Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Er lernte nun auch Herrn von Sanders Schüler kennen. Da waren zwei junge Damen, die sich bereits jetzt Theaternamen beigelegt hatten, und ein Herr Eichinger, Sohn eines Sattlermeisters, der eigentlich eine Baritonstimme hatte, aber nicht Sänger wurde. Diese «Theaterschule» hatte Fox sich anders gedacht: Alles spielte sich in dem kleinen Salon ab; wie in einer Menagerie stieg jeder über die Füße des andern hinweg; aber das lag daran, daß sie Anfänger waren; Herr von Sander sagte, auch der kleinste Raum gestatte freieste Entfaltungskraft. Er machte alles vor, setzte die Füße zierlich voreinander und verstand es wirklich, nirgends mit den Knien anzustoßen. Dann zog er sich wieder in seinen Winkel zurück, von wo aus er, das Buch in der Hand, die Übung überwachte. – Mehr Bewegung! Mehr Motion! rief er von seinem Klavierstühlchen aus, Herr Sintrup, Sie stehen da wie ein Stock! Ich bitte Sie: haben Sie denn noch nie in Ihrem Leben ein Mädel im Arm gehabt? Jetzt zeigen Sie doch mal, ob Sie «Natur» in sich haben, von der Sie damals redeten! Noch einmal, von Anfang an! – Fox mußte sich wieder links stellen, die Dame rechts. Das rechte Bein vor, Herr Sintrup, nicht das linke! Die Zuschauer sitzen hier wo ich bin; denken Sie doch an die Wirkung! Also: Egon nähert sich ihr leidenschaftlich. Los! – Wenn Sie los sagen, so ist bei mir jede Stimmung vorbei, dann kann ich einfach nicht. – Mensch, wenn Sie Theaterblut haben, so müssen Sie können; auf der Bühne geht's auch nicht anders; also: en avant, wenn Ihnen das besser paßt! – Fräulein Delorma lachte, nahm aber im selben Augenblick eine flehende Miene an und streckte zagend die Hände gegen Fox vor. – Gut, Mädel, nun du! – Sie! tönte Fox. – Ach was, lassen Sie sich nicht stören, wenn ich mal du sage; nachher nenne ich Sie Herr Graf, wenn Sie wollen. Also, Lilli, noch mal dein Stichwort. – Lilli gab es, Fox tat einen Schritt, Herr von Sander erhob sich, drängte ihn zur Seite und machte alles selbst vor: Wenn Sie sich im Leben so benehmen, lacht Sie doch jeder aus! Denken Sie doch gar nicht an die Bühne! Sie sind ja wie ein Klumpen! – Fox weigerte sich, weiter zu spielen, wenn Herr von Sander nicht einen andern Ton anschlüge. Der bat ihn auch öfter nach den Stunden um Entschuldigung und sagte, wenn er sich manchmal hinreißen ließe, so möge Fox das der Kunst zugute halten und seinem ehrlichen Bestreben, aus seinen Schülern wirklich etwas zu machen. Fox hörte dann knurrend zu, sah Herrn von Sander in sein ausgearbeitetes und doch zugleich wieder schwammiges Gesicht, aus dem sich auch nicht ein einziger Charakterzug herauslesen ließ, und dachte: Diese Theaterleute haben im Grunde doch etwas tief Antipathisches! – Die nächste Stunde befleißigte sich Herr von Sander eines andern Tones, aber dann vergaß er wieder vollkommen, daß Fox Regierungsbeamter werden wollte: Himmel! Mensch! wo bleibt denn Ihre Mimik? Haben Sie eine Maske vor? Lachen Sie mal! – Fox sah ihn mit bösen Augen an. – Haben Sie mich nicht verstanden? Ich sagte, Sie sollen lachen! – Fällt mir doch gar nicht ein! – Herr von Sander klappte sein Buch zu: Dann können Sie sich einen andern Lehrer suchen; wenn ich verlange, daß Sie lachen sollen, dann müssen Sie lachen: es steht in der Rolle, und ich habe ein Recht zu verlangen, daß Sie tun, was in der Rolle steht. Sie denken viel zu sehr an sich selbst; wenn man eine Rolle spielt, muß man vergessen, daß man eigentlich ein anderer ist. Also wollen Sie nun oder nicht? – Ja, aber nur im Zusammenhang! Fräulein Delorma rief ärgerlich, es sei zu dumm, alles immer zu wiederholen, sie wolle vorwärts. – Also gut! sagte Fox mit einem Entschluß, sagte seine letzten Worte noch einmal und ließ ihnen ein ha ha ha folgen, wozu er seine Zähne zeigte. – Besser als gar nichts! meinte Herr von Sander, üben Sie das Lachen zu Hause vor dem Spiegel, wir müssen weiter.

