Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

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Bei den Hunden

Sie hat mir ein grosses, bequemes Zimmer in ihrem Hause angewiesen, mit schöner Aussicht über die weiten Auen des Isarflusses. Tagsüber war sie immer sehr beschäftigt, Gutsarbeiten und Ziegelei zu beaufsichtigen. Ich begleitete sie manchmal, und da ich von der Landwirtschaft Einiges verstand, hielten mich die Leute wohl für eine Art Verwalter. Auch dem Hunde-Harem widmete sie viel Zeit. Da waren Hündinnen der verschiedensten Rassen, jede rief sie bei Namen, alle kannten und liebten sie. Ich konnte mich mit dieser Einrichtung nicht recht befreunden.

»Was wird nun mit den vielen Welpen, die da sicher zur Welt kommen? Töten Sie die?«

»Was fällt Ihnen ein! Das wäre grausam, und die Kleinen sind so süss. Die Wissenschaft der Tierärzte gibt uns Mittel zur Geburtenbeschränkung und -verhütung. Allerdings in diesen Zeiten kann es garnicht Nachwuchs genug geben. Das Vaterland braucht Kriegshunde, Rüden sowohl wie Hündinnen. Mit Begeisterung lassen sie sich für den Heeresdienst abrichten. Wenn im Weltkrieg ihre Zahl nicht so lächerlich gering gewesen wäre, hätte uns der Endsieg nicht entgleiten können. Was zehn Generäle nicht sehen, riecht oft ein Hund. Und er kennt den Feind sofort an der 458 Witterung, springt ihm an die Kehle, unerbittlich bis zur Vernichtung.« Ich liess mir zeigen, wie sie abgerichtet werden und erlernte die Dressur auf den Mann.

Die Mahlzeiten nahm ich mit der Majorin ein. Wir sprachen oft von der schönen Zeit am Aubinger See, ich berichtete ihr von meinem gemütlichen Passauer Heim, besonders Muspets Leben und Schicksal erweckte ihre Teilnahme, sie erzählte viel von Hunden und von den kleinen Erlebnissen ihrer Betriebe, von den Taten ihres seligen Gatten sprach sie, der so herzensgut war und mir sicher gefallen hätte.

»Sagen Sie, Frau Majorin, hat er eine Sonnenbrille gehabt, mit dunklem Glas?«

»Ja, woher wissen Sie das? Sie muss noch da sein.«

»Ich wusste es überhaupt nicht, aber können Sie sie mir leihen?«

Ich bekam sie, brauchte sie, um mich unkenntlich zu machen. Dazu schnitt ich mir auch einige Haare vom Kopf und klebte sie auf die Oberlippe. Niemand erkannte mich, als ich in die Stadt fuhr. Dort ging ich in ein Kleidergeschäft und stattete mich vollständig neu aus. Kein Stück von den Sachen des Ikarus wollte ich weiter benutzen, ich hob sie sorgfältig auf, in einer Kiste luftdicht verschlossen.

Am folgenden Tage fuhr ich wieder zur Stadt, besuchte meinen Anwalt Dr. Wurmbrand zu einer ungestörten Unterredung. Er erkannte mich erst, als ich Schnurrbart und Brille abgelegt hatte, begriff nicht, was das zu bedeuten habe. Ich legte ihm meinen Fall vor. Er schlug in Gesetzbüchern nach, überlegte, dann gab er von sich:

»Ich kann Ihre Rechtssache nicht führen. Der Anwalt ist berechtigt und verpflichtet, die Vertretung 459 natürlicher oder juristischer Personen zu übernehmen, bedarf dazu einer Bevollmächtigung seitens derselben. Sie sind gegenwärtig weder eine juristische noch überhaupt eine Person. Vom Rechtsstandpunkt aus sind Sie als nicht existierend zu betrachten, somit auch nicht berechtigt, eine wie immer geartete Vollmacht auszustellen. Sie haben nicht nur Ihre Persönlichkeit eingebüsst, sondern überhaupt jede Realität. Sie sind gegenwärtig weder eine juristische noch überhaupt eine Person.«

Ich musste lachen: »Was soll ich denn nun anfangen?«

»Ich habe Sie bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass ich Sie nicht mehr rechtlich beraten kann.«

»Sagen Sie, Herr Doktor, Sie haben wohl einfach Angst?«

»Auch wenn ein Fall so viele Gefahrenmomente in sich birgt wie der Ihre, kann ich mich doch nicht zu irgend einer Form der Auskunftserteilung herbeilassen. Ich wiederhole, Sie sind ein non existens

»Wirklich?« Ich schüttete ihm das Tintenglas auf den kahlen Schädel.

Das tat mit sofort leid, weil ich damit nicht als Gentleman gehandelt hatte, und ausserdem konnte es zu meiner Vernichtung führen. Dr. Wurmbrand sprang wütend auf, wollte etwas unternehmen, dann besann er sich, sagte bloss: »Sie existieren trotzdem nicht. Adjö.«

Ich ging, nahm Brille und Schnurrbart wieder vor.

Ich war sonderbar bewegt, kam mir vor wie ein abgeschiedener Geist, der nur noch ein wenig spukte und die Menschen mit Furcht erfüllte. Wem konnte ich weiterhin erscheinen? Gab es niemanden, der sich 460 nicht fürchten würde, geneigt wäre, mir zur Wirklichkeit zurück zu helfen? Vielleicht einer der alten Meteoristen? Aber die waren wohl alle zum Herzog übergeschwenkt. Höchstens Konditor Wothan, der war immer sehr unentwegt, wie ein Fels ragte er aus seinen Zuckerwaren, und die Ermordung seines Freundes Wirsing würde ihn erbittert haben.

Ich ging in seinen Laden, kaufte eine Schachtel Konfekt für die Majorin. Die Auswahl war immer noch nicht sehr grossartig, Schokolade fehlte ganz. Im Hintergrund sah ich Herrn Wothan auftauchen, er sah alt und vergrämt aus. Sein Blick streifte mich flüchtig, und ich grüsste ihn mit dem Meteorgruss, der jetzt ausser Brauch gekommen war. Er merkte auf, erwiderte ebenso, kam näher. »Meteorhalloh!« sagte ich flüsternd. Misstrauisch und fragend schaute er mich an.

»Kamerad Wothan, ich möchte Ihnen eine wichtige Mitteilung machen, kann ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen?« Er zögerte, fühlte an seine rückwärtige Hosentasche, wohl nach einem Revolver oder Knicker.

»Bitte!« Er führte mich in ein Nebenzimmer, wo Vorräte aufgestapelt waren, dürftige Vorräte. Es gab keine Sitzgelegenheit, wir sprachen stehend.

