Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Achtes Kapitel.

Herr Heinrich war nicht wenig überrascht, als eines Morgens zu ganz ungewohnter Stunde der Physikus in die Apotheke trat, ihn ernst begrüßte und geheimnisvoll zu sprechen begehrte.

Die beiden Herren gingen in das kleine Kontor, in dem sich früher die erregte Szene zwischen Schuby und August abgespielt hatte, und der Physikus nahm ohne Übergang das Wort, indem er sagte:

»Bester Heinrich, Sie könnten mir einen großen Dienst erweisen, wenn Sie mir zum Januar fünfzehntausend Mark auf mein Haus geben wollten. Es ist zwar bereits in Feuerkassenhöhe belastet, aber bietet doch wohl noch Sicherheit genug.«

Heinrich guckte groß auf; es drängten sich auch allerhand Fragen auf seine Lippen, aber er unterdrückte sie vorläufig und sagte, sich rasch fassend:

»Im Januar ist's ganz unmöglich, bester Paulsen. Ich habe meine Gelder festgelegt. Hätten Sie mir das ein halbes Jahr früher gesagt, wäre es eher gegangen. – Brauchen Sie das Geld denn so notwendig?«

»Ach, es ist das ja eine unglückliche Geschichte. Sie wissen doch, daß meine Frau einen einzigen Bruder in Süddeutschland hat, dem es nie recht hat glücken wollen. Vor vier Jahren, als er von neuem ein Geschäft in Regensburg gründete, ließ ich mich bewegen, für ihn gutzusagen, und erwartete von Jahr zu Jahr, daß er mich von der Bürgschaft befreien werde. Meine Hoffnungen erfüllten sich aber nicht, und in diesen Tagen erhielt ich sogar von seinen Gläubigern die lakonische Aufforderung, ungesäumt zu zahlen. Mein Schwager habe falliert und seit einigen Tagen die Stadt verlassen. Er ist zu diesem Verfahren berechtigt; ich bin gesetzlich und moralisch verpflichtet, für meiner Frau Bruder einzutreten.«

Herr Heinrich zog ein sehr langes Gesicht. Er bedauerte nach diesen Auseinandersetzungen lebhaft, daß er überhaupt die Möglichkeit einer Darlehnsgewährung ausgesprochen hatte. Die angebotene Hypothek erachtete er zwar nicht gerade als gefährdet, aber sie war keineswegs eine solche, die man im Geschäftsstil zweifellos gut nennt. Es kam hinzu, daß seine Freunde drüben alles verbrauchten, was im Laufe des Jahres verdient wurde. Paulsens lebten nach Heinrichs Ansichten über ihre Verhältnisse, und ob er demnach, wenn er dem Physikus das Geld leihen werde, auch immer die Zinsen erhalten würde, erschien ihm sehr zweifelhaft.

Die Sache war ihm äußerst ungelegen, und er sagte deshalb trocken:

»Sagen Sie mal – was wollte ich noch bemerken? Richtig! Würde Ihnen nicht Ihr Bruder in Mecklenburg die Summe leihen können?«

Der Physikus, der die Sicherheit, die er bot, selbst gar nicht anzweifelte, erwiderte, arglos sich gebend:

»Ich glaube nicht, daß er es kann, und aufrichtig gesagt, ihn zu bitten, ist mir aus manchen Gründen peinlich. Sie stehen mir eigentlich innerlich näher als mein Bruder, lieber Heinrich, und meine Frau und ich hofften deshalb, daß Sie Hilfe schaffen würden. Am Ende, ist's nicht zum Januar, wird der Himmel nicht einbrechen, wenn ich an einem späteren Termin zahle.«

Aber Heinrich war schon fest entschlossen, seines Freundes Gesuch abzulehnen. Er drehte deshalb den Spieß um und sagte in seiner wenig angenehmen, überlegenen Weise:

»Wie konnten Sie nur für einen so notorisch leichtsinnigen Menschen, wie ihr Schwager einer ist, gutsagen? Das ist mir unfaßlich, lieber Freund. Weshalb haben Sie mich damals nicht um Rat gefragt? Ich hätte Ihnen das vorher sagen können. Natürlich, Sie werden das ganze Geld verlieren, und offen gestanden, ich sehe noch nicht einmal, wie Sie es überhaupt auftreiben wollen. In Kappeln gibt Ihnen auf Ihr Grundstück, das, wie es nun einmal gebaut, nur für eine Familie bewohnbar ist, niemand eine Hypothek über den Feuerkassenwert. Es bringt ja schon jetzt kaum die Zinsen auf. Sie wohnen sehr teuer.«

