Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Graue

Eines Tages besuchte mich ein kleiner, bekümmert aussehender, älterer Herr, begrüsste mich mit dem Parteigruss, überreichte mir einen Brief von Konditor Wothan: »Das ist der Buchdrucker Lorenz Wirsing, ein alter Freund von mir, absolut zuverlässig, tüchtiger Fachmann. Er hat eine kleine Werkstatt für Accidenzdruck, vielleicht könnten wir sie ihm etwas vergrössern.« Nachdem ich eine Weile mit ihm gesprochen hatte, schien er mir in der Tat vertrauenswürdig zu sein. Ich setzte ein Flugblatt auf:

»Deutsche! Ihr leidet Unsägliches. Die Verquickung von Staat und Politik führt euch in den Abgrund. Nur Trennung von Staat und Politik kann euch retten. Das war das Ziel der Meteorpartei. Deshalb wurde sie unterdrückt. Die Meteorpartei kommt jetzt wieder. Sie wird euch retten. Seid bereit.

Der Meteor.«

Ich gab Format, Papier und Druckart an, fragte: »Können Sie das drucken, vorläufig zwei Millionen Stück?« Er meinte, seine Maschinen seien nicht ausreichend dazu, eigentlich müsste es auf Rotationspresse gedruckt werden.

»Nun, drucken Sie einstweilen so viel Sie können, lassen Sie die Zettel von getreuen Leuten in der Stadt 354 verbreiten, an die Wände kleben. Dann werden wir weiter sehen. Was wird es kosten?« Er machte einen Überschlag, nannte den Preis. Ich bezahlte ihm einen freigebigen Vorschuss. Herr Wirsing verlor ein wenig sein kummervolles Aussehen. Als er kam, war er ganz grau in grau gewesen: graues Haar, graues Gesicht, graue Hände, graue Kleidung. Jetzt wurde wenigstens sein Gesicht rosig.

Am liebsten hätte ich mich jetzt längere Zeit nicht um die Entwicklung der Welt und ihrer Geschichte gekümmert. Alles, was geschieht, ist hässlich, schön ist nur, was beruht. Auch die Kunst ist nur schön, wenn sie sich mit ruhenden Dingen befasst. Gibt es etwas Abscheulicheres als ein Schlachtenbild, wo Alles Bewegung und Krampf ist? Doktor Herfurth hatte mir ein altes Bild gezeigt, das einen Höllensturz darstellte, und war enttäuscht, als ich es aus diesem Gesichtspunkt ablehnte und ihm ausserdem sagen musste, dass keiner der alten Meister den Teufel richtig dargestellt habe. Das Wesen des Teufels ist Schwere, er hüpft nicht auf Bocksfüssen, er trampelt.

Ich malte eine wiederkäuende Kuh, die im Grase lag, daneben Vevi im Liegestuhl ein Buch lesend. Ich hatte ihr versprechen müssen, das Bild nicht ›Wiederkäuer‹ zu nennen. Doktor Herfurth kam dazu und setzte unser Kunstgespräch fort, bestrebt, mich zu der orthodoxen Auffassung von Satans wahrer Natur zu bekehren. Im Eifer, ihm zu zeigen, wie ich mir die Teufelsgestalt dachte, stellte ich sie, mit wenigen dunklen Pinselstrichen, auf die Wiese. Da liess ich sie, das Bild ist so geblieben, und die Kunstkritiker haben sich später über den Tiefsinn der Idee die Köpfe zerbrochen.

Ein Porträt Doktor Herfurths habe ich gemalt, kurz 355 bevor er nach Rom in ein hohes geistliches Amt berufen wurde. »Wenn Sie einmal dort Papst werden und das Innere der Peterskirche braucht eine neue Wandbemalung, denken sie, bitte, an mich, Hochwürden.«

»Gewiss, Herr Emmaus, aber ich glaube, die alte ist noch ganz gut.«

Inzwischen ging unser Heer in Feindesland immer weiter vor und unsere Wirtschaft in der Heimat immer weiter zurück. Es wurde klar, dass sie nie zusammenkommen konnten. Die Kluft, die zwischen beiden entstanden war, füllte sich mehr und mehr mit Unzufriedenheit aus und mit Kriegsverletzten, vernichteten Existenzen, Geldentwertung, Hunger. Die Katastrophe war nur noch eine Frage der Zeit.

