Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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Drittes Buch

1. Der Knabe mit dem Mantel

Ein Rittermährchen.

Englisch.

S. Reliq. Vol. III. p. 1.

Am dritten Maien
In Karlil kam
Ein art'ger Knabe
Bei Hofe an.

Ein'n Gürtel und Mantel
Der Knabe hatt' an,
Mit Ringen und Spangen
Reich angethan.

Eine Schärpe von Seiden
Am Leib' er trug,
War artig, bescheiden,
Und schien gar klug.

»Gott grüß dich, König Arthur,
Bei deinem Mahl,
Wie auch die gute Königin,
Und Euch ihr Gäste all!

Ich sag euch, ihr Herren,
Seyd auf der Hut:
Wer jezt sein'r Ehr' nicht sicher ist,
Dem gehts fürwahr nicht gut!«

Er zog aus der Tasche,
(Was hatt' er drein?)
Er pflückt heraus ein Mäntelchen
Aus zwo Nußschalen klein.

»Hier hab's, König Arthur,
Hier hab's von mir!
Gib's deiner schönen Königin;
Und wohl bekomm' es ihr!

Es steht keiner Frauen,
Die Treu nicht hielt –«
Ha! wie jed'r Ritter in Königs Hall
Stracks auf die Seine schielt.

Die Kön'gin Genever
Trat stattlich auf;
Der Mantel ward ihr umgethan –
O weh, was folgte drauf!

Kaum hatt' sie den Mantel,
Als sich's närrisch begab,
Sie stand, als mit der Scheer geschnitten,
Ringsum geschnitten ab.

Der Mantel verfärbt sich,
Der Mantel wird grün,
Wird kothig, wird schmuzig;
Gar übel es schien.

Jezt war er schwärzlich,
Jezt war er grau.
»Mein' Treu', sprach König Arthur,
Mit dir stehts nicht genau.«

Ab warf sie den Mantel
So niedlich und fein,
Und floh, als wie mit Blut begoss'n,
In ihre Kamm'r hinein;

Flucht Weber und Walker,
Der das ihr gemacht,
Flucht Rach' auf den Jungen,
Der'n Mantel gebracht:

»Lieber im Walde mögt' ich seyn
Unter dem grünen Baum,
Als hier so beschimpfet
In Königs Raum!«

Sie ruft ihrer Dame
Zu kommen näh'r:
»Madam, mit Euch stehts auch nicht recht!
Ich bitt Euch, haltet her.«

An kam die Dame
Mit kurzem Tritt,
Grif drauf nach dem Mantel –
Wie ging's ihr damit?

Kaum hatt' sie den Mantel,
Als es geschah,
Sie stand ganz Mutterfadennackt
Vor allen Gästen da.

Jeder Herr Ritter,
Der dabei saß,
Wollt' fast sich zerlachen
Bei solchem Spaas.

Ab warf sie den Mantel
So niedlich und fein,
Und floh, als wie mit Blut begoss'n,
Zu ihrer Kammer hinein.

Ein alter Ritter
Hinkt nun heran,
Und weil sein Glaube nicht bieder war,
Schleicht er zum kleinen Mann;

Bot zwanzig Mark ihm
Blank und baar,
Wollt' frei ihn halten
Die Christmeß gar:
Nur daß sein Weib im Mäntelchen
Je nur bestünde klar.

Kaum hatt' sie den Mantel
Sich angethan,
Hier 'n Lappe, da ein Plunder
Hing närrisch dran.
Die Ritter zischten allesammt:
»Nun der wirds übel gahn!«

Ab warf sie den Mantel
So niedlich und fein,
Und floh, als wie mit Blut begoss'n,
In ihre Kamm'r hinein.

Kraddock rief sein Weibchen,
Ruft's sanft herein,
Sprach: »Frau, gewinn dies Mäntelchen;
Dies Mäntelchen ist dein!«

Sprach: »Frau, gewinn das Mäntelchen;
Dies Mäntelchen ist dein,
Wenn du dich nie vergassest,
Seit dem du warest mein.«

An hat sie den Mantel,
Und weh, ach weh!
Er rollt sich zusammen
Zum grossen Zeh.

Sprach: »garstiger Mantel,
Beschäme mich nicht!
Ich will's erzählen,
Worans gebricht:

Ich küßt' Lord Kraddock
Im grünen Hain,
Ich küßt' einmal Lord Kraddock,
Eh wir noch waren Ein.«

Kaum hatt' sie gebeichtet,
Die Sünd' bekannt,
Da stand der Mantel Lobesan
Ihr nett an und galant.

Er glänzt an Farbe
Wie Gold so schön.
Jeder Ritter an König Arthurs Hof
Mit Augen thät er's sehn.

Ein schrie Frau Genever:
»Herr König, nein!
Hat die den Mantel?
Das kann nicht seyn!

Sieh doch die Dame;
Die brennt sich rein,
Und ließ wohl funfzehn Männer
In ihre Kammer hinein.

Ließ Pfaffen und Schreiber
Zu sich herein;
Und seht doch, nimmt den Mantel,
Und brennt sich weiß und rein!«

Der Knab' mit dem Mantel
Sprach: »König, sieh!
Dein Weib schändiret;
Züchtige sie!

Sie ist ein' Hure,
Bei meiner Treu!
Herr König, in eurer eignen Hall
Seyd ihr ein Hahnenreih!« –

Der kleine Knabe
Zur Thür' aussah,
Und sieh! ein grosses wildes Schwein
War g'rad im Walde da.

Er zog ein Messer
Von Holz heraus;
Und wer war schneller
Vor Königs Haus?
Bracht' flugs den wilden Schweinskopf
In König Arthurs Haus.

Legt stattlich den Schweinskopf
Wohl auf den Tisch:
»Wohlan, wer nun kein Hahnreih ist,
Derselb' trenschire frisch!«

Das Wort den Herren
Ging übel ein.
Sie puzten und wezten
Ihr Messerlein;
Theils liessen's fallen,
Und hatten kein'.

Ging ans Trenschiren,
Ging rings herum;
Die Messer, die bogen
Sich schändlich um:
Die Spize, die Schneide
War lahm und krumm.

Lord Kraddock hatt' ein Messerchen
Von Eisen und von Stahl;
Er ging an wilden Schweinskopf,
Zerlegt ihn all und all,
Und präsentirt die Schnittchen
Den Herrn in Königs Saal. –

Der Knab' hatt' von Golde
Ein schönes Horn;
Er sprach: »Da ist kein Hahnreih,
Der trinkt aus diesem Horn!
Er muß sich beschütten
Von hinten, oder vorn.«

Die Herren probierten,
Doch gar nicht fein –
Dem kommts auf die Schulter,
Dem kommt's auf's Bein,
Und wer dabei sein Maul noch braucht,
Fliegts ins Gesicht hinein –
Und kurz und gut, wer Hahnreih war,
War's jezt bei Tagesschein.

Das Horn gewann Kraddock,
Den Schweinskopf dabei;
Sein Weib gewann das Mäntelchen
Für ihre Ehetreu.
Geb Gott, ihr Herrn und Damen,
Daß euch so gut auch sey!

 


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