Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

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Oberhausbesitzer

Als ich dem Kommandanten erzählte, was mit meinem Münchener Haus geschehen solle, wurde er besorgt: »Wer weiss, was denen noch einfallen wird, mit Oberhaus zu machen, vielleicht auch ein Sanatorium oder gar ein Gefangenenlager. Wenn ich Ihre dreihunderttausend Mark hätte, würde ich dem Staat den ganzen Krempel abkaufen, ist ja eh nicht so viel wert.«

Ich hatte eine Idee, schrieb meinem Anwalt einen Eilbrief: »Sagen Sie den Behörden, dass ich es mit meiner vaterländischen Gesinnung nicht vereinigen kann, in diesen schweren Zeiten vom Staate Geld anzunehmen, das er gewiss zu Landesverteidigungszwecken notwendig braucht. Schlagen Sie vor, dass mir statt dessen die Feste Oberhaus im Tauschwege überlassen werde. Bedingung sei, dass keine neuerliche Enteignung stattfinde; die Protokollierung müsse sofort erfolgen, Eigentumsübertragung brauche erst nach Ablauf meiner Haftstrafe zu geschehen.« Der Kommandant war mit dem Plan sehr einverstanden, umsomehr als ich mich verpflichtete, dass sich an seiner Stellung nichts ändern solle.

Dieses Mal hatte mein Anwalt mehr Glück. Die Behörde ging mit Freude auf den Vorschlag ein, denn ganz Oberhaus stand von altersher nur mit 332 sechzigtausend Gulden zu Buch, war morsch und baufällig. So erreichte er sogar, dass mir eine Differenz von hunderttausend Mark ausbezahlt werden sollte, allerdings in Kriegsanleihe. Natürlich zogen sich die Formalitäten ein wenig in die Länge, doch nach zwei Monaten war alles fix und fertig, protokolliert und unterzeichnet. Eine Weile würden wir also wieder Ruhe haben.

»Ist es nicht wie ein Wunder?« sagte ich zu Vevi.

»Wieso Wunder? Wenn ich doch so fleissig darum gebetet habe.«

»Wenn das so praktisch ist, dann bete doch auch einmal, dass die Lebensmittelrationen erhöht werden. Jeden Monat sind sie kleiner.«

»Ich will sehen, was sich tun lässt und werde Gott bitten, dass er die vielen unnötigen Verordnungen der Behörden aufhebt, dann kommt alles von selbst wieder in Ordnung. Oder vielleicht wäre es noch besser, ich bitte Gott gleich, dass er den Krieg bald aufhören lässt.«

»Wird er nicht machen können, die Rüstungsindustrie ist mächtiger als er. Sie ist sogar mächtiger als der Papst, sein Friedensvorschlag ist abgelehnt worden, weil sie festgestellt hat, dass noch nicht alle Waffenvorräte aufgebraucht sind.«

»Also dann werde ich mich nicht in die Politik einmischen. Und mit den Nahrungsmitteln, da wollen wir der Vorsehung ein bischen behilflich sein. Zu unserem Besitztum Oberhaus gehören auch ein paar Wiesen und ein Acker. Da kann man essbare Sachen herstellen.«

Ein paar Tage darauf sass ich in meine Arbeit vertieft am Schreibtisch, als Vevi hereintrat:

»Emmaus, eine Dame möchte dich sprechen.« 333 Ärgerlich über die Störung brummte ich: »Wohl wieder für Wohltätigkeit? Soll eintreten.«

»Nein, komm, sie wartet draussen.« So zog ich schnell meinen Rock an und ging mit. Ernst und feierlich stellte Vevi vor:

»Mein Gatte Emmaus – Meine Kuh Rosel.«

Ich, mit Verbeugung: »Sehr angenehm! Aber soll die Dame vielleicht auf dem Sofa schlafen? Wir haben doch keinen Stall.«

»Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Du musst mir die Freude nicht verderben. Unten im Ort ist Viehmarkt, da habe ich Rosel gekauft und gleich mit heraufgebracht, eigentlich am Strick heraufgezogen. Der Schandarm hat sie mir ausgesucht, damit ich nicht angeschmiert werde.«

»Die Ankunft dieser Dame stellt uns vor drei Probleme, erstens Behausung, zweitens Fütterung, drittens Ausmistung.«

»Emmaus, du wirst ein bischen pedantisch. Und von der Milch sagst du nichts?«

So liessen wir gleich den Zimmermann kommen und bestellten, provisorisch, einen hölzernen Stall, sollte schon am nächsten Tag gemacht werden. Die Futterfrage war einfach zu lösen. Einstweilen hatte Vevi die Kuh mit der Brotration gefüttert, die uns für drei Wochen reichen sollte. Jetzt wurde das liebe Tier an einen jungen Apfelbaum gebunden, auf der Wiese bei üppigem Gras.

»Nun lass es dir gut schmecken!« Aber als wir nach einer Weile hinschauten, hatte sie den Strick gefressen und war gerade dabei, den Rest der Rinde des Bäumchens sauber abzuschälen.

»Den Mist brauche ich notwendig für meine Beete, 334 das war auch ein Grund, warum ich Rosel haben musste.« Stolz trug Vevi einen Topf voll in ihr Warmhaus. Die Milch war nicht ebenso leicht zu bekommen.