»Jetzt hab' ich aber satt von der Bespitzelung«, sagte er, »ich kümmere mich nicht mehr um die Meteorsache, das könnte man nun allmählich wissen.«

»Nein, ich bin kein Spitzel. Hören Sie: Der Herzog ist garnicht Emmaus. Er ist ein gewisser Ikarus Lössel, ein Geisteskranker, der ihm sehr ähnlich sieht. Mit Hilfe Daffodils hat er sich durch einen Gewaltstreich an seine Stelle gesetzt und Emmaus im Irrenhaus 461 eingesperrt. Niemals hätte Emmaus gutgeheissen, was seitdem geschehen ist, nie den Reichslotsen umbringen lassen.« Wothan zweifelte noch immer. »Das kann ich glauben oder nicht. Wer sind Sie eigentlich?« Ich riss den Schnurrbart herunter, setzte die dunkle Brille ab: »Emmaus. – Es ist mir gelungen zu fliehen.« Wothan starrte mich an, strahlte dann, ergriff meine Hände, schüttelte sie heftig. Gleich darauf aber versteinerte er wieder, betrachtete mich prüfend.

»So? Aus dem Irrenhaus entflohen? Und wie können sich zwei Menschen so gleich sehen? Vielleicht sind Sie doch der Narrische und bilden sich nur ein, Sie wären der Emmaus. Kommt mir alles so gspassig vor.«

»Ja, ich weiss, es ist sonderbar, aber es ist so wie, ich sage. Wenn nur Wirsing noch lebte! Erinnern Sie sich, wie Sie ihn mir als Drucker der Flugblätter empfohlen haben und wie er dann zu mir nach Oberhaus kam?«

»Ich sehe, Sie sind wirklich der Emmaus. Froh bin ich, dass Sie wieder da sind. Das ist eine furchtbare Sache. Wir müssen überlegen. Kommen Sie!« Er führte mich in seine Wohnung hinauf, wir setzten uns nebeneinander auf das rote Plüschsofa, rauchten, tranken Kirschlikör.

»Jetzt wird mir Alles klar«, sprach Wothan, »ich konnte nie begreifen, wieso Sie sich von einem Tag zum andern so gewandelt hatten, auf einmal genau das Gegenteil machten von dem, was wir erstrebt und endlich durchgebracht hatten. Es muss gelingen, Sie wieder einzusetzen.«

»Nur bis ich die Dinge wieder ins rechte Geleis gelenkt habe, dann mag es ein anderer in unserem Sinne weiterführen, und ich ziehe mich still zurück.« 462

»Eine Agitation wie früher gibt es nicht mehr, Flugblätter, Zusammenkünfte, mündliche Propaganda, das alles ist jetzt unmöglich. Jeder überwacht und denunziert den anderen, herzogliche Polizeispitzel überall. Er nennt sich jetzt Herzog, die Massen jubeln ihm zu. Am Zujubeln erkennt man den Pöbel. Der wünscht geknechtet zu werden, würde diesen Usurpator Ihnen vorziehen, selbst wenn wir bekannt geben könnten, welcher Gewaltstreich geschehen ist. Wir wollten den Weltfrieden. Die haben schon wieder Freude an Krieg. Alle Zeitungen sind Regierungsblätter, machen in Kriegsstimmung. Das Fürstentum Fichtenstein mit seinem achtzig Mann starken Heer bedroht das Reich und muss gestraft werden. Österreich verweigert den Durchmarsch, die Schweiz ebenfalls. Es wird etwas geschehen. Der Herzog verspricht dem Volke für die Zeit nach dem Siege herrliche Neuerungen; Abschaffung der Individualität, keine Familiennamen mehr, nur Nummern. Aufhebung des Privateigentums.«

»Das wäre also Kommunismus.«

»Keineswegs. Alles soll dem Staat gehören.«

»Auch die Industrie?«

»Ja, sogar die Rüstungsindustrie.«

»Das wird Daffodil wenig gefallen.«

»Er hat die Zralokwerke bereits ins Ausland übersiedelt. Er selbst ist geflohen, sonst wäre er festgenommen worden. Das Volk ist begeistert und voller Hoffnung. So etwas Schönes können wir ihm nicht bieten.«

»Ach Wothan, das sehe ich jetzt: nie kann man nur mit Vernunft regieren. Wunder will das Volk, nicht Befreiung von den Peinigern, sondern Befreiung von sich selbst, von seiner eigenen ihm ekelhaften kleinen 463 Persönlichkeit. Bis wir unsere Mikrophone wieder aufstellen können und ihm etwas Neues erzählen werden.«

»Werden wir das je können? Der Gewaltige wird es nie zulassen.«

»Er wird nicht mehr da sein.«

»Ich sehe keinen Weg dazu, lieber Emmaus.«

»Es wird sehr einfach gehen, wie ein Wunder.«

»Gerade haben Sie getadelt, dass das Volk Wunder wünscht, und nun hoffen Sie selbst darauf.«

»Ich bin auch nur ein Mensch und warte auf Wunder. Allerdings kann man ja ein bisschen nachhelfen.«

»Sie geben mir Rätsel auf, Emmaus.«

»Zerbrechen Sie sich den Kopf nicht weiter, lieber Wothan. Zur gegebenen Zeit wird das Rätsel gelöst werden. Dann werden wir uns wiedersehen.«

»Vorher nicht? Wo wohnen Sie? Sind Sie nicht gefährdet? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«

»Herzlichen Dank! Ich brauche nichts. Wo ich wohne, kann ich Ihnen nicht sagen, bitte, betrachten Sie das nicht als Misstrauen.«

»Ich hoffe, Herr Emmaus, Sie sind nicht etwa in Verbindung mit dem Ausland? Das könnte ich nicht billigen, dann würden sich unsere Wege trennen.«

»Nein, mein Wort darauf, ich habe mit keinem Ausland etwas zu tun. Nicht einmal von Frau und Kind, die in Amerika sind, habe ich je etwas gehört. Ich würde sie gern wiedersehen.«

»Ich wünsche, Sie erleben es.«

»Keine Furcht! Ruhig warten! Mikrophone bereit halten! Inzwischen vergessen Sie mich, bitte, schweigen werden Sie ja von selbst, und verkaufen Sie weiter unbekümmert Ihre Bonbons. Es wird einmal wieder Schokolade geben.« 464

Ich klebte meinen Schnurrbart wieder an, setzte die Brille auf, wir drückten uns die Hand. »Auf Wiedersehen, Kamerad Wothan.«

»Auf Wiedersehen Emmaus, Meteorhalloh.«

Auf der Strasse dachte ich: »Weshalb habe ich ihn eigentlich besucht?« Nun, ein Ergebnis davon war immerhin, dass ich wieder das Gefühl gewonnen hatte, nicht völlig ohne Zusammenhang mit der Welt zu sein. Sicher dachten im Verborgenen noch sehr viele wie wir und würden, wenn es so weit wäre, hervorkommen wie Regenwürmer nach dem Gewitter. Vielleicht konnte Wothan heimlich doch einige Zuversicht unter Gleichgesinnten verbreiten, doch darauf rechnete ich nicht einmal, die Gefahr wäre zu gross gewesen.

