Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

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Umschwung

Beim Frühstück fiel uns ein, dass wir noch mehr Spielzeug für Winz brauchten. Die paar Schritte zu dem Laden wollten wir zu Fuss machen, danach mit dem Wagen die Kinderpflegerin in Ebenhausen holen und heim nach Oberhaus fahren. Wir kauften einen grossen Teddybären, der quiekte beim Drücken wie ein Schwein, sehr laut. Vevi wollte ihn deshalb nicht nehmen, ein Bär dürfte höchstens brummen. »Und unseren süssen, kleinen Winz recht erschrecken, nichtwahr?« sagte ich. »Unsere Spielwaren sind alle von einem berühmten Kinderpsychologen begutachtet«, sekundierte mir der Verkäufer. Ich durfte den Bären tragen, liess ihn garnicht erst einwickeln, sonst hätte sie schliesslich doch noch widersprochen. Als wir wieder auf die Strasse traten, sahen wir Zettelankleber eifrig mit Maueranschlägen auf rotem Papier beschäftigt. Wir lasen:

Deutsche!

Gefahr droht dem Vaterland. Regierung und Volk von Fichtenstein hat uns ein Ultimatum übermittelt, verlangt sofortige Befreiung seines sattsam bekannten Fürsten (»Donnerwetter, den habe ich ganz vergessen 548 loszulassen«, bemerkte ich mit Schrecken), droht also mit Krieg. In dieser Schicksalsstunde zwingt mich die tiefbedauerliche Erkrankung unseres erhabenen Herzogs und der schmachvolle Pazifismus seines nichtswürdigen Stellvertreters, die alleinige Regierungsgewalt zu übernehmen. Von heute ab untersteht der Staat militärischer Leitung. Ich werde euch zu unerhört glorreichen Siegen führen. Das Standrecht wird hiermit verkündet. Ich setze es als selbstverständlich voraus, dass jeder Deutsche von dem heissen Wunsche beseelt ist, restlosest seine Pflicht zu erfüllen, bereit, den letzten Blutstropfen für das Vaterland zu verspritzen. Wer nicht von diesem Wunsch beseelt ist, wird erschossen. Ebenso wird mit dem Tode bestraft: Jeder, der Handlungen unternimmt oder Nachrichten verbreitet, die geeignet sind, den Wehrwillen zu schwächen sowie jeder, der die Anzeige solcher Straftaten unterlässt. Herr Fichtenstein bleibt nach wie vor fest in unserer Hand. Ich habe ihn in Ketten schmieden lassen.

General Horst von Wedepohl.

Schnell sammelte sich ein Haufen Leser davor, tief ergriffen, feierlich ernst. Auch ich bemühte mich ernst zu bleiben, so heftig, dass ich dabei auf den Teddybären drückte, er quiekte, nicht sehr lange zwar, doch wurde es unangenehm vermerkt.

Eine dürftige Strassendirne ehrwürdigen Alters krächzte: »Wollen S'vielleicht meinen Wehrwillen schwächen? Geben S'fei Obacht, dass S' nicht derschossen werden.«

Da musste ich lachen:

»Wehrwille? Wer will Ihnen denn schon was? Ist einemjeden wohl vergönnt.« 549

»Und Sie sind ein Spion, anzeigt gehören S' mitsamt ihrem Mensch da.«

Vevis eleganter Pelz entfremdete uns offenbar dem Volke. Wütende Gesichter, Fäuste näherten sich uns, drohten.

Mit leichter Verbeugung wandte ich mich Vevi zu:

»Kommen Sie, Frau Generalin, wir wollen Ihrem Herrn Gemahl den guten Erfolg seines Aufrufs berichten.«

»Ja, das wird Horst freuen.«

Hochachtungsvoll wich die Menge zurück. Wir würdigten sie keines Blickes, als wir davonwandelten.

Wir gingen dem Stadtinnern zu, um die Wirkung der Proklamation zu studieren.