»Du wirst ihr noch das Euter ausreissen«, warnte ich. Frau Guggemos musste helfen.

Es war eine schwüle Wärme in der Luft. So konnten wir Rosel die Nacht über draussen lassen, befestigten sie mit einer Kette an dem Leitungsmast. – Aus tiefstem Schlaf weckte mich Vevi:

»Rosel brüllt. Ich glaube es regnet. Sie wird nass. Sie erkältet sich. Du musst etwas unternehmen.« Aber was? Wir schauten zum Fenster hinaus, es goss in Strömen. Endlich nahmen wir ein paar Reisedecken, meinen Regenmantel, zwei Pyjama-Hosen und eine Laterne, gingen zu Rosel hinaus. Die Hosen zogen wir ihr mit einiger Mühe über die Beine, wickelten den Körper in Mantel und Reisedecken, banden alles mit Stricken fest. Sie legte sich zufrieden hin. Aber der Kopf konnte noch nass werden, wir spannten einen Regenschirm auf und befestigten ihn an den Hörnern. »Schlaf wohl Rosel!« Wir waren ganz durchnässt, als wir ins Bett krochen. Vevi betete ein Vaterunser für Rosel, bevor sie einschlief.

»Weisst du, Emmaus, sie kann es ja noch nicht selbst.«

Natürlich, der Zimmermann liess sich am nächsten Tag nicht blicken. Wir schickten hinunter, da wurden wenigstens die Bretter gebracht. Und dabei regnete es ununterbrochen. Rosels Bekleidung war schon ganz durchnässt. »Vielleicht bringen wir sie in den Turm hinein«, schlug Dellinger vor. Da war eine enge steile Wendeltreppe. Vevi ging voran, zog die Kuh am Strick, 335 Dellinger und ich schoben von hinten. Wir brauchten einige Stunden, bis wir sie endlich hinaufbugsiert hatten, vor Angst hinterliess sie viele Verdauungsspuren auf den Stufen. Da oben im Turmzimmer hatte sie schöne Aussicht, war froh im Trockenen zu sein. Wir brachten ihr Speise und Trank. Als wir wieder unten waren, sahen wir, wie sie den Kopf vergnügt zum Fenster rausstreckte. Wir winkten ihr zu. »Muh«, antwortete sie. Aber auch am folgenden Tag wurde der Bretter-Stall noch lange nicht fertig. Rosel gefiel es oben nicht mehr, sie brüllte ungeduldig, verlangte wohl nach Weide. Es war ein lebensgefährliches Unternehmen, sie herabzuschaffen, erforderte Zeit und manchen Schweisstropfen. Das konnte man nicht täglich wiederholen. Der Oberst schlug vor, wir sollten sie ins Gewächshaus tun. Dass uns das noch nicht eingefallen war! Man konnte ihr ja etwas über das Maul binden, damit sie kein Unheil anrichtete.

»Es gibt eiserne Maulkörbe für bissige Ochsen«, sagte Dellinger.

»Nein, so etwas trägt Rosel nicht«, fuhr Vevi auf, »es würde ihr Gemüt bedrücken, und dann gibt sie sauere Milch!« Aber ich hatte einen aus Weiden geflochtenen Papierkorb, wir machten zwei Öffnungen für die Hörner, zwei für die Augen. Am Abend stülpten wir ihn ihr über den Kopf, banden ihn hinter den Hörnern fest. Ausgezeichnet! Dann brachten wir Rosel in's Gewächshaus, die Kette, mit der sie festgemacht war, wurde so lang gelassen, dass Raum genug blieb, sowohl zum Niederlegen als um den Kuhdünger gleich der Pflanzenerde zukommen zu lassen. Dann sagten wir Rosel Gutenacht.

Am nächsten Morgen hatte der Regen aufgehört, 336 zeitig gingen wir hinunter, um Rosel hinauszuführen. Als wir die Gewächshaustür öffneten, stiess Vevi einen so fürchterlichen Schrei aus, dass es mir durch Mark und Bein ging. Laut aufheulend umklammerte sie mich. Rosel hatte zuerst den Papierkorb verspeist und dann sämtliche Pflanzen: Blumen, Gurken, Tomaten, Keimpflanzen. Die Maréchal Niel-Rose war nur mehr ein trauriger Stumpf, eine Blüte davon hielt Rosel noch im Maul, während sie, am Boden ruhend, wollüstig wiederkäute. Vevi zog mich von der Stätte des Entsetzens fort. Beim Frühstück brachte sie keinen Bissen hinunter. Mir schmeckte es ganz gut, was mich ein wenig beschämte.

