Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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29. Die schöne Dollmetscherin

Eine Morlackische Geschichte.

Beide Stücke sind aus einem ungedruckten Italiänischen Mscr. des Abbt Fortis, des bekannten Verfassers der Osservaz. sopra chesso ed osera und der Reise nach Dalmatien. Die Anzeige dieser Quelle ist nicht Dichtung, sondern Wahrheit.

Ueber Gravo fiel der Bascha Mustaj,
Und ringsum die hohe Mauer sanken
Viel von seinen Edeln. Als die Türken
Abends nun im Hause des Nikolo,
Des Gebieters über Gravo assen,
Baten sie um frisches Wasser. Niemand
War der Sprache kundig, als die schöne
Tochter des Nikolo, und zur Mutter
Rief sie: liebe Mutter, auf die Füsse!
Frisches Wasser fodern diese Türken.

Stand die Mutter auf und brachte Wasser.
Alle tranken, doch der Jüngling Muza
Trank nicht; bittend sprach er zu der Mutter:
»Edle Frau, der Himmel sey euch günstig!
Aber gebt, o gebt mir eure Tochter
Zur getreuen Gattin.« »Scherze nicht so,
Spricht die Mutter, du des Bascha Krieger,
Lang vermählet ist schon meine Tochter
An Zikolo, an des stolzen Janko
Neffen. Er gab ihr von rother Seide
Drei gar aus der Maassen schöne Kleider,
Und von feinem Golde drei Agraffen,
Und drei Diamanten, also prächtig,
Daß an ihrem Glanz man Abends speisen
Und in Mitternacht, als wär es Mittag,
Zehen Pferd' behufen könnte. Also
Ist für dich, o Krieger, nicht das Mädchen.«

Traurig saß auf dieses Wort der Jüngling,
Sprach nicht mehr und schloß die Nacht kein Auge,
Und nach langer Nacht bei Tages Anbruch
Sprang er auf, auf seine wackern Füsse,
Ging zum Zelt des Bascha und mit tiefen
Worten sprach er also: Hoher Bascha,
Unter allen Schönen, die dein weites
Land dir zollet, ist von Himmelsschönheit
Hier ein Mädchen, unsrer Sprache kundig,
Tochter des Nikolo, Herrn von Gravo.

Und der Bascha ließ den Grafen rufen,
Sprach vertraulich zu ihm: »ist es Wahrheit,
Was die Rede saget? deine Tochter
Sey so schön und lieblich aus der Maassen?
Wolltest du sie mir zur Gattin geben?«

Unverändert sprach der edle Vater:
»Schön ist meine Tochter, hold und lieblich;
Aber längst ist sie zur Braut vermählet.
Zekulo, des stolzen Janko Neffe,
Gab von rother Seide ihr drei Kleider,
Und von feinem Golde drei Agraffen,
Und drei Diamanten.«
                                    Spricht der Bascha
Freundlich: »Auf! wohlauf denn, Freund Nikolo,
Laß das schöne Mädchen und den Bräutgam
Zu mir kommen, daß es sich entdecke,
Wen von beiden sie sich wähle?«
                                                      Mißmuth
Ueberfiel den Grafen bei der Rede.
Kaum zu Hause, sendet er ein weisses
Blatt an Zekulo, des Woiwods Neffen:
»Jüngling Zekulo, der Bascha sucht dir
Deine schöne Braut zu rauben. Eile!
Komm zu meinem Hofe und wir gehen
Beide zu dem Zelt des Bascha. Morgen
Soll das Mädchen sagen, wen sie wähle?«

Kaum das Blatt gelesen, legt der Jüngling
Auf sein allerschnellstes Roß den Sattel,
Nimmt mit sich dreihundert der Vasallen,
Kommen noch den Abend spät zum Grafen.
Kaum vorbei die Nacht und Morgenanbruch,
Gehen Braut und Bräutigam zum Bascha,
Treten vor ihn, und mit süssen Worten
Spricht der Türke zu dem Mädchen: »Wähle,
Schönes Mädchen, mit wem willt du ziehen?
Ziehn mit Zekulo? wie oder Gattin
Eines Bascha heissen?«
                                        Und das Mädchen
(Also hatt' die Mutter sie gelehret)
Schnell erwiedert sie: »auf grünem Grase
Will, o Herr, ich lieber mit dir stehen,
Als mit Zekulo auf rother Seide.«

Zekulo im Zorn erhob die Stimme:
»Ist das deine Treue, deine Seele,
Die du mir bei deinem Gott geschworen!
Schnell, Untreue, gib die Goldgeschenke
Mir zurück und geh, zu wem du wollest.
Recke aus die Hand.« Betrogen reckte
Sie sie aus, zu geben die Geschenke;
Aber eine böse Schlange stach sie.
Zekulo mit seinem scharfen Säbel
Hieb ihr ab die rechte Hand der Untreu.
Sprach zum Bascha: »Herr es ist dein Glück noch!
Diese rechte Hand war mir gegeben,
Nimm den Rest nun, jeder hat das Seine.«

Knirschend rief der Bascha: »kühner Jüngling,
Und das wagst du hier in meinem Divan?
Bist du tapfer wie du keck bist, Jüngling,
Aus, hinaus zum Zweikampf!« Und der Jüngling
Nahm mit Freuden an den Zweikampf. Beide
Reiten mit Gefolge auf die Ebne;
Doch das Schicksal war dem Bascha widrig,
Und der Jüngling mit dem scharfen Säbel,
Spaltet Mann und Sattel. So gerieth dir
Deine Untreu, schlechtbetrognes Mädchen.

 


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