Mit feiner Witterung begann die Wochenschrift ›Standarte‹ ihre Haltung zu ändern, wozu auch beitragen mochte, dass weder die Soldaten im Felde noch irgendwer in der Heimat das Blatt mehr anschauen wollte. Die Militärverwaltung nahm kein einziges Exemplar mehr ab, der Absatz sank rapid. So versuchte die Redaktion, sich wieder mehr im alten Meteor-Sinne zu betätigen, vorläufig mit dem Resultat, dass der Rüstungskonzern seine Subvention einstellte. In dieser Zeit wurden zum ersten Mal unsere Meteor-Flugblätter verbreitet und an die Mauern geklebt. Sie hatten ungeahnte Wirkung: Zunächst die, dass Quartaller verhaftet, die ›Standarte‹ konfisziert und verboten wurde. Die Militärbehörde war nämlich fest überzeugt, dass diese Propaganda auf das Konto des alten ›Meteor‹ zu setzen sei, mochte er sich noch so sehr als ›Standarte‹ tarnen. Quartaller konnte sich gegen die unerhörte Beschuldigung nicht verteidigen, denn, bevor er noch dazu kam, war er schon standrechtlich erschossen. 356 Auch alle Mitarbeiter und Redaktöre wurden festgenommen. Nur Resniksen war es gelungen, rechtzeitig nach Island zu flüchten. Eugen Lomohl, der als verantwortlicher Redaktör der Zeitschrift zeichnete. konnte nicht eingestehen, an der Herstellung und Verbreitung der Flugblätter beteiligt zu sein. Man betrachtete das als freche Verstocktheit, gnadenweise wurde er nur zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, verschärft durch zwei Fasttage wöchentlich. Er bat, man möge ihm die Fasttage erlassen, weil er magenleidend sei. Das wurde ihm zunächst gewährt. Nach drei Monaten hat die oberste Instanz aber die Begünstigung widerrufen und verordnet, dass die versäumten Fasttage sofort nachzuholen seien. Da das sechsundzwanzig Fasttage hintereinander ergab, ist diese Zierde der deutschen Dichtkunst leider im Gefängnis verhungert. Die Brüder Horzel hatten den wirtschaftlichen Zusammenbruch der ›Standarte‹ vorausgesehen und sich bereits vierzehn Tage vor unserem Flugblattversuch von ihr zurückgezogen, sich zum Heeresdienst an die Front gemeldet, ihr vaterländisches Gewissen verlangte das dringend. Nun vermutete die Militärbehörde, sie hätten heimliche Agitation im Heere betreiben wollen, holte sie zurück und sperrte sie ein. Es war Haussuchung bei ihnen gehalten worden. Dabei hatte sich allerdings nichts Belastendes ergeben, was aber nur ihre Schlauheit und Vorsicht zeigte. Unter ihren Briefschaften fand sich mancher Beweis ihrer Feindschaft gegen mich, und es wurde ersichtlich, wie sie mich hinterlistig um mein Haus gebracht hatten. Das kam mir jetzt sehr zugute, verhinderte, dass Verdacht auf mich fiel.

Wirsing war klug genug, seine Tätigkeit vorläufig 357 ruhen zu lassen, ich hätte es ihm gar nicht anzuempfehlen brauchen.

Es dauerte nicht lange, da war der ganze Standarten-Verlag bankrott, kam samt Druckerei zur Versteigerung. Das Angebot Herrn Wirsings war so lächerlich gering, dass wir fürchteten, es würde nicht angenommen werden. Doch die beiden anderen Gebote, das eine von Horzels Vater, das andere von einem rheinischen Grossindustriellen, der dem Rüstungskonzern nahe stand, waren noch viel niedriger. So erhielt Wirsing den Zuschlag. Ich war geheimer Teilhaber. Nun mussten Druckerei und Verlag zuerst vorsichtig geführt werden, um nicht neuerdings Misstrauen der Behörden zu erregen.

Ich bat Oberst von Pressath, seine Geschichte der Stadt Passau, die längst vollendet in seinem Schreibtisch ruhte, im Verlag Lorenz Wirsing erscheinen zu lassen, verschaffte ihm einen überraschend günstigen Vertrag.

Monsignore Doktor Herfurth vermittelte uns Druck und Verlag religiöser Abhandlungen und katholischer Schulbücher, an diesen war sogar viel zu verdienen.

Um ganz sicher zu gehen, verlegten wir auch eine national-hoffnungsvolle Broschüre: ›Deutsche seid unverzagt!‹ von Korvettenkapitän Graf Edderkopp und den hochgesinnten Roman eines bekannten Kolonialschriftstellers: ›Afrika – Lebenstraum – Lebensraum.‹

So waren wir ein Unternehmen, dessen Treue zu Thron und Altar Niemand anzuzweifeln gewagt hätte.

Eine weitere ungeahnt schnelle Wirkung hatte unser Meteor-Flugblatt gehabt: Es überzeugte von neuem eine sehr grosse Zahl früherer Mitglieder, dass nur die 358 Meteorpartei die Menschheit retten könne, und es bildeten sich, unabhängig voneinander, überall im Verborgenen Gruppen und Verbände, die nur darauf warteten, in Tätigkeit zu treten. Dieses Feuer durfte nicht wieder erlöschen. Wirsing druckte heimlich Millionen von Werbeschriften und verstand es, sie im ganzen Reich auf eine Weise zu verbreiten, dass es schien, als seien sie nicht in München gedruckt worden, sondern in Berlin.

