Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Fox runzelte die Stirn und hielt es für besser, das ganze Thema vorläufig fallen zu lassen. Hätte er nur wenigstens soviel Geld gehabt, ein paar Monate auch ohne Stunden leben zu können, dann würde er sich schon langsam eingeführt haben, daran zweifelte er keinen Augenblick; selbst wenn es sich herausstellte, daß er in Wirklichkeit nur sieben Stücke konnte. Auf eigene Virtuosität kam es beim Stundengeben gar nicht an; die besten Virtuosen waren oft die schlechtesten Lehrer, und umgekehrt! Den Vater von dem Gretchen konnte er doch auch nicht gleich um Vorschuß bitten! – Er erwog einen anderen Plan, zu Geld, und zwar sofort zu Geld zu kommen. Die Herren spielen? fragte er; und dann spielte man. Man setzte ganz kleine Summen. Er erzählte von den Offizierkasinos, in denen er verkehrt habe, dort seien die Goldstücke beim Spiel nur so geflogen; ob man denn hier immer nur um Nickel spiele? Immer! lautete die Antwort, und ein älterer Bureaubeamter warf ihm einen ernsten Aktenblick durch seine Brille zu und knurrte: er hoffe, der Geist des Leichtsinns werde seinem Städtchen ewig fern bleiben. Mit dieser Bande ist nichts anzufangen! dachte Fox, Pfennigfuchser, niedrige, schmierige Gesellschaft! – Und wie früh ging dies Volk zu Bett! Das Lokal hatte sich schon sehr gelichtet. Was sollte er selbst noch hier? Und wie wurde es morgen? Undeutlich sah er sich wieder auf der Bahn, zu seinem Vater reisen. – Während er so seinen Gedanken nachhing, bemerkte er mit einem Male, wie zwei von seinen vier Rechtsanwälten in einen Winkel traten und sich leise unterhielten; der eine drehte aufmerksam den Kopf zu Fox hinüber, schüttelte ihn dann aber, indem er wieder zu seinem Kollegen sah. – Fox wurde es unbehaglich. Er verabschiedete sich von seinem Tisch; dann war er wieder auf der Straße.

Vor dem Hotel stand der Portier, der die Gäste des Abendzuges erwartete, denn vielleicht konnten welche eintreffen. Er unterhielt sich mit einem der vier Rechtsanwälte. Fox grüßte schweigend und ging schnell hinauf, bemerkte aber, wie die beiden ihm angelegentlich nachsahen. – Sein Zimmer lag nach vorn heraus. In diesem Nest, wo um elf Uhr alles totenstill war, konnte man jedes Wort auf der Straße viele Meter weit hören. Fox ließ das Zimmer dunkel und öffnete vorsichtig das Fenster ein wenig. Was? hörte er den Herrn dort unten fragen, Komiker ist er? – Jawohl, ich kann es Ihnen auf das bestimmteste versichern; heute früh ist er angekommen, heute nachmittag hat er sich den Bart abnehmen lassen, und dem Zimmermädchen hat er es ja selbst erzählt! – Also doch! Ich habe ihn doch gleich auf den ersten Blick erkannt! Herr Apotheker, Herr Apotheker! Ich gratuliere Ihnen zum Klavierlehrer von Ihrem Gretchen! Ein ganzes Rudel Bierheimkehrender kam die Straße daher. Pst! sagte der Portier und lugte vorsichtig am Hause hinauf, da er aber kein Licht sah und das Fenster geschlossen schien, beruhigte er sich. Aber was soll dieses alles? fragte einer, nachdem auch Foxens Besuch bei den Rechtsanwälten durchgesprochen war; ist der Mensch verrückt?! – Was dieses soll? fragte einer von den vieren: Mir ist die Sache vollkommen plausibel: Mystifiziert hat er uns alle miteinander, er wollte sich sofort am ersten Tage in unserm Städtchen populär machen, und ich muß sagen, er hat seine Rolle meisterhaft durchgeführt! Ein Komiker darf sich manches erlauben, was andere nicht dürfen, ich sage Ihnen: wie er heute morgen mein Geldstück ansah, das ich ihm gab: Gebrüllt hab' ich vor Lachen! Und heute abend als nervenkranker Künstler – ein bißchen zu dick ist er ja, aber dafür kann er nicht! Und er hat doch wirklich famos gespielt! Klavier meine ich. Ein Prachtexemplar! Wenn der zum ersten Male auftritt, nehme ich mir den besten Platz, das ist mal sicher das ist ein Original!

