Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

In der Apotheke sah es traurig aus. Tibertius' Laune war keine rosige, vielmehr eine sehr schlechte. Noch immer war er von seinem Ziele weit entfernt. Er wagte in seinem Pflichtgefühl, jetzt, wo Heinrich daniederlag, das Geschäft nicht zu verlassen, noch weniger in der Landkajüte sich seiner Braut zu nähern. Auch war es für seine Liebe und seine Hoffnungen keine Beruhigung, daß Christine, noch dazu meist mit verweinten Augen, ihn nur versteckt in der Apotheke besuchte und von der fortgesetzten Halsstarrigkeit ihrer Mutter erzählte.

»Tue, was du willst,« hatte die Alte gesagt, »aber verlange nicht, daß ich eine Heirat mit dem Apotheker als ein freudiges Ereignis ansehen soll!«

Und Christine, wenn auch fester in ihrer Liebe denn je, konnte sich doch nicht entschließen, eine Vereinigung mit Gewalt herbeizuführen, der ihre Mutter in so entschiedener Weise entgegentrat. Zuletzt war von der »unseligen Verlobung,« wie Frau Lassen sie bezeichnete, gar nicht mehr die Rede, und da Tibertius unter solchen Verhältnissen der Mut fehlte, das Lassensche Haus zu betreten, versank die Angelegenheit immer mehr ins Ungewisse und Aussichtslose. Advokat Tach hatte Tibertius gesagt, die alte Frau sei eine eigensinnige Närrin; aber mit diesem Ausspruch wurde die Sachlage keine andere und des Provisors Auge nicht lichter. Nur eins hielt ihn in seinem Kummer aufrecht. Es war die Zuversicht, mit welcher Dora ihn auf eine endlich doch noch glückliche Wendung der Dinge immer wieder verwies.

Während Heinrichs Krankheit hatte ein lebhafter Gedankenaustausch zwischen dem Provisor und der jungen Frau stattgefunden. Da der erstere nicht zugegen war, hatten sich die Zungen gelöst. Eine ungezwungene Unterhaltung war früher schon deshalb nicht zwischen ihnen aufgekommen, weil Heinrich eine andere Meinung neben der seinigen nicht duldete. Man saß stumm bei Tisch und ging ebenso wieder auseinander.

Was sich aber in letzter Zeit ereignet hatte, gab zur Erörterung reichlichsten Stoff. Bald berichtete Dora von dem Zustande ihres Vaters, bald von Heinrichs Befinden und bei all ihren sorgenvollen Gedanken fand sie immer noch Zeit, das Thema zu berühren, welches den armen Freund beschäftigte.

Manches Wörtlein fiel bei dieser Gelegenheit, das sonst schwerlich gesprochen worden wäre, und mit Takt und Feingefühl bemühte sich Tibertius, nicht nur seine Teilnahme an Doras Schicksal an den Tag zu legen, sondern sie ebenfalls durch freundliche Worte aufzurichten. Sie lernten sich schätzen; sie wurden, wie so oft in solchen Fällen, durch gemeinsamen Kummer Freunde. Einer half dem andern die Sorgen überwinden, und so schuf gemeinsames Leid in diesen durch ihre Herzenseigenschaften verwandten Naturen ein warmes und tiefes Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Durch Doras Erzählungen trat auch Sophie, die fast täglich ihre junge Freundin besuchte, dem Junggesellen näher und begegnete ihm in der Folge mit allen Zeichen ihrer Sympathie. Er mußte ihr von Christine und der Alten berichten, und der fortgesetzte Widerstand der Mutter beschäftigte sie nicht minder als Dora.

Eines Abends, als Tibertius zum Tee erschien, fanden ihn seine beiden Beschützerinnen besonders mutlos. Er saß da, als ob ihm eine ungnädige Gottheit das Ungemach der ganzen Welt verkündet habe, und bei allen Tröstungen und Hinweisen auf die Zukunft zeigte er eine ungläubige Miene. Er hielt seine Sache für verloren! Die alte Frau besaß eine eiserne Stirn, und er selbst hatte abgelehnt, daß sich ihm Christine ohne den Segen ihrer Mutter anverlobe.

