Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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30. Abendlied

Deutsch.

Von Claudius. Das Lied ist nicht der Zahl wegen hergesetzt, sondern einen Wink zu geben, welches Inhalts die besten Volkslieder seyn und bleiben werden. Das Gesangbuch ist die Bibel des Volks, sein Trost und seine beste Erholung.

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
        Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
        Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
        So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
        Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
        Und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
        Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
        Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinnste,
Und suchen viele Künste,
        Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
        Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
        Wie Kinder fromm und frölich seyn.

 

Und hiemit sey ihm gnug der Volkslieder, oder vielleicht schon viel zu viel. Die Vorrede sagts, wie der Herausgeber zu ihnen gekommen ist, und was er damit für Zweck hatte. Eben aber, dieser verschiedenen Mittel und Zwecke halber können unmöglich alle Stücke aus allen Zeiten, von allen Völkern gleich gut seyn, insonderheit gleich gut nach dem Maasstabe Eines Lesers oder gar Kunstrichters, der sich hinsetzt, in Einem Athem fortzulesen, damit er das Buch abthue und justificire. Jeder Vernünftige wird jedes Stück an seiner Stelle und Ort betrachten, es als das ansehen was es für sich ist und hier seyn soll, also auch nicht in Einem fortlesen noch sich schwindelnd aus Völkern in Völker werfen; endlich was ihm hie und da nicht gefällt, einem andern lassen, für den es da ist. Sodann glaube ich nicht, daß Ein völlig unmerkwürdiges Stück hier vorkommt, und ich könnte sehr beredt seyn, wenn ich von dem Nutzen schwätzen wollte, den manche verdorrte Zweige unsrer Poesie aus diesen unansehnlichen Thautropfen fremder Himmelswolken ziehen könnten. Ich überlasse dieß aber dem Leser und Lehrlinge, der meine Mühe, die Lust und Zerstreuung früherer, einsamer und vergangner Jahre, zu nutzen und anzuwenden begehret. Frühe fing ich an, zu einer Geschichte des lyrischen Gesanges zu sammlen und verschmähete nichts, was dazu diente. Auch dieser Zweig gehörte dazu und der Eigensinn des Zufalls allein zwang mich, zuerst zu geben, was vielleicht zulezt oder nimmer hätte erscheinen sollen. Wie ihm sey. Von Volksliedern zu reden hat seine Zeit, und von Volksliedern nicht mehr zu reden, auch die Seine. Für mich ist jezt die letzte und ich habe, auf Jahre hin, selbst an dem so entweiheten Namen Volkslieder, gnug gehört, daß ich mich damit verschonen werde, so wenig auch mein erster Zweck erreicht seyn mag, und so weit mein eigentliches Eiland noch vor mir, im Schooß der blauen Thetis, schwimmen möge. – Die Muse des Mantuaners ruft mir zu:

– paullo maiora canamus,
non omnes arbusta iuvant, humilesque myricae.

Und also auf diesen Zuruf lebt wohl, meine schlechte, und jedermanns bessere Volkslieder!

Ende des zweyten und lezten Theils.

 


 


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