Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Jetzt kam Herr Feihse auf Fox zu: Er entschuldigte vor allem seine Frau, deren Stimme man draußen leidenschaftlich reden hörte, und lud ihn ein, nun wenigstens nicht sogleich aufzubrechen, sondern bei einem Schälchen Kaffee sein ehrenwerter Gast zu sein. Er fuhr selbst mit auf und ab zitternder Hand zur Kanne hinüber, um einzuschenken. Draußen flog eine Tür ins Schloß, mit hochrotem Gesicht trat Selma ein: Bürgerpack! sagte sie, kleinliche Menschen mit Gefühlchen, ohne jeden Sinn für freie und vornehme Auffassung des Lebens! – Herr Feihse bemerkte, sie habe aber auch nicht recht gehandelt, ihre Zartheit werde zuweilen geradezu ins Gegenteil gedeutet. – Das heißt, fuhr sie auf, daß du mich für unzart hältst! – Herr Feihse sagte vorsichtig, das habe er nicht behauptet. – Sie fuhr mit dem Zeigefinger auf Fox los: Hat er es gesagt oder nicht? Sie sind Zeuge! – Aber Selma, ich bitte dich, laß doch die Szenen! Ich habe nicht von mir geredet, jedenfalls dachte ich dabei nicht an mich! – Sehen Sie, sehen Sie, so ist er! Hinterrücks versetzt er einem einen Hieb, und wenn man sich dann umdreht, macht er ein unschuldiges Gesicht und tut, als ob es ein anderer gewesen wäre! – Herr Sintrup, ich habe mit vieler Freude gehört, daß Sie eine so interessante Stellung an einer Zeitschrift haben! – Nein! davon wird jetzt einmal nicht geredet! Sehen Sie, wie er ablenkt! Bleib bei der Stange! Also du hältst mich für unzart. Meine Haare wären nicht echt, sagte er, als wir das erstemal zusammen waren, vor unserer Verlobung. Ist das Zartheit?! Außerdem war es gar nicht wahr! – Aber Selma, ich bitte dich! rief Herr Feihse erregt, wenn du schon keine Rücksicht auf mich nehmen willst, dann nimm sie wenigstens auf unsern Gast! – Hören Sie es? Er wirft mir Rücksichtslosigkeit vor! Bitte, Herr Sintrup, bin ich rücksichtslos? – Ja; sagte Fox trocken; wenn Sie mich direkt danach fragen! – Sie sah ihn erst verdutzt an, dann nickte sie: Natürlich, wenn zwei Männer zusammen sind mit einer Frau, dann nimmt ein Mann immer Partei für den andern. Ach diese Männer von heutzutage! Sie sollten erst einmal die gewöhnlichste Höflichkeit gegen uns Frauen lernen, von der Galanterie des achtzehnten Jahrhunderts ganz zu schweigen! Jetzt will ich knapp und deutlich wissen: Was ist denn eigentlich mein Verbrechen? Gutes stiften wollte ich! Es gibt soviel böse Gesinnung der Menschen untereinander, daß jeder Christenmensch die Pflicht hat, sie nach Kräften in seinem Umkreis auszurotten und statt ihrer den Geist der Liebe zu säen, und das habe ich getan! – Du hättest die Herrschaften nicht so unvorbereitet konfrontieren dürfen, sagte Herr Feihse. – Ach! sieh mal! Nun, und wenn ich sie vorbereitet hätte, wären sie dann etwa gekommen? – Aber du siehst doch, sie sind ja doch auch so ohne weiteres auseinandergegangen! – Nun, und was ist da der Unterschied? – Herr Feihse sah sie etwas blöde an; es verwirrte sich sein Denkvermögen, er wußte ganz genau, daß da irgendein Unterschied war, und wenn sie ihn allein hätte nachdenken lassen, würde er ihn auch gefunden haben. Aber unter ihren leidenschaftlichen Reden und Gebärden wurde er stets verwirrt; seine Gedanken lösten sich dann geradezu auf. – Ich habe wirklich mit großer Freude gehört, daß Sie jetzt eine so außerordentlich interessante Stellung einnehmen! wandte er sich wieder an Fox. Aber Fox erhob sich und sagte, er müsse leider aufbrechen. – Herr Feihse machte keine Anstalten, ihn zum Bleiben zu bitten: Er war dies gewohnt, die Leute zogen sich von ihm zurück, da er ein einfacher, schlichter Mann war, der ihnen nichts Interessantes zu bieten vermochte. Er hatte es gelernt, die Enttäuschungen des Lebens zu ertragen; die letzte, schlimmste Enttäuschung allerdings, die das Leben ihm gebracht hatte, die – das fühlte er so deutlich – würde ihn ins Grab bringen, langsam, Schritt für Schritt. Er wollte Fox hinausbegleiten, seine Frau verhinderte es, und er trat zurück, aus Angst, die spätere Szene, wenn sie allein waren, würde dann noch heftiger werden. Und bei solchen Szenen regte er sich stets so furchtbar auf! Dann brach alles plötzlich los in ihm – und er durfte das seinem kranken Körper nicht zumuten, und den Nerven seiner Frau ebenfalls nicht; denn diese Nerven – das sagte sie selber – zerrten und rissen an ihr wie eine Meute Hunde an ihren Ketten.