»Hm, ich hätte gedacht, die Leute würden so etwas einfach abreissen, auslachen.«

»Fast habe ich mich ein bisschen gefürchtet, Emmaus, die schauten so wild.«

Schon wimmelte es auf den Strassen wie in einem gestörten Ameisenhaufen. Vor den Plakaten drängte man sich aufgeregt. Männer zogen truppweise, festen Trittes, dahin. Man sah, wie der Heldenmut ihren Brustkasten wölbte, wie überlebensgrosse Gefühle in ihnen emporwuchsen, sich in Hurrahrufen Luft machten und ›Nieder mit Fichtenstein‹, ›Heil Wedepohl‹. Das fand tausendfaches Echo. Hier und da stand ein besonders Aufgeregter auf einem erhöhten Mauervorsprung, einer Denkmalsstufe und sprach zündende, kriegsbegeisterte Worte, ich hörte nur einzelne: Nieder – nun wollen wir sie dreschen – hoch – Schmach – Ruhm – Ehre – haut sie, dass die Lappen fliegen – Lumpenpack – Vaterland. Ein neuer Kriegsgesang brauste plötzlich empor, 550 ganz spontan, direkt aus der Volksseele, daher Plagiat bekannter Lieder:

»Lieb Vaterland magst ruhig sein,
Wir ziehen jetzt nach Fichtenstein,
Hinein,
Haun alles kurz und klein.
Die Vöglein im Walde sie sangen so schön:
Den Fürsten, ja Fürsten, sollt ihr nicht wiedersehn.
                                                          Hurrah.«

So mächtig ertönte er, dass die Stimme meines Teddybären nicht durchdringen konnte. Im Hintergrunde wurden einige Spione verprügelt und abgeführt. Ladenfenster wurden eingedrückt und die Auslagen geplündert. Kurz, alle Zeichen edelster nationaler Begeisterung waren vorhanden.

»Niemand grüsst uns mehr, Emmaus.«

»Sei froh, wenn uns niemand verhaftet. Es riecht ein bisschen brenzlich.«

»Wollen wir nicht lieber gleich heimfahren?«

»Könnten wir auch – und auf der Flucht erschossen werden. Gefahren nicht zur Kenntnis nehmen! Nichts unter die Haut gehen lassen! Aber wenn du lieber ins Hotel zurück willst, führe ich dich hin und besorge meine Sachen allein.«

»Das würde dir so passen, ohne mich umgebracht zu werden. Nein, wir beide gehören zusammen wie Gans und Gurkensalat.«

»Weshalb nennst du mich Gurkensalat? Übrigens, darin ist der Geschmack verschieden.«

»Deiner auch, ich weiss. Möchtest du vielleicht Fräulein Diana treffen und mit ihr zusammen ins Gefängnis 551 geworfen werden? Da soll euch der Schnabel sauer bleiben, ich gehe mit dir und beschütze dich. Was willst du jetzt tun?«

»Jetzt gehen wir erst einmal zu Kluft, wir sind ihm einen Gegenbesuch schuldig. Vielleicht ist ihm noch nichts passiert.«

Auf dem Wege dahin begegneten wir schon vorbeiziehenden Truppen, meist mit Fahnen und lärmender Militärmusik. Sie waren aber noch nicht feldmässig ausgerüstet, der Aufmarsch galt einstweilen wohl mehr dem inneren Feind. Von dem war indessen nichts zu sehen, über allen Meteoren war Ruh. Vor einer Abteilung ritt General Wedepohl höchstselbst, in prächtiger Uniform, goldstrotzend, ordengeschmückt. Sein breites Gesäss blähte sich stolz auf dem Sattel, auch das entgegengesetzte Körperende zeigte imperatorischen Ausdruck. Die Augenbrauen vereinigten sich jetzt über der Nasenwurzel, das verlieh düsteren Schicksalsblick, war offenbar mit einem angekohlten Streichholz hergestellt, ich kannte seine Züge doch sehr genau, seitdem ich ihn gemalt hatte. Er ritt wie im Triumphzug, wurde stürmisch begrüsst, Alles jubelte ihm zu, rief ›Hurrah‹ und ›Heil Wedepohl‹, Hüte wurden geschwenkt, dem Austräger einer Gärtnerei wurde sein Korb aus der Hand gerissen, man warf die Blumen. In der Begeisterung griff jemand auch nach meinem Teddybären, ich hielt den fest, so ergab sich ein lautes Quieken.

Das hätte mir übel bekommen können, denn gerade in diesem Augenblick setzte die Militärmusik aus. Befremdet blickte der General zu uns hin, mir blieb nichts übrig als mitzuhuldigen und, merkwürdig, er schien besonders mir zu erwidern, nickte freundlich und 552 senkte grüssend die Degenspitze. Vevi dankte durch gnädiges Kopfnicken.

