Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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So hatte er Monate und Jahre ein breites und durch nichts verbittertes Dasein geführt, als ihm sein Vater eines Tages mitteilte, er habe starke geschäftliche Einbuße erlitten, es sei die höchste Zeit, daß Fox an sein Examen denke. Er habe ihn nun lange genug erhalten und sei mit seiner Geduld zu Ende. – So sah er sich denn genötigt, sich von einem jener eigens für diesen Zweck vorhandenen Individuen für das Examen einpauken zu lassen. Ihm brummte der Kopf bei diesem Pauken, das Fräulein mußte ihn überhören, und wenn etwas nicht stimmte, so hatte sie die Schuld. Nach solchen Lernereien fühlte er dann das Bedürfnis, sich auszuspannen. Diese Ausspannungen wurden sehr häufig. Die leichteren Weine wirkten nicht mehr, er trank ganz schwere; und auch die spülte er fast wie Wasser hinunter; am nächsten Morgen war er dann untauglich zu jeder Arbeit, und doch mußte er immer wieder trinken; der Wein war das einzige, was einigermaßen half gegen die Last der Arbeit und die düsteren Ideen, die allmählich in ihm aufzusteigen begannen. Er fühlte, daß das gute Leben ein für allemal ein Ende haben werde, zumal auch seine Gläubiger in immer größerer Zahl anfingen, sich zu regen und schließlich dreist und dreister wurden. – Fast ununterbrochen rauchte er die schwersten Zigarren; seine Hände begannen zu zittern, sein Blick bekam etwas Glasiges. Der Geist des Weines, eine schwirrende Fülle von Paragraphen, der blaue Rauch des Tabaks, das alles wirbelte in ihm durcheinander. Das Examen kam heran, ging über ihn, ließ ihn zurück, und Fox war durchgefallen!

Andern Tags saß Herr Sintrup im Sofa und studierte die Kursberichte. Da wurde ihm ein sonderbarer Brief überbracht; das Kuvert war unfrankiert, zerrissen und mit dem Vermerk versehen: Von der Post verschlossen. Die Buchstaben der mangelhaften Adresse waren verkleckst und tanzten auf und nieder, und ebenso sah es auf dem Briefbogen aus, auf dem irgendeine Flüssigkeit halb klebrig eingetrocknet schien. – Aus einem Entrüstungsruf fiel Herr Sintrup in den andern: Diese Schande, diese Gemeinheit, diese Schamlosigkeit! Frau Sintrup trat verschlafen ein, und nun hörte sie es: Fox war durchgefallen, und damit nicht genug: In der Betrunkenheit hatte er diesen Brief geschrieben, in vollkommenster Betrunkenheit! Als einen Witz teilte er seine Schande mit! Seine Schande und seine Schulden!

Am selben Morgen starrte Fox mit ausdruckslosen Augen vom Bette aus gegen die Decke und dachte immer: was habe ich gestern nur an den Alten geschrieben, was war es nur – irgend etwas Fürchterliches.