»Bist du jetzt fertig mit deinem Kaffee, Emmaus? Dann will ich mich an deiner Brust ausweinen.« Das tat sie ausgiebig, stöhnte: »Unsagbares Unglück! Jetzt ist zum ersten Mal der Ernst des Lebens in seiner ganzen grauenvollen Schwere an uns herangetreten.«

»Ja, liebe Vevi, es ist direkt ein Malheur. Immerhin, man muss versuchen, Rosels Mentalität zu verstehen, sich in ihre seelischen Vorgänge hineinzuversetzen.«

»Glaubst du, sie ist durch den Krieg so verroht?«

»Im Gegenteil, sie ist vielleicht zu zartfühlend. Die Sache mit dem Papierkorb hat sie wohl als Ausdruck unseres Misstrauens betrachtet, durch diese Kränkung sind alle ihre ethischen Hemmungen zerstört worden, animalische Instinkte hervorgebrochen.«

»So sind wir vielleicht nicht frei von Schuld. Wir müssen ihr beim Wiederaufbau ihrer Seele behilflich sein.«

Nun war Genoveva wieder ganz gefasst und voll Energie, konnte den Zimmermann, der eigentlich an allem Schuld war, so ausschimpfen, dass er den 337 provisorischen Stall noch am gleichen Tage fertig stellte. Später sollte ein richtiger Steinbau an seine Stelle treten. Ohne ein Wort des Vorwurfs an Rosel setzte sie das Glashaus zu neuem Wachstum instand.

Glücklicherweise hatten wir die Wiese nicht zur Grasnutzung verpachtet, denn wir planten, dort einen Tennisplatz anzulegen. So fehlte es nicht an Grünfutter. Morgens um vier weckte mich Vevi: »Emmaus, du musst jetzt zum Mähen gehen, ich habe Sensen gekauft.«

»Nein, ich beabsichtige nicht, diesen Sport zu treiben, kann es gar nicht.«

»Ich kann es ebensowenig, aber gewiss gibt es Mähschulen. Wir werden es lernen und dann werden wir dabei photographiert. Mähen ist kolossal modern. Du hast doch den Nachruf auf Doktor Huber in der Standarte gelesen, da war sein Porträt nicht am Schreibtisch, sondern mit der Sense auf der Wiese. Und Resniksens Photographie als Mäher erscheint immer wieder in allen illustrierten Zeitungen, noch dazu nackt. Alle Dichter, alle Maler, alle Filmgrössen lassen sich jetzt bei der Heuarbeit interviewen. Wenn deine Biographie herausgegeben wird und du bist darin nicht mähend abgebildet, heisst es gleich, dir fehlt die Bodenständigkeit, und dann bist du erledigt. Horzel nimmt sicher schon längst Mäh-Unterricht. Und jetzt wären wir gerade so schön im Begriff, in die Bodenständigkeit hineinzurutschen.«

»Vevi, du bist inkonsequent. Neulich hast du gesagt, man dürfe sich nicht zu sehr am Besitz verankern.«

»Ich meinte natürlich, mit dem Gefühl soll man es nicht. Den wahrhaft Bodenständigen erkennt man daran, dass er lieber in der Stadt wohnen würde. Das ist 338 der Traum jedes Bauern. Aber für uns Stadtmenschen ist das Land eine erfüllte Sehnsucht. Und wir werden da photographiert und beschrieben. Später bekommen wir wieder Verlangen nach der Stadt. Bis jetzt ist meine Sehnsucht noch im Gange. Ich will mir ein nettes Mäh-Kostüm machen lassen. Du kannst es entwerfen.«

Das tat ich: lange, weite, hellblaue Hosen, rot und schwarz karierter Janker. Es stand ihr sehr gut, und infolgedessen lernte sie das Mähen schnell, von einem Bauern. Mir gelang es nicht, ich bin leider kein Sensen-Talent, muss mich damit abfinden. Ich werde nie berühmt werden.

Eine neue Kalamität zeigte sich: Die Kuh, jetzt seelisch wieder im Gleichgewicht, gab zuviel Milch. Keiner im Haus trank mehr als die paar Tropfen zum Kaffee. Wir hätten den Überschuss an die Milchzentrale abführen können, aber dadurch wäre unser Stall offiziell geworden, eine dauernde Verpflichtung dazu entstanden. So wurde fleissig gebuttert. Manche schöne Stunde meines Lebens musste ich am Butterfass rührend zubringen. Wir schwammen in Butter. Und die Buttermilch blieb übrig, was sollte mit ihr geschehen?

»Ich weiss schon, was wir mit der Milch machen können«, sagte Vevi geheimnisvoll.

»Um Gotteswillen, du willst doch nicht etwa ein Kind haben?«

»Nein, ein Schwein. Wird mit Milch aufgezogen.«

»Und dann an die Fleischcentrale abgeliefert, wie das Gesetz es gebeut?«

»Nein, Geheimschwein.« In der Gemischtwarenhandlung erwarb sie, unter vielsagendem Lächeln der Ladenfrau, eine Kinder-Milchflasche mit Gummisauger. Bei einem Bauern kaufte sie, zu Rekordpreis, ein 339 neugeborenes Ferkel. So ein Handel war damals durch die Rationierungsgesetze streng verboten, mit Gefängnis strafbar. Deshalb warteten wir die nächste mondlose Nacht ab, schlichen in der Dunkelheit zu dem einsam gelegenen Hof. Wir wickelten das Kleine sorgfältig in ein Tuch, und ich nahm es in den Rucksack. Dann leise auf Seitenwegen nachhause. Wir kamen uns vor wie Kidnapper. Ab und zu mussten wir Halt machen, um es aus der Flasche trinken zu lassen, wenn es unruhig wurde. Spät nachts gelangten wir heim, ziemlich ermüdet. Noch durfte es bei uns im Zimmer schlafen, wir zogen die Schublade einer Kommode heraus und bereiteten ihm darin ein Bettchen.