Es geht Ihnen nicht in Fleisch und Blut über! meinte er einmal nach der Stunde: ich weiß auch, woran das liegt: Talent haben Sie, das ist außer Frage; aber Sie denken zuviel an die Worte; es fehlt Ihnen der rechte Fluß, Sie stehen nicht über den Worten, Sie bemeistern sie nicht, kurz: Sie lernen zu wenig auswendig! Komisch, daß die Mädels immer besser lernen als die Herren. Ganz gleichgültig, ob Sie die Schauspielerei später als Beruf ergreifen wollen oder nicht, solange Sie wirklich dabei sind, müssen Sie auch mit Ernst arbeiten! Der Ernst fehlt Ihnen vorläufig noch! – Ich kann ja ebensogut auch wieder aufhören! sagte Fox geärgert, wie ein Kind, das schmollt. – Herr von Sander lenkte ein: Fox zahlte gut, er durfte ihn nicht verlieren. – Ich verstehe es ja, daß Sie sich der Sache nicht so ausschließlich widmen können wie die Lilli oder die Lisa oder der Eichinger. Aber ein Mensch mit wirklichen Zielen – die haben Sie ja doch – soll nichts halb tun. Was haben Sie davon, wenn Sie nach einem Jahr Ihr Geld für nichts herausgeworfen haben, und was habe ich davon, wenn ich meine Zeit für nichts an Sie verschwendet habe? – Ich zahle doch! – Gewiß, aber wenn Sie kein Geld hätten und dafür Talent und Energie, würde ich Sie auch gratis ausbilden, so wie die Lilli. – Na, na, sagte Fox, da spielt wohl auch noch was anderes mit. – Herr von Sander spitzte die Lippen und schlug ihn scherzhaft unter den Rücken. Fox runzelte die Stirn. – Sehen Sie, das nehmen Sie nun wieder übel! Es fehlt Ihnen der rechte Zusammenhang, die Solidarität mit uns! Die Mädels haben schon manchmal geklagt, daß Sie so hochmütig sind. Wir bilden hier doch alle zusammen eine kleine Gemeinschaft! Sie sollten sich nicht so abschließen. Gemeinsames Streben vereinigt doch! Mich wundert schon lange, daß Sie für die Lisa zum Beispiel gar kein Auge zu haben scheinen. Sie müssen doch merken, daß sie Ihnen Avancen macht. – Ich denke, die hat den Eichinger? fragte Fox und setzte hinzu: Ich sage das nur ganz objektiv. – Herr von Sander lachte und antwortete: Dem brauchen Sie das ja auch nicht gleich unter die Nase zu halten. Passen Sie mal auf: Ich habe hier eine Photographie von ihr, da können Sie sie besser beurteilen als im Leben! Er holte sie aus seinem Taschenbuch hervor und zeigte sie Fox ganz im geheimen, obgleich niemand weiter zugegen war. Famos! nicht wahr? flüsterte er; diese vollendete Figur! Diese Hüften, dieser Hals, und diese Büste! – Die Büste ist immerhin ganz präsentabel! meinte Fox mit nachlässigem Kennerblick; aber wie kommen Sie denn zu dieser Photographie? – Diese Theaterwelt war doch verseucht, bis ins Mark hinein verseucht!

Er nahm sich nun vor, gegen diese Damen zwar äußerlich etwas kollegialer, innerlich aber ganz kalt zu sein. – Nie duldete er eine längere körperliche Berührung mit ihnen. – Au! sagte er mitten im Spiele, Fräulein, ich verbitte mir, daß Sie mich so drücken! Es steht zwar in der Rolle: Preßt seine Hand – aber Sie quetschen mich ja geradezu! – Ihre Hand ist so dick, man kommt da unwillkürlich ganz tief hinein, außerdem fasse ich die Rolle des Klärchens eben viel feuriger auf: das darf ich, wenn ich will, nicht wahr, Herr von Sander? – Quetsch ihn, wenn ihr allein seid!. rief Herr von Sander, der mit übergeschlagenen Beinen in seinen Saffianschühchen und dem beschnürten Hausjöppchen auf dem Klavierstuhl saß. – Quetschen Sie mich doch einfach wieder! rief sie Fox zu; überhaupt: Ihr Brackenburg ist ja gar kein Mann! – «Wenn wir nach Hause gingen» – tönte Herrn von Sanders Stimme soufflierend. – Ach, da ist er wahrscheinlich ebenso langweilig! – Wenn Sie zynisch werden, Fräulein, spiele ich überhaupt nicht mit Ihnen!