So redete man da unten, bis der Hotelwagen leer zurückkam und die Untenstehenden veranlaßte, zurückzutreten, was dann wieder den Anstoß zu Trennung und Weitergehen gab. Fern verlor sich das Gelächter.

Schweigend entzündete Fox sein Licht, schweigend, unbeweglich blickte er in den Spiegel, und schweigend erwiderte das Spiegelbild den Blick. Schweigend entkleidete er sich und stieg, ins Bett, zog die Decke hoch und starrte auf den weißen Horizont des Leinens vor seiner Nase.

Was ist nun zu tun? dachte er, und suchte an dem Bart zu drehen, der nicht mehr da war. Sein ganzes Wesen drängte nach etwas hin, sich vor sich selbst in Respekt zu setzen. Er spuckte kräftig über das ganze Bett hinweg bis an die gegenüberliegende Wand. Damit war die ernste Frage aber nicht erledigt. Abfahren! dachte er endlich; abfahren mit dem frühesten Zug. Aber wohin?

Plötzlich erfaßte ihn eine große Wut gegen seinen Vater, mit einem Satz sprang er aus dem Bette und marschierte im Zimmer auf und ab. – Alles habe ich mir gefallen lassen, alles, aber dieses geht zu weit! Ich werde prozessieren! Mein Vater ist verpflichtet, mich standesgemäß zu erhalten! – Aber während er so redete, fühlte er selbst das Lächerliche seiner Rede. Auf einmal blieb er mit einem Ruck mitten im Zimmer stehen: Wenn er nun morgen früh zum Direktor ging, wenn er nun wirklich Schauspieler wurde? Dann war ja alles in Ordnung, dann triumphierte er ja über diese ganze spießbürgerliche Gesellschaft! Der Direktor brauchte ja einen Schauspieler, sonst konnte er nicht die – gewissen Stücke spielen! Fox sagte nicht: Possen und Komödien, da er das Wort «Komiker» vorläufig noch ignorierte, weil er sonst gleichsam sich selbst hätte fordern müssen. – Überhaupt: wer sagt denn, wenn ich ihm eine von den Rollen vorspreche, die ich bei Sander gelernt habe, daß er mich nicht als Helden anstellt? Vielleicht hat er auch keinen Helden, das kann doch niemand wissen! Und mal ein bißchen Theater spielen – tat das nicht auch Wilhelm Meister?! Dem Rechtsanwalt würde er ins Gesicht lachen, und eines Abends würde er wieder ins Lokal treten und sagen: Meine Herren, dieses letzte war auch wieder eine Mystifikation, denn eigentlich bin ich auch kein Schauspieler, aber mein Vater ist so weitsichtig, daß er seinen Sohn vom Studium nicht direkt in den Beruf hineinschiebt, sondern ihm Freiheit läßt, auch andere Fähigkeiten und Talente in sich auszubilden und die Welt wirklich kennenzulernen, ein Edukationsprinzip, wie es Goethe in seinen Erziehungsromanen vorschwebte! So würde er von seinem Vater reden, der das weiß Gott nicht verdient hatte. Und die Bekanntschaft mit dem Kriegsminister, würde er fortfahren, war keine Mystifikation, denn der alte Herr hat schon öfter Billette von mir empfangen, also kenne ich ihn – ach nee, da irre ich mich, ich kenne ihn ja gar nicht wirklich – aber sagen kann ich es, denn dem Wortlaute nach ist es wahr! – Und dann würde Fox zu seinem Vater zurückgehen und erklären: ich habe dir nun gezeigt, daß ich mich selber zu erhalten weiß: ich erwarte, daß du mir wieder Vertrauen schenkst, und mir die Mittel bewilligst zur Beendigung meines eigentlichen Studiums. Und dann wollte er auch arbeiten, ehrlich und ernsthaft arbeiten!