»Schau, Emmaus, es ist eine Sie und so süss und blond. Wir wollen sie Grete nennen.« Dann am nächsten Tag mussten wir ein Versteck für sie finden. Im Keller war ein geeigneter Verschlag, da sollte Grete wohnen, zuerst mit der Milchflasche gesäugt werden, dann gemästet und im Herbst geschlachtet oder zu Weihnachten. Jetzt war sie noch ahnungslos vergnügt, wie ein Rekrut, der ausgebildet wird, um zu gegebener Zeit in das Schlachten geführt zu werden.

Muntere Lieder singend marschierten immer neue Truppen zur Bahn, um verladen und abtransportiert zu werden, wir hörten es manchmal bis zu uns herauf. Der Kommandant sass am offenen Fenster mit dem Hörrohr, Tränen traten ihm in die Augen. So legte er das Hörrohr beiseite, da wurde er ruhiger, las die Zeitung. ›Unsere Verluste waren nur unbedeutend‹ stand dort.

»Was mag wohl die Mutter eines Gefallenen denken, wenn sie das liest? Nur unbedeutend!«

Heute war Bridge-Nachmittag. Er spielte zerstreut. »Unsere Verluste waren nur unbedeutend«, seufzte er 340 vor sich hin, als wir fertig waren, stützte den Kopf in die Hand und verlor sich in Gedanken. Wir wunderten uns. Beim Abschied fiel Doktor Herfurths Blick auf das Zeitungsblatt, und er verstand. »Ich will versuchen, den Eltern Trost zu bringen«, sagte er.

Um den Oberst wieder ein wenig aufzumuntern, berichtete ich ihm doch von meinem Perlenfund, ich riskierte ja nichts mehr, da sie mir jetzt rechtmässig gehörten. Inzwischen hatte ich schon öfter Muscheln herausgefischt und untersucht. So viele Perlen wie bei dem ersten Fund hatten sich nicht wieder ergeben, aber immerhin lag eine ganz nette Anzahl wohlverschlossen bei mir in einer Schublade. Nicht alle waren völlig tadellos, manche nicht schön in der Form oder etwas zu gelblich. Diese zeigte ich dem Oberst, und er war hocherfreut und stolz, dass seine historischen Studien zu einem praktischen Resultat geführt hatten. Er riet mir, die Perlenfischerei möglichst heimlich zu betreiben, damit ein allgemeiner Muscheldiebstahl vermieden werde, sonst würden sie bald wieder ausgerottet sein. Ich war selbst schon so vorsichtig gewesen, immer nur wenige auf einmal, gelegentlich oder in der Dunkelheit, zu holen. Vevi wollte gleich noch eine Perlenkette haben, aber ich überzeugte sie, dass wir in diesen unsicheren Zeiten für die Zukunft vorsorgen müssten.

Allerdings fügte sie hinzu: »Emmaus, nun wirst du endgiltig ein Spiessbürger.«

Ich lachte: »Spiessbürger sagt man nicht mehr. Der moderne Ausdruck dafür ist Kleinbürger. Bei einer Versammlung der seligen Meteorpartei warf uns ein Gegner vor, wir seien eine Partei der Kleinbürger. Das war die schlimmste Beleidigung, man liess ihn nicht weitersprechen und beförderte ihn gewaltsam hinaus. 341 Aber dann setzte ich auseinander: Kleinbürger sind die Grundpfeiler der Zivilisation und entschieden den Grossbürgern vorzuziehen, die nur durch Verspeisung der Kleinen so gross werden. Worauf man den Vorredner wieder hereinholte.«

Ihr Gewächshaus war jetzt wieder ganz in Ordnung, voll Blumen und Pflanzen. Einige Samen hatte sie aus der Katastrophe gerettet, und schon zeigte die Farbe einer ihrer Zuchtgurken einen deutlichen Stich in's Rosenrote. Auch die Kreuzung zwischen Tomate und Kartoffel war ihr gelungen, vorläufig allerdings mit dem Ergebnis, dass sie weder im Boden noch über der Erde Früchte tragen wollte. Einige Sorgen machte uns Muspet. Er hatte Gretes Wohnung entdeckt und eine heftige Zuneigung zu ihr gefasst. Immer wieder schlich er sich hinunter und sass stundenlang dort in stummer Bewunderung ihrer Schönheit, oft streckte er seinen Kopf durch die Latten und leckte ihr die Schnauze. Grete nahm die Sache nicht so ernst, grunzte nur vergnügt. Sie fand wohl, dass er viel zu alt für sie sei, hielt ihn zum Besten. Wir fragten uns: wird er je zulassen, dass man sie schlachtet?