Jedenfalls war mein durch Dr. Wurmbrands Verhalten erschüttertes seelisches Gleichgewicht wiederhergestellt, und frohen Mutes fuhr ich mit dem Autobus nach Niederföhring, ging von dort zu Fuss hinauf in unser Dorf, verbrachte einen angenehmen Abend in Unterhaltung mit der Majorin und dem Pfarrer des Ortes. Ich wollte nicht so bald wieder die Stadt besuchen und begann, den Hunden mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, ihre individuellen Verschiedenheiten zu beobachten. Die Rassenvermischung, die bei den Grundsätzen der ›Freya‹ unvermeidlich war, ergab oft überraschende Resultate an eigentümlichen Körperformen und Geistesveranlagung. Manche dieser Hunde sind Stammeltern neuer Rassen geworden, meistens erst auf dem Umwege über England. Ich interessierte mich besonders für Hunde, die durch ihre Grösse, ihren ausgebildeten Geruchssinn und ihre wilde Kraft zu Kriegshunden geeignet waren. Kriegshunde waren sehr begehrt. Die Militärverwaltung hatte uns zwei 465 geübte Abrichter zur Verfügung gestellt. Um die Wichtigkeit dieses neuen Gross-Kampfmittels ins rechte Licht zu stellen plante die Heeresverwaltung, nach Vollendung der Dressur, eine feierliche Hundeparade in der Moosacher Sport-Arena unter Teilnahme des Herzogs und seiner Generäle.

Nahe der Ziegelei hatten wir einen abgelegenen, mit hohem Bretterzaun umgebenen Platz für die Lehrstunden. Zuerst mussten die Hunde den Parademarsch erlernen, bald schleuderten sie die Beine, durchgedrückt, in die Luft, besser als irgend ein Rekrut. Dann sollten die Geländeübungen kommen, aber ich hielt die ›Dressur auf den Mann‹ für wichtiger, veranlasste, dass sie vorher gelehrt wurde. Die Technik des Unterrichts war ziemlich einfach: Zwei Mann wurden mit dick wattierten Anzügen bekleidet, Kopf und Hände auf die gleiche Art geschützt. Sahen wie Taucher aus. In der Hand hatten sie einen Stock. Die Schüler wurden zwölf Stunden vor Beginn nicht mehr gefüttert, waren hungrig und gereizt. Dann gingen die Taucher auf sie zu, piekten mit den Stöcken nach ihnen, markierten gleichzeitig Angriff auf den unwattierten Dresseur. Der rief: »Fass! Fass!« solange bis die Hunde sich wütend auf den Gegner stürzten, bissen. Dann bekamen sie ein Stückchen Fleisch zur Belohnung, wurden gleich darauf mit dem Rufe »Herein!« an der Leine zurückgezogen. Das übte man solange, bis sie auf das Kommando: »Fass!« sofort ansprangen, und man brachte ihnen bei, in die Kehle zu beissen. Beim Kommando ›Herein!‹ liessen sie gehorsam ab. Doch war damit die Dressur noch lange nicht beendet. Mannsgrosse Puppen, Phantom genannt, wurden gebastelt, sahen täuschend wie Menschen aus, waren mit alten Uniformstücken 466 Kriegsgefangener bekleidet. Wir lehnten sie an den Zaun oder stellten sie auch frei auf. Nach Kommando fielen die Hunde über sie her, durften sie beliebig zerbeissen und zerfleischen, bevor wir sie zurückriefen.

»Die merken sich den Geruch der feindlichen Uniform genau, werden ihn gleich wiederkennen und nur die Feinde anpacken« meinten die Abrichter. Ich schlug vor, anstatt des Kommandos ›Fass!‹ den Ruf ›Hurrah‹ einzuführen. Das schien praktischer, und die Hunde hörten bald nur mehr auf dieses Kommando. Ich hatte mir die zwei schönsten Hunde vorbehalten. ›Tell‹ und ›Thor‹ hiessen sie, waren das Resultat eines Frühlingsabends von Wolfshund und Bernhardinerin, die ihrerseits einen Spritzer deutsche Dogge im Blute hatte. Schön waren die Tiere eigentlich nicht, aber gross wie Kälber, sehr gescheit und gelehrig, hatten eine feine Nase und ein ungeheueres Gebiss. Ich wiederholte die Dressurübungen oft mit ihnen, auch nach Feierabend, unermüdlich. Die Abrichter lachten:

»Ah, Herr von Oberhaus will Ehre einlegen beim Herzog mit seiner Zucht, vielleicht einen Orden bekommen.«

Sie waren ein bischen eifersüchtig auf mich, behaupteten, sie hätten keine Uniformen mehr übrig für meine Phantome. Das verschlug mir nichts, denn glücklicherweise hatte ich die Kleidungsstücke des Ikarus aufbewahrt, und Mama Lössel, die nicht wusste, dass ich sie nicht trug, hatte mir noch einen ganzen Koffer voll herausgebracht, als sie ihre Tochter besuchen kam.

»Ich habe mich hier sehr gut eingelebt, Frau Kommerzienrat, bin Ihnen von Herzen dankbar. Am liebsten bliebe ich immer hier, und die Frau Majorin ist 467 so liebenswürdig.« Die Kommerzienrätin drohte schelmisch mit dem Finger:

»Ah, Sie Planer! Na, Sie beide passten gut für einander, schau schau.«

»Aber Mama, Herr von Oberhaus ist ja verheiratet.« Die Majorin errötete.

»Schade, liebe Kinder, wirklich schade. Damals am Aubinger See wart ihr doch ein wenig verliebt, er hätte nur ein bisserl einen Renner braucht, dann wärt ihr ein Paar worden.«

»Aber du hast mir ihn nicht gegönnt. Meinst du, ich habe nix gemerkt?«

»Annerl, du versündigst dich. Der liebe Gott im Himmel weiss, wie gern ich Herrn Emmaus als Schwiegersohn gehabt hätte.«

»Ja und als was noch!« Weinend stand sie auf und ging hinein, wir waren draussen in der Laube gesessen neben dem Hause.

»Haben S'schon mal sowas gesehen, Herr von Oberhaus? Sind halt die Nerven, die Nerven.«

»Nein, ich glaube, die Frau Majorin hat ganz gesunde Nerven, da fehlt sich nix. Ich freue mich, dass sie sich zu einem so tüchtigen und tatkräftigen Menschen entwickelt hat, seitdem sie auf eigenen Füssen steht. Sie haben sie immer ein bisserl eingeschüchtert daheim.«

»Sagen S'gleich kujoniert! Ich bin halt eine sogenannte starke Natur. Was kann ich dafür, dass ich garsoviel Charakter hab'? Ach Emmaus – –.«

Nun weinte auch sie und versuchte, mir um den Hals zu fallen.

