Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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23. Opheliens verwirrter Gesang um ihren erschlagenen Vater

Aus Shakespear.

(Hamlet Act. IV. Sc. VII.) Freilich verlieren so einzele Töne ausser dem Zusammenhange des ganzen Stückes ungemein; noch aber ists besser, sie so zu geben, als wie Percy und Neuere in Gesänge ihrer Art zu flicken, wo der Lappe das Tuch reißt. – Und endlich <mit Bezug auf Nr. 24>

Königin.
Ich will nicht mit ihr sprechen –

Edelmann.                                       Aber sie
ist dringend, in der That von Sinnen, sie
verdienet wahrlich Mitleid.

Königin.                                   Was will sie?

Edelmann.
Sie spricht von ihrem Vater viel. Sie sagt,
sie hör', 's geb Kniffe in der Welt, und ächzt,
schlägt an die Brust sich, stößt den Strohhalm fort,
spricht Dinge zweiflich, nur mit halbem Sinn;
die Worte sagen nichts, und dennoch bringt
das ungestalte Nichts die Hörenden
zum Denken; sie fang'n es ihr auf, und passen's
auf ihren eignen Sinn. Sie winkt, sie schüttelt,
Sie macht Gebehrden, daß man glauben muß,
sie denke was dabei, doch weis man nichts
gewiß und meist unglücklich –

Horatio                                           Es wäre gut,
man spräche mit ihr, denn sie könnte doch
in Uebeldenkenden gefährlichen
Verdacht erregen.

Königin.                       Laßt sie ein! So gehts
der Sünde. Meiner kranken Seele scheint
nun jeder Tand ein Bote grossen Unglücks.
So voll kunstlosen Argwohns ist Unthat;
sie fürchtet stets und fördert selbst Verrath.

    (Ophelia tritt ein, wahnsinnig.)

Ophel.
Wo ist die schöne Majestät von Dännmark?

Königin.
Wie gehts, Ophelia?

Ophel.
    Woran soll ich dein Liebchen denn,
        Dein Liebchen kennen nun?
    An seinem Pilgerhut und Stab,
        Und seinen Sandelschuh'n.

Königin.
Ach süsses Mädchen, was soll dieses Lied?

Ophel.
Sagt ihr, was 's soll? Ich bitt euch, hört:
    Er ist todt und hin, ist todt und hin
        Gegangen ins Grab hinein.
    Zu seinem Haupt ein Rasen liegt,
        Zu Füssen ihm ein Stein.

    (Der König tritt herein.)

Königin.
Aber Ophelia –

Ophel.                     Ich bitt euch, hört:
    Sein Leichenhemd wie weisser Schnee

Königin zum Könige.
Ach, seht sie an.

Ophel. singt fort:
    Bestreut mit süssen Blumen –
        Es ging zum Grab' hin naß bethaut
    Mit treuer Liebe Thränen. –

König.
Wie lange war sie so?

Ophel. Ich hoffe, es wird alles gut gehen; wir müssen gedultig seyn: doch kann ich nicht anders, ich muß weinen, wenn ich denke: sie wollen ihn in die kalte Erde legen. Mein Bruder soll davon wissen; und so schönen Dank für guten Rath. Kommt! mein Wagen! – Gute Nacht, ihr Damen, gute Nacht, süsse Damen, gute Nacht, gute Nacht! – (Sie gehet ab.)

(Ihr Bruder Laertes, und der König sind zusammen. Es wird ein Geräusch. Ophelia kommt, phantastisch geschmückt mit Stroh und Blumen. Laertes, der sie sieht:)

    O Hitze! trockne auf mein Hirn. Ihr Thränen
    Sieb'nfach gesalzen, brennt mein Auge stumpf!
    Beim Himmel, Mädchen, deine Raserey
    Soll schwer bezahlet werden, daß die Schale
    Auffliege. Rosenknöspchen, süsses Mädchen,
    Ophelia, liebe Schwester! Himmel, ists,
    Ists möglich? der Verstand ein's jungen Mädchen
    Kann mit ein's alten Mannes Leben hinseyn!
    Natur, du bist fein in der Liebe! fein,
    Du schickst von deinem Selbst ein kostbar Etwas
    Dem Dinge, das du liebest, nach –

Ophel. singt:
    Sie trug'n ihn auf der Baare blos,
    Und manche Zähr' aufs Grab ihm floß –
    Fahr wohl, mein Täubchen –

Laert.
Hätt'st du noch deinen Witz und wolltest mich
Zur Rache überreden; Könnt'st du's mehr?

Ophel.
Ihr müst singen:
    Nieder! Nieder!
    Senken ihn nieder!
Wie herrlich der Schluß passet!
    Nieder! Nieder!
Er ist aus dem falschen Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.Vermutlich eine Ballade, die sich mit der in Englischen Liedern des Inhalts oft vorkommenden Zeile down-a endet, und das ihr Unsinn hier treflich auf den König passet.

Laert.
Das Nichts ist mehr als Viel gesagt!

Ophel. Da ist ein Sträuschen Rosmarin; es ist zum Andenken. Bitt dich, Liebchen, denk an mich! und da ist ein Vergiß mein nicht, auch zum Andenken –

Laert.
Ein Denkmaal im Wahnsinn! – Andenken,
Erinnerung, wie sie sich gehören.

Ophel. Da ist Fenchel für euch und Agley. Da ist Raute für euch, und hier auch etwas für mich. Wir wollen 's Andachtskraut nennen, für den Sonntag; auch ihr müst eure Raute hübsch mit Unterscheid tragen. Hier noch ein Maasliebchen; ich wollt' euch auch gern einige Veilchen geben, aber sie welkten alle, da mein Vater starb. Sie sagen, er hab' ein gut End genommen:
    Denn mein lieber Süsser ist all meine Lust.

Laert.
Andenken, Gram und Jammer, die Hölle selbst
Macht sie zu Lieb' und Anmuth –

Ophel.
    Und wird er denn nicht wieder kommen?
    Und wird er denn nicht wieder kommen?
    Nein! nein! er ist todt!
    Er liegt auf seiner Leichenstätt.
    Geh auch ins Todesbett,
    Er wird nicht kommen! Er kann nicht kommen!

    Schneeweiß, Silber war sein Bart,
    Flächsenzart sein Scheitel war.
    Er ist hin, Er ist hin!
    Werfen wir's Seufzen hin,
    Hab er die seel'ge Ruh.

Und alle Christenseelen. Gott mit euch –

(geht ab und kommt nur wieder im Sarge.)

 


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