Doch gegen Weihnachten hat die Schlachtung stattgefunden. Da war Grete zu einer fetten Jungfrau herangewachsen. Ein Schwein heimlich zu schlachten, war ein schweres Verbrechen, darauf stand Zuchthausstrafe, man nannte das ›Schwarzschlachten‹. Ein eigener Beruf ›Schwarzschlächter‹ hatte sich herausgebildet. Man liess den Schwarzschlächter nächtlich in die Häuser kommen, um die Tötung und Verwurstung vorzunehmen. Es war stockdunkle Nacht draussen, Schneetreiben, unheimliche Stimmung lag über der Feste. Genoveva ging wie Lady Macbeth im Hause 342 umher. Muspet war in ein entferntes Zimmer eingesperrt, heulte verzweifelt und kratzte an der Tür. In der Waschküche waren die Fenster verhängt, dass man nicht hineinsehen konnte, der Kessel geheizt, Holzschaffe und Gefässe bereit gestellt. Wurstdärme waren schon vorher gebracht und ausgewaschen worden.

Nachts elf Uhr klopfte es an die Tür: »Der Schwarzschlächter ist da.«

Er schlich herein, im schneebedeckten Mantel mit hochgeklapptem Kragen, schwarze Maske vor dem Gesicht, die legte er nicht ab, aber den Mantel. Er streifte sich die Hemdärmel in die Höhe, zeigte Riesenhände und muskulöse, haarige Arme, trug eine Schürze vorgebunden, seitwärts am Kettchen einen Metzgerdolch.

»Wo ist die Sau?« flüsterte er. Wir führten ihn zu Grete. Er band ihr einen Strick um's Bein und zog sie heraus. Sie ahnte ihr Schicksal, wehrte sich, schrie entsetzlich. Dellinger wollte ihr das Maul zuhalten, aber sie warf ihn um, entwischte. Wir stürzten uns über sie, bekamen sie wieder zu packen. Endlich war sie in die Waschküche geschleift, da stiess sie einen letzten fürchterlichen Todesschrei aus, als sie ermordet wurde.

Die Würste waren ausgezeichnet, das Fleisch auch. Muspet hat nichts davon anrühren mögen.

Aber das ist erst später gewesen, jetzt war es noch Sommer.

Ich fand Vevi beschäftigt, meine Fahrradreifen aufzupumpen.

»Weshalb machst du das?«

»Du musst zu den Bauern hinausradeln, Gerste holen. Ich habe Hühner gekauft.« Sie führte mich in Rosels Stall, da sassen in einer Ecke fünf traurige Hühner und ein Hahn. 343

»Mischung zwischen Orpingtonrasse und Wyandotte«, erklärte sie mir, »für Eier und Fleisch gleich gut.« Ich meinte aber, es seien ganz gewöhnliche Bauernhühner, und da war sie ein bischen gekränkt.

»Sie sind schon am Verhungern, deshalb habe ich sie um den halben Preis einhandeln können. Wir brauchen unbedingt einen Zentner Gerste. Hier hast du einen Sack. Schau, dass du ihn voll bekommst.«

»Musste das sein?« fragte ich.

Sie zog nur die Augenbrauen in die Höhe und sagte »Ja«. So fuhr ich über Land, Berge hinauf und hinunter, fragte bei mehreren Bauern an, bis ich einen fand, der geneigt war, Gerste abzugeben, phantastisch teuer. Sechzig Pfund bekam ich. Glücklicherweise betrog er mich beim Abwiegen, dadurch wurde die Last etwas leichter, die Hälfte davon im Rucksack, die Hälfte hinten auf dem Gepäckträger. Die Wege schienen mir jetzt bedeutend steiler anzusteigen, umso schneller sauste ich bergab. Für die Reifen war die Belastung zu schwer, und ich sass mehrmals, Pneumatik flickend, am Strassenrand. Vevi und die Hühner gackerten voller Freude, als ich endlich, ganz erschöpft, ankam. Zugleich mit mir trat der Schandarm ein. Die Behörde wusste also schon um unsere neue Erwerbung, und er überreichte uns das Hühnerpass-Büchlein. Darin standen fünfzehn Paragraphen mit allen diese Tiere betreffenden Vorschriften und Angabe der Strafen, die bei Nichtbefolgung drohten. Ich rechnete sie zusammen, wir riskierten im Ganzen zwölf Jahre Gefängnis und achttausend Mark Geldstrafe. Der Schandarm trug das Geflügel, einzeln, mit Signalement, besonderen Kennzeichen und Fussabdruck in den Pass ein und wies uns dringend auf das Gesetz hin, in dem 344 vorgeschrieben war, wöchentlich zwei Eier von jedem Huhn an die Behörde abzuliefern, verboten, Getreide, Kartoffeln oder sonstige Nahrungsmittel zu verfüttern.

»Glauben Sie denn, Herr Wachtmeister, dass die Hühner altes Zeitungspapier fressen?«