»Vielleicht habe ich ihm gefallen«, meinte sie, »er wird dir nichts tun.«

»Bilde dir nichts ein, Vevi, so grüsst der Toreador den Stier, bevor er ihn schlachtet. Jetzt kann es gefährlich werden.«

In Klufts Bank stand das Publikum an den Schaltern Queue, jeder wollte sein Geld abheben. Gerade wurde der Eingang geschlossen, durch Anschlag verkündet, dass die Auszahlungen erst am übernächsten Tage fortgesetzt würden. Wir kamen noch hinein, liessen uns beim Herrn Direktor melden. Er holte uns sofort in sein Allerheiligstes, erfreut, uns zu sehen. Wir mussten es uns bequem machen, Likör trinken, Cigaretten rauchen.

»Ich fürchtete, Sie könnten etwa verhaftet sein oder gar schon erschossen, Herr Kluft.«

»Ich? Warum denn? Ich bin jetzt mehr als je unentbehrlich. Zum Kriegführen gehört Geld, und das Geld bin ich. Wedepohl weiss sehr gut, dass nur ich mich auf die Finanzstrategie verstehe.«

»Und der Meteor? Gestern waren Sie noch überzeugt, dass er das einzig Wahre ist.«

»Auch heute noch und immer, und er wird durchdringen, nur ein bisschen verspätet und nicht von Deutschland aus. Hier ist der Meteorismus nur möglich, wenn er dem Volk von einer Obrigkeit unter Strafandrohung befohlen wird. Der Normaldeutsche empfindet Freiheit als eine Art Unordnung. Ordnung, Ordnung über Alles. Unser teures Vaterland hat die besten Buchhalter der Welt hervorgebracht, und das Linienblatt ist die deutscheste aller Erfindungen.« 553

»Wir sollten die Meteoristen zum Widerstand aufrufen. Ich bin zum Kampf gegen den Militarismus bereit, will gern die Führung übernehmen.«

Kluft lachte: »Gnädige Frau, darf ich ihnen zu Ihrem heroischen Gatten gratulieren? Ich dachte, er hätte längst erkannt, wie unappetitlich Heldentum ist.«

Vevi wurde bös: »Finden Sie Verrat weniger unappetitlich?«

»Ja, gnädige Frau. Verrat ist eine Form der Strategie, die oft notwendig ist. Was hat unser braver Wothan jetzt von seiner Unentwegtheit?«

»Wothan? Was ist mit ihm?« fragte ich erschrocken

»Man hat mir vorhin berichtet, dass er, die Meteorfahne schwingend, an der Spitze einer getreuen Schar durch die Strassen zu marschieren begann, überzeugt, dass Zehntausende sich anschliessen, die Kriegshetzer einfach hinwegfegen würden. An einer Strassenbiegung wollte er sehen, wieviele schon mitzogen, er drehte sich um und gewahrte, wie der letzte seiner Getreuen eben in einer Bedürfnisanstalt verschwand. Wothan stand allein mit seiner Fahne und schon kam Übunor und führte ihn ab.«

»Übunor? Was ist das?«

»Wissen Sie das noch nicht? Wedepohl hat eingesehen, dass manche Gewaltstücke des Herzogs sehr unpopulär waren, auch unserem Ansehen im Ausland schadeten. Er hält es für gut, sich immer auf Übergriff untergeordneter Organe ausreden zu können. Deshalb hat er kurz vor seinem Staatsstreich eine Polizeiabteilung mit dem Namen Übunor, Übergriff untergeordneter Organe, geschaffen. Ich habe übrigens sofort Wedepohl veranlasst, dafür zu sorgen, dass 554 Wothan nicht erschossen wird. Er hat es mir versprochen. Ich möchte Ihnen empfehlen, die Auflösung der Meteorpartei sogleich selbst zu proklamieren, verboten wird sie ja doch, und Sie verlängern dadurch Ihr Leben. Nein, kein Kopfschütteln! Bitte, gnädige Frau, reden Sie ihm zu.«

»Ach nein, ich glaube nicht, dass General Wedepohl ein Unmensch ist. Er hat mich auf der Strasse so nett gegrüsst.«

