Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

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Münchner Kunst

Von dem Allen wusste ich noch nichts, als ich nach München kam und seine Empfehlungsschreiben abgab. Sie waren an ziemlich unbekannte Maler gerichtet, vielleicht meinte er, dass diese sich eifriger für mich bemühen würden als die berühmten. Ich sah im Adressbuch ihre Wohnungen nach und bemerkte dabei, welche ungeheuere Menge Kunstmaler es in dieser Stadt gab. Ich zählte etwa fünftausend. Ich fragte den Maler Langmaier, den ich zuerst besuchte, wie es möglich sei, dass so viele existieren können. »Eigentlich ist es nicht möglich«, belehrte er mich, »es ist ein Wunder, nur dadurch erklärlich, dass hier die Malerei nicht sosehr ein Beruf ist als eine Art Sekte. So gut wie in einer Stadt fünftausend Adventisten leben können, können es auch fünftausend Kunstmaler. Die ganze Sache ist ein Mysterium. Jeder dieser Brüder malt im Jahre wenigstens fünf Bilder, das sind fünfundzwanzigtausend Bilder jährlich, davon finden vielleicht zweitausend einen Käufer. Was wird aus den übrigen dreiundzwanzigtausend?«

Langmaier wohnte und arbeitete in einem kleinen Dachraum. Er hatte sich gerade den Kaffee auf einem stinkenden Petroleumkocher aufgewärmt, tauchte trockenes Schwarzbrot hinein und frühstückte. Unter der Dachschräge stand sein dürftiges, unordentliches 69 Bett. Viele Bilder waren an die Wände gelehnt, meistens Rindvieh oder Schafe auf der Weide in bayrischer Gebirgsgegend. Einige standen auf Staffeleien, und bei diesen hatte er angefangen, die Berge im Hintergrund zu entfernen und mit ebener holländischer Landschaft zu übermalen. Er erklärte mir, dass man jetzt herausgefunden habe, dass das Holländische viel natürlicher sei als das Gebirgige, er verbessere jetzt alle seine Bilder auf diese Weise. »Sie kommen gerade zu einer grossen Zeit hierher, der Naturalismus dringt vor. Man malt jetzt hell und grau, nicht mehr braun und dunkel. Heftige Kämpfe sind entbrannt, weil auf der grossen Ausstellung keiner der Hellmaler eine Medaille bekommen hat. Heute Abend versammelt sich die ganze Künstlerschaft, um die Frage zu entscheiden, ob braun oder grau gemalt werden soll. Wollen Sie dabei sein?«

Ich wollte.

In dem riesigen Saale der Bürgerbrauerei waren die fünftausend Kunstmaler versammelt, standen dicht gedrängt, hie und da auch eine Malerin. Wir hatten an einem der langen Tische Platz gefunden, wo jeder einen steinernen Literkrug vor sich stehen hatte und immer wieder austrank, ich auch. Das hätte ich nicht tun sollen, denn es stieg mir zu Kopf und ich erinnere mich nur nebelhaft an alles, was geschah. Der Vorsitzende, ein würdiger Herr, dessen Vollbart die Bauchrundung berührte, eröffnete die Versammlung feierlich, die er einberufen habe, um die deutsche Kunst vor dem Niedergang zu bewahren, denn die Aufgabe der Malerei sei es, das Schöne und Ideale darzustellen, nicht das Hässliche und Gemeine. Grosser Lärm für und wider erhob sich. 70

Herr Lühre, der Hauptvertreter der neuen Richtung, dessen Bild: »Christus bei den Fabrikarbeitern« grosses Aufsehen erregt hatte, erhielt das Wort und sagte kurz und bündig, die neue Kunst beanspruche eigene Jury und die Hälfte aller Medaillen und Staatsankäufe. Professor Rosslip, der bekannte Bauernmaler, sprach dagegen, denn die wahre Kunst sei braun.

»Nein«, antwortete Lühre, »die wahre Kunst ist hellgrau, und wenn das den alten Herrn nicht passt, so lassen wir sie in ihrer braunen Sauce schmoren und machen eine eigene Ausstellung.« In dem Höllenspektakel, der entstand, da alle durcheinanderschrieen, pfiff ich auf vier Fingern so laut ich konnte, man hörte es im Lärm gar nicht, ich pfiff immer weiter, auch als längst Stille eingetreten war. Der Vorsitzende sprach: »Ich bitte die Herren, sich dem Ernst der Stunde angemessen zu benehmen, und besonders dieser Herr dort hat sogar gepfiffen. Das ist ungehörig.« Niemand wusste, für welche Partei ich gepfiffen hatte, und so stimmten ihm alle zu, deuteten mit Fingern auf mich, riefen Pfui. Worauf der Vorsitzende so mutig wurde, dass er verlangte, ich solle zu ihm auf das Podium kommen, meinen Namen nennen und mich entschuldigen. Unter der Einwirkung des Bieres folgte ich seiner Aufforderung, wurde mit verstärktem Pfuiruf empfangen. Ich erhob meine Hände wie segnend zu der Versammlung hin und sagte: »Medaillen sind keine Auszeichnung, sondern eine Erniedrigung für den Künstler, man soll sie abschaffen. Und man soll weder braun malen noch grau, sondern natürlich. Diese Anträge stelle ich, mein Name ist Emmaus.« Es gab einen grossen Tumult, man stürzte wütend auf mich zu, fünftausend gegen einen. 71

Unten an den Eingangsstufen des Bürgerbräusaales fand ich mich, körperlich leicht beschädigt, wieder.