Den ganzen Abend wurde überlegt, wie der alten Frau Lassen beizukommen sein werde.

Allerlei Pläne wurden gemacht und eifrigst erörtert, aber auch immer wieder als unausführbar fallen gelassen. Einmal schlug Sophie vor, daß Dora Christinens Mutter besuchen solle, um nochmals für Tibertius zu sprechen. Aber die junge Frau setzte nicht nur große Zweifel in den Erfolg ihrer Befürwortung, sondern fürchtete auch die Ungelegenheiten mit ihrem Mann. Ihr Gang würde doch nicht verborgen bleiben!

Ziemlich hoffnungslos trennten sich die Frauen an diesem Abend von ihrem Schützling, und als sie ihm beim Abschied trotz alledem Mut zusprachen und wiederholten, es werde sich doch schon ein Weg finden, um der Alten Starrsinn zu brechen, übten sie lediglich einen aus Herzensgüte entspringenden Akt der Rücksicht. Sie selbst sahen die Angelegenheit in einem recht schlechten Lichte an; alle Mittel schienen erschöpft.

Es fügte sich, daß am nächsten Tage Mile Kuhlmann bei Sophie zum Schneidern bestellt war, und zufällig auch auf das vielbesprochene Verhältnis zwischen Tibertius und Christine Lassen die Rede kam. Mile griff das Thema begierig auf und berichtete nicht nur bekannte Tatsachen, sondern setzte noch hinzu, was ihre und die lebhafte Phantasie anderer sich ausgemalt hatten. Anfänglich blieb Sophie ziemlich wortkarg; es berührte sie peinlich, von der Näherin Dinge zu hören, die sie bereits als eigene Herzenssache betrachtete. Aber ihre Teilnahme an Tibertius' Schicksal und der den Frauen innewohnende Reiz, Ehebündnisse schließen zu helfen, siegten auch bei ihr über die Abneigung, die Angelegenheit mit der Schneiderin zu besprechen. Sie ließ sich eingehender über die Verhältnisse aus, und erst, als Mile ihr erzählte, sie werde, da sie in den nächsten Tagen in der Landkajüte für Christine ein neues Kleid nähen solle, die Angelegenheit gegen die Alte in geeigneter Weise berühren, bereute Sophie das Gespräch und ging mit kurzen Worten über dieses Anerbieten weg.

Sie hatte aber nicht in Berechnung gezogen, daß auch in Mile Kuhlmann ein Äderchen Ehestiftungsreiz vorhanden war. Dies ließ keineswegs nach. Als sie mit ihrer Klugheit herausfand, aus welchen Gründen die alte Dame das Gespräch abgebrochen hatte, sagte sie:

»Glauben Sie mir, Fräulein, ich kenne Frau Kapitän Lassen genau und weiß, wie sie genommen sein will! Ich war doch 'mal Mamsell auf dem Dampfschiff, und – Na, verlassen Sie sich auf mir – ich weiß, wie ihr beizukommen ist! Ich hab' ein ganz sicheres –«

Nach ihrer Gewohnheit hielt sie inne, um der Gegnerin Neugier zu reizen. Aber Sophie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Mile. Da haben schon so viele ihr Heil versucht. Das nützt nichts. Was wollen Sie denn noch Neues vorbringen?«

Im Grunde sagte Sophie dies nur, um überhaupt etwas zu reden, um die Schneiderin nicht durch völliges Fallenlassen des Gegenstandes vor den Kopf zu stoßen. Miles übliches Mittel hatte bei ihr nicht verfangen.