Am folgenden Tage läutete es, und dann stand Herr Sintrup vor ihm. Er war zunächst so erregt, daß er kaum sprechen konnte; – dann ging das Donnerwetter los, Fox ließ es über sich ergehen, kleinlaut, wortlos, ganz ohne sich zu verteidigen. Dann forderte Herr Sintrup Aufschluß über seine Schulden; er verlangte die Rechnungen zu sehen. Mit unsicheren Händen kramte Fox in seinen Laden und holte Papier auf Papier hervor, drehte seine Gestalt zur Seite und hörte nur ab und zu Töne, die sein Vater durch die Nase stieß, kurz und wütend, so wie ein Hund, der niest. – Dann stand Herr Sintrup auf, trat zu ihm hin und durchbohrte ihn mit seinem Blick: Kannst du mir in die Augen sehen? Hat dir dein Vater ein solches Lebensbeispiel gegeben? Wie ich so alt war wie du, habe ich schon lange selbst verdient, und vorher, als ich noch Geld von zu Haus bekam – überlegt habe ich mir jeden Pfennig, den ich ausgab, dreimal umgedreht habe ich ihn, kaum eine Flasche Bier habe ich mir geleistet, und wenn ich mir einen Hering spendierte, verteilte ich ihn auf zwei Abende! Und du, und du, und du? Sieh deinen Bruder Pitt an! Er ist kein leuchtendes Vorbild, er hat auch ziemlich lange Zeit bis zum Examen gebraucht, aber in punkto Geld ist er ein Vorbild! Nie hat er auch nur einen Pfennig mehr gebraucht, als er hatte! – Das weißt du ja gar nicht, sagte Fox etwas bissig, denn er ärgerte sich, seinen Bruder als Beispiel vorgehalten zu bekommen, – vielleicht hat er viel mehr Schulden als ich! Im selben Augenblick aber erinnerte er sich daran, daß er ihn kürzlich schriftlich um eine größere Summe angegangen habe, und daß dies Geld sogleich auch eintraf; seine Worte erschienen ihm schlecht gegen Pitt. Und deshalb fügte er hinzu: Ich glaube ja gar nicht, daß es so ist, absolut nicht, aber wenn es nun so wäre, wenn er nun zehnmal soviel Schulden hätte als ich? Was wolltest du denn dann erst sagen?! – Die Logik ist ja reizend! spottete Herr Sintrup. – Ja, bitte, antworte mir doch erst mal, ich setzte also voraus, Pitt hätte so viel Schulden, daß meine ganz klein dagegen erscheinen! – Diese Worte kamen langsam, pointiert heraus, in abstrahierend objektivem Tone, und doch mit einer innerlichen stotternden Zerfahrenheit, während er seinen Vater mit festem Blicke anzusehen strebte und sein Kopf ganz leise, unsicher hin und her ging. – Blödsinn! rief Herr Sintrup, zeig' mir diese zehnfachen Rechnungen und dann laß uns weiter darüber reden. Bis jetzt halte ich mich an deine eigenen. Er schlug wütend mit der Hand auf all die Papiere. Da waren Zigarrenkistchen für fünfzig Mark, für siebzig Mark, das flog nur so! Und die Summe für Delikatessen, die Fox im Laufe der Zeit – meist ohne das Fräulein – vertilgt hatte, war so hoch, daß Herr Sintrup entrüstet rief, soviel brauche er für seinen Haushalt das ganze Jahr nicht, und seine Frau aß doch auch gern Delikatessen! – Was denkst du nun, daß wird? Glaubst du, ich zahle dir das alles? – Nee – sagte Fox, so in die Enge getrieben, obgleich er eigentlich gar keinen Zweifel daran erhoben hatte. Herr Sintrup wurde durch dies halb trocken ausgesprochene Wort einen Moment aus dem pathetischen Dunst, in dem er sich befand, herausgerissen, dann gab er seiner Stimme wieder Nachdruck und fuhr fort: Das fällt mir auch gar nicht ein, und übel wärest du dran, du Patron, wenn du nicht eine so schwache Mutter hättest. Für diesmal bist du gerettet: Sie zahlt dir deine Schulden und zieht das Geld von deinem Erbteil ab! Fox sah überrascht auf, denn dies hatte er nicht erwartet. Im selben Augenblick aber fühlte er sich wieder auf seiner alten Höhe und kam sich nun seinem Vater gegenüber gleichsam wie ein Geschäftsmann vor, denn das Geld wurde ja von seinem eigenen genommen, von dem, das ihm rechtlich später sowieso zugekommen wäre. Beide standen sich nun wieder gleichwertig gegenüber. Na – sagte er, zog die Augenbrauen in die Höhe und ließ seinen Blick, ohne den Kopf zu wenden, nachdrücklich zu seinem Vater hingehen: damit wäre die Angelegenheit ja dann für alle Teile befriedigend geregelt; nun rede aber auch bitte nicht mehr davon. Und er hoffte, dieser Blick würde genügen, seinem Vater Eindruck zu machen. Überhaupt – setzte er aber noch hinzu, brächtest du mir gar nicht ein so großes Opfer, wenn du mir die Schulden gezahlt hättest: In ein paar Jahren hätte ich dir alles zurückgezahlt! – Das ist ja reizend! höhnte Herr Sintrup, wohl dann, wenn die Riesengehälter eintreffen? Vorläufig bist und bleibst du nichts weiter als ein dummer Junge, der vom Gelde seiner Eltern lebt! Fox wurde rot und sagte: Ich verbitte mir das, ich bin nachgerade alt genug, mich nicht mehr als Kind behandeln zu lassen, ich könnte selbst schon Kinder haben! Graf Zitzewitz zum Beispiel –- Komm du mir nicht mehr mit dem alten albernen Gewäsch! rief Herr Sintrup in so befehlendem Ton, daß Fox unwillkürlich wieder sich ganz klein fühlte. Herr Sintrup ging aufgeregt im Zimmer auf und ab, es folgte ein langes Schweigen, dann stellte er sich vor Fox auf und durchbohrte ihn, den Mund zu einer Schlußrede öffnend, mit den Augen. Fox wollte diesen Blick aushalten und versuchte ebenfalls durchbohrend auszusehen, beider Augenpaare begegneten sich, es war wie eine stumme Kraftprobe, wer von beiden es länger aushielt, dann siegte Herr Sintrup.