»Wirklich? Dann steht die Sache ganz faul, nehmen Sie es, bitte, nicht zu leicht. Sie müssen wenigstens Zeit gewinnen, um ins Ausland flüchten zu können.«

»So ernst ist es? Aber die Partei löse ich nicht auf. Die mögen sie verbieten, kann ich nicht hindern. Ich selbst helfe nicht dazu. Können Sie mir mein ganzes Bankguthaben auszahlen, möglichst in Dollar?«

»Dürfen wohl auch englische Pfunde dabei sein. Freut mich, dass Sie sich in Sicherheit bringen wollen. Niemand kann garantieren, dass der General Sie nicht alsbald verhaften und aburteilen lässt.«

»Sagen Sie, Herr Kluft, halten Sie Wedepohl für einen militärischen Ehrenmann?«

»Er entstammt einer alten Offiziersfamilie und wird nie die Traditionen seines Standes verleugnen.«

»Er hat meine Ehre gekränkt, hat mich nichtswürdig genannt und mir schmachvollen Pazifismus vorgeworfen.«

»Sie? Er sprach doch vom Stellvertreter des Herzogs, ich hatte es auf mich bezogen.«

»Nein, Herr Kluft, mich hat er gemeint, und er wird mir volle Satisfaktion geben müssen.«

»Ach so. Gute Idee. Solange das läuft, gebietet ihm sein Ehrenstandpunkt, Sie in Ruhe zu lassen. 555 Unangenehm ist, dass der Geforderte die Wahl der Waffen hat. Säbelfechten kann er gewiss besser als Sie.«

»Allerdings, aber bei der Hundeparade hat er einen Schuss in den Arm bekommen, der scheint noch ein bisschen schwer beweglich zu sein, er wird sich lieber schiessen. Darf ich Sie bitten, mein Kartellträger und Sekundant zu sein, ihn um Revokation zu ersuchen?«

»Ich? Aber ich kann Ihnen diesen letzten Freundschaftsdienst nicht verweigern. Doch wenn er nun bereit ist, öffentlich zu revocieren?«

»Mich für einen würdigen Stellvertreter des Herzogs, einen kriegsbegeisterten Ehrenmann zu erklären? Dann könnte er es mit seiner Offiziersehre nicht vereinbaren, mich überhaupt verhaften oder bestrafen zu lassen.«

»Er wird das Duell vorziehen.«

»Furchtbar!« schluchzte Vevi. »Das soll ja direkt gefährlich sein.« »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau, nicht jede Kugel trifft, und nicht jede Pistole hat eine Kugel. Es kommt alles auf den Unparteiischen an.« Ich überlegte einen Augenblick, dann schlug ich für diese Funktion Don Washington Guardallo y Estenbis vor, er gehöre einem alten spanischen Adelsgeschlechte an und werde dem Gegner daher wohl genehm sein. Als Vevi diesen Namen hörte, erinnerte sie sich: »Ach, Washington sollte ich ja – – –« Ich musste schnell meinen Teddybären quieken lassen, um sie zu unterbrechen und ihr durch ein Zeichen Schweigen zu gebieten. »Ist das nicht der Gesandte von Guatemala? Spanischer Uradel steht glücklicherweise gerade hoch im Kurs. Der Fall muss erst dem Ehrengericht vorgelegt werden. Darüber vergehen einige Tage, und Sie können Ihre Abreise in aller Gemütsruhe 556 vorbereiten. Inzwischen fragen Sie Don Quartaller y Steinbeiss, ob er es machen will. Ich werde ihm dann schon die nötigen Instruktionen geben.«

Kluft wusste also, wer dieser Guardallo war, aber das zu verraten lag nicht in seinem Interesse. Beim Abschied vereinbarten wir, uns gegenseitig über den weiteren Verlauf zu informieren.

Vevi und ich gingen jetzt zum Speisen ins Hotel. Dort war ein Brief für sie abgegeben worden: »Gnädige Frau, das Leben Ihres Gatten ist in Gefahr. Sie beide sollten schleunigst ins Ausland reisen. Wenn ich Ihnen irgendwie nützen kann, stehe ich gern zur Verfügung. Freundschaftlich ergeben Diana.«

»Die fehlte uns gerade noch«, sagte Vevi, »immerhin, angenehm edel.«

Nach dem Essen fiel es ihr wieder ein, dass Katja ihr Grüsse für Washington aufgetragen hatte. »Wie ich das nur vergessen konnte! Aber ein Begräbnis ist immer die beste Entschuldigung, besonders das eigene.«

Wir begaben uns zu Don Guardallo, und er war hocherfreut über unseren Besuch, liess sich ausführlich über seine Mutter berichten.