Tell und Thor waren, wie immer, bei mir. Sie hatten schon die ganze Zeit den Koffer mit den Kleidern des Ikarus beschnuppert, unter bösem Knurren und 468 Zähnefletschen. Jetzt missverstanden sie die Armbewegung der Kommerzienrätin, sprangen mit mächtigem Satz an ihr hinauf, schnappten nach ihrem Hals. Sie schrie fürchterlich.

»Sofort herein!« rief ich, riss die Hunde im letzten Augenblick zurück.

»Pfui! Ihr werdet doch dem braven Frauerl nichts tun! Schämt euch!« Sie schämten sich in der Tat, krochen mit eingezogenem Schweif zu mir hin.

»So und jetzt entschuldigt ihr euch bei dem guten Frauerl, macht schön bitte bitte!« Das wollten sie aber durchaus nicht tun, drehten den Kopf nach dem Koffer und schnüffelten dort hin, brummend.

Die Majorin kam, tödlich erschrocken, herausgelaufen, fand ihre Mama halb ohnmächtig, holte schnell etwas Kölnischwasser und netzte ihr Stirn und Gesicht. Dann führte sie sie hinein, liess sie auf dem Sofa niederliegen. Nach einer halben Stunde hatte sich die Kommerzienrätin erholt und trank ein Glas Bier.

»Ihr mit eure Hundsviecher!« sagte sie bloss.

Sie ist noch am gleichen Tage wieder nachhaus gefahren, wir verabschiedeten uns herzlich, sie wollte bald wiederkommen.

Der Koffer blieb da, sein Inhalt war mir sehr dienlich. Tell und Thor habe ich nicht weiter wegen ihrer Attacke bestraft, denn ich verstand, warum der Geruch des Koffers sie so erregt hatte. Ich setzte die Dressur alsbald fort, bekleidete die Phantome auch fernerhin mit den Anzügen und Mänteln des Ikarus, liess sie, nach Kommando ›Hurrah‹, zerbeissen, bis nur noch Fetzen vorhanden waren. Die hob ich auf, und sobald ich den Hunden einen davon vor die Nase hielt, gerieten sie von neuem in Wut. 469

Manchmal las ich eine Zeitung und bemerkte mit Verwunderung, wie die Geisteskrankheit des Herzogs sich immer gefährlicher entwickelte. Seine letzte grosse Rede schloss mit den Worten: »– denn wisset, ich, Emmaus der Herzog, bin Gott.«

Sogleich war ein Gesetz erschienen, dass vom fünfzehnten Oktober ab der Herzog die göttliche Allmacht ausüben werde. Leitartikel der Zeitungen schrieben, wie dankbar ihm das Volk, ja die ganze Welt, sein müsse, dass er diese unsagbar schwere Pflicht auf sich nehme.

Im Schloss, das er bewohnte, wurden Diener dabei betroffen, wie sie sein prunkvolles Bett hinausschaffen wollten. Angehalten, erklärten sie, dass es in die Kirche gestellt werden müsse, die sei doch Gottes Haus, er brauche sein Bett dort.

Als ich das las, durchfröstelte es mich. Schwer fiel mir aufs Herz, wie ich, grossartig, als Herrscher, im Schloss residiert hatte. War ich da nicht selbst schon von einer Art Grössenwahn befallen? Hätte ich, wenn ich dort geblieben wäre, mich nicht auch nach einiger Zeit für einen Gott gehalten? Ich begriff, wie erschreckend ich, auch im Geistigen, dem Ikarus ähnelte. Oder war es überhaupt tief in der menschlichen Natur begründet, dass der Besitz unumschränkter Macht zum Wahnsinn führen musste? Ein Wunder hatte mich davor bewahrt und, wenn es mir je gelingen würde, wieder an die Spitze zu kommen, wollte ich mich wohl hüten, wieder in den alten Fehler zu verfallen. Ganz bescheiden würde ich auftreten, wie ein geringer Bürger hausen, in einem Hotel zweiten Ranges oder in einem möblierten Zimmer mit dünnem Kaffee und zwei Margarinebrötchen in der Früh. Allerdings, Vevi müsste zurückkommen, sie würde mir meine frühere 470 Grossspurigkeit verzeihen. Aber dann konnte ich ihr doch nicht zumuten, in einem möblierten Zimmer zu wohnen, mit Fettflecken an den Wänden und knarrenden Betten.

Ach knarrende Betten! In Melk an der Donau hatte das Bett geknarrt. Welch eine glückliche unbeschwerte Zeit war das! Ich versank in wache Träume.

An Vevi zu schreiben beschloss ich, ihr alles zu erklären, sie um Vergebung zu bitten. Vielleicht würden sich Mittel und Wege finden, ihre Adresse zu erfahren und den Brief uncensuriert hinausgelangen zu lassen. Wie mochte sie jetzt über mich denken, wenn sie hörte, was hier unter meinem Namen geschah? Ob sie wohl je versucht hatte, mir zu schreiben? Schon möglich. Der Brief wäre sicher geöffnet und zurückbehalten worden. Ich nahm Briefpapier zur Hand.

Die Magd kam herein: »Der Postbote hat einen Brief für Sie gebracht.« Der erste Brief, den ich nach Oberföhring bekam! Fieberhaft öffnete ich ihn. Ein zweites Couvert lag darin, die Postmarke war von U. S. A.

Geschah wieder ein Wunder? Wurden Wunder zur Gewohnheit? Aber die Adresse, mit Schreibmaschinenschrift, lautete: »Mr. Ikarus Lössel c. o. Kommerzienrat Georg Lössel. München-Bogenhausen, Germany.« Mit Heftklammer war daran ein Zettel befestigt: »Lieber Herr von Oberhaus! Dieser Brief ist uns von Mr. Powell, dem amerikanischen Gesandten, einem guten Freund meines Georg, übergeben worden, er hatte ihn unverletzt bekommen. Ich habe ihn aufgemacht und gesehen, dass er vermutlich für Sie bestimmt ist. Herzlich grüsst

Kommerzienrätin.« 471

Ich konnte mich schwer entschliessen, den Brief zu lesen, wollte wenigstens die vage Hoffnung möglichst lange geniessen. Endlich gab ich mir einen Ruck und sah ihn an:

»Mein lieber Emmaus! Ich weiss Alles und es tut mir furchtbar leid, denn ich habe Dich nie vergessen können, habe lange gehofft, Du würdest wieder zu mir kommen. So ist das Schreckliche über Dich hereingebrochen, ohne dass ich es wusste, sonst hätte ich Äusserstes gewagt, alles daran gesetzt Dich zu retten. Aber jetzt ist man hier eifrig bestrebt, das Unheil wieder gut zu machen. Daffodil ist hier und sieht ein, welche Riesen-Dummheit er begangen hat. Du musst mir sofort mitteilen, was unternommen werden kann, um Dich aus dem Irrenhause zu befreien. Ich hoffe, dass ich den richtigen Weg gewählt habe, um in Verbindung mit Dir zu treten, – – –« Ich küsste den Brief rasend klopfenden Herzens, – schreckte auf: Das war doch nicht Vevis Handschrift! Ich las weiter: »– die Antwort kann auf dieselbe Weise erfolgen. Jedenfalls wirst Du gut daran tun, diesen Brief sofort zu vernichten. Tausend Küsse Deine getreue Lona.«

Lona?! – – Ach, Frau Daffodil! Es war, als hätte man mir ein Stück Eis hinten unter den Hemdkragen geschoben. Aber dann zerschmolz es und ich lachte wie besessen.