»Vielleicht nicht, aber Regenwürmer, die sind auch noch nicht rationiert.«

Voll Ungeduld hatten die Hühner auf sein Weggehen gewartet. Jetzt endlich bekamen sie das lang entbehrte Körnerfutter, dann gingen sie zur Ruhe, nachdem einige von ihnen noch eine wichtige Konferenz mit dem Gockel gehabt hatten. Im Ort gab es kleine gedruckte Plakate zu kaufen: ›Deutschland erwartet, dass jedes Huhn seine Pflicht tun wird.‹ So eins hängten wir ihnen an die Wand. Leider bewiesen sie einen erstaunlichen Mangel an vaterländischer Gesinnung. In der ersten Woche legten alle zusammen nur vier Eier, in der zweiten sank die Zahl auf drei, um in der dritten auf fünf zu steigen, was dann die Durchschnittsleistung blieb. Vevi nahm es sich sehr zu Herzen, und ich sah, wie sie dahinwelkte. So fuhr ich, ohne ihr Wissen, wieder zu den Bauern, um mich unter dem Siegel der Verschwiegenheit bewuchern zu lassen, erwarb immer so viel Eier, dass ich den Hühnern täglich im Geheimen eine genügende Anzahl in's Nest legen konnte. War das auch kostspielig, so war es doch billiger als die Strafen, die wir sonst verwirkt hätten. Und Vevi blühte wieder auf. Drei Jahre lang habe ich das so gemacht. Bis dann unsere Vermögenslage sich zeitweise verschlechterte. Da hatten wir zum Mittagessen Suppenhuhn.

»Vevi, wo hast du denn dieses zähe Tier her?« fragte ich. 345

»Ich schlachte jetzt unsere Hühner, du darfst sie abmelden. Weisst du, wir können uns diesen Luxus nicht mehr leisten, du musst doch in den drei Jahren schon ein Vermögen für Eier ausgegeben haben.«

»Was? Du hast es gemerkt?«

»Natürlich. Von Anfang an.«

»Warum hast du mir das nicht gesagt, Vevi?«

»In der Ehe darf man sich gegenseitig nicht die Illusionen rauben. Ich wollte dir die Freude nicht verderben.«

Dass sich schliesslich unsere Finanzen verschlechterten, war eine natürliche Folge des Krieges, der da schon fast vier Jahre dauerte. Die Zinsen der Kriegsanleihe wurden nur noch zögernd ausbezahlt, trotzdem musste ein grosser Teil der Bankdepôts zwangsweise in Kriegsanleihe angelegt werden. Alle Preise stiegen ungeheuer, ebenso die Steuern. Die Mark wurde weniger wert, Alles gierte nach Anlage in Sachwerten oder ausländischer Valuta. Ich wollte die drohende Gefahr nicht zur Kenntnis nehmen, irgend ein Wunder würde uns rechtzeitig retten. Aber als wir um Stundung der Steuern nachsuchen mussten und Frau Guggemos ihre Bezahlung verspätet erhielt, deshalb zu lächeln aufhörte und andeutete, sie gedächte, sich in's Privatleben zurückzuziehen, wurde Vevi sehr ernst, meinte, es müsse etwas geschehen. Wir setzten uns zusammen, um nachzudenken. Gerade war es ihr endlich geglückt, die rote Gurke zu züchten, herrlich zinnoberrot. Sie hatte eine grosse Menge Samen davon eingesammelt. Mit einiger Propaganda hätte das ein glänzendes Geschäft sein können – im Frieden. Ich konnte ihr nicht verhehlen, dass dieser Wert jetzt nicht zu realisieren war. Sie blickte traurig, sagte: 346

»Und gerade jetzt, wo ich ein Kind bekommen werde.«

»Oh verflucht! Warum so plötzlich?«

»Plötzlich nennst du das! Fast vier Jahre, Emmaus!«

»Wir wollten doch nicht züchten.«

»Ich will. Ich dachte, es würde dich freuen.«

»Ja, das tut es. Aber nicht so sehr.«

»Warum nicht sehr? Alle Väter freuen sich sehr.«

»Kinderbekommen ist kleinbürgerlich.«

»Also die Grundlage der Zivilisation, nicht wahr? Ich werde meine Perlenkette verkaufen, dein Hochzeitsgeschenk.«

»Weil ich dich gekränkt habe? Aber nein, jetzt weiss ich, was wir tun können.«

Ich liess mir vom Kommandanten Urlaub zu einer Reise bewilligen, fuhr nach München, nahm hundertfünfzig Perlen mit. In einem Kunstgewerbeladen kaufte ich ein wertvoll aussehendes, goldgeprägtes, orientalisches Lederetui, da tat ich sie hinein. Dann ging ich in die städtische Pfandleihanstalt, gab sie zum Versetzen. Als sie abgeschätzt waren, sagte ich, ich habe es mir anders überlegt. So erfuhr ich, was sie mindestens wert waren.

Dann bot ich sie einem alten, guten Juweliergeschäft zum Kauf an. Ich merkte, wie erstaunt der Mann über diese Pracht war. Er holte seinen Geschäftsführer herbei, sie konferierten leise, prüften jedes einzelne Stück durch die Lupe, bekamen gierige Augen. Die Zeit war günstig für den Verkauf leicht transportabler Wertgegenstände. Man bot mir einen so hohen Preis, dass mir der Atem stockte. Aber sie waren vorsichtig, fragten ganz nebenbei, wie ich in den Besitz der Perlen gelangt sei. 347

Lachend sagte ich: »Geerbt. Grosspapa. War ein Maharadjah.«

Sie baten mich um Namen und Adresse. Das gefiel mir nicht. Ich packte ein, sagte, ich wolle wiederkommen.

Im Hinausgehen hörte ich noch, wie der Juwelier an die Polizei telephonierte. So verschwand ich schnell durch Seitengassen.

