Thomas Theodor Heine
Ich warte auf Wunder
Thomas Theodor Heine

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Bjarne und Isolde

Ich fragte dann die allwissende Katja, ob sie mir die Sache erklären könne. Sie belehrte mich: »Die Auflösung jedes Rätsels heisst Frau.« Der erfolgreiche Berliner Lustspieldichter Waldemar Schlänglich brachte seinen begüterten Lebensabend in München zu. In seinem gastlichen Heim pflegte er eine vornehme Geselligkeit. Alles in der Stadt, was Intellekt, Eleganz oder sonst eine Vorzüglichkeit besass, drängte sich zu seinen literarischen Tees, die, da er Witwer war, von seiner schönen Tochter Isolde in Szene gesetzt wurden. Ausländer waren besonders gern dort gesehen, man konnte immer die neuesten Pariser Damenmoden bewundern und die neuesten Weltanschauungen. Niemand weiss, wie es kam, dass in dieser verfeinerten Atmosphäre auf einmal Bjarne Resniksen auftauchte, wie eine urweltliche Erscheinung. Irgend jemand hatte ihn in einen Smoking gesteckt, der ihm zu eng war, aus den zu kurzen Ärmeln hingen riesige Hände heraus. – Er lachte breit und stiess unartikulierte, primitive Laute aus. – Erst als man hörte, dass er aus Island komme, begegnete man ihm mit Duldung und Interesse. Ein berühmter englisch-irischer Dichter, auf der Durchreise Zierde des Salons, fragte ihn in seiner geistreichen Art, ob er der Ober-Analphabet von Island sei. Resniksen hatte die Frage nicht verstanden, 176 aber er stimmte laut in das allgemeine diskrete Lachen ein, bog des Dichters Kopf zu sich herab und küsste ihn. »Du er söt«, sagte er, dann fasste er ihn an den Armen und hob den ganzen Dichter ohne Anstrengung hoch, stellte ihn sanft wieder auf den Boden, dabei geriet die dichterische Unterhose in Unordnung, ein weisses Band rutschte über den Schuh hinunter, zugleich mit den Falten des Strumpfes. Man lachte wieder. Leider fiel dem englischen Dichter nicht gleich der richtige Aphorismus ein und er empfahl sich bald.

Dieser Sieg der Muskeln über den Geist hatte hier den Reiz des Ungewohnten, besonders für die Damen. Isolde war stark bewegt, ein warmes Gefühl stieg in ihr auf. Sie witterte unverbrauchte Kraft unter dem linkisch-frohen Äusseren. Sie nahm Resniksen beiseite in eine geschützte Stelle des Wintergartens und begann ein Gespräch mit ihm. Es gelang ihr, sich zu verständigen. Sie war mit ihrem Vater einmal im Sommer auf Island gewesen. Die herbe nordische Natur, die geradlinigen Menschen hatten einen tiefen Eindruck hinterlassen. Auch einige Brocken der Sprache hatte sie sich zu eigen gemacht, und das erleichterte jetzt die Unterhaltung. Sie zeigte ihm ihre photographischen Aufnahmen von Landschaft und Leuten, auch Holzschnitt-Postkarten isländischer Bauern- und Fischertypen hatte sie in einer kleinen Krambude dort erworben.

»Die habe ich gemacht«, sagte Resniksen. Es ergab sich, dass sie in dem Laden seiner Eltern gekauft waren. Isolde war zuerst ein bisschen enttäuscht, dass er nicht von Fischern oder Bauern stammte. Er war auch nicht ganz so primitiv wie es schien, hatte in den 177 langen Winternächten viele Werke der nordischen Dichtkunst gelesen und eine alte Wikingersage illustriert. Dieser Talentbeweis hatte ihm von der Kirchen- und Schulbehörde seiner Heimat ein Stipendium eingetragen, das ihn zur weiteren Ausbildung nach München brachte.