Nach einer Stunde gingen sie meist noch ein Stück Wegs zusammen; Herr Eichinger mit seinem grauen Schlapphut und hochgelbem Spazierstöckchen, die beiden Damen in großen Hüten mit ausgestopften Vögeln. Anfangs wurde Fox nicht recht klug aus ihrem Verhältnis zu Herrn Eichinger: Er ging mit allen beiden; die kleinen Finger ineinander gehakt, schlenkerten sie mit den Armen. Sie war doch – also wirklich verseucht, diese Theaterwelt! Nach einiger Zeit versuchte Fräulein Lisa, gereizt durch Foxens Widerstand und derbe Männlichkeit, sich immer deutlicher an ihn heranzumachen. Fox innerlich entrüstet und zum Protest bereit, beschloß, scheinbar alles mitzumachen und dann mit einem so gehörigen Donnerwetter dreinzufahren.

Es war nach dem Theater. Sie erwischte ihn in der Ausgangshalle, sagte, sie sei heute den ganzen Abend frei, und schlug ihm vor, mit ihr in ein Restaurant zu gehen. Sie wählte ein kleines Abteil, wo man ganz für sich allein saß, und veranlaßte ihn, Austern und Sekt zu bestellen. Mit der größten Unbefangenheit redete sie von Sander und von Herrn Eichinger, daß sie den einen wegen seiner kostenlosen Stunden und den andern wegen seines Geldbeutels gern habe, aber wirklich lieben könne sie keinen von beiden, dazu sei Herr Eichinger im Grunde zu kutscherhaft und Herr von Sander zu wenig männlich. – Na, ich denke: Mann bleibt Mann! sagte Fox und machte ein selbstverständliches und überzeugtes Gesicht. Sie lächelte, indem sie den Rauch ihrer Zigarette in die Luft blies. – Deine Zigaretten sind gut! bemerkte sie; viel besser als die vom Eichinger! – Er wollte das «Du» ablehnen, unterließ es aber. Sie sollte erst noch weiter gehen! Das tat sie auch, ihre Liebenswürdigkeit wurde stets bedeutender. – Du bist ja wie ein Stock! Ich glaube, du hast in deinem ganzen Leben überhaupt noch nichts erlebt! – Oho! rief Fox in ehrlicher Entrüstung, vielleicht noch mehr als du! und erzählte ein paar Geschichten, Erinnerungen an Erlebnisse aus seinem Freundeskreise. Sie rückte ihm immer näher, er kam bei seiner Geschichte mit Lotte an, die Erinnerung an das wirklich Erlebte wurde stark in ihm, er vergaß seine Moralpredigt in unmittelbarer Nähe dieses Mädchens, das sich jetzt so warm an ihn schmiegte, der Sekt half mit – kurz, Fox unterlag in einem Strauß, den er siegreich zu bestehen gedachte.

Schadet nichts! dachte er am nächsten Morgen; wenn man nur selbst rein aus allem hervorgeht und seine Überzeugung beibehält, das ist die Hauptsache. Angenehm ist es freilich nicht, daß ich die Person nun am Halse habe.

Aber als sie sich wiedersahen und nach der Stunde nebeneinander herschritten, wartete er vergebens auf irgendein andeutendes Wort. Auch das übernächste Mal geschah nichts, und endlich konnte er darüber nicht mehr im Zweifel sein, daß Fräulein Lisa ihre Beziehungen zu ihm mit jenem einzigen Abend als abgeschlossen erachte. Nun ärgerte er sich wieder darüber: Er hatte es sich so schön gedacht, sie noch ein paarmal zu bewirten, ganz als Kavalier, und sich unter ihrer Wohnung mit nachdrücklichem Anstand zu verabschieden. – Sie hat's wohl gemerkt! tröstete er sich – und sich die Blamage ersparen wollen; diese Frauenzimmer sind schlauer als man denkt.

