Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Einige Zeit nach den vorerwähnten Ereignissen meldete Lene eines Morgens Frau Heinrich, daß eine fremde Dame sie zu sprechen wünsche. Die Eintretende war eine kleine Frau mit lebhaften Kinderaugen, hellen Brauen und altmodisch frisierten Locken.

»Habe ich das Vergnügen, Frau Heinrich zu sprechen? Ich bin die Doktorin Kordes. Ich komme meines Sohnes wegen. Mit Ihrer Erlaubnis. Es hielt mich nicht länger, da ich ihn krank wußte. Nehmen Sie meinen innigsten Dank für Ihre Nachrichten, besonders aber für alle Güte, die Sie ihm erwiesen haben. Er schreibt gerührt über Ihre vielen Freundlichkeiten während seiner Krankheit. Dank, nochmals Dank! Man hat ja nur das eine Kind!« Hier traten der Dame Tränen in die Augen. »Ich mußte ihn sehen. Wie geht's dem armen Jungen? Verzeihen Sie mir meine Unbescheidenheit.«

Diese Sätze wurden so rasch hintereinander hervorgestoßen, daß Dora erst jetzt das Wort ergreifen und versichern konnte, daß jede Gefahr vorüber sei und daß sich der junge Mann, wiewohl langsam, doch zusehends erhole.

Auch Heinrich wurde gerufen und erschien mit seinem unbeweglichen Gesicht. Dieser Besuch war ihm sehr lästig; er ließ es nur allzu deutlich merken. Nachdem er, statt sein Beileid auszusprechen oder sonst ein gutes Wort fallen zu lassen, der Fremden bedauernde Äußerungen, daß ihr Sohn krank geworden und dadurch dem Geschäft Ungelegenheiten erwachsen seien, entgegengenommen hatte, murmelte er etwas von zufälliger Behinderung und wandte sich zum Fortgehen. Als er schon in der Tür stand, warf Dora absichtlich die Frage auf, wo Frau Doktor Kordes abgestiegen sei und wie lange sie in Kappeln zu bleiben gedenke. Die junge Frau erwartete, daß ihr Mann die Fremde auffordern würde, bei ihnen zu wohnen, daß er jedenfalls eine Einladung an sie zu Tisch ergehen lassen werde. Aber nichts von alledem. Heinrich murmelte abermals eine Entschuldigung, hoffte sicher, noch das Vergnügen zu haben – – und verließ das Gemach.

Dora schwankte, ob sie ohne seine Zustimmung handeln konnte, aber ein leicht erklärliches Bedenken hielt sie zurück. Sie machte deshalb der Frau Kordes zunächst den Vorschlag, ihren Sohn in seinem Krankenzimmer zu besuchen; und so geschah es.

Dora trat rücksichtsvoll beiseite, als die Frau sich über das Krankenlager beugte und ihren Sohn immer von neuem herzte und küßte. Es war überaus rührend, zu beobachten, wie Kordes ihr sich gegenüber verhielt. Er antwortete wie ein kleines Kind und blickte doch verlegen beiseite, wenn sie ihm im Übermaß einer zu starken Zärtlichkeit die Hand hielt und ihr Auge auf ihm ruhen ließ; überhaupt mischte sich in den Ernst der Szene etwas, das abstieß. Die Frau war auffallend gesucht gekleidet. Die über die Schultern fallenden Locken gaben ihr etwas Geziertes, und ihr lebhaftes Wesen und ihre jugendlich geröteten Wangen machten es fast unwahrscheinlich, daß sie die Mutter dieses langaufgeschossenen Herrchens sei. Dora vermochte deshalb auch ein starkes Unbehagen nicht zu unterdrücken.