Nun wurde dem Physikus die Sachlage allerdings klar. Wenn Heinrich erst so redete, wußte er Bescheid. Hier war keine Hilfe zu erwarten. Er erhob deshalb auch nur noch einige schwache Einwendungen gegen die bezweifelte Sicherheit der Hypothek und stand im übrigen halb in verlegener, halb in empfindlicher Stimmung vor demjenigen, der ihn so teilnahmslos abwies und in dem Augenblicke der Not sogar mit Vorwürfen nicht zurückhielt. Aber auch Heinrich überkam jetzt ein unbequemes Gefühl. Der Physikus hatte im Laufe des Gesprächs der Doktorin Erwähnung getan, und er ward dadurch erinnert, daß es aus bestimmten Gründen geboten schien, wenigstens äußerlich an den Tag zu legen, daß er an den Sorgen seiner Freunde teilnehme.

Er sagte deshalb, freilich ohne sich etwas dabei zu denken:

»Schicken Sie mir doch gefälligst nachher einen Auszug aus dem Schuld- und Pfandprotokoll nebst genauer Angabe über die Höhe der Feuerkasse herüber, bester Freund. Ich will mir die Sache, wenn ich alles vor mir habe, noch einmal genau überlegen.«

Der Physikus nickte, bat Heinrich mit eindringlicher Herzlichkeit, sein Möglichstes zu tun, und verließ das Kontor.

Der Apotheker blieb noch eine Zeitlang nachdenklich an den Schreibtisch gelehnt, und während er sich aus einer schlechten Gewohnheit, die er neuerdings angenommen hatte, mit einem Schildpattfabrikat in den Zähnen stocherte, kamen ihm allerlei Gedanken. Und einen von diesen erhob er zum Entschluß.

Ein kluger Mann zog selbst aus den Ungelegenheiten seiner Mitmenschen Vorteil!

Drei Tage befand sich der Physikus in der äußersten Spannung. Heinrich ließ nichts von sich hören. Dann aber kam ein Schreiben folgenden Inhalts:

»Lieber Paulsen!

Ihre Sache beschäftigt mich außerordentlich; es betrübt mich auch sehr, daß Sie in diese unangenehme Lage geraten sind, aber ich bedaure, Ihnen nicht helfen zu können.

Wenn ich das Geld liegen hätte, wär's schon etwas anderes, aber sicherstehende Kapitalien zu kündigen, um eine zweifelhafte Hypothek zu erwerben, deren Inhalt überdies wohl nur eines Wucherers Beutel füllen wird, dazu kann ich mich nicht entschließen, um so weniger entschließen, als ich Ihnen gar keinen Freundschaftsdienst damit erweise.

Ich biete mich aber an, mit dem Gläubiger zu verhandeln und ihm die Alternative zu stellen, daß er bei einem etwaigen Konkurse nichts erhält oder sich mit einer Abfindung begnügt.

Lieber Paulsen! Ich bin Geschäftsmann und beurteile die Dinge nüchtern; sie müssen mir deshalb auch nicht übelnehmen, wenn ich ohne jegliche Sentimentalität die Sache ins Auge fasse.

Sie besitzen tatsächlich nichts, denn Sie leben von Ihrem Erwerb als Arzt, und die Einrichtung, die Ihnen Ihre liebe Frau mitgebracht hat, würde beim Zwangsverkauf nur ein Geringes ergeben. Sie wollen nun trotzdem bezahlen und die Bürgschaftsverpflichtung in eine Darlehnsverpflichtung verwandeln!

Hand aufs Herz! Stehe ich Ihnen näher oder jener, ein fremder Mann? Einer von uns beiden muß schließlich den Betrag bei Ihnen einbüßen, das steht außer Zweifel. Ich weiß, daß Sie diese Bemerkung unzart finden, mir auch nicht beistimmen werden, weil Sie die mir angebotene Hypothek bisher als eine Sicherheit angesehen haben. Sie ist aber keine, glauben Sie es mir, und deshalb nochmals: überlegen Sie meinen Vorschlag und übertragen Sie mir die Abwicklung der Sache.