Während des Gesprächs zeichnete er etwas auf ein kleines Blatt Papier, das zufällig dort lag, mit wenigen Strichen gab es ein vorzügliches Bild von Isoldes schlanker Gestalt. Sie war entzückt davon, hatte aber eine sonderbare Scheu, es die anderen sehen zu lassen, verbarg es in ihrem Blusenausschnitt. »Nein, es ist nicht gut, gib es mir wieder«, bat er, er sagte nämlich zu Allen ›du‹.

Sie wollte es nicht hergeben, er griff danach, seine Hand kam in Berührung mit ihrer Brust, verweilte dort, nahm sie gefangen. »Du er söt«.

Isolde atmete schwer, ihre Augenlider bebten halbgeschlossen, ihre Hüften wanden sich. Dann raffte sie sich zusammen, drängte seine Hand hinaus.

»Lassen Sie! Man wird es bemerken. Nun haben Sie die Zeichnung zerknittert. Ich behalte sie doch.«

Er musste versprechen, ihr bald mehr von seinen Arbeiten zu zeigen, Skizzen, die er aus Island mitgebracht hatte.

Als die Gesellschaft fort war, sass Isolde am Abend mit ihrem Vater im Garten unter der alten Linde.

»Wie gefällt dir Bjarne Resniksen?« fragte sie.

»Nicht so gut wie dir, glaube ich.«

»Ja, er gefällt mir. Hättest du etwas gegen ihn?«

»Nein, durchaus nicht, mein Kind, aber denke an Arwed Chuzky.« 178

»Ach, Papa, das ist doch ganz etwas anderes. – Resniksen ist ein unverdorbener Naturmensch und Chuzky war – nun ja –.«

Arwed Chuzky war nämlich die eigentliche Ursache ihres Wegzugs von Berlin gewesen. Der war Berichterstatter einer grossen Berliner Zeitung, kam eines Tages zu Waldemar Schlänglich, um Informationen über dessen neues Lustspiel einzuholen, lernte bei dieser Gelegenheit Isolde kennen. Er sah gut aus, gross, hager, durchgeistigt. Seine Unterhaltung verriet viel Wissen, tiefe Bildung und Originalität. Ein Charmeur trotz seinen 46 Jahren, ein hochbedeutender Mensch, viel zu schade für seinen Beruf. Es war eine Liebe auf den ersten Blick, gegenseitig, so glaubte die junge Dame wenigstens. Isolde, die viel dichterische Begabung hatte, führte damals ein heimliches Tagebuch. Dem berichtete sie täglich von all ihren Erlebnissen und Empfindungen. Die Beziehungen zu Chuzky waren ausführlich geschildert, mit Einzelheiten, die sich nicht zur öffentlichen Wiedergabe geeignet hätten. Auch das unerwünschte Resultat der Liebe und seine vorzeitige Beseitigung hatte sie dem Tagebuch anvertraut. Dieses Buch wurde auf einmal vermisst. Chuzky behauptete, er habe es gefunden, und bat Papa Schlänglich um eine sehr erhebliche Summe, sonst sehe er sich leider genötigt, es im Kreise seiner Bekannten zirkulieren zu lassen. Die Summe wurde ihm bewilligt und gegen Auslieferung des Buches übergeben. Damit schien der Fall Chuzky erledigt. Nach einem halben Jahre stellte sich aber Chuzky neuerdings mit noch höherer Geldforderung ein, er habe natürlich die betreffenden Stellen Seite für Seite photographisch kopiert. Schlänglichs waren 179 verzweifelt, glaubten auch zu bemerken, dass schon mehr Leute um die Sache wussten. Sie baten sich Bedenkzeit aus und berieten mit ihrem Rechtsbeistand. Der brachte in Erfahrung, dass Chuzky ähnliche Manöver schon öfter ausgeführt hatte. Gegenwärtig habe er sich an die Gattin eines höheren Offiziers herangepirscht, man wisse nicht, ob er auch da schon begonnen habe, die Schraube anzudrehen. Der Anwalt lud Chuzky zu einer Besprechung ein. Er kam nicht. Man durchlebte angstvolle Tage. Da wurde Chuzkys Leiche aus dem Landwehrkanal gezogen, der Kopf war durchschossen. Das Verbrechen aufzuklären, ist der Polizei nicht gelungen.

