Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Vierzehntes Kapitel.

Seit reichlich einem Jahr waren Heinrich und Dora bereits verheiratet, und alles ging scheinbar nach dem Schnürchen. Aber eben doch nur scheinbar! Bisweilen war das Mittagessen nicht besonders gelungen. Dann legte Herr Heinrich die Gabel hin, stocherte in den Zähnen (wenn ihr Mann nur nicht stets in den Zähnen stochern wollte!) und antwortete auf die Frage:

»Schmeckt es dir nicht? Bist du schon satt?«

»Ich danke, ich habe genug!«

Sie forschte dann in seinem Angesicht und fand immer denselben unbeweglichen Ausdruck darin. Seine Vorwürfe erfolgten nie unmittelbar. Er speicherte auf, was er zu tadeln hatte, und dann gab er es mit Nadelspitzen.

»Es war gut gestern bei Michelsens«, hub Dora an.

»Nun eben, die junge Frau ist tüchtig, sie hat etwas gelernt. Sie versteht etwas von der Küche.« – Das Wort »versteht« ward betont. Es hieß: »Du junge Gans verstehst nichts.«

»Ist es eine Vorschrift, daß Lene stets die Eimer mitten vor die Treppe stellen muß, so daß ein Zerbrechen der Schienbeine unvermeidlich ist, oder fehlt dir die Zeit, die Mädchen in einer Sache anzuhalten, die ich schon oft gerügt habe?«

»Nein, eine Vorschrift ist es nicht,« erwiderte Dora dann wohl, ging hinaus und weinte sich im Schlafzimmer aus. Und doch war sie gar keine sentimentale Natur, kaum einmal mehr empfindlich, wie sie es früher gewesen. Das Gebet ihrer Mädchenjahre war jetzt endlich erhört worden. Trotz und Empfindlichkeit in ihr waren gebrochen. Heinrich hatte dazu die monatelange Hochzeitsreise eifrig und erfolgreich benutzt!

Aber etwas, so ein klein wenig, riß es ihr doch ans Herz, so an Herz und Seele, daß die Hände sich ballten in Aufruhr, wenn ihr Mann, wie einmal, trocken hinwarf:

»Na, die Abendgesellschaft gestern bei uns war ja mal wieder ein rechter Triumph für deine Unfähigkeit. Nichts, nichts war in Ordnung. Auf dem Flur brannte noch nicht einmal die Lampe, als Franzius' kamen, und die Geschichte mit dem Pudding kann doch auch nur dir passieren. Ewige Träumereien, ewige Sentimentalitäten und ewige Zerstreutheiten! Darin bist du groß! In sonst noch etwas?«

In sonst noch etwas? Wo war der Dolch, um ihn in sein Herz zu stoßen? Sie kannte harte Reden; drüben bei den Eltern waren sie auch gefallen. Das war im Zorn gewesen; schon im nächsten Augenblick war der Eindruck durch gelassenes Wesen oder erhöht liebevolles Begegnen verwischt worden. Aber aus dem breiten Munde dieses Mannes floß das alles tagelang später als das Ergebnis boshafter Überlegung; er brachte es vor mit Bewußtsein, mit der Absicht, zu kränken. Und nur Äußerlichkeiten, namentlich solche, die sein Ansehen beeinträchtigen konnten, rügte, tadelte, bespöttelte er. Oh, wie haßte sie den Menschen schon jetzt, nach so kurzer Ehe!

Und wenn's mit Rügen und Tadeln abgetan gewesen wäre! Aber er leitete aus einem Versehen, aus einem Fehler, über den er Ärger empfand, gleich die Unfähigkeit für alles ab. Sie verstand nichts, gar nichts; es gab nur Mängel an ihr! Pflichttreue, Häuslichkeit, Fleiß, Geduld, Sittsamkeit und Sanftmut, alle Tugenden ihres Herzens, sie waren ihm nichts!

Der Pudding in einer seiner Gesellschaften war nicht gelungen! Folglich: die Heirat mit dieser Frau war ein Mißgriff, eine grenzenlose Torheit!