Was nun die Vergleichssumme anbelangt, so bin ich nicht abgeneigt, die Bürgschaft für den richtigen Eingang der eventuell von Ihnen zu leistenden Abschlagszahlungen zu übernehmen, und bitte Sie, dann Ihrerseits für prompte Deckung derselben Sorge zu tragen. Beifolgend die Papiere dankend zurück.

Entschuldigen Sie, daß ich nicht schon bei Ihnen war, auch heute schreibe, statt selbst zu kommen, aber am Tage Ihres Besuches hat sich bei mir im Hause etwas so äußerst Unliebsames ereignet, daß mir Zeit und Stimmung für die Angelegenheiten Dritter, selbst wenn dieselben mir so nahestehen wie Sie, völlig abgingen.

Wenn's Ihnen recht ist, hole ich Sie morgen nachmittag zum Spaziergang ab! Ihren Damen die schönsten Grüße.«

Dieser Brief schlug wie eine Bombe in des Physikus' Haus. Auf eine ablehnende Antwort war Doktor Paulsen am Ende vorbereitet, aber dies! – Solche Offenherzigkeit grenze an Roheit, meinte die Doktorin. – Konkurs erklären! Ohne äußerste Not sich vor der ganzen Welt bloßstellen! Der Familie Stellung und Existenz untergraben! Was würde man in Kappeln sagen! Das sollte Freundschaft sein? Wenn's darauf ankam, wenn es sich um den Geldbeutel handelte, war der langjährige Intimus der Familie nicht zu Hause!

Und je mehr die Doktorin redete, desto mehr bäumte es sich auch in des Physikus' Innerem auf. Immer von neuem ging die Pfeife aus, ein Fidibus nach dem andern ward entzündet und zwischen Zeigefinger und Daumen ausgelöscht.

Als Dora einmal den Kopf zur Tür hereinsteckte, wurde sie abgewiesen.

»Was, Kind? – Nein, nein, heute nicht! – Deinem Vater ist nicht nach Gesellschaft zumute. – Wie? – Nein! – Sage nur, wir bedauerten. Und dann bestelle auch Lene, wenn Leute kämen, solle sie sagen, Papa sei über Land gefahren; es sei ungewiß, wann er zurückkehren werde.«

Dora nickte ängstlich und entfernte sich. Ihr Papa hatte nicht gesprochen, aber sie sah ihn ruhelos auf und ab gehen, und Sorgenfalten, die sie kaum an ihm kannte, lagen auf seiner Stirn. –

Inzwischen sandte der Klempner Gottliebsen, daß seine kleine Marie sehr stark fiebere. Bei dem Neubau vor der Stadt war ein Mann vom Gerüst gefallen, und man verlangte dringend nach dem Herrn Physikus. Von Franzius wurden Boten geschickt, daß Emil, der Älteste, über heftige Brustschmerzen klage, und des Arbeiters Konrad Frau lag seit morgens sechs Uhr im Sterben.

Lene erklärte, der Herr Doktor sei nicht zu Hause, sie werde es aber bestellen, und er werde sicher vorsprechen, sobald er zurückkehre.

Einige Stunden später war die erste Erregung, welche sich der Ehegatten bemächtigt hatte, schon einer besonneneren Auffassung gewichen; die Höhen und Abgründe waren überschritten, und sie wandten sich mit ihren Gedanken in die Täler der ruhigen Vernunft.

Dem Physikus flüsterte bereits während der ersten Ausbruche des Unmuts eine leise Stimme zu, daß Heinrich, so wenig zart er auch die Angelegenheit behandelt hatte, doch nicht so ganz unrecht habe.

Nur in einem Punkte vermochte er ihm durchaus nicht beizustimmen, und dieser Punkt betraf die Pflichten des Freundes. Nach seiner Auffassung mußte ein solcher selbst mit größeren Opfern eintreten, wenn es sich um Stellung, Ehre und Existenz eines bis dahin unbescholtenen Mannes handelte. Wer die erste Forderung hatte, gewann das Recht, zuerst befriedigt zu werden, und wenn Heinrich den Vorschlag machte, daß die Schuld in Raten abgetragen werden solle, weshalb befreite er ihn dann nicht vorerst von einem hartdrängenden Gläubiger und trat selbst in dessen Verhältnis ein?

Zuletzt wurde der Schlußsatz des Briefes erörtert. Heinrich sprach von einem außerordentlich unliebsamen Ereignis, das sich zugetragen habe. Was konnte geschehen sein? Die Ehegatten sannen hin und her, und es muß der Vorwurf gegen die Frau Doktor erhoben werden, daß sich in ihre Spannung etwas wie Schadenfreude mischte. Sie hoffte, obgleich irgendwelches Ungemach, von dem Heinrich getroffen war, ihre eigene Lage nur verschlechtern konnte, daß das Schicksal ihm auch einmal einen Schlag versetzt habe.