Nach dieser Erfahrung war es begreiflich, dass Isolde nun einen möglichst entgegengesetzten männlichen Typ bevorzugte. Aber auch Papa Schlänglichs Besorgnis war zu verstehen. »Versprich mir, Isolde, dass du dich nicht wieder in so eine Gefahr begeben willst.«

Sie versprach es, hielt ihr Wort, war sehr sachlich im Verkehr mit Resniksen.

Er brachte ihr bald die isländischen Skizzen. Sie erkannte sein grosses Talent, das kaum noch einer Ausbildung bedurfte, vielmehr wie jede ursprüngliche Begabung fertig zur Welt gekommen schien. Sie beschloss, ihn so an sich und an München zu fesseln, dass er keine Lust zur Rückkehr in die Heimat haben würde. Dazu musste ihm zuerst ein wenig äusserer Schliff beigebracht werden, er musste die deutsche Sprache gründlich erlernen, alle Elemente der üblichen literarischen Bildung in sich aufnehmen. Das alles liess sich ihm in zwanglosen Gesprächen anerziehen. Sie begann sogleich damit, lud ihn zu täglichem 180 Besuche ein. Er folgte der Einladung gern, auch der schöne grosse Garten interessierte ihn sehr, mit den herrlichen alten Bäumen, sonnigen Blumenbeeten und dem Schwimmbassin, dessen Wasser aus dem vorbeifliessenden Bach abgeleitet war. Er wollte dem Gärtner sachkundig bei der Arbeit helfen. In der Gartenarbeit wurde Isolde seine gelehrige Schülerin, damit er nicht allein der empfangende Teil sei. Sein natürlicher Verstand hatte schnell bemerkt, worauf sie hinaus wollte, und er folgte willig ihrem Ziel. Nicht lange dauerte es, dann lasen sie zusammen Goethe, manche Gedichte von Hölderlin und Mörike, ja Stefan George, wusste er auswendig, schwärmte für sie.

In der Gesellschaft wurde er bald eine recht repräsentable Figur. Da er, als ein Mensch des Auges, gewohnt war wiederzugeben was er sah, machte er sich ganz von selbst, dass er keine robusten ländlichen Gestalten mehr darstellte, sondern die eleganten Erscheinungen der Salons zu zeichnen versuchte. Isolde, in allen Toilettekünsten erfahren, gab ihm manchen nützlichen Hinweis, ermunterte ihn zu Fortschritt in dieser Richtung, zu ausführlichen Schilderungen mondäner Szenen. Schon interessierte ihn kein anderes Stoffgebiet mehr, und er konnte bald auch ohne Isoldes Anleitung unterscheiden, welche Damen der letzten Modeforderung entsprachen. Der leichten, sicheren Linie seiner künstlerischen Handschrift gelang es spielend, ihren ganzen Charme auf das Zeichenpapier zu zaubern. Oft kam es vor, dass er eine von ihnen bat, ihm zu einer schnellen Skizze Modell zu sitzen. Sie taten es gern, fanden ihn sehr originell. Isolde bemerkte mit Befriedigung, dass er eine Vorliebe für die Aristokratie entwickelte, sich wie ein Kind freute, 181 als er zum ersten Mal in ein adeliges Haus eingeladen wurde.

Er war nun so gesellschaftsfähig, dass ihn die Fürstin Ratschari bat, sie auf ihrer Reise nach Italien zu begleiten, was Isolde weniger gefiel. »Das hat Papa von seiner schwarzen Besorgnis«, dachte sie, denn, ihrem Versprechen getreu, hatte sie Resniksen nie wieder zu einer Annäherung ermuntert, und er hatte sich stets unheimlich korrekt benommen, hielt das wohl für ein Erfordernis der feinen Bildung.