»Eigentlich schade, Herr Emmaus, dass Sie nicht mehr Bürger unseres Staates sind, jetzt könnte es Ihnen wieder viel nützen.«

»Bin ich es denn nicht mehr? Ist Guatemala nicht mehr mein süsses Heimatland?«

»Nein, Ihr Pass ist abgelaufen, und auch wenn wir das Datum ein bisschen verbessern würden, liesse man ihn nicht gelten. Als Präsident eines Landes gewinnt man dort automatisch die Staatsangehörigkeit. Völkerrecht. Auch der Italiener Napoleon wurde so Franzose. Es könnte zu Komplikationen führen, zu 557 Kriegserklärung Deutschlands an Guatemala. Wir sind nicht hinreichend gerüstet. Unsere Kanonen brauchen alle drei einige Reparaturen. Es ist wichtig für mich, stets gute Beziehungen zu der hiesigen Regierung zu haben. Auch der neue Regent General von Wedepohl ist mein Freund.«

»Ausgezeichnet! Dann möchte ich Sie um eine Gefälligkeit bitten. Es hat sich eine kleine persönliche Differenz zwischen dem General und mir ergeben, die soll dem Ehrengericht vorgelegt werden. Da braucht man einen Unparteiischen. Ich könnte mir keinen geeigneteren denken als Sie, den Repräsentanten eines streng neutralen Staates, Sie würden sowohl General Wedepohl wie mich sehr zu Dank verpflichten.«

Er zögerte, Vevi blickte ihn feurig an und lächelte: »Das wird Ihre Mama freuen, lieber Washington, ich werde es ihr gleich schreiben.«

So stimmte er zu, ich dankte herzlich und sagte ihm, dass Direktor Kluft, als mein Sekundant, alle Einzelheiten mit ihm besprechen würde, fuhr fort: »Natürlich ist es unverschämt von mir, Sie gleich um noch etwas zu bitten, ich brauche es nämlich sehr notwendig.«

»Aber selbstverständlich, lieber Herr Emmaus, jeden Betrag.«

»Ach nein, furchtbar liebenswürdig, aber Geld habe ich genug. Ich möchte morgen auf ein paar Tage nach Passau fahren, hin und zurück, könnten Sie uns dazu Ihr Auto leihen? Meins ist so reparaturbedürftig wie Ihre Kanonen. Würde uns riesig freuen, wenn Sie mitkommen wollten.«

Er war sichtlich erleichtert: »Der Gesandtschaftswagen steht Ihnen jederzeit zur Verfügung. Mitfahren 558 kann ich leider nicht, in so unruhiger Zeit muss ich auf dem Posten sein.«

»Das tut mir leid. Ich hätte Ihnen gern unseren Besitz Oberhaus gezeigt. Ich möchte ihn Ihnen schenken.«

Er war erstaunt: »Schenken? Sie meinen wohl verkaufen?«

»Ja, für einen nominellen Preis, der gestundet bleibt.«

»Hm.« Er verfiel in Nachdenken. Dann schaute er mich durchdringend an.

»Lieber Herr Emmaus, wir wollen einander nichts vormachen. Ich erfasse die Situation jetzt. Sie glauben, Wedepohl wird Sie einsperren oder umbringen lassen. Um Zeit zu gewinnen, wollen Sie ihn auf seine Offiziersehre festlegen, indem Sie ihn wegen Beleidigung zum Duell fordern, inzwischen oder danach sich in Sicherheit bringen. Vorher möchten Sie noch einmal nach Passau fahren, um Ihre Angelegenheiten dort zu ordnen. Sie fürchten, dass der Übunor Sie auf der Landstrasse in Ihrem Wagen überfällt, deshalb brauchen Sie den unverletzlichen der Gesandtschaft. Ihrer ist nämlich ganz in Ordnung, ich sah, wie Sie mit ihm hier vorfuhren, der Vorwand war ein bisschen unüberlegt. Und um Ihre Besitzung nicht einzubüssen, möchten Sie sie mir gern zum Schein verkaufen. Richtig?«