»Nein, Frau Daffodil, Ihr Herr Gemahl wird lange auf meine Antwort warten können.«

An die Nacht mit ihr erinnerte ich mich jedoch ohne Reue. Sonderbarer Weise hatte ich jetzt das Gefühl, als sei Vevi schuld an der Enttäuschung, die mir dieser Brief bereitet hatte. Eine leise Bitterkeit gegen sie blieb zurück. Ich wusste, wie unbegründet die war, aber ich 472 habe ihr nicht geschrieben, fand, dass ich allzusehr in sehnsüchtigem Gefühlsdusel schwelgte und Gefahr lief, meine Tatkraft von näherliegenden Dingen abzulenken.

Was die Zeitungen berichteten, wurde immer grotesker: Einige Priester, die die althergebrachte Form des Gottesdienstes nicht aufgeben wollten und die Anbetung des Herzogs für Ketzerei erklärten, waren festgenommen worden und standen vor ihrer Verurteilung wegen Landesverrats.

Die Universität dagegen stellte sich voll und ganz auf den Boden des neuen Glaubens. Der alte Theologe Professor von Slapgosch veröffentlichte eine Abhandlung: »Die göttliche Natur des Herzogs durch Bibelstellen belegt.«

Der naturwissenschaftlichen Fakultät gelang es, durch Experiment und physikalische Untersuchungen auch den letzten Zweifel ad absurdum zu führen.

Die Historiker verkündeten, dass die Wellenförmigkeit des weltgeschichtlichen Geschehens zwangsläufig in dem persönlichen Wiedererscheinen Gottes zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle der Erdoberfläche resultieren musste.

Der Philosoph von Schripzwift, ein Sohn des verstorbenen, weltberühmten Geheimrats von Schripzwift, legte seinen Vorlesungen die These zugrunde: »Dogmatische Metaphysik und transzendentale Logik bedingen die apriorische Erkenntnis der Gottnatur des Herzogs.«

Die Mathematiker erklärten es für eine längst bekannte wissenschaftliche Tatsache, dass die arithmetische Formel: »Herzog gleich Gott« sowohl durch Lehrsätze der nichteuklidischen Geometrie als durch das Parallelenaxiom bewiesen werde. 473

Die Astronomen allerdings nahmen die Priorität dieser Deduktionen für ihre Fakultät in Anspruch, hätten sie doch von jeher erkannt, dass das Wiedererscheinen Gottes an bestimmte kosmische Umlaufszeiten gebunden sei, die einerseits mathematischen Gesetzen folgten, deren tellurische Lokalisation anderseits erst der minutiösen Teleskopie deutscher Observatorien zu danken sei.

Dr. Wurmbrand hatte erfasst, welche Aufstiegs-Gelegenheit jetzt die akademische Laufbahn bot, hatte die Kanzlei sehr vorteilhaft an seinen, durch Erbschaft begüterten, Konzipienten verkauft und habilitierte sich, indem er als Privatdozent über das Thema las: »Formal-logisch-konstruktive Gegebenheit des Gott-Herzog-Rechtsgedankens auf Grund des corpus juris und der kanonischen Edictorial-Justiz.«

In heller Begeisterung huldigten die Künstler der neuen Gottheit, die ihnen unbegrenzte Möglichkeiten der Betätigung in Aussicht stellte. Die religiöse Kunst war immer das beste Geschäft. Dazu musste man natürlich tief innerlich gläubig sein.

Unser Nachbar, der Sixtenbauer von Oberföhring, fragte mich: »Sie, Herr Dr. Oberhaus, Sie sein doch ein Studierter, was meinen denn Sie? Glauben S', der alte Herrgott wird jetzt ganz ruhig ins Austragstüberl gehen und das Sach dem Herzog übergeben? Ich fürcht' alleweil, er macht noch ein' rechten Krach. Und wie wird das jetzt werden mit die Kirchensteuern? Steuern werden eh nie nicht geringer.«

Doch der Herzog war schlau genug, zu verordnen, dass vom fünfzehnten Oktober ab die Kirchensteuer aufgehoben sei. Da waren auch die Bauern zufrieden.

Allerdings wurde dafür die Umsatzsteuer um 474 zweihundert Prozent erhöht. Aber das machte ja eine andere Behörde, nicht der neue Herrgott.

So war Alles in schönster Ordnung.

Auch den untragbaren Übergriffen des Fürsten von Fichtenstein war jetzt ein Damm gesetzt. Er war zum Herzog in Audienz befohlen worden, hatte draussen vor dem Schloss im Regenwetter zweieinhalb Stunden warten müssen. Endlich vorgelassen, war er zunächst vom Herzog grob angefahren worden, wie er es wagen könne, mit triefenden Kleidern vor ihm zu erscheinen. Dann war ihm die Abdankungsurkunde vorgelegt worden. Er wollte zuerst nicht unterschreiben. Da liess der Herzog alle Fenster und Türen öffnen. Es entstand ein so starker Luftzug, dass der nasse Fürst vor Kälte zitterte und einen neuen Anfall seiner, erst kürzlich überstandenen, Influenza befürchten musste. So war er zur Einwilligung gezwungen, unterzeichnete schnell und wollte sich entfernen. Aber donnernd tönte ihm des Herzogs »Halt!« entgegen. »Herr Fichtenstein, Sie bleiben natürlich als Geisel hier!«

Man hat ihn nie wiedergesehen.

Die Zeitungen schrieben über den Fall Fichtenstein, dass dieser grösste Sieg der Weltgeschichte hauptsächlich der einzig dastehenden Organisation einer furchtbaren neuen Kampfmethode: Masseneinsatz von Kriegshunden, zu danken sei. Am fünfzehnten Oktober, kurz Gottestag genannt, werde die längst geplante grosse Parade der Kriegshund-Regimenter stattfinden und sich zu einem Schauspiel von unerhörter Einmaligkeit gestalten.

Von diesem Tage ab sollte zum ersten Male des Herzogs neu geschöpftes Abzeichen in Gebrauch sein: Das Gottesauge in einem Dreieck. Der Heraldiker 475 Professor Hubauf hatte es auch für das neue Reichswappen verwendet: Adlerkopf mit Gottesauge. Auf weissem kreisförmigem Grunde, inmitten der roten Fläche, zeigten die Fahnen das Wappen.

