Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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7. Wilhelm und Margreth

Ein Mährchen.

Schottisch.

(Reliq. Vol. III. p. 119.) Wenn bei diesem und ähnlichen Liedern die Anzahl der Silben das Versmaas überläuft und gleichsam überschwemmet; so liegt in der Uebersezung wohl nicht der Fehler darinn, daß man nicht vier Füße und acht Sylben zählen konnte, oder sie sammt züchtigen, niedlichen Reimen hätte finden können; sondern weil das Original im Ton und Gange damit Alles verlohren haben würde. Wem diese alte Romanze nicht gefällt, der lese die folgende neuere.

Es traf sich an ein'm Sommertag,
        Zwei Liebende sassen drauss'n;
Sie sassen zusammen den langen Tag,
        Und sprachen sich noch nicht aus.

Ich seh kein Leid an dir, Margreth,
        Du wirsts an mir nicht sehn;
Vor eilf Uhr Morgens wird vor dir
        Ein' reiche Hochzeit gehn.

Schön Gretchen saß am Fenster daheim,
        Und kämmt ihr goldnes Haar,
Als sie lieb-Will'm und seine Braut
        Anreitend ward gewahr.

Dann legt sie nieder ihren beinen Kamm,
        Und flocht ihr Haar in Zweyn,
Sie ging wohl lebend aus ihrem Haus,
        Kam nimmer lebend hinein.

Als Tag war um und die Nacht war da,
        Und alles schlafen thät,
Da kam der Geist der schön'n Margreth,
        Und stand an Wilhelms Bett.

»Wachst du noch, süsser Wilhelm, sprach sie,
        Lieb Wilhelm, oder schläfst?
Gott geb dir Glück zum Brautbett dein,
        Und mir zur Leichenstät!«

Als Nacht war um und der Tag brach an,
        Und aufwacht Herr und Knecht,
Der Bräutgam zu sein'r Lieben sprach:
        »Ach, Schaz, ich weinen möcht.

Ich träumt ein'n Traum, mein liebes Weib,
        So träum'n ist nimmer gut;
Ich träumt' mein Haus voll rothem Vieh,
        Mein Brautbett voll von Blut.«

»So ein Traum, so ein Traum, mein herzer Herr,
        So träum'n ist nimmer gut;
Zu träum'n das Haus voll rothem Vieh,
        Das Brautbett voll von Blut.«

Auf rief er all seine wackre Leut,
        Bei Eins und Zwei und Drey'n,
Sprach: »ich muß hin zu Margreths Haus,
        Du läßt mich, Liebe mein!«

Und als er kam vor Margreths Haus,
        Er zog wohl an die Klink';
Und wer so schnell, als ihre sieben Brüder,
        Zu lassen Wilhelm in?

Dann hob er auf das Leichentuch:
        »Bitt', laßt mich sehn die Leich',
Mich dünkt, ihr liebes Roth ist weg,
        Mich dünkt, sie sieht so bleich.

Ich will, lieb Gretchen, um dich thun,
        Was keiner thut um dich,
Will küssen deine Lippen blaß,
        Nicht lächelnd mehr auf mich.«

Einsprachen da die sieben Brüder,
        Gar traurig sprachen sie drein:
»Ihr mögt gehn küssen eure junge Braut,
        Lass'n unsre Schwester allein!«

»Und küss' ich denn meine junge Braut,
        Thu ich nur meine Pflicht.
Der armen Leiche gelobt ich nie,
        Zu Tag und Abend nicht!

Nun theilt, nun theilt, meine wackre Leut,
        Theilt aus euch Kuch'n und Wein!
Was heut ihr theilt auf Gretchens Tag,
        Soll morg'n auf meinen seyn!

Schön Gretchen starb heut; starb sie heut,
        So stirbt ihr Wilhelm morgen!«
Schön Gretchen starb aus treuer Lieb',
        Lieb Wilhelm starb für Sorgen.

Schön Gretchen begrub man unten am Chor;
        Lieb Wilhelm oben hinten.
Aus ihrer Brust eine Ros' entsprang;
        Aus seiner entsprang eine Linde.

Sie wuchsen hinan, zum Kirchdach hinan,
        Da konnten sie nicht höh'r;
Da schlangen sie sich zum Liebesknoten,
        Und jeden wunderts sehr.

Da kam der Küster der Kirch' allda,
        (Ich sag euch, was geschah!)
Unglücklich hieb er sie beid' hinab,
        Sonst stünden sie jezt noch da.

 


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