»Warum macht ihr so gefährliche Sachen«, fragte mich Vevi, »was haben wir davon? Sicher sind euere Ideen richtig. Aber weshalb muss jeder Mensch, der eine richtige Idee hat, andere dazu bekehren wollen? Wo er doch ruhig abwarten könnte, bis es denen selber einfällt. Du wirst nie ein Apostel werden, ein Apostel ist immer ein aufgeregter Mensch und das bist du nicht. Im Grunde seiner Seele möchte jeder Mann ein Held sein, auch wenn er es nicht kann. Du kannst Bilder malen, du kannst in der Sonne liegen um über die Welt und ihre Wunder nachzudenken, ich kann Tiere und Pflanzen züchten. Dazu hat uns Gott bestimmt.«

»Vielleicht hast du recht, aber findest du nicht, dass es wertvoller ist, neue Menschen zu erziehen als neue Gurken?«

»Nein! Und die Gurken schiessen uns nicht tot.«

Ich bin gewiss nicht leicht zu beeinflussen, aber nun fasste ich den Entschluss, den Dingen vorerst ihren Lauf zu lassen. Wirsing würde es schon machen, er war voll zäher, grauer Energie, eine knochige Natur.

Im Garten hatten wir eine Pflanzung junger Apfelbäume angelegt. Einer davon trug jetzt zum ersten Mal Früchte, sie leuchteten rot aus dem dunklen Laub. Ich 359 versank in seinen Anblick, fühlte mich von der Schönheit tief bewegt. Ich malte ihn. Als ich fertig war, kam Vevi, umarmte mich freudig. Fühlte sie sich als Siegerin? Ein Bild erschien mir: Der Baum des Paradieses wächst aus Evas Unterleib empor, sie liegt lächelnd auf der Erde, Adam steht verdutzt daneben, den gepflückten Apfel in der Hand. So fügte ich diese Figuren hinzu. Mag sein, dass ich die Malerei dadurch verdorben habe.

In der Folge habe ich viele Landschaften gemalt, die ganze Seligkeit jener Tage strahlte aus ihnen. Es war eine glückliche Zeit. Nur selten bedrückte mich der Gedanke, dass wir vielleicht die einzigen zwei wunschlosen Menschen waren, die es jetzt im Lande gab.

Genoveva begann rundlich zu werden. »Es bewegt sich schon. Fühle!« sagte sie am Abend. Ich musste die Hand auflegen:

»Ja, ich glaube, es übt Kniebeugen, hoffentlich wird es kein Sportsmensch.«

»Warum nicht? Sport ist das beste Surrogat für Arbeit, das es gibt.« – »Nein, sonst würden Arbeiter nicht Sport bctreiben.«

»Sie brauchen eben nicht mehr so viel zu arbeiten, seitdem man Maschinen hat, je mehr Maschinen, desto mehr Arbeiter-Fussball.«

»Ich will nicht, dass es Fussball spielt, dann noch lieber Tennis.«

»Aber vielleicht möchte es Boxer werden. Weshalb machst du ihm Vorschriften? Ich glaube, du liebst es garnicht.«

»Doch, ein bischen, besonders solange es noch ein Teil von dir ist.« Ich küsste den warmen Leib. – Wir lebten wie verzaubert dahin auf unserer Höhe, ringsum 360 in den Niederungen war Elend, wachsende Not und Verzweiflung.

Die Glocken läuteten: Waffenstillstand. Der Krieg war verloren. Soldaten strömten zurück, unregelmässig, verwirrt, voller Zorn gegen die Mächtigen. Sie konnten sich nicht so schnell daran gewöhnen, wieder Einzelwesen zu sein, deshalb bildeten sie, nach russischem Muster, Arbeiter- und Soldatenräte. Die sollten das Land regieren.

Zeitig in der Frühe war ich mit Dellinger beschäftigt, im Keller den Verschlag für ein erwartetes neues Heimschwein herzurichten, als plötzlich zwei, leicht angetrunkene, Soldaten in schäbiger Uniform, mit roten Armbinden, neben uns standen, Gewehre umgehängt, unrasiert, verwahrlost.

»Welcher von euch ist der Festungshäftling Emmaus?«

»Ich, was wünscht ihr?«

»Der Arbeiter- und Soldatenrat lässt dir sagen: Der König ist abgesetzt, der Kaiser auch. Sind ausgerückt. Die Offiziere haben nichts mehr zu befehlen. Genosse Emmaus, du bist frei.« Ich drückte ihnen die Hände, sprach:

»Kameraden, Genossen, ich danke euch. Die Stunde der Befreiung hat geschlagen. Ich übernehme hiermit die Festung Oberhaus. Sie bleibt in unserer Hand.« Dellinger fing an zu lachen. Das konnte gefährlich werden.

»Genosse Dellinger«, sprach ich, indem ich ihm heimlich auf den Fuss trat, »ich sehe, dass auch du dich über unsere Befreiung freust. Diese Kameraden haben mir die Verantwortung für den Festungsbetrieb übertragen. Du wirst deine Arbeit fortsetzen wie 361 bisher, ebenso die Genossin Guggemos.« Er blieb im Keller, ich stieg mit den beiden Soldaten die Treppe hinauf. Sie wollten mir den Vortritt lassen.

»Nein, bitte, nach euch«, sagte ich.