Inzwischen erschien noch Doktor Schübeler, der sich in einem großen Redeschwall erging, am wenigsten über das sprach, was zu erwähnen dringend notwendig erschien, und es nicht erwarten konnte, sich zum Gegenstand einer besonderen Aufmerksamkeit der Fremden zu machen. Dora geriet in eine zunehmend abwehrende Stimmung, als sie sah, mit welchem Interesse sich die Mutter, des Kranken vergessend, dem eitlen Manne zuwandte. Sie näherte sich deshalb Kordes und fragte nach seinen Wünschen. Diesen schienen ähnliche Empfindungen zu beherrschen, denn er sah Dora mit einem weichmütigen, dankbaren Blick an und flüsterte: »Oh, Frau Heinrich, wie gut sind Sie doch.« – Allerdings. Die beiden Menschen, die so eifrig schwatzten, paßten zueinander. Die Doktorin Kordes hing mit ihren Augen an dem Munde Schübelers und folgte seinen Auseinandersetzungen mit jenem gemachten Ausdruck der Überraschung in den Mienen, durch den die Gefallsüchtigen um so stärker zu fesseln wissen. Sie lachte übermäßig, wenn er einen seiner wenig gehaltvollen Scherze machte, und sie ergriff mit sichtlichem Behagen die Gelegenheit zu einer wiederholten Begegnung, von der Schübeler, ohne sich irgend etwas Ernsthaftes dabei zu denken, sprach.

»Wir dürfen Sie dann wohl morgen bei uns erwarten?« nahm Dora das Wort und fügte, weil ihr eine solche zuvorkommende Ergänzung notwendig schien, artig hinzu: »Ich hatte selbstverständlich bereits heute gehofft, aber ich begreife, daß es Wert für Sie hat, zunächst mit dem Arzte noch näher zu sprechen.«

Die Doktorin Kordes war zweifellos keine ganz üble, jedenfalls aber auch eine recht flüchtige und eitle Dame. Nun sie sah, daß die Gefahr vorüber, daß ihr Sohn in der Besserung sei, waren andere Dinge ihr weit wichtiger, und sehr bald nahm sie Abschied.

Dora saß infolgedessen fast den ganzen Nachmittag an dem Bette des Kranken, las ihm vor und war liebevoll um ihn besorgt.

Als Frau Doktor Kordes in der Dämmerstunde noch einmal an ihres Sohnes Bett trat und gleich beim Eintritt sagte: »Na, Emil, wie geht's? Einen Augenblick will ich dir noch Gesellschaft leisten, – Schübelers haben mich so freundlich aufgenommen, – ich konnte den Abend wohl nicht absagen« – erfaßte den jungen Menschen ein solches Gefühl der Enttäuschung, und eine solche Vereinsamung ergriff ihn, daß er, statt zu antworten, seinen Kopf wegwandte und weinte.

»Nun? Was ist dir, Emil? Was ist dir? Du hast gewiß heute zuviel gesprochen, dich aufgeregt! Du bist nervös, du bedarfst der Ruhe. Ich will dich auch bald verlassen. Es war ein unruhiger Tag. Morgen bleibe ich um so länger bei dir.«

Ah, morgen! Kordes war ein so harmlos guter Mensch, daß es schon wieder dankbar in seinen Augen aufleuchtete. Um Doras Herz legte sich aber etwas von Erbitterung, das sie nicht zu bannen vermochte.

Inzwischen richteten sich ihre Gedanken auch wieder auf Heinrich. Sie dachte mit einer begreiflichen Scheu an den Augenblick, an welchem sie ihm die Frage wegen einer Einladung der Frau Kordes vorlegen müsse. Bei näherem Nachdenken fand sie das Versäumnis, dessen sich die Mutter gegen ihren Sohn schuldig gemacht, wegen des geringen Entgegenkommens, das man derselben bewiesen hatte, sogar verzeihlicher. Ihr Takt und ihr Pflichtgefühl regten sich. Man mußte doch der Mutter Gelegenheit geben, um ihren Sohn zu sein! War es erhört, daß man sie gleich am ersten Tage zu Fremden gehen ließ, sie, die Nächstangehörige, die nur herbeigereist war, um ihr Kind zu sehen?

Als Heinrich am nächsten Morgen vom Kaffee aufstand, sagte Dora nach kurzem Kampf:

»Du hast doch nichts dagegen, wenn ich die Doktorin Kordes einlade? Gestern war sie bei Schübelers. Es war schon recht peinlich –«

»Was war recht peinlich?« erwiderte der Apotheker in seinem unangenehmsten Tone und schnitt sich die Spitze einer Zigarre ab.