Daß wir uns nun gar nicht einen Augenblick allein gesprochen haben, ganz intim! sagte Selma an der Korridortür; ich hätte Ihnen so gerne manches mitgeteilt. Das Leben ist ein Jammertal, aber mir speziell hat es Bergeslasten aufgelegt, jetzt noch diesen kranken alten Mann, den ich aus purem Mitleid geheiratet habe. Er ist ja nicht einmal pensionsberechtigt, was ich früher annahm. Wäre er wenigstens noch dankbar und zufrieden! Aber Sie sehen ja selber, wie er ist. Und dann, was eine Ehe wahrhaft reich und glücklich macht – Kinder –, die sind uns ja versagt, wie es scheint! Ach, hätte ich einen jungen, schönen feurigen Mann geheiratet, ich würde ihm wahrscheinlich Zwillinge geschenkt haben. – Na na, sagte Fox. – Und Lotte hat außer ihrem Jungen drei süße kleine Kinder! Ja ja, so geht es; das Bessere verschenkt man aus Nächstenliebe – wie ich meinen Vetter an Lotte, und das Schlechte bleibt einem selber übrig, die Reste vom Tisch des Lebens, nachdem man alle hat speisen lassen, bis sie sich satt gegessen haben. Hören Sie nur, da spielt mein Mann Piston! Er will seine Nerven beruhigen; er denkt, es klingt nicht laut, weil er selbst kaum hört, aber mir zersprengt es fast den Kopf; wenn ich das lange anhören muß, fühle ich, wie mir die Adern an den Schläfen schwellen bis zum Zerplatzen. Aber ich sage nichts, ich sage gar nichts! Es gibt einen Ort, wo man es nicht so deutlich hört, aber da bin ich auch nicht gern; dies miserable Haus hat ja nicht einmal überall Wasserleitung; ach, wie schön war es, als ich noch Desdemona spielte! Neulich habe ich an Ihren Herrn Vater geschrieben, ob er mich nicht einmal wieder besuchen will, wahrscheinlich lacht er mich aus – aber was tut man nicht in der Verzweiflung, wenn man sich ganz einsam fühlt!

Fox drückte ihr die Hand, klopfte ihr väterlich auf den Rücken und verabschiedete sich. – Etwas komisch ist sie ja, und etwas vulgär scheint sie auch geworden zu sein, aber das rein Menschliche habe ich selten in einer so interessanten Verkörperung gesehen! dachte er.

Er sprach am nächsten Tage lange mit Pitt darüber, wie es wohl komme, daß Personen des täglichen Lebens, mit all ihren Banalitäten, den Menschen auf die Nerven fallen, daß sie aber, wenn man sie künstlerisch verarbeitet, eine Daseinsrechtfertigung bekommen; dann schrieb er eine kleine Untersuchung darüber, und Fräulein Elsa lobte ihn außerordentlich.