»Nein, nach dir.«

»Aber bitte sehr, ich bin hier zuhause.« So gingen sie voraus, was immerhin sicherer war, denn sie hatten Gewehre.

»Jetzt wollen wir zum Kommandanten«, sagten sie. Ich war darüber beunruhigt, er würde die Situation nicht gleich begreifen. Mein erster Gedanke war, unter irgend einem Vorwand vorauszueilen, um ihm Alles zu erklären. Aber bei seiner Taubheit hätte ich so brüllen müssen, dass man es im ganzen Haus gehört haben würde. Angstschweiss stand mir auf der Stirn, als wir bei ihm eintraten, ohne Anklopfen, denn das hörte er doch nie. Er sass, mit dem Rücken zur Tür, vor seinem Schreibtisch. Auf dem lag ein Extrablatt der Passauer Zeitung mit der Nachricht von Waffenstillstand, Zusammenbruch und Monarchenflucht. Über einen Stuhl war sein Gala-Uniformrock gehängt, von dem hatte er die Orden und die Epauletten entfernt, sie lagen in einer noch offenen Schachtel, daneben auf der Tischplatte sein Säbel, eine Paketadresse und ein angefangener Brief in des Obersten altmodischer, zitteriger Schrift:

»An die löbliche königlich bayrische Heeresverwaltung. Nach den letzten Ereignissen glaubt der ergebenst Unterzeichnete es nicht mit seiner Ehre vereinbaren zu können, fürderhin der kgl. bayer. Armee anzugehören und sendet – – –«, dann war die Feder zu einem Tintenstrich ausgeglitten, lag am Boden.

Der Oberst hatte uns nicht bemerkt, ich tippte ihm 362 vorsichtig auf die Schulter, er rührte sich nicht. Ich suchte, mich seitwärts stellend, von ihm gesehen zu werden.

Glasig stierten seine Augen hinter den Brillengläsern. Ich fasste nach seiner Hand, die schlaff über der Armlehne hing, sie war eiskalt.

Ich berührte ihn leicht, er sank steif vornüber wie eine Holzpuppe.

»Er ist ohnmächtig geworden, wir wollen ihn auf das Sofa legen.« Die Soldaten fassten mit an, er war leicht zu heben.

»I wo! Der ist maustot, schon eine ganze Weile, das kenn' ich«, lachte der eine, der andere nahm die Mütze ab und bekreuzigte sich.

Eine Fliege sass auf der Unterlippe des Kommandanten.

»So, nun wären wir hier fertig, nun können wir wieder Adjö sagen.«

»Einen Augenblick, Genossen! Ihr müsst mir sofort einen Arzt heraufschicken. Und dann, ihr seht, der Kommandant teilte durchaus unsere Ansichten. Sorgt dafür, dass er als Soldat begraben wird. Auf Wiedersehen, Genossen.«

Sie versprachen es, waren jetzt ganz nüchtern geworden, wir gaben uns zum Abschied die Hand. Der Arzt kam bald, stellte den Tod fest und Herzschlag als Ursache. Er übernahm es, die Obrigkeit zu benachrichtigen.

»Wird nicht ganz leicht sein«, bemerkte er dazu, »denn es gibt keine mehr«. Dellinger und Frau Guggemos waren sehr erschüttert. Nun hatte ich die schwere Aufgabe, Vevi den plötzlichen Tod des Obersten mitzuteilen, ich bin sehr ungeschickt bei so etwas. 363 Wo steckte sie denn? Nur gut, dass sie nicht unversehens dazu gekommen war, sie hatte wohl nichts von den Vorgängen gemerkt. Im Hause fand ich sie nicht, ich ging sie im Garten suchen. Da kam sie schon aus dem Gewächshaus, Muspet schmiegte sich schmeichelnd an sie.

»Ich dachte schon, Muspet ist toll geworden«, sagte sie, »er hat mich ins Gewächshaus begleitet, als ich wieder hinausgehen wollte, stellte er sich quer vor die Tür und liess mich nicht vorbei. Zureden half nichts, ich versuchte, ihn mit Gewalt beiseite zu schieben, da knurrte er, fletschte die Zähne, biss nach mir. Ich glaube, fast zwei Stunden hat er mich so im Gewächshaus festgehalten. Jetzt endlich hat er, wie um Entschuldigung bittend, meine Hand geleckt und den Ausweg freigegeben. Wenn er nur nicht doch verrückt wird! Schau, jetzt läuft er winselnd in's Haus.«

»Nein, er ist sehr vernünftig, er wollte dir jede Aufregung ersparen.« Ich erzählte ihr, welche Besucher da gewesen waren..

»Und jetzt sitzt er wahrscheinlich vor der Tür des Kommandanten und weint.«

»Warum?«

»Der arme Kommandant!«

»Sag mir Alles. Haben sie ihn umgebracht?«

»Nein, sie haben ihm garnichts getan. Sie waren ganz nett. Sie haben sogar versprochen, dass er sein Soldatenbegräbnis bekommt.«

»Also ist er tot?«

»Natürlich, man wird ihn doch nicht lebendig begraben.«

»Ja, das wäre schrecklich.«

»Furchtbare Idee, lebendig begraben zu werden!« 364

»Ach Emmaus, wie gut, dass ihm das erspart geblieben ist! Er war ein braver Mensch.« Sie weinte, es waren aber nur Tränen zweiten Grades.