Mein Entschluß steht fest! sagte er: Du bist durchs Examen gefallen, nachdem du jahrelang gebummelt hast; ich gebe dir ein neues, letztes Jahr zur Vorbereitung, und fällst du ein zweites Mal durch, dann ist es aus zwischen dir und mir, dann erhältst du keinen Pfennig mehr von meiner Seite und magst meinetwegen Kellner werden, das ist mir dann egal. Nun weißt du's. Deine Gläubiger werden jetzt befriedigt, sie schicken ihre Rechnungen an mich, und ich warne sie, dir ferner etwas zu borgen, da ich für nichts in Zukunft aufkomme. Und somit adieu!

Fox begleitete ihn wortlos zum Vorplatz hinaus, und wie sich Herr Sintrup draußen vor der Tür noch einmal umdrehte, da es seinem im Grunde weichen Vaterherzen widerstrebte, seinen Sohn so ohne jedes wärmere Wort zu verlassen, und er ihn halb strafend noch, halb ermuntern wollend ansah, kam das Fräulein gerade die Treppe herauf. Herr Sintrup sah sie nicht, sie aber ahnte sogleich, daß dies Fox' Vater sei, und ohne eine Stufe weiter emporzusteigen, drehte sie sofort wieder um und nahm sich vor, zu gelegenerer Zeit wiederzukommen.

Fox blieb in dumpfem Brüten zurück. Wieder kam er sich schlecht behandelt vom Schicksal vor. Daß seine Schulden bezahlt wurden, war selbstverständlich; daß sein Vater ganz brutal gesagt hatte, nun würde nichts wieder bezahlt, das war herzlos, niederträchtig. Daß er jetzt aber seine Lieferanten vor ihm geradezu warnen wollte – dafür fand er überhaupt gar keine Bezeichnung, das war unqualifizierbar! Wenn sie auch Vater und Sohn waren, so standen sie sich doch auch gesellschaftlich gegenüber; Herr Sintrup konnte Gott danken, daß er Fox' Vater war! Unter andern Umständen hätte er ihn gefordert – einfach gefordert!

Also nun hieß es arbeiten und sparen!