»Schliesslich werde ich ihn vielleicht für eine andere dressiert haben.« Das durfte nicht sein. Sie liebte ihn, anders als sie Chuzky geliebt hatte, mehr wie ein Trainer, der den Wert eines Füllens erkannt, es aufgezogen hat und nun befürchten muss, dass das Pferd für einen anderen Stall das Derby macht. Sie hatte ihn absichtlich noch nie veranlasst, mit seiner Kunst an die Öffentlichkeit zu treten. Das sollte später kommen, er sollte gross und berühmt werden, aber erst, wenn er ganz mit ihr verbunden wäre.

Ob er sie liebte? Die grosse Liebe, meinte sie, sei bei Männern viel mehr als bei Frauen eine Frage der Sinnlichkeit und des Zufalls. Ein Mann, dessen Gedanken sich, durch irgend eine Fügung, ausschliesslich auf eine bestimmte Frau konzentrieren, wird sich immer in sie verlieben, sie begehren, ausser wenn er seine Wünsche für aussichtslos hält. Und die Fürstin wollte schon nächste Woche mit ihm nach Italien fahren!

»Warum so nachdenklich?« fragte Resniksen, als er zur gewohnten Stunde kam. »Oh, nichts weiter, nur meine Zofe will für ein paar Tage nachhaus fahren, kranke Mutter wie immer.« 182

Am Abend sagte sie zu dem Mädchen: »Möchten Sie nicht von morgen ab eine Woche Urlaub haben? Die Zeit passt mir gerade.« Natürlich mochte sie.

Am übernächsten Tage nahmen sie mit Papa im Garten den Tee. Dann ging der an den Bach zum Forellen angeln, bei der Gewitterschwüle würden sie gut anbeissen. Das war seine Liebhaberei, und als Fischer war er oft in den illustrierten Zeitungen abgebildet.

Resniksen und Isolde begaben sich in's Haus. Er sollte sie in ihrem wundervollen neuen Abendkleid zeichnen. Sie ging in ihr Zimmer hinauf, um sich umzukleiden. Oben in der Tür drehte sie sich um und sprach hinunter: »Resniksen, Sie müssen mir ein bisschen helfen. Ich kann es unmöglich allein anziehen, und meine Zofe ist nicht da.« Er kam.

Das Abendkleid lag schon wie ein zarter Traum auf dem Bett ausgebreitet. Er durfte es bewundern. Sie kleidete sich aus. Er war geniert. »Zu diesem Kleid muss ich auch andere Wäsche anziehen, bitte drehen Sie sich einen Augenblick um.« Er gehorchte. Sie entnahm dem Schrank die feinen Spitzen-Dessous, legte sie auf die Chaiselongue, Duft stieg auf. Nun stand sie vor dem hohen, schmalen Toilettespiegel, betrachtete sich.

Im Spiegel sah sie Resniksen, brav abgewendet, hinter sich. »Ich bin grösser als Sie«, sagte sie lachend. »Ist nicht wahr«, er stellte sich neben sie.

»Nein, so ist es nicht richtig, mit dem Gesicht zueinander!« sie drehte ihn sich zu. Der Spiegel war schmal, sie mussten sich eng zusammenschmiegen. Dann sah sie ihm fest und tief in die Augen. Er errötete, gab den Blick zurück. 183

»Wir haben genau die richtige Grösse för einander, Bjarne, unsere Lippen würden sich gerade berühren.«

Er wollte es versuchen. Sie drehte sich schnell um: »Machen Sie keinen Unsinn! Sie wollten mir doch beim Umkleiden helfen. Ich bringe mein Korsett nicht auf. Können Sie gut Knoten lösen?« Er konnte es. Und dann musste er es aufschnüren.