Nach einigen Tagen hat das Begräbnis mit kirchlichen und militärischen Ehren stattgefunden. Das Militärische dabei würde allerdings den seligen Kommandanten nicht recht befriedigt haben. Es war zwar gut gemeint, aber die Soldaten waren nicht ganz kommentmässig in Uniformen und Haltung. Doch Gewehrsalven wurden abgeschossen, der Stuckenschmied hielt eine schöne Rede auf ›Genosse Pressath‹, in der er jene denkwürdige Einladung in Oberhaus beschrieb. Der Pfarrer sprach ergreifende Worte. Vevi hatte all die schönen Blumen ihres Glashauses abgeschnitten und als letzten Gruss geschickt. Sie selbst war nicht erschienen, aber Muspet.

In Passau, wie in den meisten Provinzstädten, trat bald wieder etwas Ordnung ein. Es war zwar ein Arbeiter- und Soldatenrat eingesetzt, aber dieser Rat hatte keine Ahnung von der Verwaltungstechnik. Damit nun nicht alles in's Stocken käme, hatten sich die Beamten aufopfernder Weise bereit erklärt, auf ihren Posten zu bleiben und ihre Funktionen weiter wie bisher auszuüben. Auch die Geistlichkeit hatte, nach einigem Zögern, jeden Widerstand aufgegeben, überlegte bereits, ob in der Kirche für die Räterepublik gebetet werden solle. Die alten Behörden der Stadt suchten also die neue Wirtschaft in Gang zu bringen, es gab wieder mehr Lebensmittel, lang verzögerte Ausbesserungen wurden vorgenommen, Arbeiter fanden Beschäftigung. Stillschweigend war man übereingekommen, politische Fragen nicht in der Öffentlichkeit zu erörtern. Passau war somit ein Staatswesen mit rein 365 praktischen Zielen, ohne Politik, die Verwirklichung des meteoristischen Ideals. Schade, dass der Oberst diese letzte Entwicklung seiner geliebten Stadt nicht mehr erlebte, er hätte sonst seiner Chronik einen Nachtrag beifügen können: ›Passau der Welt voran.‹

Nicht so glatt entwickelten sich die Dinge in den Grosstädten. In München herrschte heilloses Durcheinander, hier prallten die Meinungen schärfer aufeinander. Die Kirche lehnte es bestimmt ab, die Revolution einzusegnen. Die Beamten erklärten sich zwar bereit weiter zu funktionieren, ihr Angebot wurde aber abgelehnt, weil sich die Räte die schönen Stellungen nicht entgehen lassen wollten. Arbeiter und Soldaten setzten sich in den Amtsstuben fest, kannten sich nicht aus, brachten die ganze Wirtschaft in Verwirrung. Alles stockte, die Läden waren geschlossen, wurden manchmal geplündert, aufgeregte Menschen diskutierten in den Strassen, ab und zu wurden vorlaute Bekenner reaktionärer Anschauungen auf der Stelle erschossen, denn es gab viele Bewaffnete. Redaktionen wurden besetzt, gezwungen, ihre Zeitungen einzustellen oder im Sinne der Räterepublik zu verändern. Druckereien wurden verstaatlicht.

Nur Herrn Lorenz Wirsing gelang es, seinen Betrieb aufrecht zu erhalten. Als man kam, um ihn zu enteignen, führte er die Soldatenräte in die Geheimabteilung seiner Offizin, zeigte ihnen die Matern der Meteor-Flugblätter und die Maschinen, auf denen sie gedruckt wurden. So konnte er seine oppositionelle Stellungnahme nachweisen und blieb verschont.

Nur eine Flasche Wacholderbranntwein und ein Kistchen Zigarren, die im Kontor standen, wurden sozialisiert. 366

Wirsing begann jetzt, in ungeheuer grosser Auflage mein Buch zu drucken. Doch auch sonst hielt er es für geboten, dass die Meteorpartei wieder kräftig hervortrete. Fortwährend fanden Volksversammlungen statt, in denen Redner ihre Weltverbesserungsvorschläge austobten. Immer von neuem schrieb Wirsing mir, es sei jetzt an der Zeit, dass ich zu unserer Sache zurückkehre, nach München käme. Vevi war dagegen:

»Ich könnte dir ja seine Briefe unterschlagen, es wäre vielleicht meine Pflicht, aber eine Frau muss trachten, ihren Mann so wenig in seinen freien Entschlüssen zu beeinflussen, dass er ganz von selbst alles unterlässt, was ihr Kummer macht. Unser Kind soll nicht als Waise zur Welt kommen. Oder sogar als Doppelwaise.«

»Das wäre ein Kunststück. Du hast recht. Ich beabsichtige nicht, Waisenzüchter zu werden und als Witwe würdest du mir nicht gefallen, Schwarz kleidet dich nicht. Aber immerhin – – –«

»Was immerhin?«

»Nichts – ich meinte nur – Winterlandschaften male ich nicht gern. Die Füsse gefrieren einem und die Ölfarben. Schnee ist traurig.«

»Ich auch. Ach, Emmaus, guter Emmaus, manchmal bist du mir so fern.«

Sie umarmte mich stürmisch, weinte Tränen ersten Grades. »Jetzt kommt Weihnachten. Das war immer so schön. Wie wird es dieses Jahr sein?«

Ich streichelte ihr Haar. Im Munde verspürte ich einen Geschmack als habe ich in eine Schlehe gebissen.