Nein, etwas Selbstverständliches noch näher erklären wollte Dora nicht. Bei dem ersten Worte ihres Mannes regte sich schon ihr Trotz. Sie überging deshalb die Frage und wiederholte kurz und tonlos: »Ich werde sie zu Tisch bitten und sie auch auffordern, den übrigen Teil des Tages da zu bleiben, damit sie ihrem Sohne Gesellschaft zu leisten vermag. Ist's dir so genehm?«

»Du beantwortest meine Frage nicht. Man antwortet doch!«

»Nun ja, freilich, man antwortet doch!« erwiderte Dora und sah ihrem Manne fest ins Auge. »Ich fragte deutlich, ob ich die Frau einladen solle – übrigens in meinen Augen etwas Selbstverständliches –, und ich bitte um ein Nein oder Ja. Wie der Zusatz zu deuten, weißt du sehr wohl. Solche Examinationen sind überflüssig, ja verletzend, und ich wünsche mich ihnen ferner nicht auszusetzen.«

In das Gesicht des Apothekers trat eine gewaltige Veränderung. Neuerdings sah und behandelte seine Frau die Dinge, wie sie waren. Sie nahm die Logik zur Hand und wußte ihn zu widerlegen; er fühlte, daß sie ihn nicht nur durchschaute, sondern den vollen Mut hatte, ihm entgegenzutreten. Sie deckte rücksichtslos sein Inneres auf und entkleidete ihn erbarmungslos der Göttlichkeit, mit der er sich bisher umgeben hatte. So furchtbar wirkte die verletzte Eitelkeit, so rasend bäumte es sich in dem Manne auf gegen das junge Geschöpf, das es wagte, ihn, den Herrn der Welt, zu schulmeistern, daß er einige Schritte vorwärts tat und die Hand erhob. Wie ein roher Proletarier wollte er sie bereits schlagen! So weit war es gekommen. Aber in der Brust des gequälten Weibes jagten sich die Gefühle einer unermeßlichen Entrüstung. Mit flammenden Blicken sich gegen ihn auflehnend, rief sie:

»Wage es, Heinrich, mich zu berühren, und ich schreie es über die Dächer, welch ein elender Mensch du bist – –«

Kaum hatte sie die Worte gesprochen, als der Apotheker mit seiner langen Gestalt über sie herfiel, ihren Arm ergriff und sie zu seinen Füßen niederstieß. Und als sie hilferufend aufkreischte, beugte er sich herab, mißhandelte sie und drückte seinen großen, knöchernen Finger auf ihren Mund.

Und seine Beine schlotterten. Der Schweiß rieselte ihm von der Stirn. Sein Atem ging wie der Hauch aus eines Raubtieres Schlund, und die Augen traten ihm in der besinnungslosen Wut aus den Höhlen.

Dora richtete sich mühsam empor, klammerte sich an den Tisch und stand wieder aufrecht da. Es war, als ob eine Leiche lebendig geworden sei und ihren Mörder mit den Blicken durchbohren wollte. Ihre Hände ballten sich; ihre Brust wogte, wie wenn der Atem vergeblich einen Ausweg suchte, und in ihrem Blick lag ein Haß, der grauenerregend auf den Apotheker wirkte. Endlich gewann sie ihre Kraft wieder, und während er zurückschrak vor diesem Übermaß der Leidenschaft, lief sie ans Fenster, riß es auf und schrie ihm zu:

»Verlasse jetzt das Zimmer, in dem du meine Ehre schändetest, oder, bei Gott, ich stürze –«

Einen Augenblick flogen eisige Schauer durch die Seele des Mannes. Er wandte sich zum Gehen. Aber auch jetzt sollte sie nicht das letzte Wort behalten. Indem er die Hand auf den Drücker der Tür legte und diese zur Bestätigung seiner Unempfindlichkeit gegen ihre Worte absichtlich langsam öffnete, maß er sein Weib mit höhnischem Ausdruck in den Mienen und verließ, in einem brutal wegwerfenden Tone das Wort »Komödiantin!« ihr zuschleudernd, das Gemach.


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