Als er am nächsten Morgen am Portier vorbeischritt, legte er um seinen Mund markante Falten und fragte mit sonorer Stimme: Haben Sie schon gehört, wie ich gestern abend die Herren Bürger angeführt habe? – Glänzend, einfach glänzend! grinste der Portier.

Fox hatte sein Selbstbewußtsein voll zurückgewonnen. Dann stand er vor Direktor Steinert, einem anscheinend noch jungen, glattrasierten Mann mit schwarzen Augen und einem Hornzwicker. Außer ihm war noch eine alte Dame im Zimmer mit kompaktem rein kastanienbraunem Haar und einem Scheitel wie ein Lineal. – Die Mitteilung des Portiers bestätigte sich, Herr Steinert war in Not, telegraphische Verhandlungen schwebten allerdings mit Agenten, aber die Saison hatte schon begonnen, die halbwegs besseren Kräfte waren versorgt, und einen reinen Anfänger zu nehmen scheute sich die Direktion. Fox erklärte nun, er sei vollständig zum Schauspieler ausgebildet, durch Herrn von Sander, bei dessen Namennennung Herr Steinert eine kleine Verbeugung machte, da er ihn aus Annoncen der Theaterzeitungen sehr wohl kannte. Dann setzte Fox hinzu, daß er selbst einer hoch – höchst angesehenen Familie entstamme und mehr Bildung für den Beruf mitbringe als die meisten Schauspieler. Und dann sagte er: Nun passen Sie mal auf. Er begann die Rolle vorzusprechen, die er als allererste bei Herrn von Sander studiert und endlos repetiert hatte, und die deshalb noch am besten im Gedächtnis saß. Alle Bewegungen waren ihm noch gegenwärtig; durch die Gesangstunden, die er betrieben hatte, war sein Organ ebenmäßiger geworden, und Herr Steinert unterbrach ihn mitten in einem längeren Satz mit der Bemerkung, er habe schon genug gehört, Talent sei unverkennbar da, die äußere Erscheinung sogar glänzend, aber – wir brauchen einen Komiker und keinen Helden! – Ja, Komiker bin ich nun nicht, sagte Fox in seinem trockensten Tone und sah Herrn Steinert mit jenem großen, halb verweisenden Blick an, über den das Stubenmädchen so gelacht hatte. – Aber das schadet ja gar nichts! ließ sich die alte Dame jetzt durch die Reihe ihrer sehr weißen Zähne vernehmen, mit langsamer, etwas schwerer Zunge und mit einem gedehnten, singenden Tonfall, der durch mehrere Oktaven zu spielen schien – das schadet ja gar nichts! Wenn er's nicht ist, kann er's noch werden. Wie Sie da vorhin ins Zimmer traten – so wandte sie sich an Fox – wie Sie nur Ihren Hut auf die Kommode stellten – es war gar nichts weiter als diese einzige Bewegung – ich sage Ihnen: Ich mußte lachen; glauben Sie mir, ich habe einen Blick für Menschen! Seit dreißig Jahren bin ich am Theater! Wenn Sie nur auf die Bühne treten, so lacht das Publikum! Ich will Sie damit nicht beleidigen! fuhr sie fort, da Fox ein verletztes Gesicht machte, im Gegenteil: Wirkliche Komiker sind heutzutage selten! Bleiben Sie nur bei uns! Herr Steinert warf ein, daß Fox ja gar nicht die nötigen Rollen beherrsche. – Dann lernt er sie eben jetzt noch! sagte sie mit ihrer eigensinnig klagenden Stimme, Schauspieler lernen schnell, und bei uns heißt es ganz besonders fest und energisch zu arbeiten, das ist hier jeder gewohnt. Sie müssen wissen: Mein Mann und ich sind für das Ideale: Fox sah überrascht erst auf sie, dann auf Herrn Steinert: war das die Frau von dem? – Und dann, Hermann: Er soll doch die Rollen nicht von heute auf morgen lernen, sondern erst auf übermorgen oder nächste Woche. Wir eröffnen das Theater doch mit einem klassischen Stück, wo wir ihn nicht nötig haben – und die eigentliche Posse ist doch erst am Sonntag. Bis dahin hat er viel Zeit zum Lernen und die Proben sind doch auch noch da! – Herr Steinert war nach wie vor skeptisch. – Aber das Publikum hier macht doch keine Großstadtansprüche! Und kurz und gut – ihre Stimme wurde ungeduldig und etwas stoßend – mir gefällt dieser junge Mann! Er wird wachsen mit seinen Aufgaben! Schließlich habe ich doch ein Wort mitzusprechen, und wie gesagt – ihre Stimme wurde wieder singend: Ich empfehle dir diesen jungen Mann dringend, ohne dich damit jedoch – und nun klang ihre Stimme geradezu ölig-zärtlich – irgendwie beeinflussen zu wollen. Herr Steinert warf ihr aus seinen wimperlosen, scharf umränderten Augen durch den Zwicker einen böse-versteckten Seitenblick zu, den sie aber nicht bemerkte, und meinte: Gut, Ida, versuchen wir es. Sind Sie einverstanden? wandte er sich an Fox.