Zunächst war Fräulein Heine von Fox etwas enttäuscht gewesen, denn er war, als sie ihn kennenlernte, noch ganz glatt rasiert, und auf jener Photographie hatte sie ihn mit einem frischen jugendlichen Bart gesehen; deswegen, und auch weil sie den Verdacht hatte, Pitt könne mit ihm über seine Beziehungen zu ihr geredet und sie in ein ungünstiges Licht gesetzt haben, hielt sie sich die erste Zeit sehr von ihm zurück. Fox ließ sich nun aber wieder seinen Bart wachsen, da er das seiner Stellung angemessen erachtete, und ihr Mißtrauen, Pitt betreffend, verlor sich, da sie aus gelegentlichen Äußerungen seines Bruders mit Sicherheit darauf schließen durfte, daß Fox von ihrer früheren Neigung auch nicht die leiseste Ahnung hatte. So näherte sie sich ihm, und in ihrem Verkehr herrschte ein kameradschaftlicher, nüchtern-freundlicher Ton, denn von Gefühlen, wie sie sie für Pitt empfunden hatte, wollte sich nichts bei ihr einstellen, was sie selber unbewußt etwas enttäuschte. Fox selbst dachte vorläufig gar nicht an die Möglichkeit einer Liebe. Sie lernte ihn nun näher kennen und sah alsbald auch Seiten an ihm, die ihr komisch erschienen, was sie ihm auch ganz offen sagte. So lachte sie über seine vielen Nein-neins, über seine «also wirklich», freute sich über sein etwas pompös-behäbiges Auftreten, dem ihr viel Kindlichkeit zugrunde zu liegen schien, und über die Gründlichkeit, mit der er manchmal scherzhaft und leicht hingeworfene Bemerkungen aufnahm und verarbeitete. Aber sie fand das auch wieder reizend, zu seinem Wesen passend. Ihm mißfiel zu Anfang der leise spielerische Ton, mit dem sie ihn behandelte, und, wie in seiner Kinderzeit, setzte er dem einen bedauernd-ernsten Blick entgegen, über den sie dann auch wieder lachte. Er ließ sich niemals aus der Fassung bringen und vollendete seine manchmal absichtlich kunstvollen Sätze langsam, ohne sich um ihre amüsierten Zwischenrufe zu kümmern. Allmählich gewöhnte sie sich an diese Dinge, daß sie sie schließlich gar nicht mehr bemerkte.

In der ersten Zeit besuchte er fast nur Herrn Heine selbst; es gab da manches zu bereden, wenigstens hatte er stets einen geschäftlichen Grund, und Herr Heine freute sich, daß der junge Mann es so sehr ernst mit seiner Stellung nahm. Außerdem sagte Fox: Herr Kommerzienrat, und nicht: Herr Heine, wie Pitt es immer getan hatte, und dann war er niemals abgeneigt, ein Spielchen Karten mit ihm einzugehen, wie Herr Heine es liebte, wenn er, von des Tages Geschäften matt, sich abends erholen wollte. – Allmählich kam Fox auch ohne geschäftliche Gründe; er wußte noch nach Wochen, welche Toilette Frau Heine an dem und dem Tage getragen hatte, und für ihre Schmuckgegenstände zeigte er einen respektvollen Kennerblick. Fox trat auch langsam mit seinen Talenten vor: In seinen Gesprächen mit Herrn Heine verwies er auf seine früher erschienenen Broschüren, von denen er sich durch alle Fährnisse hindurch nicht getrennt hatte, und er empfand kaum mehr, daß er die Unwahrheit sprach, indem er gleichsam nur referierend auf den Aussagen früherer Jahre fußte – er deklamierte hier und da ein Gedicht mit gemildert schauspielerischem Pathos, und ganz entzückt war das Herz der Frau Heine, als er sich einmal an den Flügel setzte und ein Lied vortrug. Auch hier moquierte sich ihre Tochter anfänglich, indem sie es sehr komisch fand, lyrische Töne aus seinem Munde zu hören, aber allmählich moquierte sie sich nicht mehr, fand alles ganz in der Ordnung, und regte ihn an, neue Lieder zu studieren.

Wie anständig, wie hochanständig und respektvoll war dieser Herr Sintrup! Frau Heine dachte mit Bitterkeit an den vergangenen Bruder, der, wie sie jetzt mit immer größerer Deutlichkeit empfand, sich gegen ihre Tochter, gegen das ganze Haus nicht so benommen hatte, wie es sich geziemte, und der nun auf einmal überhaupt nicht mehr kam, einfach fortgeblieben war, ohne irgendein Wort! Sie spürte etwas wie Rachegelüste, und eines Tages sagte sie ganz unvermittelt zu Fox, als sie allein waren: Ihr Bruder hat sich ja damals sehr um die Gunst meiner Tochter bemüht, aber es ist ihm nicht geglückt, ein Mensch mit solchem Benehmen wird überall nur anstoßen, wo er auch hinkommt!