Ich wusste nicht, wo ich mich befand, hatte das Gefühl ich sei gestorben, und der liebliche blonde Mädchenkopf, der sich über mich beugte, war offenbar ein Engel, der mich in den Himmel bringen wollte.

»Hat man Ihnen sehr weh getan?« fragte der Engel und streichelte mir die Haare aus dem Gesicht.

Da sah ich, dass es eine junge Dame war, die neben mir kniete. Sie war mir beim Aufstehen behilflich, wir stellten fest, dass ich nur einige blutende Schrammen davongetragen hatte.

»Ich bewundere den Mut, mit dem Sie für Ihre Überzeugung eingetreten sind.«

»Waren Sie denn auch in der Versammlung?« fragte ich – unbegreiflich, dass mir dieses herrliche Geschöpf nicht unter den versammelten Fünftausend aufgefallen war, allerdings war sie klein und zierlich.

»Ja, ich bin Malerin, Schülerin Professor Timms. Jetzt müssen wir Ihre Verletzungen ein wenig versorgen, ich habe Verbandzeug im Atelier, wollen Sie mitkommen?«

Wir fuhren in einer Droschke hin. Es war am anderen Ende der Stadt, sehr nett in einem Gartengebäude ebenerdig gelegen. Sie wusch die Wunden sachverständig aus, desinficierte und bepflasterte sie. Auf ihren Wunsch erholte ich mich ein wenig, auf einer Ottomane liegend, während sie Kaffee kochte. Nach dem Auftritt in der Versammlung meinte sie, ich müsse ein sehr bedeutender Künstler sein, ziemlich kleinlaut erklärte ich, dass ich noch nichts geleistet habe und erst noch die Akademie besuchen wolle.

»Ach, jetzt sind dort Ferien«, sagte sie. »Das Beste 72 wird sein, Sie gehen zuerst in die Timmschule, die ist im Sommer auf dem Land, ganz nahe, in Etzenhofen, schöne flache Gegend, ohne die ekelhaften Berge. Da wird gelandschaftet und im Freien nach Modell gemalt. Es wird Ihnen nützen.« Sie erzählte mir, dass sie aus Lübeck sei, ihren Eltern durchgebrannt, denn ihr Vater, der Schiffsreeder Kläusgen, habe nicht erlauben wollen, dass sie Künstlerin werde. Sie sei mit ihrer Familie ganz zerfallen, nur einen Wechsel von achthundert Mark schicke man ihr jeden Monat, damit sie nicht ganz untergehe. Sie zeigte mir einige ihrer hellen farbigen Arbeiten; schienen mir sehr talentvoll. Auf einer Staffelei stand ein grosses Bild, mit einem Tuch bedeckt. Sie wollte es mir nicht zeigen.

»Es ist mir gerade von der Ausstellung zurückgewiesen worden, ist ein Selbstporträt, und überhaupt – –– –.« Sie errötete heftig, und das machte mich noch neugieriger. Ich wollte das Tuch herunternehmen, sie wollte mich daran hindern, es gab eine Art scherzhaftes Ringen. Überraschend, wie kräftig sie war, und ich spürte dabei ihren warmen, schlanken Körper durch das dünne Kleid und ihre feste Mädchenbrust. Ich verhielt mich wohl nicht objektiv genug, denn sie gab mir eine schallende Ohrfeige, so dass ein Pflaster in meinem Gesicht aufsprang und das Blut wieder floss.

»So, jetzt muss ich Sie wohl neu verbinden«, rief sie wütend. »Immer hoffe ich eine gleichgestimmte Seele zu finden, und dann ist es nur ein Männchen. Ich will aber kein Weibchen sein. Das begreifen die Leute nicht, und deshalb wollte man auch dieses hier nicht ausstellen.« Sie riss das Tuch herunter. Ich sah 73 das Bild. Sie hatte sich in ganzer Figur porträtiert, nackt, Palette und Pinsel in der Hand. Ein schöner Körper, wunderbar gemalt.

»Und das hat man zurückgewiesen! Unglaublich!«, sagte ich ergriffen und wollte ihr die Hand drücken. Sie zog sie zurück: »Ja, weil alle Schweine sind«.

»Und Sie sind eine ganz grosse Künstlerin, verzeihen Sie mir.« Sie verzieh und erneuerte den Verband.

»Also morgen kommen Sie nach Etzenhofen, fragen Sie nur nach Rita Kläusgen, ich werde Sie Professor Timm vorstellen. Am besten ist es, zusammen hinauszuradeln«.

Ziemlich spät kam ich in das Hotel zurück.

Es war wohl für das Kunststudium nötig, ein Fahrrad zu kaufen. Ich tat es, lernte das Fahren bald. Aber dann hatte man noch vor einer Versammlung polizeilicher und sportlicher Fachleute eine Prüfung zu bestehen, ehe man die vorgeschriebene Nummer bekam, zugleich mit der Ermahnung, nicht zu schnell zu fahren und bei Begegnung mit Hofequipagen oder scheuenden Pferden sofort abzusteigen. So war ich noch eine Zeit lang in der Stadt zurückgehalten.

Herr Langmaier wollte, nach dem Vorfall neulich, nichts mehr von mir wissen, und ich wagte daher nicht, die anderen Empfehlungen an Maler abzugeben, 74

 


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