»Was ist das für ein Papier?«

»Ach, Bjarne, das ist die kleine Zeichnung, die Sie damals von mir gemacht haben, ich trage sie immer bei mir, an derselben Stelle.«

Wie vorausgesehen, erinnerte er sich seiner damaligen Liebkosung, wiederholte sie. Aber jetzt brauchten sie keine Zuschauer zu fürchten. Sie sank in seine Arme, er stiess einen wild grunzenden Laut aus, umfasste sie, trug sie wie eine Beute zur Chaiselongue.

»Söte liten Isolde,« hauchte er mit so weicher Stimme, wie sie nie von ihm gehört hatte.

Als sie wieder zu sich kamen, küsste er ihr die Hände.

»Werden wir uns immer so lieben?« fragte sie.

»Immer, du bist meine kleine Frau. Ich bleibe bei dir.«

»Wir könnten Papa sagen, dass wir uns verlobt haben.«

»Ja, das wollen wir.« Und von neuem umarmten sie sich.

Indem war die Schwüle des Nachmittags in ein Gewitter übergegangen. Es war sehr dunkel geworden. Durch das Grollen des Donners hörten sie draussen Papa Schlänglichs freudige Stimme: »Isolde, ich habe einen ganz grossen Fisch gefangen.« 184

»Ich auch«, antwortete sie leise.

Aber schon stand Schlänglich im Zimmer, sah mit Entsetzen, was da vorging, dachte nichts als: »Schon wieder ein Erpresser«, liess seinen Fisch fallen und stürzte hinaus. Die Forelle lag am Boden, machte noch einige Zuckungen. Die Beiden setzten sich auf, sassen Hand in Hand auf dem Rand der Chaiselongue, verlegen.

Schliesslich hob Resniksen den Fisch auf. »Eine schöne Forelle«, sagte er.

»Ja, Bjarne, ich habe gar nicht gewusst, dass es so grosse gibt. Wollen wir jetzt zeichnen?«

Er hatte keine Lust. Sie zog ihr Kleid wieder an, nahm den Fisch und ging zuerst allein hinunter, um Papa Alles zu erklären.

Dann hörte Resniksen, wie sie aufschrie. »Bjarne, komm schnell!« rief sie. Erschrocken lief er hinunter. Schlänglich lag bewusstlos unten an der Treppe, dunkelrot im Gesicht. Er hatte sich übergeben, ein Zittern durchlief ihn. Sie trugen ihn in das Zimmer, legten ihn auf das Sopha, holten Wasser, knöpften ihm den Kragen auf.

Isolde sah im Konversationslexikon nach, Band 16, Romantik bis Schopfantilope, wie ein Schlaganfall zu behandeln sei. Schon erschien der Arzt, fand den Zustand sehr bedenklich, liess den Patienten natürlich sofort ins Bett legen. Dann tröstete er aber, es käme oft vor, dass sich Apoplektiker wieder vollständig erholen.

Es folgte eine schwere Zeit für Isolde. Bjarne, der die Italienreise natürlich aufgegeben hatte, nahm sich ihrer sehr an, war rührend besorgt. Papa Schlänglichs linke Seite blieb gelähmt, und oft schien auch sein 185 Denkvermögen noch gestört zu sein. Anfangs geriet er in Erregung, sobald er Bjarne sah, fragte ängstlich: »Wieviel verlangen Sie?« Der liess sich dadurch aber nicht abhalten, dem Kranken Gesellschaft zu leisten, kleine Handreichungen zu machen, die Zeitung vorzulesen und so sein volles Vertrauen zu gewinnen. Später fuhr er ihn sogar manchmal im Rollstuhl auf den Gartenwegen.

»Kann Resniksen nicht immer bei uns bleiben, Isolde?«

»Ja, gewiss, nun will ich es dir sagen, wir haben uns verlobt, möchten bald heiraten.«

Papa lächelte befriedigt, dann fiel ihm die Szene ein, die ihn so erschreckt hatte, seine Gedanken verwirrten sich wieder, und er fragte: »Was verlangt er?«

»Nur mich«, beruhigte sie ihn.