In den ersten Zeiten ihrer Ehe war er ihr zwar auch nicht sonderlich aufmerksam, aber doch durchweg gelassen begegnet. Auch da schon schulmeisterte er und war meist mürrisch, aber noch niemals roh. Damals wirkte noch auf seine Eitelkeit die Bewunderung, die man seiner jungen, hübschen Frau zollte. Als sie aber immer ernster und ernster ward, wenig sprach, sich nie vordrängte, und deshalb auch weniger Beachtung fand, verblaßten in seinen Augen allmählich die Farben ihrer Vorzüge. Aus verletzter Eitelkeit entwickelte sich zuerst schlechte Laune, dann Reizbarkeit und endlich boshafter Ingrimm. Und jetzt kam sein eigentlicher Charakter zum Vorschein.

Nur wenn sie wieder einmal gefiel, wenn dem Apotheker der Beifall, den sie fand, in lebhaften Worten entgegengetragen ward, kehrte wohl einmal etwas von den alten Empfindungen in ihm zurück, legte er wohl zeitweilig ein freundlicheres Benehmen gegen sie an den Tag.

Wenn man sie ihm neidete, dann stieg in ihm ihr Wert, den er nicht einmal ahnte. Er wollte eine Frau haben, mit der er glänzen konnte, die zu seiner Verfügung war, wenn es ihm paßte. die keinerlei Rücksichten und Aufmerksamkeiten von ihm verlangte. Dagegen beanspruchte er von ihr die allergrößte Rücksichtnahme auf alle seine unberechenbaren Stimmungen und Launen. Sie sollte sein Haus in Ordnung halten, seinem verwöhnten Gaumen das untadelhaft Beste vorsetzen, und, obgleich er selten abends da war, ihm bei der Heimkehr stets ein vergnügtes Gesicht zeigen. Jedoch auch ihr das Haus angenehm zu machen, daran dachte er nicht im entferntesten. – Er wisse nicht, was er mit ihr sprechen solle, hatte er ihr eines Tages gesagt. Sie habe ja gar keine Interessen. Sie schlafe, körperlich und geistig, den ganzen Tag. Es sei unfaßbar, wie sie sich zu ihrem Nachteil verändert hätte. »Früher warst du frisch, lebendig, voll Sinn und Interesse für alles, liebenswürdig, heiter und zuvorkommend; heute, nach kaum zwei Jahren unserer Ehe, bist du eine alte Frau. Du hattest früher eine Maske vor!« spottete er. So zerriß er ihr Herz und folterte sie jeden Tag.

Und wer hatte mit roher Hand vernichtet, was sie früher schmückte? Kam diesem herzlosen Egoisten je der Gedanke, daß die schönste Blume ohne Sonne verkümmern, verwelken, verderben muß? Benetzte er sie mit dem frischen Quell der Liebe, gab er ihr Wärme und Gedeihen? Er wollte, daß sie in den schönsten Blüten prangen sollte und schnitt in ihre Wurzeln, ihren Stamm, zerpflückte ihre Blätter und stieß sie in eine Welt ohne Licht.

»Oh, dieser Schurke!« knirschte Sophie, wenn sie von dem allen hörte, und ballte die Hände vor Zorn. Sie kam nur noch versteckt zu Dora ins Haus. In der Spätnachmittagsstunde oder abends schlich sie sich zu ihrer jungen Freundin und plauderte mit ihr. Der Apotheker hatte Dora den Umgang mit ihr untersagt. Einmal, als sie einen energischen Einwand zu machen gewagt, hatte er gepoltert: »Das sind wohl die Lehren der alten Schachtel, die, gerade wie drüben bei deinen Eltern, ihre Salbadereien bei mir fortsetzen möchte. Will ich nicht! Leide ich nicht! Du gibst den Verkehr auf!«

Heute begab sich Dora ausnahmsweise zu Sophie. Sie schützte ihrem Manne gegenüber einige Besuche und Besorgungen vor und stieg die enge Treppe zu ihrer Freundin hinauf.