»Richtig. Sie haben die Intelligenz Ihres Vaters und das Herz Ihrer Mutter geerbt.«

»Danke. Ich will Ihnen beiden in jeder Weise helfen. Ich bin bereit, das Alles zu machen. Die Verkaufsurkunde Ihrer Besitzung lassen Sie, bitte, vorbereiten, setzen Sie einen beliebigen Preis ein, der einstweilen nicht bar zu erlegen ist. Die Umschreibungskosten und Abgaben tragen Sie wohl? Ich werde Ihnen ausserdem 559 eine Privaturkunde ausstellen. dass ich jederzeit bereit bin, den Kauf rückgängig zu machen. Den Wagen können Sie morgen haben. Solange Sie ihn brauchen, kann ich wohl Ihren benutzen und provisorisch mit dem Hoheitszeichen Guatemalas versehen lassen? Herrn Klufts Besuch erwarte ich.«

Wir verliessen ihn sehr befriedigt. Auf den Strassen leuchteten uns überall neue Plakate entgegen. Ich stoppte und stieg aus, um eins zu lesen.

Es enthielt Vorschriften darüber, welche Jahrgänge sich unverzüglich bei ihren Truppenteilen zu stellen hätten, ferner, dass der Besitz von Waffen bei Todesstrafe verboten sei, alle Parteien seien aufgelöst, die Vereinsvermögen beschlagnahmt, das Tragen von Parteiabzeichen gelte als Landesverrat, ebenso jeder Versuch der Aufhetzung zum Frieden. Die machtvoll hervorbrausende volkliche Kriegsstimmung habe bereits vielfach zu Tätlichkeiten gegen Landesverräter geführt, deshalb seien diese zur eigenen Sicherheit in Schutzhaft zu nehmen und werden erschossen.

Vom Hotel aus rief ich Kluft an, berichtete ihm von dem günstigen Erfolg und unserer Absicht auf ein oder zwei Tage nach Passau zu fahren, um das Kind zu holen und Anordnungen für die Zeit unserer Abwesenheit zu treffen.

Dass wir die Kinderpflegerin nun nicht mehr abholen konnten, war Vevi nicht ganz recht, sie hatte schon so ein schönes hygienisches Kostüm für sie gekauft, und aus unserem fröhlichen Weihnachtsfest würde nun auch nichts werden. »Und du hattest doch gesagt, der Friede sei auf Jahrtausende gesichert.«

»Ist er auch, nur fängt er etwas später an. Je gefährlicher eine Seuche ist, desto sicherer wird sich ein 560 Heilmittel dagegen finden, sobald der Bazillus entdeckt ist. Und der Meteor hat ihn entdeckt, den Bacillus politikus.«

»Und wenn er ihn nicht entdeckt hätte, wäre es jetzt viel gemütlicher für uns.«

»Gemütlichkeit ist nicht der Zweck des Lebens. Gemütlichkeit stinkt.«

»Nein, sie riecht gut, wie Kinder und Weihnachtsbaum.«

Ich musste ihr das letzte Wort lassen.

Am folgenden Morgen lenkte ich den Guatemala-Wagen Passau zu. Von unseren Weihnachtseinkäufen nahmen wir nur mit, was für Frau Guggemos und ihre Familie bestimmt war. Angenehmer Weise war das Wetter noch mild und trocken, die Strassen gut. Wir passierten unbeanstandet Patrouillen, die bedenklich nach Übunor aussahen, Militärposten, Absperrungen. Städte, ja sogar Dörfer, durch die wir kamen, sahen schon sehr kriegsmässig aus, Fahnen wehten von den Häusern, Männer in Militärmützen zogen singend zur Gestellung, Burschen schrieen und waren angetrunken, Mütter weinten. An Mauern hatte sich der kriegerische Sinn in Kreide-Inschriften ausgetobt, heldisch aber nicht immer orthographisch.