Aber jetzt besann sich die Schneiderin und sagte in einem halb empfindlichen, und zugleich berechneten Tone: »Ich will mir ja gar nicht in die Sache hereindrängen. Was geht's im Grunde mir an? Aber wetten wollte ich, daß ich auf meine Art die Partie zustande kriegte. Ich kenne meine Leute! Glauben Sie man!«

Sophie schwieg und ließ Mile mit ihren Plänen allein. Aber für diese hatte es zu viel Verlockendes, die Angelegenheit weiter zu verfolgen! Jetzt gerade! Zudem konnte man nicht wissen, welchen Nutzen es haben würde, Leute, wie Lassens, zu verpflichten und sich bei Frau Heinrich gut Kind zu machen. –

An einem der folgenden Abende – der Apotheker hatte sich bereits zur Ruhe begeben – erzählte Sophie Frau Dora beim Abendbrot von der Unterredung mit Mile, und just an demselben Abend meldete Lene, daß die Kuhlmann da sei und die Herrschaft dringend zu sprechen wünsche.

»Darf ich? Ist's noch so spät erlaubt, meine Damen?« hub die Schneiderin an, während sie einen raschen Blick auf die reichbesetzte Tafel warf und sich ihren Mantel aufknöpfend und der Aufforderung Doras folgend, einzutreten, unter vielem Dienern entsprach.

»Ich komme eben von Lassens,« begann sie, tief Atem holend, ihren Redefluß. »Wie? Ach, sehr freundlich, Frau Heinrich! Darf ich wirklich?« unterbrach sie sich, als Dora ihr eine Tasse Tee einschenkte und ihr Speise anbot. »Nein, vielen Dank! Nur bitte, eine Tasse Tee, vielen Dank,« wiederholte sie und biß mit den Zähnen ein Stück Zucker ab, daß sie in den Mund schob, statt es in die Tasse zu tun.

»Also, meine Damen! Es wird sich machen, es wird sich machen! Ich sagte es ja schon, Fräulein Wildhagen. Die Alte muß man bloß richtig zu nehmen wissen! Und wie das so kam! Es war gerade, als ob der Zufall auf der Lauer gelegen hätte und mir beistehen wollte. Hören Sie man, bitte. Ich hatte mir schon allerlei ausgedacht. Ich wollte das Pendel von der Uhr anhalten, oder das Bild vom Kapitän sollte auf die Erde fallen! Und bei so was wollte ich dann nu anfassen, denn sie ist gräsig abergläubisch, die Alte – und wollte sagen, daß das mit Christine und Tibertius in Verbindung stand. Ich kenne das ja von früher! Der verstorbene Kapitän war ein schlauer, alter Kerl. Wenn er etwas durchsetzen wollte – sie hatte immer das Regiment –, dann schnackte er ihr so was vor und kriegte immer seinen Willen. Gott, was für'n wunderschönen Tee haben Sie, Frau Heinrich,« unterbrach Mile abermals ihre geläufige Rede und trank den Rest Tee aus. »Wunderschön, ganz wunderschön.« Dora verstand, schenkte von neuem ein und ermunterte die Schneiderin, ihre Abneigung bezwingend, auch sonst zuzugreifen. Mile war ihr höchst unsympathisch. Auch diese Vermittlung entsprach, obgleich Tibertius und Christinens Schicksal sie Tag und Nacht beschäftigte, ihrem Geschmack durchaus nicht.

Mile spürte etwas dergleichen, brach deshalb rasch die Einleitung ab und kam auf die Hauptsache.

»Also, meine Damen, nu kommt's. Ganz zufällig erzählte mir Christine von einem Traum, den sie die letzte Nacht gehabt hatte. Der alte Kapitän war ihr erschienen und hatte sie bedauert, daß die Alte so starrköpfig wegen der Heirat mit dem Provisor war! Er hatte geweint, sogar geweint! Denken Sie! Das faßte ich nu gleich auf, und redete Christine zu, daß sie ihrer Mutter das erzählen sollte. Aber die wollte nicht. Sie spräche der Alten von der Verlobung nicht mehr, sagte sie. Und der Traum könnte doch nichts nützen. Natürlich, sie wollte das nicht zugeben! Na, sagte ich, dann werde ich das machen, Fräulein Christine, und indem kam Frau Lassen gerade aus die Küche in die Stube.