In herrlichem Flaggenschmuck erstrahlte die Sport-Arena des Vorortes Moosach, sie war auch reich mit Tannenbäumchen, Blumen, Draperien und eigens für diesen Zweck gewebten Teppichen geschmückt, die, nach Entwürfen erster Künstler, den Herzog in seiner segensreichen Wirksamkeit darstellten. Die Arena war in der Art antiker Amphitheater rund angelegt, als grosser kreisförmiger Platz, von ansteigenden Sitzreihen umgeben, die an der Eingangstelle unterbrochen waren. Dem Eingang gegenüber waren die erhöhten Sitze der Preisrichter und die ehemaligen Hoflogen. Das Volk strömte schon vom frühen Morgen an hinaus. Glücklich, wer sich einen Platz sichern konnte. Die Schutzpolizei war vollzählig ausgerückt und nahm im Schweisse ihres Angesichtes an jedem Einzelnen genaue körperliche Durchsuchungen nach verborgenen Waffen vor. Zwei Frauen, deren Hutnadeln eine allzu gefährliche Länge aufwiesen, wurden verhaftet und gefesselt abgeführt, ebenso ein älterer Mann. Er hatte ein polizeilich unbekanntes, ungemein verdächtig aussehendes Instrument unter der Kleidung verborgen. Später erwies es sich als ein Bruchband, und so konnte er leider nicht bestraft werden.

Den zahlreich erschienenen Film-Operatören gelang es nur durch grosse Geldopfer, eine Entrollung der unbelichteten Filme zu verhindern, sie durften ihre Apparate an geeigneten Punkten aufstellen.

Schon immer schützte ein umfassender Sicherheitsdienst das Leben des Herzogs. Er war stets von 476 bewaffneten Geheimpolizeibeamten umgeben, nie hatte sich ihm ein Unbefugter nahen dürfen. Heute zum ersten Male würde das getreue Volk ganz in seiner Nähe weilen dürfen. Da war natürlich grösste Vorsicht geboten.

Man hörte Autos kommen, mit dem Herzog-Signal tuten. Eine Fanfare ertönte.

Jetzt senkte sich feierliche Stille herab. Man flüsterte: »Er kommt.«

Weltgeschichtsbewusst schritt er herein, umgeben von seinen Generälen, alle in prächtigen mit Gold und Orden überladenen Uniformen. Nur Er ganz schlicht in einfachem Militärmantel, der auf der Brust das herzogliche Gotteszeichen trug. Sehr bleich, schaute er nicht rechts noch links, als er majestätisch mitten durch die Arena zur Königsloge ging, in der er einsam Platz nahm, von wenigen Geheimpolizisten umgeben. Vor der Loge stellten sich die Generäle auf. Die Musikkapelle intonierte das Standartenlied, das Volk sang es begeistert mit.

Nun war im Programm eine dem Gewicht des Anlasses entsprechende Rede des Herzogs vorgesehen. Epochale Aufschlüsse über Vergangenheit und Zukunft des Universums erwartete man. Lautsprecher und Empfänger waren aufgestellt. Die Stifte der Journalisten fieberten wie Rennpferde vor dem Start. – Man wartete, wartete. Eine peinliche Pause trat ein.

Leider hatte nämlich der Astrologe, den der Herzog vor jeder Unternehmung befragte, dringend davor gewarnt, das Wort zu ergreifen, ja sogar geraten, die ganze Parade bis zu einem günstigeren Stand der Gestirne zu verschieben.

»So befehle ich schon für jetzt eine bessere Konstellation.« 477

»Mein Herzog, ich fürchte, die Weltordnung steht dem entgegen.«

»Unsinn! Aberglaube! Die Weltordnung bin ich – ab morgen. Jede andere Meinung ist Landesverrat.«

Dann hatte er auf einen Knopf gedrückt, Diener waren erschienen: »Abführen! Erschiessen!« lautete der Befehl. Und willig war der Astrologe mit ihnen gegangen, denn auch sein eigenes Schicksal hatte er schon aus den Sternen gelesen.

Aber die Rede fiel aus.

General Wedepohl begab sich in die Loge hinauf und fragte in strammer Haltung, ob die Parade beginnen dürfe. Durch eine Handbewegung gab der Herzog seine Zustimmung. Der General liess ein Fanfarenzeichen blasen und schritt zum Eingang, wo schon das Hunderegiment sichtbar wurde.

Der Herzog stieg majestätisch von der Königsloge herab, blieb mitten in der Arena stehen, in einer napoleonischen Pose, die Arme über der Brust verschränkt.

Das Hunde-Regiment marschierte herein, in gleich präzisem Stechschritt wie der ihm voranschreitende General und die geleitenden Offiziere. Auf dem Kopf jedes Hundes war ein kleiner Stahlhelm durch Kinnriemen befestigt. Sechser-Reihen waren formiert, die grössten Tiere als Flügelhunde, so auch Tell und Thor. Den tadellosen Parademarsch nahm der Herzog mit Befriedigung entgegen, man glaubte sogar zu bemerken, dass er anerkennend nickte. Vor ihm angelangt beugte sich jede Reihe Hunde, mit eingeknickten Vorderpfoten, tief zur Erde nieder und leckte huldigend den Boden zu seinen Füssen.

»Ganz ordentlich«, sagte er leise, und die Hunde 478 setzten ihren Marsch nach der Seite fort, rings um die Arena, während die Kapelle den Präsentiermarsch spielte.

Wir Dresseure hielten uns bescheiden im Hintergrund. Den Kniefall-Trick hatten die anderen Abrichter heimlich mit ihren Schülern geübt, ohne mir etwas davon zu sagen. Sie wollten mich bei den Höchstkommandierenden ausstechen. Tell und Thor hatten ihn nicht gelernt, und ich war etwas besorgt. Schon kamen sie als Flügelhunde ihrer Reihe vor den Herzog. Den Stechschritt machten sie ebenso korrekt wie alle anderen, aber an dem Kniefall nahmen sie nicht teil, blieben stehen, schnüffelten mit geblähten Nüstern zum Herzog hin, erkannten den Geruch, knurrten.

»Aha, das Phantom!« dachten sie, horchten, ob nicht das gewohnte Kommandowort gerufen werde. Dieses Phantom hier roch zwar genau so, aber blickte sie zornig an, verschränkte die Arme noch fester und krächzte:

»Na, wird's bald?« Da musste etwas nicht stimmen.

Um den Versager zu kaschieren gab der Begleitoffizier der Kapelle ein Zeichen, und sie bliesen Tusch. Im Hintergrund rief ich so laut ich konnte: »Hurrah – Hurrah«, und das Publikum stimmte ein in den Ruf. Das war das Zeichen, auf das Tell und Thor gewartet hatten. Sie stürzten sich auf den Herzog. Der wandte sich, tödlich erschrocken, um, so geschwind, dass sie seinen Hals nicht zu packen bekamen. Einen Augenblick waren sie verblüfft. Das hatte das Phantom nie gemacht, und es war nie davongerannt, noch dazu so schnell. Sie setzten ihm nach. In solch einem Rekordtempo wie der Herzog war noch keiner je um die Arena gelaufen. Und einem Hasen gleich schlug er 479 Haken, dass die Hunde an ihm vorbeisausten. So gewann er einen kleinen Vorsprung. Das Publikum, zuerst erschrocken, lachte nun wie bei einer Zirkus – Clownerie. Die beiden Hunde kamen näher, mit langen Sätzen sprang er vor ihnen her, in Todesangst, hilferufend.