Frau Guggemos und Dellinger waren sehr betrübt, dass wir Oberhaus schon wieder verlassen wollten. Einigermassen tröstete sie, dass ich ihnen alle Einnahmen aus Haus, Grundstücken, Vieh für die ganze Zeit unserer Abwesenheit frei überliess und ihnen noch darüber hinaus eine gewisse Summe aussetzte, die sie jeden Monat von München her erhalten sollten. Wir nahmen nur unsere allernotwendigsten Sachen in die Reisekoffer, andere verpackten wir gut, damit sie uns 561 später nachgesandt werden konnten. Als wir zubettgingen, weinte Vevi so, dass Vincenz, den sie beim Einschlafen im Arm hielt, ganz nass wurde und ich ihn trocken legen musste. Ich war auch traurig.

Dann, am Tag, besorgte ich die Grundbuchauszüge für den Verkauf, den ein Münchener Notar beurkunden sollte. Auf Vevis Wunsch bestellte ich ein Kreuz für Lonas Grab und stiftete ihr Seelenmessen in der Domkirche. Mit Dellinger gingen wir alle Grundstücke ab, besprachen, was anzubauen sei und welche notwendigen Reparaturen an Haus und Stall vorgenommen werden müssten. Vevi hielt sich lange im Gewächshaus auf, Winz auf dem Arm, er trug einen Strauss Rosen, als sie herauskamen. Dann war unsere letzte Nacht auf Oberhaus.

»In schöneren Tagen kommen wir zurück, und Alles wird so wie es früher war und auch das Glück«, sagte ich, und Vevi glaubte es und war gefasster. Ganz zeitig fuhren wir am nächsten Tag ab. Winz war gut eingehüllt und noch sehr schläfrig. Vermutlich winkte man uns nach, aber wir schauten uns nicht um.

Vevi musste nun meistens im Hotel bleiben, um Winz zu betreuen, und ich hatte Alles allein zu erledigen. Zuerst brachte ich die Sache beim Notar in Ordnung, Guardallo unterzeichnete den Kaufbrief und die versprochene Zusage späterer Rückgabe. Kluft hatte mit Guardallo gesprochen und General Wedepohl meine Forderung überbracht, das Ehrengericht sollte jetzt zusammentreten. »Wenn wir nur unseren Unparteiischen durchsetzen, ist alles in Ordnung, er hat dann die Waffen zu besorgen und wird die Pistolen mit Blindschüssen laden. Wir müssen überlegen, was nach dem Duell sein wird.« 562

»Wir möchten dann ins Ausland reisen, Amerika womöglich.«

»Ist Ihr Pass in Ordnung?«

»Nein, überhaupt nicht.«

»Unangenehm! Das muss zuerst gerichtet werden, wir sollten einen Sachverständigen befragen, kommen Sie.«

Wir gingen in die Mittererstrasse, durchschritten einen Hof. Im dritten Stock eines schmutzigen, alten Gebäudes war ein Emailschild. ›Karl Schmidmaier. Photograph. Passberatung.‹ Kluft läutete, zweimal kurz, einmal lang. Die Tür wurde ein wenig geöffnet, der Kopf einer alten Frau erschien, faltigschlaffe gelbe Haut, fast japanischer Typus, aber blonde Haare, in der Mitte gescheitelt.

»Ah, Herr Direktor, kommen Sie herein, bitte«, flüsterte sie freundlich grinsend. Wir traten ein, und ich sah, dass es keine Frau war, sondern ein kleiner, breiter, zwitterhafter Mann. Er führte uns in sein Büro, in dem auch jetzt am Mittag noch Licht brennen musste. Alle Wände deckten Regale mit beschilderten Kartothekbänden, Schreibtisch, Rohrstühle und ein Kassenschrank waren die Möblierung, in einer Ecke standen photographische Apparate. Ich wurde vorgestellt, wir setzten uns. Kluft berichtete meinen Fall ausführlich, verschwieg nichts, fragte: »Was empfehlen Sie uns, haben Sie etwas Passendes auf Lager?«

Schmidmaier erwiderte mit gedämpfter Stimme: »Das Beste ist, Sie fahren nach einer Hafenstadt, von da ins Ausland. Welches Ausland, das muss ich erst nachsehen.« 563

»Können Sie einen Pass machen, mit dem ich nach Amerika komme?«

»Sie irren sich, mein Herr, ich bin kein Passfabrikant. Ich vermittle nur echte Pässe. Ich tue das aus reiner Menschenfreundlichkeit, meine einzige Bedingung ist, dass ich die nötigen Photos selbst anfertigen darf. Dafür ist eine kleine Vergütung zu zahlen, zweitausend Mark für jedes Bild.«

