Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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9. Elisabeths Trauer im Gefängniß

Englisch.

Von Shenstone, einem der sanftesten und natürlichsten Dichter der Engländer in ihren lezten so künstlichen Zeiten. Aus Dodsley's Collect. Tom. IV. p. 333.

Wollt ihr hören wie EliseDie nachmalige Königin Elisabeth im Gefängniß zu Woodstock 1554.
    Klagend im Gefängniß sang,
Als der Schwester stolze Grösse
    Sie zu bittern Thränen zwang.
Spielend scherzten muntre Mädchen
    Rings um ihres Kerkers Wacht;
Ach wie könnt sie jetzt beneiden,
    Was der Grosse sonst verlacht.

»In der Ruhe Thal gebohren,
    Wer verliesse je das Thal?
Drängte sich nach Kron' und Purpur,
    In des Hofes goldnen Saal?
Fern von Bosheit, wie von Schätzen,
    Stiller Lieb und Freundschaft hold –
Ach, was kann wie Lieb' ergötzen,
    Sie, die mehr ergötzt als Gold.

Arme Schäfer, ihr beneidet
    Oft, so oft der Grossen Glück,
Weil sie Gold, statt Wolle, kleidet,
    Gold, des Herzens böser Strick;
Liebe, wie die goldne Sonne,
    Wärmt und stralet euch so gern,
Mahlt euch an der Brust ein Blümchen
    Ueber Ordensband und Stern.

Sieh, wie dort das Mädchen singend
    Ihre Heerde treibt zur Ruh:
Schlüsselblümchen neuentspringend
    Grüssen sie und horchen zu.
Welche Königin der Erde
    Blickte je und sang so froh?
Ach beladen mit Juwelen
    Schlägt und singt kein Herze so.

Wär' ich auch mit euch gebohren,
    Auch ein Mädchen in dem Thal,
Ohne Fesseln, ohne Kerker
    Hüpft' ich in der Freiheit Saal.
Klimmte über Fels und Hügel,
    Sänge Liebe, Lust und Scherz:
Meine Kron' ein Wiesenblümchen,
    Und mein Reich des Schäfers Herz.«

 


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