»Das ist viel«, seufzte er, »aber ich will es ihm geben.« Dann wurde er langsam wieder klarer, war einverstanden, dass die Hochzeit möglichst, bald stattfinde, der Schwiegersohn könne bequem bei ihnen wohnen.

Die Hochzeit war ganz im Stillen. Schade, man hätte eine grosse Angelegenheit daraus machen können, mit Zeitungsberichten und Abbildungen. Papa war traurig, dass sein Zustand es nicht erlaubte. »Aber wenigstens ein Glas Wein wollen wir trinken.« Nicht ohne Besorgnis sahen die Kinder, dass er einige Gläser Sekt trank, auf das Wohl des jungen Paares, und er wurde sehr fröhlich.

Am nächsten Morgen lag er tot im Bett.

Das Alles war längst vorausgegangen, als ich Bjarne Resniksen besuchte. Ich gab dem Diener meine 186 Karte ab. »Die gnädige Frau lässt bitten.« Ich wurde in den Salon geführt, hörte, wie sie im Nebenzimmer leise sagte: »Bjarne, Besuch kommt. Schnell, zieh dich aus!« Dann erschien sie, sah sehr gut aus in ihrer Trauerkleidung.

Ich sagte, dass ich mit Resniksen über Zeichnungen für den Meteor sprechen wolle.

»Ach, ja, ich habe einige seiner Arbeiten in die Redaktion gebracht. Wissen Sie, mein Mann ist so naiv, ich muss alles Geschäftliche für ihn besorgen. Kommen Sie, er ist im Garten.« Wir gingen hinaus, sie führte mich zu dem Schwimmbassin.

Sein runder Kopf tauchte prustend auf. »Ist er nicht ganz wie ein Seehund?«, sagte sie bewundernd. Er stieg aus dem Wasser, ohne Badehose, nur mit einem Trauerflor um den Arm bekleidet.

Wir begrüssten uns. »Was macht die Zenzi?« fragte er mich. Ich wusste es nicht.

»Wer ist das?« wollte Isolde, sehr interessiert, wissen.

Wir gingen durch den Garten zu einem mächtigen alten Pappelbaum. »Das ist sein Atelier. Bjarne, zeige dem Herrn, wie du arbeitest.«

Er kletterte, immer noch nackt, mit grosser Geschicklichkeit hinauf. Oben in einer Astgabel war ein Zeichentisch und ein Sitz eingebaut. Papier, Stifte, Federn, Tusche breitete er aus.

»So arbeitet er am liebsten. Er ist ein Naturkind.«

»Und da macht er diese mondänen Zeichnungen? Merkwürdig!«

»Ja, ist er nicht ein Phänomen? Am liebsten bleibt er den ganzen Tag in seinem Baum, vergisst oft die Mahlzeiten. Nur seinen Lebertran verlangt er immer.« 187

»Wozu?«

»Das ist sein Lieblingsgetränk, er ist eine Art Eskimo.« Er durfte wieder herunterkommen und uns zu der altisländischen Bauernhütte führen, die im Garten gebaut war, ganz aus Holz. Das Dach, mit Gras bepflanzt, hatte in der Mitte am höchsten Punkt eine Öffnung als Rauchabzug. Darunter war im Innern die Feuerstelle, über der ein Teekessel hing. Geschnitzte Trollfiguren zierten Armlehnen und Rücken der Sitzgelegenheiten, an den Wänden hingen handgewebte Bauernteppiche mit Darstellungen alter Sagen, von Bären und Renntieren. »Hier arbeitet er, wenn es regnet.«

Ein Gong ertönte. »Das Zeichen zum Tee«, sagte Isolde, und wir gingen zum Haus.

