Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Achtes Kapitel

Fox Sintrup hatte, nachdem er die Stadt Lottes und Herrn Könneckes mit Protest verließ, bald hier, bald dort studiert. Schließlich blieb er in einer größeren Universitätsstadt, die ihm behagte. Er arbeitete wenig, wurde aber im Laufe der Zeit ein großer Feinschmecker und Weinkenner. Dazu unterhielt er freundschaftliche Beziehungen zu den gewaltigsten Persönlichkeiten.

So ein Lerchenzungenragout – also es geht doch nichts über so ein Lerchenzungenragout! – So sprach er in der Weinstube, sah alle Freunde der Reihe nach an und fügte hinzu: Höchstens ein Nachtigallenzungenragout, das soll noch besser sein, das kenne ich nicht; dann erzählte er, wie er neulich beim Kriegsminister eingeladen worden sei, verstummte aber plötzlich – scheinbar in ratloser Überraschung. – Teufel noch mal! rief er endlich und schlug mit der Hand auf den Tisch, indem er die Gegenübersitzenden wie in starrer Überlegung ansah, – das habe ich ja total verbummelt! Kellner! Briefbogen, Kuvert und einen Dienstmann! – Während der Kellner verschwand, erklärte Fox, er sei auch für heute abend beim Kriegsminister eingeladen, habe diese Einladung aber vollkommen vergessen. – Schon manchmal hatten seine Freunde Zweifel an seinen Angaben erhoben, aber was er nun tat, schlug jedes Mißtrauen nieder. Mit Bleistift schrieb er flüchtig einen kurzen Brief, während ihm seine Nachbarn ins Papier schauten. Er entschuldigte sein Ausbleiben, das er um so mehr bedauere, als er nun leider darauf verzichten müsse, mit seiner Exzellenz dem Handelsminister über seine nationalökonomische Broschüre zu sprechen, die demnächst erscheinen werde. – Der Brief ward gefaltet, kuvertiert, auf den Umschlag der volle Name und die Adresse des Kriegsministers geschrieben und dem Dienstmann eingeschärft, das Ganze sofort, aber sofort beim Hausdiener im Palais abzuliefern. Sintrup verkehrt beim Kriegsminister! hieß es nun, und sein Ansehen war wieder um eine kleine Stufe gestiegen. Niemand hatte bemerkt, daß Fox jenen Brief nicht mit seinem Namen, sondern mit zwei unleserlichen Anfangsbuchstaben unterzeichnete. Mochte der Kriegsminister sich denken, was er wollte!

Fox war und konnte jetzt alles – er hatte sehr viel gelesen, sehr viel herumgehorcht und viel erfahren, manches Schwierige aus gedruckten Abhandlungen auswendig gelernt. – Ja du lieber Gott, die Menschen führen immer das Wort «Kunst» im Munde, was ist denn nun eigentlich Kunst? Er nagelte den andern mit seinen Augen fest, und dann wurde mit scheinbarer intensiver Anspannung des Geistes irgendeine komplizierte Definition geboren, die er tags zuvor gelesen und memoriert hatte. Er schriftstellerte, es erschienen hier und da in den Blättern in der Tat Artikel von ihm, mit seinem vollen Namen gezeichnet. Früher schon hatte er politische Broschüren erscheinen lassen, diese aber alle anonym, denn: – Na, Sie können sich ja denken! Man zweifelte an seiner Autorschaft, aber gelegentlich, wenn Freunde ihn besuchten, ließ er sie einen Blick in die dunkle kleine Kammer tun: Da lagen die Broschüren stoßweise, verstaubt, und er sagte bedauernd: Ja, vom Schriftstellern wird man nicht reich, wenn man Talent hat. – Die Broschüren hatte er alle aus irgendeinem Lagerraum, wo sie vergessen lagen, aufgekauft. Er schrieb auch Essays über veraltete, altmodische Schriftsteller, die er ausgrub auf Bibliotheken; sie erschienen zwar nicht gedruckt, aber die Manuskripte lagen bei ihm zu Hause, und er las sie vor; sie klangen gut, merkwürdig echt war darin der Stil der Zeit getroffen. Allerdings hatte er alles eigentlich abgeschrieben aus irgendeinem verschollenen Buch, das niemand kannte. Seine Bemühungen, sich im Ansehen der Menschen aufrechtzuerhalten und es immer noch zu steigern, waren allmählich ins Groteske gewachsen und bedurften viel mehr Nachdenken und Aufwand als seine früheren gelegentlichen Mystifikationen. Und da Fox im Grunde eigentlich schwerfällig und faul war, so kostete ihn dies Treiben viel Sorge und Selbstdisziplin. Er wurde ein Opfer seiner selbst.

