Heine gewesen sein könne. Daß da weiter gar nichts im Traum geschehen war, erhöhte den Wert dieser einzigen Erinnerung: In den Augen konzentriert sich die Seele, und dieser Blick – Fox wußte mit einem Male weiter: Dieser Blick, mit dem sie mich angesehen hat – es lag darin eine ganze Welt von Rätseln! Ein Blick voller Fragen, Antworten, Verheißung, Sehnsucht! – Es muß weit mit mir gekommen sein, murmelte er, jetzt verfolgt mich ihr Bild schon nachts im Schlafe, daß ich nicht Ruhe finden kann; ob es ihr wohl ähnlich geht?

Er erzählte ihr seine Vision, verschwieg aber, daß es sich um sie selbst gehandelt habe, doch waren seine Augen fest auf sie gerichtet.

Diese Mitteilung regte sie mehr auf, als er ahnen konnte. Er liebt mich, liebt mich wirklich, dachte sie. Und nun geriet sie in eine innere Unruhe; ihre Phantasie beschäftigte sich mit Bildern, denen sie vorher keinen Raum verstattet hatte; sie schrak zurück vor ihnen, aber nur um so stärker kamen sie. All ihre Anbeter waren Männer, die frühreif das Leben schon kennenlernten, über denen jetzt eine leise Müdigkeit der Erfahrung lag; sie alle hatten Liebesabenteuer hinter sich, das war selbstverständlich; da kamen in gewissen Abständen Herren aus der kaufmännischen Gesellschaft, oder – wie es schon mehrmals geschehen war – korrupte Offiziere mit Adelstitel, die ihr ihre Liebe erklärten und denen sie's an der Nase ansah: Sie wollen mich um meines Geldes willen; umsonst bekommt man keine Million, also nehmen wir die Frau mit in den Kauf! Wie oft hatte Egon ihr gesagt, sie dürfe sich keine Illusionen machen!

Und nun kam Fox Sintrup – das war ein anderer Mensch! Unverbraucht war seine Kraft; wenn er seine Arme um sie schlang, so konnte sie das ruhige Gefühl haben: Sie war die erste, die er berührte! Sie hätte ihre Hand dafür ins Feuer legen können! Es fiel ihr ein, daß sie zu Anfang öfters über ihn gelacht hatte. Aber worüber hatte sie denn im Grunde gelacht? Darüber, daß er anders war als andere Männer, daß ihm sein reines Verhältnis den Frauen gegenüber eine gewisse Ungelenkigkeit gab, die man wohl belächeln, aber eigentlich nicht belachen durfte! Und diese gediegenen, unverschrobenen und reinen Ansichten vom Leben, die er hatte! Der sie nur liebte um ihrer selbst willen, der ihr kürzlich erst erzählte: Eine schöne Millionärstochter habe ihn einmal geliebt, er habe sie wieder geliebt, aber nicht geheiratet, weil er sonst nie das bedrückende Gefühl losgeworden wäre: Sie könnte denken, ich nähme sie nur um ihres Geldes willen! Wie treuherzig er das erzählte, ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen: da sitzt ja eine Millionärstochter vor mir, zu der ich das sage! Oder sollte er – dies war eine ganz neue Perspektive – sollte er diese Erinnerung mit einer ganz bestimmten Absicht erzählt haben? Wollte er damit sagen: Wenn du kein Geld hättest, würde ich dich auf der Stelle heiraten, wenn du mich nähmest? Band ihm die Million die Zunge? Ging sein Feingefühl so weit? War die Geschichte vielleicht überhaupt erfunden? War die schöne Millionärstochter sie selbst!? – Unwillkürlich warf sie einen Blick in den Spiegel: Es wäre ihm zuzutrauen, sagte sie langsam; er ist ja so furchtbar stolz und delikat!

Fox war sich inzwischen über sich selber vollkommen klar geworden: Er liebte Fräulein Elsa, und zwar war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Es war ihm eingefallen, einen wie starken Eindruck er gleich das erstemal von ihr empfangen hatte: Einen solchen ersten Blick legt man sich niemals als Liebe aus; das merkt man erst hinterher, wenn man auf einem festen Punkte angelangt ist und nun die ganze Stufenleiter überschaut, bis in ihre ersten Anfänge. – Und sie selber: Mit Deutlichkeit erinnerte er sich, daß sie bei der ersten Begegnung fast tragisch zu ihm war. Pitt konnte das eventuell bezeugen, dem hatte er's erzählt! Also auch sie hatte es gefühlt, daß er ihr Schicksal sein werde, deutlicher, erschütternder noch als er selber! Sie hatte sich dann beherrscht, die folgende Zeit, nur manchmal brach in einem großen Blick, in einem Schweigen ihr inneres Gefühl mit stummer Deutlichkeit hervor! Wie selten geschieht es doch, daß sich alles so natürlich und in so wahrhaft innerer Schönheit entwickelt! Sollte er ihr nun seine Liebe gestehen?

Als sie sich wiedersahen, waren beide einsilbig, fast wortlos. Mit großen Blicken trennten sie sich.