»Ach, liebste, beste Dora! Du kommst zu mir! Du wunderst dich, daß ich dir noch nicht für die prachtvolle Gans gedankt habe, die du mir gesandt hast? Ich wollte dir jeden Tag schreiben, dich – besuchen – –« Sie unterbrach »Ach, nimm doch Platz. Setz' dich hierher, meine gute Dora.«

Es war schon dämmrig im Zimmer. Im Ofen glühten die bescheidenen Torfkohlen; Sophie ließ die Tür des Wärmespenders offen, damit sie nicht so rasch in Rauch aufgehen sollten. Oft quoll ein qualmiger Dunst hervor; es war ein dumpfer, atembeschwerender Geruch, doch sagte Dora nie etwas darüber. –

Die junge Frau seufzte auf. Es klang wie ein mühsam unterdrücktes Schluchzen.

»Bist du traurig, meine süße, kleine Frau, meine beste, herzliebste Dora?«

Ob sie traurig sei? Draußen standen schon dunkle Herbstwolken am Himmel. Den ganzen Tag hatte es geregnet. Die feuchte, kalte, graue Luft tötete ohnedies alle Poesie, alle Herzensfreude, und – sie – sie – die Frau Heinrichs, sollte nicht schwermütig, nicht traurig sein? Das war kein Ausdruck, keine Bezeichnung für deren Gemütsverödung! Sie war so todesbetrübt, in ihr war's so düster, so inhalt- und liebeleer starrte sie alles an, als ob ewige Nacht hereingebrochen wäre, als ob ein Geist der Finsternis vom Himmel herab verkündet habe: »Gestern schien zum letztenmal die holde Sonne. Nun ist's vorbei für immer!«

»War er wieder so eklig« (eklig, sagte Sophie, statt unfreundlich) »gegen dich, Dora?«

»Oh, Sophie, Sophie! Ich bin so weit, ich möchte –«

Sie schluchzte, sie weinte – Tränen – Tränen – Tränen!

»Du möchtest?« tastete die alte Dame und faßte die Hand ihrer jungen Freundin, um sie zärtlich zu streicheln. »Du möchtest?« wiederholte sie noch einmal weich und innig.

Dora antwortete nicht. Sie ging langsam ans Fenster und schaute hinaus.

»Ja, ja, ich will Licht machen, die Lampe anzünden,« unterbrach sich Sophie geschäftig und ließ Dora allein mit ihren Gedanken.

Ein Gaul, ein alter, magerer Gaul, mit einem schmutzig zerrissenen grauen Leinen bedeckt, hielt vor dem gegenüberstehenden Hause, einer Schenke. Er ließ den Kopf hängen und stand regungslos. Nur mitunter, wenn der kalte Herbst seine Glieder allzu eisig durchschauerte, bewegte er den Schweif hin und her. Hinter den Fenstern des Kramladens nebenan erschien das erste Licht; ein Mädchen mit einem Korbe lief rasch über die kalte, öde, sturmdurchwehte Gasse.

Da trat aus der Schenke ein halbtrunkener Mensch, ergriff die Leine, zog sie mit so brutaler Heftigkeit an, daß der Gaul in den Gliedern zitterte, schwang sich zugleich auf den Wagen und hieb auf den Rücken des Tieres. Es zog auch willig an. Der Wagen war mit Kisten und Ballen hoch beladen; er war aber zu schwer für ihn. Umsonst! –

»Hüh! Hüh!« Mit wuchtig erbarmungslosen Schlägen unterstützte der Rufende abermals seine Ermunterung. Da nahm der Gaul seine letzten Kräfte zusammen – man sah es, denn die Knochen traten spitz hervor, die Hufspitzen setzten, das Pflaster kratzend, mehrmals vergeblich an – und überwand endlich die Schwierigkeit, und der Wagen rollte in regelmäßigem Tempo die Straße entlang. – Das Tier hatte seine Pflicht getan, so schwer es ihm auch geworden war.

»Das tut ein unvernünftiges Geschöpf,« murmelte Dora. »Und ich?« –

Sie trat ins Zimmer zurück.


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