Dort war inzwischen noch ein Besuch eingetroffen, Baron Zimperg mit seiner Tochter. Man sagte sich Gutentag, und ich wurde vorgestellt. Die junge Dame errötete, als sie der Nackte begrüsste, aber ihr Vater hielt seinen Hut wie zufällig so, dass die bedenklichste Stelle des Körpers ihrem Blick entzogen war.

Zum Tee durfte sich Bjarne anziehen, erschien in tadellos eleganter Kleidung, benahm sich auch korrekt, nur duzte er Alle. Isolde brachte eine Mappe mit seinen Skizzen, erklärte uns, nur ein naiver, am Busen der Natur aufgewachsener Mensch könne die gesellschaftliche Überfeinerung so wahr erfassen und bis ins letzte Raffinement nachfühlen. Ich stimmte ihr bei, erbat als erste Zeichnung die Darstellung eines vornehmen, üppigen Diners.

Von dort ging ich zu Rita. Sie war so erfreut mich zu sehen, dass es erst allmählich gelang, das Gespräch auf den Zweck meines Besuches zu bringen. Sie sollte 188 endlich mit ihrem Zyklus ›Die Ärmsten‹ fortfahren, ich wünschte von ihr die Schilderung eines kärglichen Mahls in einer sehr armen Arbeiterfamilie. Sie versprach es. Und dann wurde unsere Unterhaltung wieder unsachlich. Sehr.

Rita wie Bjarne lieferten ihre Zeichnungen nach wenigen Tagen ab. Man konnte sich keinen schärferen Gegensatz denken. Beim Mittagessen der armen Familie in der engen, schmutzigen Küche gab es nicht einmal genug Kartoffeln. Die Kleidung war schäbig, die Gesichter mager und vergrämt, weinerliche Kinder. – Die Gesellschaft feiner Herren und Damen sass glückstrahlend bei üppigen Gerichten an blumengeschmückter Tafel, livrierte Diener schenkten Wein in schön geschliffene Gläser. Ein wohlbeleibter Herr brachte gerade einen Toast aus.

Diese beiden Bilder sollten unmittelbar nebeneinander stehen, Beginn eines Zyklus: ›Die Reichsten‹ und eines: ›Die Ärmsten‹. Ich meinte, sie bedürften weiter keiner Worte, aber Quartaller war der Ansicht, man könne, nie deutlich genug sein. So setzten wir unter die Armen: »Mutter, ist es wahr, dass der Herr Generaldirektor so viel Kartoffeln essen darf wie er will?« und unter die Reichen: »Meine Damen und Herren! Beim Genusse der auserlesenen Speisen und Getränke wollen wir auch der Mühseligen und Beladenen gedenken, denen diese Freuden nicht zuteil werden. Ich leere mein Glas auf das Wohl der Armen. Sie leben hoch!«

Rita hätte vorgezogen, ihre Zeichnung von einem mehr lyrischen Text begleitet zu sehen. Aber Lyrik ist gereimte Langeweile. In der gleichen Nummer war so ein stimmungsvolles Gedicht von Eugen Lomohl, 189 das die Schönheit der heimatlichen Natur besang. Zu diesem hatte uns Gradl eine ebenso stimmungsvolle Zeichnung gemacht, nur waren da in der deutschen Landschaft anstatt der Bäume Pfähle mit Verbotstafeln, dazwischen wandelte ein Schutzmann. Gradl lieferte auch schöne, volkstümliche Illustrationen zu Hubers bayrischer Bibel, deren Fortsetzungen noch lange nicht zu Ende gingen. Jetzt endlich wurde mein Bild ›Die Ehe‹ abgedruckt. Quartaller hatte auch da einen Text hinzufügen wollen. Ich widersetzte mich dem mit Erfolg. Doktor Huber, der dazu kam, gab mir recht. »Wir müssen schauen, dass wir kein Witzblatt werden, es gibt nichts Faderes. Schliesslich würden wir die beliebten Zeichnungsfolgen bringen, wo am Ende immer einer in eine Tonne fällt. Das ist dann Komik.« 190

 


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