Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Doras Tagebuch.

Ich muß mich heute wieder zu meinem Tagebuche flüchten. Mit der Feder in der Hand vermag ich meine Gedanken besser zu ordnen. Beim Schreiben gewinne ich eher die Klarheit, deren ich jetzt um so mehr bedarf.

Sonst drängt ein Gedanke den anderen, und ein neuer, dritter verschlingt den früheren. Ehe ich es selbst weiß, befinde ich mich wieder auf demselben Punkt, von dem ich ausgegangen, und grüble zwecklos hin und her. Ich will nun endlich einen Entschluß fassen und ihn zur Tat machen. Das Leben, das ich führe, ist ein elendes, unerträgliches. Unglücklicher als ich mich fühle, kann ein Mensch nicht sein. Körperliche Schmerzen kenne ich auch, aber sie sind nichts gegen die aufreibende Qual meines Inneren.

Jeder Tag in meinem Leben war früher ein Festtag. Wenn ich morgens erwachte, lachte er mich freundlich und verheißungsvoll an. Mein Herz schwoll über in glücklichem Frohsinn. Der Gedanke an meine Pflichten erfüllte mich mit einem fast ungestümen Drange, mich ihrer zu entledigen. Mein Zimmer war mein Schatzkästlein. Jegliches: die Arbeit, der Verkehr mit Freundinnen, ein Gang in die Natur, Musik, Lektüre, Geselligkeit, kurz, was immer es sein mochte, hatte seinen besonderen Reiz, und die kleinsten Freuden nahm ich als unverdiente Geschenke entgegen, als wären es die größten. Jetzt ist alles in mir erstickt. Was mich früher anregte, fesselte, begeisterte, was mich heiter, zufrieden und glücklich stimmte, hat seine Farben und seinen Glanz verloren. Stets drängt sich meine trostlose Ehe, schiebt sich Heinrich mit seinem Tun und Lassen in meine Gedanken, und so entsetzlich unglücklich, elend und verlassen fühle ich mich, daß mir immerfort die Tränen aus den Augen brechen, sobald ich allein bin. Mich dürstet nach Teilnahme, nach Verständnis, nach Liebe; aber seit meiner Verbindung mit diesem Manne blieb mein Inneres ohne Erquickung. Muß nicht die kräftigste Pflanze verdorren, wenn man ihr Wärme, Licht und Luft entzieht? Gewiß! Und so verdorrt auch mein Herz und muß sterben, wenn ich in diesem Hause bleibe!

Was ist geschehen, und was soll ich tun? Trage ich schuld an diesem neuen Zerwürfnis? Gleichviel! Ist es möglich, daß in meinem Verhältnis zu Heinrich je eine günstigere Wendung eintritt? Nein! Ich habe alles ängstlich vermieden, was ihm Grund zur Unzufriedenheit geben könnte. Ich habe mich redlich bemüht, trotz meiner Gleichgültigkeit, meines Abscheus gegen ihn, ein leidlich gutes Verhältnis zwischen uns herbeizuführen. Aber das ist's ja eben! Unberechenbar sind seine Launen. Ein Staubkörnchen auf der Kommode vermag ebensogut die Veranlassung zu brutalen Worten zu geben wie ein anderes Nichts! Ich durchschaue ihn zu sehr, um mir irgend etwas für die Zukunft zu versprechen; auch sind unsere Charaktere zu verschieden, um sich jemals zu berühren. Er ist ein krasser Selbstling ohne Tiefe, ohne Wärme und ohne Schätzungsvermögen der Eigenart anderer. Nur das Äußerliche gilt für ihn. Die Erreichung seiner Zwecke erfüllt allein seine Gedanken, und seine Herrschsucht ist maßlos. Ich hasse dagegen den äußeren Schein, die Prunksucht, das Streben nach Ansehen, Geld, Macht und Ehre, und gerade ein Wertlegen auf diese Oberflächlichkeiten, eine Beachtung dieser verlangt er von mir; ich würde ihn, wenn ich sie besäße, mit weit größeren Fehlern, als ich solche habe, versöhnen.

Als er mich heiratete, war ich ein unerfahrenes Kind. Aber er leitete und erzog mich nicht; er forderte in törichter Voraussetzung ein Geschöpf nach seinen Vorstellungen und Wünschen. Er diktierte, daß ich die innerliche Reife einer Matrone, die Leichtlebigkeit einer Weltdame, das Herz eines Engels und die Geduld eines Gottes besitzen solle.

Ich bezwang eine andere tiefe, leidenschaftliche Liebe um zwingender Pflichten willen; er wußte das sehr gut, aber er baute mir niemals in der Ehe eine Brücke, um meine Gedanken allmählich ihm zuzuwenden. Es gibt kein gesundes menschliches Verhältnis, in welchem nur immer allein der eine Teil der Geber, der andere der Empfänger ist. Nur, indem jeder sein Bestes gibt, entsteht ein Himmel hier auf Erden. Seltsam! Nichts in der Welt erfordert soviel Erfahrung, kluge Rücksicht, nichts so vornehme Eigenschaften, wie die Ehe, und doch betreten die Menschen diesen heiligen Tempel mit so leichtfertigem Schritt, als ob sie in ein Weinhaus eilten.

Ich verabscheue, ich hasse Heinrich! Aber dieser Haß entsprang nicht aus Groll, daß er mein junges Leben vernichtete; er entstand und wurde genährt durch den Anblick der scheußlichen Maske, mit welcher er in der Welt umhergeht. Er heuchelt den gerechten Mann und ist ein Schurke, wenn er gleich nicht stiehlt und mordet.

Und dieser Abscheu und dieser Haß fördern meine Entschlüsse. Ich fürchte mich vor den Leidenschaften, die in mir aufgelodert sind! Sie könnten, – oh, daß ich selbst dieses aussprechen muß, hier, wo meine Seele ihre geheimsten Gedanken flüstert. – mich zu einem – Verbrechen treiben. Ich habe mich schon bisweilen schaudernd bei dem Gedanken ertappt, wie ich mit künstlichen Mitteln, – mit Gewalt, mich seiner entledigen möchte! Mit Gewalt? Entsetzlich! – – –.

Und in der Erkenntnis, daß ich weder eine größere Duldsamkeit und Sanftmut zu üben, noch zu einer stärkeren Unterordnung unter Heinrichs Willen mich zu zwingen vermag, auch daß er, ein Mann in reiferen Jahren, sich niemals mehr ändern wird, – will ich mich von ihm scheiden lassen.

Ich habe Arme zum Arbeiten, Willen, die äußersten Entbehrungen zu ertragen, demnach die Kraft, das geringste Los einzutauschen gegen die widerwärtige Lüge des Wohllebens und äußerlichen Scheinglückes, zu der ich mich zwingen muß. Ich will das Haus fliehen, in welchem ich mich mit dem Grauen einer Gefangenen aufhalte.

Kann ich noch einmal glücklich werden? Ich hoffe es! Noch besitze ich die Achtung guter Menschen und die Liebe meiner Eltern. Sind sie schwach, so sind sie doch voll Güte, und meine Zuneigung verschwand nicht, indem ich ihre Fehler erkannte. Großer, barmherziger Gott! Segne meinen Entschluß! Laß mich auf deiner schönen Welt noch einmal Freuden des Glückes genießen. Schenke mir die Freiheit, die du dem kleinsten Vogel in den Lüften gewährst. Erlöse mich aus der Nacht dieses Daseins!


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