Von draussen ertönte eine Hupe. Zum ersten Mal, dass ein Auto fertig brachte, den steilen Berg herauf 367 zu fahren, noch dazu bei diesem Schnee. Wirsing kam mich zu holen.

Ich fuhr mit.

Er sass grau und verkniffen am Lenkrad, in grauem Mantel, chauffierte sehr gut. Auch der Wagen war grau. »Das Graue kommt über mich«, dachte ich. Wenn er sprach, war es immer so leise und eindringlich, als vertraue er mir ein wichtiges Geheimnis an. Er sprach wenig.

»Morgen ist grosse Volksversammlung im Bürgerbräusaale, Sie werden für die Meteorpartei sprechen, Herr Emmaus.«

»Nein, ich bin kein Redner. Ich will umkehren. Fahren Sie zurück!«

»Ich habe für Sie ein Zimmer im Hotel Vier Jahreszeiten reserviert, war schwierig, Alles überfüllt.«

»Nein, fahren Sie mich zurück!«

Er warf mir nur einen verächtlichen Blick zu, die dünnen Lippen zu einem Grinsen verzerrt, seine zusammengepressten Kiefer traten in starken Muskeln hervor. Ich versuchte, ihm in's Lenkrad zu fassen. Seine linke Hand ergriff meinen Arm, schob ihn zurück mit eiserner Kraft.

Das einst so vornehme Hotel war jetzt angefüllt mit Soldatenräten, Schiebern, Huren. Im Souterrain befand sich eine Weinstube, in der ich früher oft gespeist und manche fröhliche Stunde verlebt hatte. Jetzt ging es wüst dort zu. Es gelang mir, meinen altgewohnten, stillen Eckplatz zu erwischen, der mir lieb war, denn von ihm aus konnte man die Gäste sehen, wenn sie die Treppe herabkamen, und er war eine akustische Merkwürdigkeit: dort sitzend, hörte man deutlich die leisesten Gespräche, die weit entfernt an der anderen 368 Seite des Lokals geführt wurden. Aber jetzt sprach man sehr laut. Kriegsverdiener tranken Sekt aus Bierkrügen. Da war auch der Händler, der meine Perlen gekauft hatte. Gerade verschacherte er eine davon, zeigte sie seiner Gesellschaft. Der Geldwert war inzwischen so gesunken, dass sie tausendmal so viel kostete als ich dafür bekommen hatte, jeder wollte sie haben, man überbot den Preis. Ich nahm zwei Perlen aus meiner Westentasche, eine davon war ein Riesenexemplar. Ich klemmte sie wie ein kleines Monokel in's Auge, stand auf und warf dem Mann eine leere Zündholzschachtel an den Kopf, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, trank ihm zu. Er erkannte mich, kam erfreut an meinen Tisch. Wir wurden bald handelseinig. Von einem Gast, der eben zwei bratfertige Gänse verkauft hatte, erwarb er den leeren Rucksack, den bekam ich voll Geldscheine gestopft. Ich wollte am nächsten Tag die Hälfte davon an Vevi schicken. Soldaten verkauften Silbersachen, die sie vom Felde der Ehre mit heimgebracht hatten, verschenkten auch Einiges davon an zutunliche Mädchen. Einer hatte ein herziges Spiel erfunden: er nahm einen silbernen Löffel quer in den Mund und die Dame musste versuchen, ihn mit ihren Lippen an sich zu reissen. Wenn es gelang, durfte sie ihn behalten. Das führte zu ausgiebigen Küssen und oft zu Ringkämpfen, die im Lokal nicht fertig ausgetragen werden konnten. Ein alter Bekannter kam die Treppe herunter: Daffodil. Merkwürdigerweise war er nicht in vornehmer Gesellschaft, sondern Arm in Arm mit gewöhnlichen Rätesoldaten, in abgeschabten Uniformen, roter Armbinde. Der Oberkellner hatte Mühe, ihnen begreiflich zu machen, dass Gewehre in der Garderobe abzugeben seien, die Armeerevolver 369 behielten sie an. Ich studierte die Weinkarte, und Daffodil bemerkte mich nicht. Gerade war ein Tisch frei geworden, weit von meinem entfernt, aber akustisch für mich sehr günstig, ich verstand jedes Wort, das sie flüsterten. »Da war nix zu machen, Genosse Daffodil. Vorgestern haben wir ihm aufgelauert, der Stiermeier und ich. Aber grad wie wir losschiessen wollen, dreht sich der Wirsing um, knipst sein Taschenlamperl an, haut mir eine Mordswatschen hinein und tritt den Stiermeier in den Bauch, dass er umfällt. Hätten's nicht gedacht von so ein' kleinem Manderl, gelt Stiermeier? Schönen Gruss an Herrn Daffodil hat der Wirsing gesagt und weg war er.«