Schnell schwand die Fröhlichkeit der Zuschauer.

Das Hurrah war auch für die übrigen Hunde der eingeübte Befehl zum Angriff. Nur blieb ihnen jetzt unklar, gegen wen der Angriff zu richten sei. Verwirrt schlossen sie sich in der Mitte des Sportplatzes zu einem dichten Haufen zusammen.

Die Geheimpolizisten kamen von der Loge herunter, knallten ihre Revolver ab, um den Herzog zu schützen. Thor wurde in die Flanke getroffen, fiel zuckend zu Boden, Blut floss ihm aus dem Maul, er streckte sich, zitternd, starb. Die übrigen Schüsse gingen fehl. General Wedepohl bekam eine Kugel in den Arm, ein Begleitoffizier erhielt Streifschuss, einige Hunde der Truppe ebenfalls, sie bluteten, heulten.

Nun wussten sie, gegen wen sie anzuspringen hatten.

Wenn Hunde zu grossen Rudeln versammelt sind, erwachen in ihnen leicht wilde Urinstinkte der Wolfsahnen, ebenso wie Menschenmassen oft von atavistischen Gefühlserinnerungen an ihre Vorfahren, die ängstlichen Affenherden vorzeitlicher Wälder, ergriffen werden.

Panik packte Publikum, Polizei, Militär, Dresseure, Musikanten. Von der rasenden Hundetruppe verfolgt, stürzten sie zum Ausgang. Man hörte, wie sich draussen Kläffen und Geschrei immer weiter entfernte.

Ich hatte mich abseits gehalten, ging nun in die Arena, um zu sehen, ob Thor nicht mehr zu helfen wäre. 480

Nur wenige Zuschauer waren noch in den Sitzreihen, alle in grosser Aufregung, einige Frauen ohnmächtig. Ich bemerkte erst jetzt Frau Kommerzienrat Lössel. Gerade kam Tells wilde Jagd bei ihr vorbei. Der trachtete nun allein, mit doppelter Wut, den Herzog einzuholen, rückte ihm näher und näher. Schon hatte er ihn endlich erwischt, im nächsten Augenblick würde er ihn zerreissen.

Die Kommerzienrätin eilte zum vordersten Platz, rief entsetzt: »Ikarus! Ikarus! Helft Ikarus!«

Blitzschnell, wie nur je in Momenten der Gefahr, rasten Gedanken durch mein Hirn: »Sollte ich ihn retten? Sollte ich ihn zerfleischen lassen? Aber vor den Augen seiner Mutter? Nein! Gentleman bleiben!«

Ich trat vor, rief: »Tell! Herein! Sofort!«

Im gleichen Augenblick gewahrte der Herzog die Kommerzienrätin. »Mama! Mama!« schrie er auf, während der Hund, brummend aber gehorsam, von ihm abliess. Weinend stolperte Ikarus zu ihr hin, barg sein Gesicht in ihrem Schoss. Sie streichelte ihn: »Armer Bub! Komm, wir wollen hier fort.« Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn hinaus. Er schluchzte noch immer, blutete ein wenig aus dem Sitzfleisch. Den Daumen der anderen Hand hatte er in den Mund gesteckt, lutschte daran. Draussen wartete Lössels Auto. Mutter und Sohn stiegen ein. Sie sagte leise dem Chauffeur: »Zur psychiatrischen Klinik, Universitätsstrasse.«

Tell war noch sehr aufgeregt, der Stahlhelm war ihm über die Schnauze gerutscht. Ich wollte ihn davon befreien, aber schon versuchte er selbst, ihn mit der Pfote zu beseitigen. Die verfing sich im Lederriemen, und er sprang wie besessen, auf drei Beinen hinkend 481 aber blitzschnell, davon, hörte auf keinen Zuruf, war nicht einzuholen, ich sah ihn oben zwischen den Sitzreihen verschwinden. Lange musste ich suchen, bis ich ihn dort zusammengekrümmt unter einer Bank fand. Tot. Er hatte die Pfote nicht mehr aus dem Riemen herausgebracht, der Stahlhelm hatte sich dadurch so fest auf Maul und Nase gedrückt, dass Tell erstickt war. Ich machte Wiederbelebungsversuche. Ohne Erfolg. So legte ich ihn neben den toten Thor, nahm auch diesem die unnatürliche Kopfzier herunter, warf das Ding zu den übrigen Hunde-Stahlhelmen, die auf dem Sande der Arena herumlagen, neben einer zertretenen Posaune, einigen Orden und zwei Säbeln. Auch ein Offiziersmantel lag dort. Mit dem deckte ich meine toten Freunde zu. Das war Alles, was ich für sie tun konnte. Ich verliess sie, traurig und bedrückt.

Uff! – Ikarus war erledigt. Das Wunder war geschehen, ungefähr so wie ich es erwartet hatte.

Die schönsten Wunder sind immer die, bei denen man ein bisschen mithilft.

Aber was würde ich nun tun? Ich hatte es mir mit keinem Gedanken vorher überlegt. Das Einzige, was ich getan hatte, war, dass ich dem Konditor Wothan bei meinem Besuch geraten hatte, die Mikrophone bereit zu halten, und das entsprang mehr momentaner Eingebung als einem Plan. Sicher hatte er das gewissenhaft und richtig besorgt, würde wohl nun erwarten, was ich weiter anordnete. Oh verflucht, ich wusste es nicht! Nur nichts übereilen!

Es war jetzt unheimlich still und menschenleer beim Sportplatz. Auch das ferne Geschrei der Menschenmenge, die, von den wütenden Hunden gejagt, der Stadt zu flüchtete, war verstummt. Später habe ich 482 gehört, dass, als die Panik abflaute und viele der Leute wieder zur Besinnung kamen, sich auch die Hunde beruhigten. Sie kamen zu einem Fleischerladen, fanden den viel interessanter, gaben die Verfolgung auf, stürzten hinein und frassen, was sie erwischten. So haben sie nacheinander alle Fleischerläden geplündert. Die Fleischer haben sich nicht getraut, der herzoglichen Hundetruppe Widerstand zu leisten, denn das wäre Aufruhr und Hochverrat gewesen. Davon wusste ich noch nichts, als ich langsam und in Gedanken versunken zur Stadt schlenderte, durch die schweigenden Strassen des Aussenbezirks. Dann, je weiter ich in das Innere gelangte, sah ich mehr und mehr Menschengruppen beisammen stehen, die, aufgeregt aber leise und ängstlich, miteinander sprachen. Endlich kam ich zum Löwenbräu, davor wogte wimmelnde Menge. Zeitungsverkäufer brachten schon Extraausgaben über das Ereignis des Tages. Erstaunlich, wie sich das in der offiziellen Beschreibung darstellte.