Nein, solide Geschäftsleute waren wohl zu schwerfällig. Ich wusste, im Café Gassler war eine Ecke, wo die Schieber und Schleichhändler zusammenkamen, um Waren und Valuten zu schachern. Die würden keine dummen Fragen stellen. Ich setzte mich in ihre Nähe, sofort wurde ihr Gespräch leise, Goldwaren, Dollarscheine verschwanden in den Taschen.

Ich war mit Josef, dem Zahlkellner, gut bekannt, trug ihm auf, den Herren zu sagen, dass ich kein Spitzel sei, etwas zu handeln habe. Einer, der wie ein biederer alter Bauer aussah, stand auf, ging an mir vorbei, indem er ohne mich anzusehen flüsterte:

»Haben'S Dollar? Ich hab' Butter und Schreibmaschinen.«

»Perlen«, flüsterte ich vor mich hin. Er deutete mit dem Daumen über die Schulter nach seinem Tisch. Ohne weitere Formalitäten nahm ich bei der Gesellschaft Platz, hörte eine Weile zu, wie Leder, Kaffee, Altmetall gehandelt wurde. Fünf goldene Armbanduhren fanden willige Abnehmer. Ich hatte schon vorher aus meinem Etui die Hälfte des Inhalts entfernt, jetzt zog ich es heraus, öffnete es, zeigte meine Ware. Sie erregte grosses Interesse. Die Kauflustigen hatten ein Vergrösserungsglas, untersuchten die Perlen genau, jede einzeln, wogen sie in der Hand, beklopften sie, dann zählten sie sie ab. 348

»Mark oder Valuta?« fragte einer. Ich nannte meinen Preis in Mark, der höher war, als mir der Juwelier für die doppelte Anzahl geboten hatte.

»Gemacht«, sagte der Käufer, »schöne War', bin jederzeit Abnehmer, wenn'S mehr davon in die Hand bekommen.«

Dann gingen wir zusammen hinaus in den Abort, ich übergab ihm die Perlen, nachdem er mir den Betrag in Reichskassenscheinen ausgezahlt hatte. Das Etui durfte ich behalten, den Rest der Perlen tat ich wieder hinein, heute würde ich sie noch nicht verkaufen, die Preise waren sicher ansteigend.

Ich ging an meinen Tisch zurück, um die Zeitungen zu lesen, hörte, wie jemand von hinten strammen Schrittes herantrat, war etwas erschrocken, als ich, mich halb umdrehend, bemerkte, dass er in Uniform war. Aber es war ein ganz junger Bursche, er grüsste verlegen, stammelte: »Meine Mama hätte Ihnen gern Gutentag gesagt.« Er deutete nach einem entfernten Sofatisch, da sass eine alte, fette Frau, die ziemlich gewöhnlich aussah.

»Ist wohl ein Irrtum, ich kenne die Dame nicht. Mein Name ist Emmaus.«

»Jawohl, Herr Professor, ich heisse Ikarus Lössel.« Da musste ich sehr lachen. Einen Augenblick schwankte ich, ob ich hingehen sollte, aber ich war gut gelaunt. Strahlend begrüsste sie mich, den Mund noch voll Kuchen, wollte sich erheben, gelang ihr aber nicht, sie sank in das tiefe Sofa zurück. Jetzt, in der Nähe, bemerkte ich, dass sie sehr gut gekleidet war. Ihr Gesicht bestand aus einer Sammlung schlaffer Wülste, stark gepudert und geschminkt.

»Das freut mich aber wirklich, Herr Professor. 349 Endlich sehe ich dich einmal wieder, und so gut schauen Sie aus. Ich hatte schon gefürchtet, Sie wären im Krieg. Wie ist's Ihnen denn gegangen die ganze Zeit? Uns geht es jetzt wieder gut. Wissen'S zuerst ist es uns ja schlecht gegangen, wie das Magazin hin war. Da haben wir ein kleines Seifengeschäft aufgemacht. Grad, dass wir durchgekommen sind. Aber jetzt, seit dem Krieg, ist es besser und besser geworden. Ich hab so meine Beziehungen, bekomm' immer Ware herein und jeder Preis wird einem jetzt gezahlt. Seife und Butter und Kleiderstoffe und Würste. Wenn Sie mal was brauchen, Ihnen geb' ich's zum Einkaufspreis. Jetzt sind wir wieder reich. Ach, das hat mir so leid getan, dass man Ihnen das Haus genommen hat. Haben Sie denn überhaupt noch ein Geld? Wenn Du was brauchst, wird mich jederzeit freuen, wenn ich Dir aushelfen kann. Und was sagen Sie zu meinem Ikarus? Unter uns gesagt, der Bub sieht Ihnen runtergerissen gleich.« In der Tat, ich konnte nicht umhin, die Ähnlichkeit zu bemerken, war mir nicht erfreulich, aber ich sagte:

»Ja, er ist ein sauberer Jüngling geworden. Er war doch wohl ein wenig leidend, ist das jetzt besser?«

»Zuerst war das ganz schlimm, wir mussten ihn in eine Anstalt geben. Da hat man ihn mit Hormonen kuriert und er ist gesund geworden, hat sogar Lesen und Schreiben gelernt. Manchmal hat er noch ein bisserl einen Anfall, hauptsächlich bei Schreck. Wenn geschossen wird, das kann er gar nicht vertragen, und nun muss er einrücken, der arme Bub, hoffentlich passiert ihm nichts. Wo wohnen Sie denn jetzt, lieber Herr Emmaus? Einen Ring haben Sie auch an, sind Sie etwa gar verheiratet?«

»Ja, ich bin glücklicher Ehemann, habe einen Besitz 350 bei Passau. Entschuldigen Sie mich, bitte, einen Augenblick.«

Mir war etwas eingefallen, ich stand auf und ging noch einmal an den Tisch der Schieber zurück. Dort kaufte ich zwei goldene Armbanduhren, steckte sie in die Tasche.