»Einverstanden. Aber wieso echte Pässe?«

»Ich stehe in Verbindung mit allen Meldeämtern, Polizeifunktionären, Krankenhäusern, Beerdigungsanstalten, die halten mich dauernd informiert. Wenn durch eine dieser Stellen ein Pass verfügbar wird, sei es, dass man ihn eingezogen hat oder der Inhaber verstorben ist, wird er mir zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf wird eine neue Photographie eingeklebt, die Stempelung kunstvoll erneuert, und der Pass ist zur Weiterverwendung bereit. Noch nie ist einer meiner Pässe beanstandet worden, tausende von Dankschreiben bezeugen das.« Er stellte einige Fragen an mich betreffend das Aussehen meiner Frau und ihr und mein Geburtsjahr, holte einen Registerband herbei, blätterte darin, notierte, sprach: »Da habe ich etwas sehr Schönes. Passinhaber ist vor kurzem hier verstorben, Pass ist bei der Polizei verblieben. Er und seine Frau waren etwa im gleichen Alter wie Sie beide, auch das Aussehen dürfte ziemlich genau stimmen. Der Klaviervirtuose Emmerich Emmenthaler aus Zürich mit Gattin, Kind und Kindermädchen.«

»Der kürzlich in der Tonhalle mit seinem Konzert ausgepfiffen wurde?«

»Derselbe. Er wollte mit seiner Familie nach Amerika reisen, starb hier nach einer Darmoperation. Die 564 Frau hat sich und dem Kind das Leben genommen. Der Pass ist frei. Amerikanisches Visum und Einwanderungserlaubnis ist auch vorhanden.«

»Gut. Aber in Amerika möchte ich unter meinem richtigen Namen leben.«

»Dafür ist doch das Einfachste, Sie verschaffen sich ausserdem einen echten deutschen Pass zur späteren Legitimation. Herr Direktor Kluft kann Ihnen sicher dazu verhelfen.«

Aber Kluft bedauerte, es ablehnen zu müssen. Schmidmaier war bereit auch diesen zu besorgen, nur wäre das etwas teurer. Der betreffende Beamte habe in riskanten Fällen einen festen Tarif von fünftausend Mark, er selbst verdiene nichts daran, berechne auch die Photos nur einmal. Ich erklärte mich einverstanden, machte eine Anzahlung, wurde bei Blitzlicht photographiert. Vevi musste später zu demselben Zweck zu ihm gehen, ich blieb so lange bei Winz, ging mit ihm sogar ein paar Schritte spazieren. Soldaten marschierten vorbei, ich hob ihn auf den Arm, damit er sie sehe und für sein Leben einen Abscheu bekomme.

Als ich ihn wieder auf den Boden gesetzt hatte, versuchte er eine stramme Haltung anzunehmen, im Stechschritt die Kniee durchzudrücken und den Kriegsgesang nachzumachen »– – wiede sehn – huah –.«

Vorbeigehende sagten: »Der wird einmal ein tapferer Vaterlandsverteidiger.«

Ich schämte mich für ihn und da beschloss ich, ihm meine Lebensgeschichte aufzuschreiben, ganz wahrheitsgetreu. Bis er lesen gelernt, würde sie längst fertig sein, er sollte sich daran emporranken, alle meine 565 Fehler und Irrtümer vermeiden lernen und als tüchtiger Meteorist aufwachsen. Meine Frau hat dann allerdings gemeint, es sei keine Lektüre für Kinder. Vevi kam zurück, und ich berichtete ihr Winzens Untat. Sie lachte und liess es ihn noch einmal machen. Nun verlor ich leider meine Selbstbeherrschung und verabreichte ihm einen kräftigen Denkzettel. Er heulte. Vevi sagte verächtlich: »Und du sprichst von Weltfrieden!« Ich gab ihr recht, auch entarteten Kindern gegenüber soll man Gentleman bleiben.

An diesem Tage schmollte sie zum ersten Mal.

Als ich Guardallo seinen Wagen zurückbrachte, war er eben im Begriff, das Guatemalazeichen auf den meinigen malen zu lassen. Ich liess mit der Arbeit innehalten und statt dessen CH, das Zeichen der Schweiz, anbringen. Er wusste schon, dass der Ehrenrat am folgenden Tage zusammentrete. 566

 


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