Fox galt auch als guter Rezitator; es war bekannt, daß er einst Schauspielstunde gehabt hatte, und daß sein Lehrer ihm beim Abschied sagte: Wenn Sie nicht zur Bühne gehen, mach ich meine Unterrichtsbude zu! – Na, zur Bühne war er nicht gegangen, und im Vortrag der Gedichte vermied er streng alles, was an die Bühne erinnerte. Nicht scharf genug konnte er die Unsitte der meisten Schauspieler verurteilen, die die Gedichtform mit der dramatischen verwechseln, beim Vortrag mit den Händen agieren und wie auf der Bühne Mimik treiben: Wie unendlich fein hatte schon Goethe diesen Unterschied präzisiert! Auf den Bahnen galt es fortzuschreiten, da galt es wieder anzuknüpfen. Unwillkürlich geriet Fox, wenn er so redete, in die Spuren seines Bruders, dessen Gedanken er, getaucht in die Farbe seiner eigenen Sprache, wiederholte. Er konnte dies ohne jede Gefahr, von Pitt hatte hier niemand eine Ahnung, niemand war dabei gewesen, wenn er ihm seine Gedichte vortrug. Fox übte sich auch im Aufstellen barocker Behauptungen, wie sie zuweilen von den Lippen seines Bruders kamen. Bei Pitt waren sie ein künstlerisches Spiel, er glaubte selbst nicht an sie, hielt sie aber, wenn man dann opponierte, mit allen Mitteln der Dialektik aufrecht; diese fehlten Fox nun gänzlich. Die Einwände, die man ihm entgegenwarf, nahm er nicht wie Bälle, denen man geschickt ausweichen, denen man durch ein einziges Wort eine neue Richtung geben, die man parieren und auf den Angreifer zurückschlagen kann, sondern sie lagen da wie dicke Holzklötze, über die seine Füße stolperten. Aber das schadete nichts: Mit einer Handbewegung, wie Pitt sie liebte, wenn er seine Worte an mindere Leute verschwendete, bis er selber ungeduldig wurde, schnitt er die Gegenrede ab und verschanzte sich hinter eine vielsagende Miene, die bei ihm ganz von selber dazu kam. Wie er noch mit Pitt zusammen war, ging sein ganzes Bestreben dahin, selbständig neben seinem Bruder zu erscheinen, seinen Einfluß zu verleugnen. Nun zehrte er sehr von der Vergangenheit, suchte er seinen Bruder auch in seinen Äußerlichkeiten zu kopieren, verband er dessen Sonderlichkeiten mit dem Pompe seiner eigenen Persönlichkeit, und niemand sah das unscheinbare kleine Schiff, das diesen stolzen Dreimaster in seinem Fahrwasser hinterherzog. Zuweilen war es, als wenn die Maske plötzlich rutschte: So sagte er, ehe er seine Militärzeit antrat, einmal mit kapriziös leidender Stimme: Dienen ist doch schlimmer als tot sein! – Nanu, Sintrup, rief einer, ich denke, du willst es mindestens bis zum Hauptmann bringen? – Da sah ihn Fox erst unsicher an, dann sammelte er sich und antwortete im schneidigst zurechtweisenden, kurzen Tone: Na ja?!

Fox war gern gesehen in seinen Kreisen. Er zählte nun schon zu den alten Semestern, zu den sehr alten sogar, denn sein Examen hätte er eigentlich seit langem machen müssen, und Herr Sintrup wies in seinen Briefen darauf hin, Pitt säße doch nun längst in «Amt und Würden». Fox tröstete dann immer mit dem Hinweis auf seine glänzende Karriere und auf die wahnsinnig vorzüglichen Anlagen seines Kopfes. Und zunächst ließ sich auch Herr Sintrup noch trösten, da er alles glaubte und ja auch gedruckte und ungedruckte Bestätigungen dieser Talente erhielt. – Aber Fox brauchte enorm viel Geld, so daß Herr Sintrup sich oft fragte, wo das noch hinauswolle. In den vornehmen Wirtshäusern war er ein gern gesehener und bestbedienter Gast, dem es nicht darauf ankam, eine ganze große Gesellschaft freigiebig zu bewirten, wenn er in Laune war. Mit Stolz sah er die Spitze seiner Nase sich braun färben und erklärte denen, die den Grund nicht wußten, mit bedauernder Stimme, das käme vom vielen Burgundertrinken, was auch der Fall war. Manchmal machte er sich selber Sorgen um seine vielen großen Geldausgaben, und in der Erwägung, daß man stückweise teurer einkauft, als wenn man en gros bestellt, ließ er sich zuweilen ganze Lieferungen kommen und legte sich auch aus demselben Grunde einen Weinkeller an. Bezahlt wurde wenig oder nichts von diesen Dingen, denn man kannte ihn als einen guten, sichern Kunden. Überall erweckte er den Anschein größter Vertrauenswürdigkeit, und er selber hielt sich für eine Art Ehrenmitglied der menschlichen Gesellschaft.