»Das habt ihr ungeschickt gemacht, liebe Genossen, da zahl ich euch nix. Na, das, was ihr im Vorhinein bekommen habt, dürft ihr behalten. Vielleicht gelingt es euch später einmal. Aber mit dem Emmaus müsst ihr es besser anstellen. Gewiss ist er morgen im Bürgerbräu bei der Versammlung.«

»Wir kennen ihn aber nicht. Wie schaut er denn aus?«

»Ich bin morgen dort und zeige ihn euch. Ah, da kommt Genosse Zralok, mit dem habe ich etwas Wichtiges zu besprechen. Ihr geht jetzt wohl heim? Kellner, zwei Flaschen Champagner für die Herren, Henkel Trocken! Die könnt ihr euch mitnehmen! Also bis morgen im Bürgerbräu.«

Ich hörte deutlich wie Stiermeier murmelte: »Das wollen Genossen sein! Grosskopfete sind's, Kapitalisten, und zahlen wollen's nix. Ausschmieren wollen's uns, gelt Guggemos? Das nächste Mal soll sich der Daffodil selber in den Bauch treten lassen. Gehn mer, Guggemos!« Sie gingen missmutig mit ihren 370 Sektflaschen weg, während Daffodil einen grossen, dicken pelzbekleideten Herrn begrüsste, der gerade in Gesellschaft einer übertrieben eleganten, jungen Cabaretsängerin eingetreten war.

Ich zahlte schnell, nahm meinen Rucksack und ging den beiden Soldaten nach. Mir war eingefallen, dass unsere Wirtschafterin, Frau Guggemos, einen Neffen beim Militär hatte, der Name war nicht häufig.

»Grüss Gott, Genosse Guggemos, ich soll dir Grüsse ausrichten von deiner Tante in Oberhaus, du sollst sie mal besuchen.« Er blieb erstaunt stehen, ich liess ihn nicht dazu kommen, mich zu f ragen, woher ich ihn kenne.

»Gelt, und das ist der Stiermeierfranzl?«

»Nein, der Franzl ist mein Bruder, ich bin der Schorschl.«

»Was tut ihr denn mit dem Schampus? Das grauslige Zeug lasst sie nur selber saufen, die Schieber, jetzt geht's mit mir auf eine Mass Bier nüber in's Hofbräu.« Ich bewirtete sie ausgiebig mit Bier und Würsten, hier fühlten sie sich viel gemütlicher als in der protzigen Weinstube, kamen sehr in Stimmung.

»Weshalb habt ihr denn den Wirsing durchtun wollen?«

»Mir? Wer sagt denn jetzt sowas? So eine Lüge eine ausgeschämte!«

»Nur stad, Kameraden! Wenn es doch der Daffodil heut Mittag im Café Luitpold erzählt hat.«

»Schauts so einen Lumpen an! Geht her und verrat die ganze Geschicht' und mir dürfen die Köpf' hinhalten für die grossen Herrn und dann zahln's nix.«

»Seids schön dumm! Der Wirsing ist ein ganz kommoder Mann und er arbeitet für das Volkswohl und 371 gegen die Waffenfabrikanten und deshalb wollen die ihn abdackeln lassen. Daffodil ist der oberste Direktor von denen, ist kein Genosse, sondern ein Reaktionär, ein verdächtiger.«

»Da wären mir ja sauber eingegangen!«

»Überhaupts, das gehört sich nicht, dass ein Genosse den andern totschiesst, mag er noch so gut gezahlt werden dafür.«

»Ist denn der Wirsing ein Genosse?«

»Natürlich. Er ist Meteorist und die wollen ganz dasselbe: nie wieder Krieg, nie wieder Politik, Freiheit. Ich bin auch Meteorist. Deshalb will der Daffodil, dass ihr mich morgen abkillen sollt. Ich bin nämlich der Emmaus. Könnt's ja gleich jetzt machen, wenn ihr wollt.«

»Jetzt, wo es grad so gemütlich is? Du, Stiermeier, ist es nicht gescheidter, wir schiessen morgen den Daffodil 'nauf?«

»Freilich. Was meinst denn du, Genosse Emmaus?«

»Ich meine, die dumme Schiesserei muss überhaupt aufhören, jetzt wo der Krieg aus ist. Die Waffenindustrie kann man nur kaput machen, wenn man ihr Gelump nicht mehr verwendet.«

»Vielleicht könnte man ihn aber ein bisserl mit dem Messer stupfen, dass er hin wird.«

»Nein, Kameraden, das würde ihn nicht überzeugen und Niemanden. Eine Watschen genügt.« Ich entnahm meinem Rucksack ein kleines Bündel Geldscheine, teilte es gleichmässig an die beiden aus.

