Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Elftes Kapitel.

»Na, liebe Mile,« warf die Frau Doktor hin und trat in das Nähzimmer des Paulsenschen Hauses, »wie steht's mit der Taille? Und haben Sie denn genug Futter?«

Mile Kuhlmann, die Allerweltsschneiderin von Kappeln, nahm das Kleid, an dem sie nähte, höher auf das Knie, setzte die Brille ab und guckte zu der Sprechenden empor:

»Mit dem Futter macht es sich, Frau Doktor, aber zum Kleid müssen wir noch eine Elle zukaufen.«

»Wie ist's möglich, Mile?«

»Der Rock nimmt zuviel weg«, erklärte die Künstlerin. Sie hob das bauschige Gewand in die Höhe, schaute erst auf den Stoff und dann auf die Fragende und legte ein triumphierendes Ausrufungszeichen in ihre Mienen.

Ein bißchen zu kurz kam Mile Kuhlmann mit dem Stoffe stets, und einige behaupteten, sie habe etwas von einer Elsternatur an sich, sie wisse wohl, weshalb sie sich in die Kleiderröcke so tief reichende Taschen genäht habe. Aber sie schneiderte vorzüglich, und ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Furchtbares, und ihre Sprache etwas Zerschmetterndes, wenn man ihr im geringsten zu nahe trat. »Bitte, ich bin nicht verlegen um Kundschaft, wenn Sie eine andere Schneiderin haben, die Ihnen besser gefällt, Frau Amtsrichter, Frau Doktor, Frau Inspektor« – schnaubte sie mit hochgeröteten Wangen, und so ertrug man denn ihre Launen geduldig. Mile Kuhlmann hatte einen schlanken Wuchs, der durch Schnüren und Fischbeineinsatz noch gefördert wurde, und war im übrigen ein auffallend häßliches Frauenzimmer. Sie trug, wie ein naseweiser Nachbarssohn einmal gesagt hatte, zwei halbe Bäckerkringel an den Stirnseiten; und allerdings sahen die in einer Halbrundung an die Schläfe gelegten, nicht allzu üppigen, braungelben Flechten ähnlich aus. Auch konnte sich Mile keiner Fülle rühmen. Ihr Körper machte den Eindruck, als ob die Kargheit an ihrem Tische Stammgast sei.

Während die Doktorin noch in dem von Plätteisenduft erfüllten, dumpfen und mit Stoffabfällen bedeckten Raum stehen blieb, glättete Mile die Kleidernaht mit dem Daumennagel, nahm abermals die Brille ab und sagte, indem sie den Kopf etwas seitwärts drehte:

»Na, ist es denn wahr, was die halbe Stadt sich erzählt? Hat Fräulein Dora sich mit Herrn Heinrich verlobt, Frau Doktor?«

Die Angeredete zog die Augenbrauen empor, als ob sie sagen wollte, was man selbst nicht einmal weiß, das weiß schon die ganze Welt! Aber Mile, fest entschlossen, dieser Angelegenheit, die ihr um so verdächtiger erschien, als ihr nichts, aber auch gar nichts davon mitgeteilt war, auf die Spur zu kommen, fuhr in sehr bestimmtem Tone fort:

»Soll wohl vorläufig noch ein Geheimnis bleiben? Wird erst später deklariert, Frau Doktor?«

»Es mag wohl sein, Mile«, erwiderte die Frau Physikus etwas ungeduldig abweisend und zeigte deutlich, daß sie das Gespräch zu beenden wünsche.

»Na, jedenfalls eine Partie, die sich sehen lassen kann. Er ist ja sehr reich? Und dann sagte man ja auch –«

Sie unterbrach sich und hob die Arbeit vor die Augen, als ob diese sie im Augenblick so sehr beschäftige, daß ihre Gedanken dadurch abgelenkt würden.

Mile Kuhlmann war überaus neugierig und wandte ihren Damen gegenüber zweierlei Mittel an, um das zu erfahren, was ihre Spürnase reizte. Sie begann Sätze und führte sie nicht zu Ende, oder – und es war seltsam, wie die ganze Frauenwelt Kappelns in dieses Netz ging – sie äußerte, um den richtigen Tatbestand zu ergründen, Zweifel an dem, was sie bereits halb und halb wußte, und stellte sich in Streitsachen auf die Seite des angegriffenen Teils.

So hatte sie einst von der Frau Amtsrichter Hübeler Näheres über ein in der Stadt vielfach besprochenes Zerwürfnis zwischen deren Gatten und einem Vorgesetzten erfahren wollen, war aber, weil offenbar der Amtsrichter seiner Ehehälfte strengste Verschwiegenheit auferlegte, mit allen ihren Versuchen, die Dame zum Sprechen zu bewegen, abgeglitten. Und da hatte denn Mile zu dem erprobten Mittel gegriffen und hingeworfen: »Ja, wenn das für Herrn Amtsrichter wirklich so traurige Folgen haben wird –«

Was war das? Traurige Folgen? Dadurch war das Eis gebrochen, und es erfolgte die große Verteidigungsrede für den Gatten, bei der dann Mile alles erfuhr, was sie wissen wollte.

Und ähnlich ging es auch heute. Milens verräterische Worte »Und dann sagt man ja auch –« wurden Frau Doktor Paulsens Verderben.