Dieses Wort wirkte außerordentlich auf Fox. Pitt war abgewiesen worden! Dies erfüllte ihn mit tiefer Genugtuung, und es reihte sich in natürlicher Folge der Gedanke daran: Ihm zu zeigen, daß er selber mehr Qualitäten besitze, die die Frauen schätzen. Er gab nun seinem Wesen noch einen besonderen Nachdruck und legte seinen Ehrgeiz hinein, Fräulein Heine seelisch nahe zu kommen. Er wandte sich in manchen ihm zweifelhaften Fällen vertrauensvoll an ihr Urteil: Lesen Sie doch mal bitte dies Gedicht durch; ich bin mir also wirklich – oder in der Tat nicht klar darüber, was der Kerl eigentlich meint. Jedes Gedicht muß doch neben allem Unsinn, der aufs Gefühl wirkt und den eigentlichen Wert ausmacht, auch einen äußeren Sinn haben, und den kann ich nicht finden. – Sie runzelte die Stirn, indem sie's las, und kam sich sehr wichtig vor, von Fox zu Rate zugezogen zu sein. Dies wiederholte sich in der Folge öfter, und nun wanderte er manchmal mit ganzen Päckchen Manuskripten zu ihr hin. Sie machte Tee, und er las vor. Von diesen Dingen kamen sie auf Literatur im allgemeinen zu sprechen, belehrten und erfreuten sich. Von Liebe wollte sich bei ihr nichts einstellen. Bei ihm, wie es schien, auch nicht. Aber er hatte zuweilen tiefe, schwere Blicke, als wollte er in ihrer Seele lesen, und sie erwiderte diese Blicke ernst und bedeutend. – Ob ich ihn wohl lieben könnte? dachte sie manchmal, wenn sie allein war. Er war unstreitig viel imposanter als sein Bruder. Was er allein für Hände hatte! Echte, kräftige Männerhände! Und dann diese kernige Erscheinung! Unwillkürlich reckte sie selber ihre kleine Figur etwas empor. – Sie fing an, mehr auf seinen Körper zu achten. Wenn er neben ihr stand, mit ihr Bilder besah und ein Blatt aus ihrer Hand nahm, so daß sich beide fast berührten, hatte sie mitunter das Gefühl: Wenn ich jetzt noch ein ganz wenig näher an ihn heranträte, und in ihm plötzlich der Mann erwachte?! Es war ihr dies ein schauerliches und zugleich wohliges Gefühl, und wenn sie seine Hände ansah, mußte sie nun öfter daran denken – ganz theoretisch nur! – wie es wohl sei, von diesen Händen ergriffen und umarmt zu werden. Manchmal sah sie auf sie hin und vergaß darüber zu antworten, so daß er nun seinerseits seine Hände beschaute, im Glauben, sie seien vielleicht schmutzig. – Der große, stattliche junge Mann, er war ja so kindlich, so ahnungslos! – Fox war wirklich ahnungslos in allen Dingen, die Unausgesprochenes zwischen den Geschlechtern bedeuten, denn seine Erlebnisse in der Liebe waren stets glatt, exakt und scharf umrissen. Er deutete diese Blicke nur auf Zerstreutheit, allerdings setzte er in Gedanken hinzu, daß sie sich wohl auf ihn beziehe.

Sie fragte ihn, ob sie nicht zusammen einen Sport treiben wollten? Da lag im Parke, hinter dem Hause, der herrlichste Tennisplatz, und er wurde nie benutzt! Fox erklärte, Tennis könne er nicht spielen. – Ich zeige es Ihnen, passen Sie auf, Sie lernen es, Sie sind doch jung und kräftig und nicht so stocksteif wie Ihr Bruder! Der war so langweilig und so furchtbar unjugendlich! – Sie hüpfte selbst ein Weniges in die Höhe. Sie spielten nun. – Sie schlagen viel zu fest für den Anfang! – rief Fräulein Elsa. – Dafür kann ich nichts! Sehen Sie doch selbst mal meine Muskeln! Und, wie wenn er einen Schulfreund vor sich habe, streifte er seinen Hemdsärmel hinauf und sah sie renommierend-erwartungsvoll an, während sie ihrerseits erwartungsvoll zugesehen hatte, wie er den Ärmel in die Höhe streifte. – Ein Arm wie der eines griechischen Götterheros! dachte sie.

Er mußte sie auch auf dem Teiche rudern; er tat tiefe, volle, langsame Schläge, sie sah wortlos eine Zeitlang zu und sagte dann: Wie das Ihnen gut steht! Ich sehe Sie so gerne rudern!


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