»Alles für das Wohl des Volkes«, sagte ich feierlich.

»In Ewigkeit Amen«, antwortete Guggemos und sie stopften das Geld in die Hosentaschen. Dann liessen sie die beiden Sektflaschen aufknallen, schenkten die 372 Masskrüge voll. Ich musste mithalten. Sie wurden immer fröhlicher, sangen die Arbeitermarseillaise. Ihr Gesang ging allmählich in ›Ich hatt einen Kameraden‹ über, schliesslich gröhlten sie ›Die Wacht am Rhein‹. Da merkte ich, dass es Zeit wurde schlafen zu gehen. Herzlich verabschiedete ich mich von meinen Mördern.

Am folgenden Morgen hatte ich eine Besprechung mit Wirsing. Ich fand das ehemalige Redaktionslokal voll neuer und alter Meteoristen. Alle in der Meteortracht, mit verschiedenen Grad-Abzeichen, die mir neu waren, auf Ärmeln, Mützen, Aufschlägen. Wirsing hatte fleissig organisiert. Als ich eintrat, stand er auf, schritt gemessenen Schrittes auf mich zu. Alles schwieg, und er sagte mit seiner leisen Geheimnis-Stimme:

»Emmaus ist eingetreten.« Stehend erhoben alle die Arme zum Meteorgruss, ich erwiderte ihn. Ich war der Einzige, der nicht im Meteorkostüm war. Die Unordnung in diesem Raum war noch die gleiche wie zur Quartaller-Zeit, eher noch grösser, da jetzt überall Stühle herumstanden. Auf die setzte man sich, schweigend, rauchend, bald war die Luft verqualmt. In der Mitte war jetzt ein langer Tisch, auf dem Haufen von Drucksachen lagen, die Niemand ansah. Ich sass an der einen Schmalseite, Wirsing an der gegenüberliegenden. Er klopfte mit einem Bleistift auf die Platte, dann sprach er, ohne aufzustehen, fast flüsternd, so dass man lauschen musste:

»Meteoristen! Ich gebe kurz einen Bericht über die Lage. Wir haben durch Flugschriften und Agitation viele neue Anhänger geworben. In München allein zählt der Meteor jetzt zehntausend achthundert und zwanzig eingeschriebene Mitglieder, und wohl 373 ebensoviele sympathisieren mit unserer Sache. Die Partei der Räte und Soldaten hat in vielen Punkten die gleichen Ziele wie wir, zum Beispiel Beseitigung der Diplomatie, gleiches Recht für Alle, Volkswohlfahrt, nie wieder Krieg. In anderen Punkten sind ihre Anschauungen von den unseren verschieden, das Selbstbestimmungsrecht der Einzelperson erkennen sie nicht an, sie wollen das Privateigentum aufheben, sie glauben, den Krieg ausrotten zu können, indem sie Andersdenkende mit Waffengewalt unterdrücken. Was sie erstreben, ist eine Beamtenhierarchie, nur mit anderem Vorzeichen als die bisherige, wir erstreben Beseitigung der Beamtenwirtschaft und Verwaltung des Staates nach gesunden kaufmännischen Gesichtspunkten. Damit uns die Räte nicht bekämpfen sondern fördern, müssen wir das Gemeinsame unserer Anschauungen betonen, die Unterschiede vorläufig im Hintergrund lassen. In diesem Sinne wollen wir heute in der grossen Volksversammlung auftreten. Ich schlage vor, dass dort der Begründer unserer Partei Emmaus, der für unsere Sache vier Jahre hinter Kerkermauern geschmachtet hat, das Wort ergreift.« Alle stimmten begeistert zu. Ich antwortete:

»Meteoristen! Euer Vertrauen ehrt mich, aber ich bin ein schlechter Redner. Mein Stimmorgan ist nicht volltönend und mir fehlt die Gabe, hinreissend und mit Feuer zu sprechen. Gewiss ist unter euch einer oder der andere, der dieses Talent besitzt. Ich möchte ihn mit der Aufgabe betrauen. Noch eins ist zu erwähnen: Wir dürfen in der Versammlung nicht als geschlossene Partei auftreten, noch nicht. Deshalb empfehle ich, dass keiner in Meteoristentracht hingeht, wir müssen uns einzeln und unauffällig unter die übrigen Anwesenden 374 mischen, um nicht als abgesonderte Gruppe den Räteparteilern gegenüberzustehen. Das hat noch einen anderen praktischen Grund: Der Rüstungskonzern weiss, dass wir ihm gefährlicher sind als die Räte und hat bereits versucht, leitende Meteoristen ermorden zu lassen. Wir müssen wachsam sein, das können wir am besten, wenn unsere Mitglieder unkenntlich im Saale verstreut sind.«

Vielleicht meinte man, dass ich aus Furcht vor einem Attentat nicht reden wolle, jedenfalls fand sich kein Anderer, der es für mich übernahm. So blieb mir nichts übrig als einzuwilligen. 375

 


 << zurück weiter >>