Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

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Die Partei

Aber wie gründet man eine Partei? Wir überlegten intensiv und stellten schliesslich fest, dass dazu vor allem ein zugkräftiges, programmatisches Schlagwort nötig sei, ob es einen Sinn habe, das sei weniger wichtig. Ich schlug vor ›Kampf gegen die Naturgesetze‹. Als zu weitgehend verworfen. ›Jedermann Kaiser‹, das war so gedacht, dass der jetzige abgesetzt werde, der neue dürfe immer nur ein Jahr lang regieren, und wer es sein solle, werde alljährlich durch Lotterie festgestellt, zu der jeder Deutsche ein Los bekomme. Abgelehnt weil zu speziell. ›Trennung des Staates von der Politik‹, darauf einigten wir uns schliesslich. Was das bedeute, war uns noch nicht klar, aber es werde sich schon ergeben. Einstweilen entwarf ich das Parteiabzeichen, sollte einen vom Himmel fallenden Meteor symbolisieren. Wir bestellten vorläufig 100 000 Stück, aus Messingblech gestanzt mit Nadel, am Rockaufschlag zu befestigen. Als Parteifarben wählte ich Blau und Gelb, gelber Meteor auf dunkelblauem Grund, wir liessen Fahnen und Armbinden mit diesem Wappen anfertigen. Parteigruss sollte sein: Linker Ellbogen in spitzem Winkel nach Aussen gehoben, linker Mittelfinger auf das linke Auge gelegt, rechtes blickt. 209

Quartaller wollte sofort eine grosse Volksversammlung einberufen.

Ich hielt das für verfrüht. Jede neue Partei hat ihren Ursprung an den Stammtischen der Wirtshäuser. In allen Münchner Lokalen wird unter das Bierglas immer ein Untersatz aus weissem Pappdeckel gelegt, Vorräte davon liegen auf dem Tisch. Wir kauften 40 000 solcher Untersätze, liessen sie mit dem Parteiwappen bedrucken und der Aufschrift: ›Trennung des Staates von der Politik verlangt die Meteorpartei. Tretet ihr bei!‹

Dieselbe Zahl Zündholzschachteln erwarben wir, sie wurden mit ebenso bedrucktem Papier beklebt.

Im städtischen Arbeitsamt engagierten wir 40 intelligent erscheinende junge Burschen, versahen sie mit Armbinde und Abzeichen, nahmen sie als erste Mitglieder in die Partei auf. Gegen gute Bezahlung hatten sie die Aufgabe, in allen Gastwirtschaften der Stadt die Untersätze und Zündholzschachteln zu verteilen und dafür zu sorgen, dass sie auf die Biertische gelegt wurden. Was sie bei dieser Gelegenheit tranken, ging natürlich auf unsere Rechnung, mit dem Erfolg, dass sie am Schluss ihrer Arbeit so animiert waren, dass sie durch die Strassen zogen, Passanten anrempelten und sie zwingen wollten, der Partei beizutreten. Bei ungefähr 20 gelang es ihnen in der Tat.

Wenn der Biertrinker sein Krügel zum Munde hob, pflegte er einen Blick auf den Untersatz zu werfen, auf dessen Rand die Kellnerin durch einen Bleistiftstrich immer die Zahl des Konsums vermerkte. Dabei fiel sein Blick auf unsere Ankündigung, und sie gab einen willkommenen Gesprächsstoff, da man ohnehin immer nicht wusste, wovon man reden sollte. Danach zündete 210 er seine Zigarre an, las dasselbe auf der Streichholzschachtel, sein Interesse wurde wachgehalten. »Ja, wär garnicht so dumm, wenn man den Staat von der Politik trennen könnte, machen eh lauter Dummheiten, und die Steuern werden alleweil höher.« »Recht haben S', Herr Nachbar, auf so was hab ich schon lang gespitzt. Gescheit sind die Meteorleut.« »Und ich möchte morgen der Partei beitreten, wenn meine Alte nix dawider hat.«

Zeitungsverkäufer mit der neuen Nummer des Meteor kamen herein, sie fand reissenden Absatz. Über eine ganze Annoncenseite weg war da zu lesen:

Mitbürger! Bayerisches Volk! Deutsche!

Die Verbindung von Staat und Politik ist wie eine schlechte Ehe. Sie muss geschieden werden. Schnell – ehe es zu spät ist. Noch kann namenloses Unheil verhindert werden.

Die Meteorpartei bringt Trennung des Staates von der Politik.

Die Meteorpartei ist Deine Rettung.

Die Meteorpartei braucht Dich.

Tritt ihr bei!

Anmeldungen im Hauptquartier Filsingergasse 11 erster Stock.

Wir erwarten Dich.

Die Meteorparteileitung    
Quartaller. Emmaus. Huber.

Doktor Huber hatte nämlich unserem Plan begeistert zugestimmt: »Auf geht's, jetzt werden wir es denen einmal zeigen!« Er war auch Mitverfasser des Aufrufs; das von der schlechten Ehe war seine Idee. Wir 211 beabsichtigten, ihn als ersten Vertreter der Partei bei der nächsten Abgeordnetenwahl aufzustellen.

Hunderte neue Mitglieder meldeten sich zum Eintritt, standen Queue am Parteibüro. Quartaller meinte, jetzt sei doch die grosse Volksversammlung an der Zeit. Ich war nicht seiner Meinung. Weder er noch ich wussten ja, was die Partei wollte, kamen auch trotz langem Brüten zu keiner Klarheit darüber. Quartaller hatte eine Idee: Wir lassen es uns von den guten Leuten selbst sagen, stellen es durch ein Preisausschreiben fest.

In der nächsten Nummer sah man eine grosse Annonce:

Meteor-Preisausschreiben.

Von dem heissen Wunsche beseelt, beim restlosen Eintreten für unsere Idee voll und ganz in Übereinstimmung mit dem Willen unserer Parteigenossen und Anhänger zu handeln, richten wir an alle Meteoristen die Frage:

Was habt Ihr zu unserem Ziel, Trennung des Staates von der Politik, zu sagen?

Für die beste Antwort setzen wir einen Preis von 1000 Mark aus, für die zweitbeste 600 Mark, für die drittbeste 400 Mark. Wir bitten, sich kurz zu fassen, keine Einsendung soll länger sein als 30 Druckzeilen. Die Jury besteht aus der Parteileitung. Die Auszahlung erfolgt in bar sofort nach Entscheidung.

Meteorparteileitung. i. A. Quartaller. 212

 


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