Im Lauf der Zeit nahm Fox bis ins kleinste hinein die Sprechweise seines Lehrers an; er bildete sich ein, dies sei ein neuer Stil, sein Stil, den er sich erobert, zu dem er sich durchgerungen habe. – Mensch, ich gratuliere Ihnen! sagte Herr von Sander eines Tages in feurigem Konversationston, nun kann ich es Ihnen offen sagen: die allererste Zeit habe ich Sie nicht für sehr talentiert gehalten! Aber heute stelle ich Ihnen einen Garantieschein für die Zukunft aus! Ah, ich vergesse: Sie wollen ja gar nicht sich der Bühne zuwenden – es ist doch wirklich schade um Ihr Talent! Es ist erstaunlich, was Sie alles in der kurzen Zeit gelernt haben! Nur in den Bewegungen hapert es immer noch, doch das ist auch gar nicht anders möglich! – Ja! sagte Fox bedauernd, aber das liegt wahrhaftig nur an diesem Mauseloch von Salon, man kann seine Kräfte unmöglich frei darin entfalten.

Eines Tages blieben Fräulein Lilli und Fräulein Lisa aus. Statt ihrer kamen nur Postkarten mit Beleidigungen. Was da vorgefallen war, konnte Fox nicht recht erfahren. Herr von Sander und Herr Eichinger besprachen die Sache lebhaft, ohne daß es ihm gelang, einen Faden zu entdecken. Herr von Sander konnte sich nicht enthalten, beider Talent auf das schärfste herunterzusetzen und die Worte herauszuschmettern: Es ist ein Jammer, wenn solche Wesen die Kunst diskreditieren! so daß das Klavier leise nachzitterte; Herr Eichinger pflichtete ihm in jedem bei, erzählte aber später den beiden Damen alles haarklein wieder. Nach einiger Zeit verlautete, sie seien zu einem Konkurrenten auf dem Gebiete der Theaterschule übergegangen. Sowie Herr von Sander dies erfuhr, schrieb er ebenfalls beleidigende sinnlose Postkarten. Die Antwort hierauf waren zwei Briefe, die nichts enthielten als seine eigenen Karten. Jetzt geriet Herr von Sander in Raserei. Er schrieb zwei Briefe, in denen er seine früheren Ausdrücke noch überbot und den Damen ein ironisches «Bravo» zurief für ihr «vornehmes» Schweigen. Die Briefe lieg er von fremder Hand adressieren, nachdem er Fox vergeblich darum ersucht hatte. Jetzt kamen zwei eingeschriebene Briefe als Antwort: Jede der Damen habe die Sache ihrem Bräutigam, der Jurist sei, übergeben, und der dulde es nicht, daß irgendein hergelaufener Mensch seine Braut beleidige. Es war nicht ersichtlich, ob es sich um zwei, oder um einen gemeinsamen Bräutigam handle. Und nun tat Herr von Sander den letzten Schlag: Er schickte zwei Telegramme, die nur die Worte enthielten: Schließe mit einem Pfui die Akten. – Hierauf waren alle füreinander tot. –

Zu Hause mußte nun Fräulein Nippe Foxens Übungen assistieren. Er brauchte einen lebenden Menschen, zu dem er die Worte sprach, die für lebende Menschen berechnet waren. Und Fräulein Nippe kam so gern! Sie mußte sich als Desdemona auf sein Sofa legen, wogegen sie sich erst schwach sträubte. Aber aus Liebe zur Kunst tat sie es doch. Wenn nur der lange Monolog erst vorüber wäre! Und doch! schön war der auch! Sie lag da und wartete, das offene Buch in ihrer Hand, denn auswendig konnte sie es nicht, es war zu schwer! In Hemdärmeln beugte er sich über sie, selig schloß sie die Augen und bildete sich den Kuß ein, den sie nicht bekam. Aber dann wurde es anders! Fox rollte die Augen, sein Vortrag riß sie mit fort, mit Ausdruck las sie ihre Sätze, immer näher kam der Moment, und endlich war er da: Mit großer Bewegung streifte Fox seine Manschetten zurück, trat in zwei schweren Schritten nah an sie heran, und nun begann die Prozedur des Erwürgens! Es war angreifend, aber herrlich! Durchgerüttelt, selig erschöpft lag sie dann da, bis Fox wieder schrie: Nicht tot? Noch nicht ganz tot? und sich abermals auf sie stürzte. – Noch einmal! sagte sie, schnell atmend, es ging noch nicht so wie es muß! – Es greift mich zu sehr an, meinte Fox. – Dann wenigstens noch einmal das letzte. – Wenn es Sie nicht angreift! – O ganz und gar nicht; ich merke nicht das geringste, Sie brauchen sich nicht zu genieren und können gern noch fester zugreifen. – Fox wußte nicht wie das kam: vor Fräulein Nippe spielte er immer viel besser als vor Herrn von Sander.


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