Die Näherin erfuhr alsbald, daß Heinrich das Jawort erhalten habe, jedoch allen Glückwünschen vor der Vermählung entgehen wolle! Da nun diese schon wegen der zu beschaffenden Aussteuer nicht so rasch erfolgen könne, sei beschlossen worden, die Sache möglichst geheimzuhalten, und erst an dem Tage des Aufgebots in der Kirche das frohe Ereignis bekanntzugeben. Man werde früher erfolgende Gratulationen natürlich nicht zurückweisen, aber um ihnen möglichst zu entgehen, werde Dora, die sich überdies in der letzten Zeit etwas angegriffen gefühlt habe und der Luftveränderung bedürftig sei, Kappeln vielleicht auf sechs Wochen verlassen und zum Onkel nach Mecklenburg reisen.

Nun drängte sich Mile Kuhlmann die natürliche Frage auf die Lippen, wer denn die Hochzeitskleider für Dora anfertigen werde. Aber Frau Paulsen kam ihr in kluger Weise zuvor und warf, indem sie scheinbar eine kleine mißliebige Kritik an dem Apotheker übte, nachlässig hin:

»Ja, ja, eigen ist ja mein künftiger Schwiegersohn. So will er zum Beispiel durchaus, daß alle Aussteuergegenstände fix und fertig in Hamburg gekauft werden sollen. Kleider, Wäsche, Hüte, Leinenzeug, Gardinen werden sie gemeinsam dort aussuchen, sobald meine Tochter zurückgekehrt ist, und dann wird geheiratet und eine längere Reise nach Paris und Italien angetreten.«

»Was Sie nicht sagen, Frau Doktor, eine Reise nach Paris und Italien?!«

So sehr sich auch Mile Kuhlmann über die eben kundgegebene rücksichtslose Verfügungsart des Apothekers geärgert hatte, diese letzte Mitteilung erfüllte sie doch mit einer ehrfurchtsvollen Bewunderung für den Bräutigam und ließ ihr die Partie in einem noch glänzenderen Lichte erscheinen.

»Das junge Paar bleibt dann wohl ziemlich lange fort?« forschte Mile, schnitt mit der Schneiderschere ins Seidenzeug und trennte den Rest durch einen scharf schrillenden Riß vermittels ihrer Hände.

»Wahrscheinlich drei Monate«, bestätigte Frau Paulsen und fuhr seufzend fort: »Ja, ja, wie sich das alles so gemacht hat!«

Mile wollte nun auch noch den letzten Trumpf ausspielen und fand dazu in der leisen Wehklage, die durch der Doktorin Worte klang, eine Anknüpfung. Sie sagte deshalb mit angenommener Lebhaftigkeit:

»Ich kann mir denken, wie glücklich Fräulein Dora ist! Wenn man jemand schon von Kind auf gekannt hat, nimmt man ja so herzlichen Anteil, und ich muß sagen, sie ist in der ganzen Stadt so beliebt, daß allgemein – Freilich –«

Jetzt erforderte abermals die Schneiderarbeit eine solche Aufmerksamkeit, daß der Satz unterbrochen werden mußte.

»Allgemein! Freilich!« tönte es in Frau Paulsens Ohren. Sie konnte es nicht erwarten, etwas von der öffentlichen Meinung zu hören. Um so mehr verlangte sie danach, da sie diese fürchtete.

»Was wollten Sie sagen, Mile?« warf sie, ihre Spannung verbergend, hin.

»Ich? – Ach so! Ja, Sie können sich wohl denken (nun kam die Rache dafür, daß der Apotheker die Aussteuerkleider in Hamburg machen lassen wollte), daß, wenn sich zwei Menschen verloben, die doch, – die doch – ich meine – im Alter so weit auseinander sind –«

Ah! Also wirklich! Man sprach in Kappeln davon! Frau Paulsen stockte das Herz.

»Aufrichtig gesagt, Frau Doktor, ich habe mich neulich gräßlich geärgert. Namen will ich nicht nennen, es ist nicht meine Art, etwas wiederzusagen.«

Mile machte eine Pause. Und dann fuhr sie fort: »Es ist eine Familie, die Sie ganz gut kennen. – Es war von der Verlobung die Rede, und da hätten Sie hören sollen, wie –«

»Nun, so schlimm wird es wohl nicht gewesen sein«, fiel Frau Paulsen mit angenommenem Gleichmut ein.

»Doch, doch, Frau Doktor, ich meine, wie über Herrn Heinrich – und – auch über die Verlobung da abgehandelt wurde –«

»Es war wohl ein bißchen Neid, Mile, – das ließ sich ja voraussehen!«

Aber Mile, gereizt durch diese Unempfindliche, sagte, als ob sie sich der Grausamkeit, die in ihren Worten lag, gar nicht bewußt sei:

»Nein, nein, Frau Doktor. Es fielen ganz andere Äußerungen. – Hm – hm, wieso? Soll ich die Ärmel etwas hoch aufsetzen? Es wird ja jetzt gern getragen. – Ja? – Schön! – Dann lege ich etwas stärkere Falten. – Doch, was wollte ich noch sagen? Richtig! Es wurde bemerkt, Fräulein Dora sei nicht mit dem Herzen bei der Partie, ja, sie habe Herrn Heinrich sogar anfänglich einen Korb gegeben.«

»Was die Leute nicht alles wissen; es ist kaum zu glauben!« warf Frau Paulsen abweisend, mit philosophischer Überlegenheit hin; aber Miles Worte hatten sie tief getroffen.

Sie trug auch kein Verlangen, mehr zu hören. Mit großer Überwindung sprach sie nochmals über die Ärmel und einige andere Dinge und verließ dann das Zimmer.

Mile Kuhlmann aber wußte genug. Wenn ihre Damen so abbrachen, hatte der Pfeil, den sie abgesandt, ganz nach Wunsch getroffen; weiterer Erklärungen bedurfte es dann nicht.


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