Ich legte nu los! Christine ging weg! Ich erzählte der Alten den Traum mit allerlei Ausschmückungen. Wie der Kapitän Christine bedauert hatte! Wie er gesagt hatte, Frau Lassen lade eine schwere Schuld auf sich, und daß er zuletzt bitterlich geweint hatte!

Da hätten Sie die Alte bloß mal sehen sollen! Was sie alles fragte und immer wieder fragte! Und wie sie sich das auslegte! Ich nahm die Sache fürchterlich ängstlich und bedeutete ihr: das wäre ein Fingerzeig vom Himmel. Es würde großes Unglück bringen, wenn sie sich nu noch gegen die Heirat sträuben täte. Sie sollte man schnell ja sagen. Der alte Mann spräche mit ihr durch den Traum. Direkt sagen dürfte er das nicht. Das wüßte sie ja; das wäre immer so!

Um mir nicht verdächtig zu machen, versetzte ich erst den Provisor ein paar ordentliche Seitenhiebe und gab denn nachher wieder klein bei. Die Alte war windelweich, wurde ganz still und meinte zuletzt, sie wolle am Ende Christinens Glück nicht unbedingt im Wege stehen! Als sie das sagte, wußte ich, daß wir gewonnenes Spiel hatten. Verlassen Sie sich darauf, meine Damen, sie macht keine Schwierigkeiten mehr!

Na, was sagen Sie, Fräulein Wildhagen?« schloß Mile triumphierend und schob das vierte Stück gelben Kandiszucker beim Teeschlürfen hinter die Backe. »Hatte ich recht oder nicht? Ich sage Ihnen, wenn nun noch ein klein büschen nachgeholfen wird, denn so bringen wir die Geschichte zustande! Entschuldigen Sie, Frau Heinrich, wenn ich so frei bin! Könnte nu nicht Herr Heinrich einen kleinen Drücker aufsetzen? Vor dem hat sie großen Respekt, auf den gibt sie viel, das weiß ich von früher her.«

Obgleich die beiden Frauen dem Bericht mit steigendem Interesse zugehört hatten und über das Ergebnis – wenn auch jetzt noch mit leisem Widerstreben wegen der angewendeten Mittel – nur allzu erfreut waren, so schüttelten sie doch zweifelnd den Kopf bei der Schneiderin letztem Vorschlag. Wie war von Heinrich irgend etwas zu erwarten, von ihm, der gerade den Widerstand der Alten geschürt hatte!

Mile Kuhlmann erhielt jedoch einen schönen Dank, und Dora erklärte sogar, sie werde sich ihrer reichlich erinnern, wenn ihr Vorgehen Tibertius und Christine nützlich werden würde.

Mile aber lehnte, obschon sie natürlich das Gegenteil erwartete, jede Belohnung mit Entschiedenheit ab. Sie empfahl sich mit vielen Knicksen und nachträglichen lauten Reden auf der Treppe, welche die junge Frau, Heinrichs wegen, vorsichtig zu dämpfen suchte.

Als sie hinabstieg, begegnete ihr Glitsch, der gerade von der Wache beim Apotheker kam. Er war besonders gut aufgelegt und zärtlich dazu; er kniff Mile sogar in die Backen.

»Ne, ne, Herr Glitsch, sowas muß ich mir verbitten,« erklärte die Schneiderin, zimperlich abwehrend. Aber sie gestattete doch, daß der Barbier sie bis in ihre Wohnung geleitete, und als er sich endlich verabschiedete, lachte sie überlaut bei seinen Scherzen und schüttelte ihm mit einer widerlichen Vertraulichkeit die Hand.


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