In Fox bekämpften sich Regierungsassessor und Komiker. Daß er alle Rollen leicht lernen und tadellos spielen würde, war außer Frage. Doch vor den Leuten auftreten, damit sie über ihn lachten?! Aber schließlich: Auch Molière und Shakespeare waren Schauspieler gewesen, und beide hatten eine Fülle komischer Rollen selbst geschaffen! Und er selber hatte vor ihnen noch den Vorteil voraus, daß er seinen Namen nicht hergeben würde: Er wollte seinen uralten Familiennamen mit einem Pseudonym decken.

Wie ist es denn mit dem Honorar? fragte er. – Herr Steinert wechselte mit seiner Frau einen Blick und nannte dann eine Summe, die kärglich gering erschien und kaum das Dasein zur Not fristen konnte. Fox schwankte wieder; aber plötzlich faßte ihn ein Gefühl, all diesen niedrigen Erbärmlichkeiten ein Ende zu machen, durch eine halb verächtlich gegebene Zustimmung. – Hermann, wir könnten ihm doch fünf Mark mehr bewilligen! – Herr Steinert sah sie unbeweglich durch seinen Zwicker an. – Also es sind Ihnen fünf Mark mehr bewilligt! sagte er darauf zu Fox; Gesellschaftsanzüge, Salonrock, Frack usw. haben Sie doch wohl? – Fox unterdrückte ein kräftiges Wort und sagte: Selbstverständlich. Herr Steinert holte zwei Kontrakte, unterzeichnete den einen, gab ihm beide, mit der Bemerkung, zu Hause genau den Wortlaut durchzulesen und ihm am Nachmittag den zweiten, mit seiner Unterschrift versehen, zuzustellen. – Aber das kann er doch gleich hier durchlesen! Wozu denn diese Umständlichkeit! – Aber Fox nahm ihn mit und studierte ihn im Hotel. – Sechshundert Mark Geldstrafe für den Fall eines Kontraktbruches. Also so plötzlich weg kann ich da nicht, sonst bekomme ich die Polizei auf die Hacken!

Horst Siegmaringen nannte er sich; das klang gut und ließ einen unterdrückten Adelstitel vermuten.

Fox war nun engagiert. Er zog in ein kleines möbliertes Zimmer. Dort lernte, übte und probte er für sich Charleys Tante. – Blödsinniges Stück! Es fehlt ihm jeder echte Humor! – Am nächsten Morgen war die erste Probe. Das ist ja eine Scheune?! sagte Fox, als er das «Theater» erblickte, – eine Scheune, ohne Tür?! Wo ist denn die Tür?! – Dieses Theater war eigentlich ein Hotel mit größerem Saal, öde und verwahrlost, mit grauer abgebröckelter Zementfassade.


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