Vor allem kaufte er sich noch einmal die herrlichsten Dinge zusammen, zu einer Art von Henkersmahlzeit; die vertilgte er, und wie er satt war, glaubte er, es werde ihm nun leicht werden, in Zukunft auf all das Schöne zu verzichten. Bei einer ausgezeichneten Zigarre schien es ihm leicht, sich die ausgezeichneten Zigarren abzugewöhnen. Auch den teuren Wein mußte er in Zukunft entbehren. Das schien noch leichter, denn es befand sich noch ein kleiner Vorrat in dem Keller. Den trank er nun in kurzer Zeit aus, um mit ihm aufzuräumen, um reine Bahn zu machen für die Zukunft. Und dann war der Moment da, wo diese Zukunft wirklich beginnen sollte: Mit dem Gefühl des Märtyrers kaufte er sich eine ganze Kiste der billigsten Zigarren, entzündete sich eine und sah die glühende Spitze voll unverhohlener Bitterkeit an: Das schmeckt ja abscheulich – einfach abscheulich! sagte er laut, mit kurzen, hochfliegenden Endsilben, wie wenn ihn gerade jemand beleidigt hätte. Er ließ die Kiste stehen. – Eine einzige, gute Zigarre, eine wirkliche Importe, wird mich auch nicht ärmer machen! Und diese Kiste hier bleibt auf dem Schreibtisch, für den Hausgebrauch. – Der ersten Importe folgte bald eine zweite, eine dritte, nur mit dem Unterschied gegen früher, daß er nicht mehr ganze Kisten kaufte, sondern Stück für Stück. Und wie der Wein zu Ende war, kaufte er ihn flaschenweise. Die einzige, die wirklich etwas von Ersparnissen empfand, war das Fräulein. Sie bekam keinen Wein mehr, sondern nur noch Tee; und die Zuschüsse für die Toiletten hörten gänzlich auf. Theaterbilletts sah sie auch nicht mehr. Fox setzte ihr auseinander, sein Vater habe geschäftliches Unglück gehabt; er hoffe aber, die Zeit der Einschränkung werde vorübergehend sein. Auf diese Wandlung war sie nicht vorbereitet. Fox hatte sie zwar gelegentlich um kleine Geldbeträge angegangen, die sie ihm auch bereitwillig gab, aber das war doch nur geschehen, wenn es sich um Kleinigkeiten handelte und er gerade nur lauter Hundertmarkscheine bei sich hatte. – Jetzt merkte sie nun, wie die Sache stand, und eines Abends sagte sie ihm in aller Ruhe, sie möchte nun nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er machte ihr Vorwürfe, sagte, die wahre Liebe überwände alles, aber sie sagte, nein, das könne sie nicht überwinden, und zeigte sich gegen seine Auseinandersetzungen sehr störrisch und verärgert. Und als er sagte: Na also, auf Wiedersehen, nächsten Freitag! schwieg sie brummig. – Am nächsten Freitag blieb sie auch aus. Bon! dachte Fox, wenn sie nicht mehr will, ist es ihre Sache. Die nächste wird von allem Anfang an etwas knapper gehalten. – Es kam nun ein anderes Fräulein, nicht ganz so hübsch wie das erste, aber viel lebendiger; ja eigentlich viel zu lebendig. Zu Anfang schwieg er und dachte: Es wird sich wohl legen; aber es legte sich nicht. Fox liebte die Lebendigkeit nicht sehr. Das erste Fräulein hatte doch auch viel mehr Gemüt gehabt! Er schrieb diesem ersten einen sentimentalen Brief, während er sich unterderhand nach einem dritten Fräulein umsah und es dem Zufall überlassen wollte, welches von den dreien nun in Zukunft bei ihm fußen würde. In der nächsten Woche war die erste Freundin wirklich wieder da, und als sie ihr Geld erhielt für die «Toiletten», sagte sie, das Vergangene sollte begraben und vergessen sein. Das andere Fräulein verließ den Schauplatz so plötzlich, wie es ihn betreten hatte, unter Mitnahme mehrerer wertvoller Gegenstände, aber ohne Zeichen einer Kränkung. Das erste, eigentliche Fräulein fand von ihrer Nebenbuhlerin noch ein paar Haarnadeln, sagte sich sofort, daß es natürlich sei, daß Fox inzwischen einen Ersatz gesucht habe und steckte sie in ihr eigenes Haar.


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