Wieder bei Frau Lössel am Tisch, sprach ich feierlich:

»Herr Ikarus, in Erinnerung an die glücklichen Stunden, die ich im Hause Ihrer Eltern verleben durfte, möchte ich Ihnen dieses kleine Andenken mitgeben.« Ich überreichte ihm die Armbanduhr. Er wurde rot, stotterte:

»Aber nein, das braucht's doch nicht.«

»So bedank dich doch schön, Ikarusserl! Und dass Sie ›Herr‹ zu ihm sagen und ›Sie‹, das ist aber nicht richtig.« Ikarus zog die Armbanduhr auf, stellte umständlich die Zeiger nach der Wanduhr des Cafés. Dann legte er das Geschenk an, erhob sich, gab Händchen: »Schönen, schönen Dank«, sagte er und hatte eine Träne im Auge. Dann stierte er vor sich hin, am Daumen lutschend.

»Jetzt muss ich mich aber empfehlen, gnädige Frau, sonst versäume ich den Zug, hat mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen, Empfehlung an den Herrn Gemahl. Angenehmen Weltkrieg, Ikarus!« Ich drückte beiden die Hand und ging weg, sah mich nicht um.

Die andere Uhr war für Vevi bestimmt, aber ich wollte ihr noch eine Kleinigkeit dazu kaufen. Bei Konditor Wothan war schönes Konfekt im Schaufenster. Im Laden sagte man:

»Konfekt? Gibt es doch schon lang nimmer, in der Auslage das sind nur Attrappen, lackiertes Holz. 351 Kuchen aus Sägemehl haben wir, können die Bude bald zusperren.« Da erkannte mich der Konditor wieder, er war eifriger Meteorist gewesen:

»Ah, sind S'auch wieder hiesig, Herr Emmaus? Schad, dass die Partei aufgelöst ist. Jetzt sieht man erst, wie recht sie hatte. Was schaut denn raus bei der Politik? Nix als Unglück. Alle meine Freund' meinen das auch. Könnten wir nicht wieder bisserl anfangen mit dem Meteor?«

»Seien Sie vorsichtig, Herr Wothan, kommt Zeit kommt Rat. Vielleicht schauen Sie sich inzwischen nach einem zuverlässigen Drucker um, für Werbeschriften.« Wir trennten uns mit dem Meteorgruss. Dann gedachte ich, ihr feine Toiletteseife zu kaufen, im Parfümerieladen hatte man aber nur Bimsstein. Oder ein nettes Handtäschchen aus Krokodilhaut, schaute ganz schön her im Fenster des Ledergeschäfts, war aber nur aus Papier und zerriss beim Besichtigen. Oder Strümpfe, die waren aus einem Surrogat für Ersatzstoffe der Kunstseide hergestellt und nur gegen Bezugschein zu haben und bloss einer in jedem Monat, entweder für das rechte Bein oder für das linke, nach freier Wahl. So gab ich es auf.

»Hast du fleissig gebetet Vevi?« fragte ich, als ich zurückkam.

»Allerdings, hast du vielleicht etwas dagegen?«

»Im Gegenteil, schau her, was du damit erreicht hast.« Ich zeigte ihr den Packen Scheine, nannte die Summe.

»Natürlich. Und das ist sogar viel mehr als ich erbeten habe. Nun sind wir die Sorge los.«

»Garnicht so natürlich. Wie die Rosel beim Füttern deine Armbanduhr verschluckt hat, hast du auch 352 gebetet und nichts hat es genutzt, die Uhr ist nicht wieder zum Vorschein gekommen. Ich habe dir deshalb hier eine neue mitgebracht.«

»Ah, das ist fein, ich danke dir.« Sie betrachtete freudig das Geschenk, dann blickte sie schräg hinauf zu mir.

»Es ist ja meine Uhr. Wo hast du sie gefunden?«

»Meinst du wirklich?«

»Also ist auch da mein Gebet erhört worden, ich hatte schon gedacht, es wäre vielleicht Sünde, dass ich Gott um so etwas bemühen wollte.«

Ich liess sie bei ihrem Glauben. War es wirklich Aberglaube?

In der folgenden Zeit habe ich dann die Perlenfischerei etwas eifriger betrieben, der gute Verkauf hatte mich angespornt. Wer weiss, wozu man noch Geld brauchen würde!

Mein Buch hatte ich jetzt fertig, es war eine Art Bibel des Meteorismus geworden, betitelt ›Mein Meteor‹. Wie bei der heiligen Schrift bestand der erste Teil aus einer historischen Übersicht, der zweite aus Glaubensartikeln und Hinweisen auf Zukünftiges. 353

 


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