Unter anderem war da ein Bericht des Generals Wedepohl: »Die Parade der Hundetruppe, welche bekanntlich zugleich den Charakter eines Manövers zu tragen bestimmt war, hat voll, ganz und epochal die ungeheuere Schlagkraft dieses neuen Kriegsmittels erwiesen. Auch die anwesenden Militär-Delegierten befreundeter ausländischer Mächte waren des rückhaltlosesten Lobes voll über den glänzenden Erfolg und baten, denselben sofort den Kriegsministern ihrer Heimatstaaten melden zu dürfen. Mit geradezu überraschendem Elan sind die Kriegshunde vorgestürmt. Jeder Widerstand hätte schon im Keime ersticken müssen. Was sie da Vorbildliches an Kampfesmut, Umsicht und Zielbewusstheit leisteten, steht in seiner 483 unerhörten Beispiellosigkeit einzig da. Die gesamte strategische Wissenschaft der Welt wird umlernen müssen. Der Vorsprung, den unsere Kriegsbereitschaft nunmehr gewonnen hat, ist ein so ungeheurer, dass kein Feind es jemals wagen wird, uns auch nur scheel anzusehen. Das verdanken wir der genialen Idee unseres Herzogs, der leider ein Opfer seiner heldenhaften Wagefreudigkeit geworden ist. In der vordersten Reihe stehend, wollte er selbst die Abwicklung der militärischen Vorgänge genauest wahrnehmen und erlitt einen leichten Unfall. Das sofort zusammengetretene Ärztekonsilium hält Schonung und Bettruhe für unerlässlich. Gefahr ist nicht vorhanden. Die Temperatur ist normal.«

In diesem Sinne schrieben auch die Journalisten.

Man las es und lachte. Alle die vielen Zuschauer der Parade hatten schon erzählt, was in Wirklichkeit geschehen war, und die Kunde hatte sich schnell verbreitet.

»Das wäre der Moment, in dem ich wieder auftreten müsste, jetzt würde ich die Lautsprecher brauchen«, dachte ich. Am Rand des Platzes stand eine öffentliche Telephonkabine. Dorthin eilte ich um Wothan anzurufen. Sie war besetzt. Wothan stand darin und sprach. Er kam heraus, sah mich, rief: »Meteorhalloh! Gleich sind die Mikrophone da.« »Meteorhalloh!« antwortete ich laut, und schon stimmten viele der Umstehenden mit in den Ruf ein, der ausser Gebrauch gekommen, ja zuletzt streng verboten war.

Ich stieg auf den erhöhten Stand, den sonst der Verkehrsschutzmann einzunehmen pflegte. Die Mikrophone wurden gebracht und aufgestellt.

Ich begann: »Halloh, halloh! Meteorheil!«, bemerkte, 484 dass mich Viele erstaunt, ja erschrocken, ansahen, miteinander flüsterten. Totenstille trat ein.

»Ja, schaut mich nur an! Ich bin es, Emmaus. Aber ich bin nicht Euer sauberer Herzog, den hat man jetzt wieder ins Narrenhaus gebracht, wo er hingehört. Ein Irrsinniger, der mir ein bissl gleichschaut, hat sich eingebildet, er wäre ich. Und er und der Daffodil von den Zralokwerken haben mich gefangen genommen und mich eingesperrt und die Regierung an sich gerissen. Und ihr habt nichts gemerkt, ihr Hornochsen! Nicht einmal, wie er sich zum Herrgott erklärt hat. Dieser Schwindler hat, zusammen mit den Waffenfabrikanten, in kurzer Zeit zerstört, was unser Meteor aufgebaut hatte. Vielleicht tat er recht daran, und wir hatten unrecht. Niemand hat ihm widersprochen. Ihr wart einverstanden, wart zufrieden – – –.«

»Nein! Nein! Nieder mit dem Herzog! Hängts die Lumpen auf!«

»Allerdings man unterdrückte euch wie nie zuvor. Man wollte euch jetzt in neue Kriege schleppen, warf euch ins Gefängnis, liess hinrichten ohne Recht und Urteil. Das ist nun vorüber. Ich bin wieder frei, bereit, wieder die Leitung zu übernehmen, will da wieder anfangen, wo ich aufhörte, als mir die Gauner durch Gewalt und Hinterlist die Zügel aus der Hand stahlen. Wollt ihr mich wieder haben?«

Tausendfaches »Ja!« und »Meteorhalloh!« ertönte. Die Menge stimmte das Meteorlied an. Ich wurde von meinem Postament heruntergehoben und auf den Schultern durch die Strassen zum Schloss getragen.

Wundervoll war, wie mich im Schloss die Bediensteten empfingen. Es gibt nichts Geistesgegenwärtigeres als Kammerdiener. Sie schienen nicht im geringsten 485 erstaunt, geleiteten mich in meine Gemächer, die Ikarus zuletzt bewohnt hatte, fragten, was ich zu befehlen geruhe. Ich geruhte zu befehlen, dass mir vom nahen Hofbräuhaus eine Mass Bier geholt werde und ein Kalbsnierenbraten. Weltgeschichtliche Umwälzungen machen immer sehr hungrig, besonders wenn sie einem keine Zeit zu einer richtigen Mahlzeit gelassen haben. Die Leute, die mich hergetragen hatten, hörten diesen Befehl noch, schienen etwas enttäuscht, vielleicht kam er ihnen nicht majestätisch genug vor.

Ich hörte, wie einer sagte: »Auf eine Mass Bier hätte er uns auch einladen können.«

So rief ich den Diener zurück, schrieb ihm auf eins der Verordnungsformulare, die den Schreibtisch bedeckten:

»An die Hofbräuhausverwaltung. Sogleich in das Schloss zu liefern: eine Portion Nierenbraten (aber mit Niere) und eine Mass Bier. Heute Abend ist an alle Gäste des Hofbräuhauses unentgeltlich Bier zu verabfolgen.

Emmaus, Präsident.«

Zu den Unzufriedenen sagte ich: »Warum bloss auf eine Mass? Ihr dürft heute auf meine Kosten im Hofbräuhaus soviel Bier trinken, wie ihr wollt, habe eben Befehl dazu gegeben.«

Damit hatte ich die Volksseele ganz für mich gewonnen. »Halloh Präsident Emmaus! – Er lebe hoch! – Meteorhalloh!« jauchzte man, eilte hinaus. Ich trat ans Fenster, sah unten die freudig erregte Menge, öffnete es, wurde jubelnd begrüsst, rief: »Meteoristen! Ich danke euch. Eine neue Zeit ist angebrochen. Geht jetzt 486 ins Hofbräu, da gibts heute Freibier, Symbol der wiedererlangten Freiheit.« Tief im Innersten bewegt, flutete die begeisterte Menge dort hin, unter Hochrufen auf mich und den Meteor. 487

 


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