Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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Der Fürstenstein

Deutsche Sage.Die aus uralten Zeiten bis 1414. hergebrachte Manier, den Herzog von Kärnthen zu installiren. Der Fürstenstein steht unweit Klagenfurt, von Glaseburg war der Bauer. M<Müller>.

Der Bauer.
Wer ist jener, der in hohen Ehren
Pranget her mit Fahnen und Panieren?
Zwar sein Kleid ist arm und Hut und Schuhe;
Und ein Hirtenstab in seinen Händen,
Und da vor ihm wird ein dürres Pflugpferd
Und ein schwarzes magres Rind getrieben.
Aber hinter ihm welch ein Gefolge
Glänzender mit Helmen, hohen Büschen,
Und mit Harnisch, Schwertern, raschen Roßen,
Die die Erde stampfen und verachten,
Sich in Golde brüsten.

Landesbote.                       Alter Vater,
Sieh', hier kommt der neue Fürst des Landes.

Bauer.
Fürst des Landes? Ich bin Fürst des Steines
Der mir hier auf meinem Acker lieget.
Vater meines Hauses, meiner Kinder,
Fürst des Brots, durch meinen Schweiß erworben –
Ist er Landesvater? Ein gerechter
Richter und Beförderer der Wohlfahrt
Und der Freiheit seiner Kinder? Ist er
Schirmer seines Glaubens und der Wittwen
Und der Waisen Vater?

Landesbote.                         Er wird's werden!

Bauer.
Und hat er dazu auch Muth und Tugend?
Um der Wohlfahrt seiner Kinder willen
Arm zu bleiben, wie er jetzt da gehet?
Um des Rechtes seiner Kinder willen,
Arm zu werden, daß vom dürren Pflugpferd
Und vom schwarzen Rind' er müße leben
Und vergnügt seyn?

Landesbote.                   Amen! er wird's werden.

Bauer.
Nun so zeig' er seines Rechtes erste
Probe, wie er diesen Stein gewinne,
Der nun mein ist.

Fürst.                         Sechzig Pfennig Silbers
Sollen dein seyn und die beiden Thiere
Und mein Kleid, mein Hut und meine Schuhe
Und dein Haus und Acker sollen frei seyn.

Bauer.
Wohl, so geb' ich dir den Stein zum Richtstuhl
Und zum Fürstensitz. Und sey ein rechter
Richter, neuer Fürst, der nur mit Güte
Nicht mit Trutz gewinnet, was ihm noth ist.

Landesbote.
Landesfürst, nun steig' auf deinen Richtstuhl,
Zeuch dein Schwert, und schwing's nach Nord und Süden,
Ost und Westen, daß du deiner Kinder
Die rings um dich stehn und ringsum wohnen,
Schutz und Pfleger, deines Glaubens Schirmer,
Vater aller Witwen, aller Waisen,
Wenn von Ost und West und Nord und Süden
Sie dir schreien, unermüdet seyn willt.
Thu's und schwör'.

Fürst.                           Ich schwöre unterm freien
Himmel, schwinge dies mein Schwert gen Osten
Und gen West und Nord und Süden ringsum,
Meiner Kinder Vater, Schutz und Pfleger,
Schirmer meines Glaubens, aller Witwen,
Aller Waisen, wenn von allen Seiten
Sie mir schreien, Fels und Fürst zu werden:
Das so wahr, als mir von allen Seiten
Hülfe Gottes komme!

Das Volk.                           Amen, Vater!

 


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