Sollte er ihr seine Liebe gestehen? Er strich sich nachdenklich an seinem neuerworbenen Barte. – Nein, dachte er endlich, ich will nicht, daß die Familie womöglich denkt, ich sei ein Millionenjäger. Ich würde das der Familie zwar absolut nicht übelnehmen – dergleichen ist sehr menschlich, und die Tatsache kommt – leider – häufig genug vor! Alles, was ich tun kann, ist: Warten. Wenn sie mich liebt, wird sie mir das eines Tages selber sagen, das ist bombensicher! Ich könnte ihr aber mal wieder ein paar Blumen mitbringen, das ist in jedem Falle anständig!

Er kaufte die Blumen und begab sich zu ihr. Als er dann aber vor ihr stand, wurde er sehr rot, denn plötzlich hatte er das Gefühl: Heute kommt es zur Entscheidung. Wie sie dies sah, errötete sie ebenfalls. Beide waren einsilbig; ihr klopfte das Herz, während er nach innen lauschte, ob seines auch klopfte. Wirklich klopfte es. – Setzen Sie sich dort auf das Sofa! sagte sie, und er merkte, wie ihre Stimme sonderbar beherrscht klang. Er erfüllte ihre Bitte sogleich, legte die Hände auf die Knie und sah sie stumm an. Sie lächelte nervös und strich sich das Haar zurück. Dann saß sie ebenfalls. – Sie sind ein sonderbarer Mensch! sagte sie endlich. – Wieso? fragte er, überrascht, plötzlich in seinem gewöhnlichen Tone. – Wie-so? wiederholte er, grübelnder, nachdenklicher, da ihm sein erster Ton selbst zu nüchtern geklungen hatte. – Ich halte Sie für einen ganz, ganz verschlossenen Charakter! – Ja, das ist wohl wahr! entgegnete er, mit einem schweren Blick ins Leere. Schon in meiner Kindheit litt ich selbst darunter. – Also Sie leiden darunter?! – Natürlich, man empfindet es oft doch sehr schwer! – Mir geht es ähnlich! sagte sie nach einer Pause, tragisch. – Das habe ich aber nicht empfunden, mir gegenüber. – Wirklich? Wie meinen Sie das? – Ich habe das Gefühl, als wenn Sie gegen mich nicht so verschlossen wären! – Ach so, ja ja! sagte sie, als enthielten seine Worte eine Offenbarung; jawohl, das hängt von den Menschen ab. Gegen zwei Menschen bin ich nicht verschlossen: gegen Sie und gegen meine Mutter! das heißt – sie brach ab. Er sah sie fragend an. – Das heißt, sagte sie lauter, stoßweise: das heißt, gegen meine Mutter bin ich jetzt auch verschlossen, und gegen Sie möchte ich es auch sein, aber was soll ich machen – c'est plus fort que moi! – Bin ich Ihnen solchen Vertrauens wert? fragte Fox, und erinnerte sich dunkel, daß er das einmal irgendwann auf der Bühne gesagt hatte. Daß auch die kalte Wirklichkeit immer wieder hereinspielte in die Gedanken, selbst in den höchsten Augenblicken des Lebens! – Ja! sagte sie, indem sie ihm ihr Gesicht voll zuwendete, das sind Sie mir! Seit dem ersten Augenblick, wo ich Sie sah, waren Sie mir das! – Was sollte er darauf antworten? – Sie sind es mir ebenfalls, sagte er. – O Sie Kind, rief sie, Sie großes ungelenkes Kind, haben Sie mir nichts anderes zu sagen als das? – Ich könnte noch vieles hinzufügen, aber daran hindert mich das Gefühl, daß ich nicht weiß, wie Sie dies aufnehmen werden! – Ich, ich nehme alles freudig auf, von Ihnen alles!

Fox sah sie an. Jetzt sollte das Schicksal sich entscheiden; und dies Gefühl vor der Wucht des Augenblicks, der im Leben eines jeden nur einmal vorkommt – oder vorkommen sollte –, erschütterte ihn. Er sah gleichsam auf sich selbst herab, wie von einer fernen Warte der Zeit, auf sein eigenes Menschenleben, und seine Augen wurden feucht. – Sie wissen es ja längst, sagte er mit belegter Stimme, daß ich Sie liebe, daß ich Sie vom ersten Moment an geliebt habe! Sie war aufgestanden, er hatte sich ebenfalls erhoben und sah mit seinen blauen Augen in vollster Ehrlichkeit auf sie hinab, die mit etwas emporgehobenem Kopfe vor ihm stand. Da schlang sie die Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Brust: O wie ich mich danach gesehnt habe! flüsterte sie. Als Antwort drückte er sie fester an sich. – Eigentlich ist sie etwas klein! sagte eine Traumstimme aus der Wirklichkeit zu ihm, aber er hörte sie nicht. Nun bist du mein, mein Lieb! jauchzte er im Gefühl jubelnden Besitzes, mein auf immerdar! In all ihrer Seligkeit mußte sie lachen: Ach du Kind, du kennst ja die Liebe nur aus Büchern und denkst, du mußt nun auch so sprechen wie die Helden in Romanen! Küsse mich ein einziges Mal, das ist besser als alle Worte! – Sie reckte sich etwas in die Höhe, und den Bund dieser beiden Menschen, die sich durch die Wechselfälle des Lebens zueinander gefunden hatten, besiegelte der erste Kuß.


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