An festgesetzten Tagen der Woche besuchte ihn jetzt regelmäßig ein Fräulein, welches in seiner übrigen Zeit einem durchaus einwandfreien, anständigen Gewerbe nachging. Sie war jung und ziemlich hübsch und bezog ein monatliches Gehalt von ihm für ihre Toiletten, die stets niedlich und sauber waren. Sie liebte Fox nicht gerade, aber sie hatte ihn doch recht gern. Er fragte sie nie nach ihrer Vergangenheit, hatte ihr aber angedroht, wenn er den Schein eines Verdachtes merke, so werde Entsetzliches geschehen. Er habe von seiten seiner mütterlichen Familie korsisches Blut in den Adern, sie solle es nicht in Wallung bringen!

Sie verehrte ihn sehr, und da sie nicht viel Temperament besaß, ward es ihr nicht schwer, sein Gebot zu halten. – Mädchen mit Temperament, pflegte Fox zu sagen, sind nicht mein Fall; viel besser so eine, die abwartet, wie man selbst gestimmt ist! Die haben keine Launen, und man kann immer auf sie rechnen; wenn man sich mal trennt, geschieht es ohne Aufregung und Geschrei. – Fox war dieser Dame zwar nicht absolut treu, aber sie bestand auch nicht darauf, nachdem sie ihn erst darum gebeten hatte und mit den kurzen Worten abgefertigt wurde: Männer sind einmal polygam! was sie nicht verstand und sich erklären ließ.

Es gehörte zu Fox' Ehrgeiz, die Mädchen, die er liebte, zu sich heraufzuziehen, ja er sah es sogar als seine soziale Pflicht an. – Jede Woche bekam das Fräulein ein neues Buch von seinem Regal, bis zum nächstenmal mußte sie es durchgelesen haben und angeben können, was darin stand. Auch führte er sie in die Musikliteratur ein, indem er ihr Lieder vorsang und wohl auch dieses oder jenes Musikstück vorspielte, das er noch von seiner Gymnasiastenzeit her auswendig konnte. – Er hatte jetzt Singstunden genommen, seinem Programm der allseitigen Ausbildung folgend. Er sang mit vielem Gefühl, und war es ein Volkslied, so wollte das Fräulein unbefangen einstimmen, was er ihr aber, sich langsam auf dem Klavierstuhl drehend, mit einem ausdrucksvollen Blick verbot. Dann setzte er ihr den Unterschied auseinander zwischen Kunstgesang und Naturgesang: jedes für sich allein sei schön, aber beide zusammen bildeten eine unerträgliche Einheit. Und sie nickte mit dem Kopf und sagte, sie begreife alles. Wenn Fox sich dann auf seinem Stuhle zurückdrehte und den Erlkönig von Schubert sang, so stand das Fräulein leise auf, ging zu dem kleinen Schränkchen im andern Winkel des Zimmers und entzündete eine Kerze, die sie dort brennen ließ. War Fox mit seinem Liede fertig, drehte er sich wieder langsam mit seinem Stuhle, diesmal nach der andern Seite, starrte das Licht, noch halb im Reiche der Musik, aber doch wie etwas Bekanntes, Selbstverständliches an, erhob sich, nahm es und verschwand, und kam nach einigen Minuten wieder, während deren das Fräulein still seine Rückkehr erwartete und solange einfach die Augen schloß.

Selbst diesem Fräulein gegenüber war ihm sein eigentlicher und eigener Wert nicht genügend, doch wandte er ihr gegenüber niemals komplizierte Mittel an, um sich zu heben, sondern arbeitete nur mit groben, die ihren Zweck vollständig erfüllten, denn sie glaubte alles, ohne sich jedoch wesentlich dafür zu interessieren. Wenn sie so am Tisch saßen, und er ihr von seinen grundlegenden Arbeiten auf diesem und jenem Gebiete erzählte, nickte sie eifrig und dann immer unmerklicher mit dem Kopfe, und erst, wenn die Worte kamen: Ich kann dir sagen, mein neues Werk wird wie eine Bombe einschlagen! wurde sie für einen Augenblick lebendiger, da er bei dem Worte «Bombe» auf den Tisch schlug, was sie jedesmal etwas zusammenfahren ließ, obgleich sie es ja eigentlich schon wußte.

Ist sie wohl etwas indolent? dachte er manchmal. Er gab sich dies im Grunde zu, auch sah er, daß es ihm wohl nie gelingen würde, sie zu sich heraufzuziehen, aber das schadete auch nichts: Goethes Frau hatte auch weit unter dem Olympier gestanden, mit dem er sich übrigens in keiner Weise vergleichen wollte – und dieses Fräulein würde er ja überdies niemals heiraten, was sie auch ganz genau wußte und nicht erstaunlich fand.


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