Über dieses außerordentliche Ereignis, das gleichzeitig geeignet war, Heinrichs Vorurteil gegen August zu beseitigen, äußerte sich der Apotheker am nächsten Tage gegen den Physikus in folgender Weise:

»Es war mir«, sagte er in seiner gewohnten, überlegenen Art, »schon seit längerer Zeit aufgefallen, daß sich ein sehr geringer Betrag in meiner Tageskasse befand, und es stand fest bei mir, daß ich bestohlen würde.

Anfänglich richtete sich mein Verdacht auf den neuen Lehrling, und ich sondierte diesen in geeigneter Weise. Der Bursche blieb aber bei den verschiedenen an ihn gestellten Fragen so unbefangen, er begriff so wenig, worauf ich eigentlich hinauswollte, daß er der Schuldige gar nicht sein konnte.

Mein Hausdiener Jakob betrat morgens beim Reinmachen allein die Apotheke. Um diese Zeit befand sich jedoch, da mein Gehilfe den Bestand jeden Abend vorm Verlassen des Kontors abzuliefern hat, überhaupt kein Geld in der Ladenkasse. Es blieb also nur noch Schuby übrig, denn ein Hausdieb mußte es sein. Ich begann nun meine Operation damit, daß ich den Lehrling fortsandte und ein auffallend gefärbtes Stück Papier auf den Rezeptiertisch legte. Es standen mit verstellter Handschrift die Worte darauf: »Was verdient derjenige, der seines Herrn Vertrauen mißbraucht?« Eine Absichtlichkeit schien hierbei ausgeschlossen, weil ich das Papier zusammengeknittert hatte, als ob's zum Einwickeln benutzt gewesen sei.

Als Schuby, der im Laboratorium beschäftigt gewesen war, zurückkehrte, beobachtete ich ihn versteckt durch die Scheibe meines Kontors. Wirklich ging er in der gehofften Weise in die Falle. Er nahm das Blatt an sich, besah es einen Augenblick, wollte es fortwerfen und faltete es dann doch auseinander.

Nun beobachtete ich gespannt, was folgte. Er las den Satz, der mit großen Buchstaben geschrieben war, sah sich spähend um, ob ich ihn vom Nebenzimmer aus beobachte, wollte schon nachsehen, besann sich aber wieder und studierte dann abermals, und zwar versteckter als vorher, den Inhalt des Schriftstückes. Dann starrte er eine Weile, mit dem Rücken gegen den Rezeptiertisch gelehnt, vor sich hin, glättete endlich das Papier, legte es in gleiche Falten und verbarg es in der Seitentasche seines Rockes. Nachdem das geschehen, machte er eine Bewegung gegen mein Zimmer. Ich eilte rasch an mein Pult und ließ mich, eifrig schreibend, an demselben nieder. In der Tat öffnete Schuby die Tür und tat eine Frage wegen eines Dekokts.

Ich antwortete ihm unbefangen und ließ ihn fortgehen, dann aber – und in diesem Augenblick kehrte auch der Lehrling zurück – rief ich ihn zurück, schloß hinter uns ab, und sagte ohne Übergang:

»Schuby! Glauben Sie, daß der da drinnen« – ich wies in die Richtung nach dem eben Eingetretenen – »ehrlich ist?«

»Wieso, Herr Heinrich?«

»Haben Sie denn nichts bemerkt?«

»Bemerkt? Nein –«

»Glauben Sie nicht, daß Julius mitunter in die Kasse greift, um sich einen vergnügten Abend zu machen? Es beschäftigt mich schon lange, daß unsere Tageseinnahme so gering ist. Bestohlen werden wir, das steht außer allem Zweifel! Ist's Ihnen gar nicht aufgefallen? Haben Sie niemanden in Verdacht?«

Da nun Schuby sah, daß alles entdeckt war, bewegte er die Schultern, nahm eine andere Miene an und sagte:

»Ich kann nicht leugnen, daß es mir allerdings auch aufgefallen ist, daß Julius in Kleidung und allerlei –«

Ich unterbrach ihn nun und warf, als ob ich von der Sache zunächst absehen wolle, hin:

»Begleiten Sie mich doch einmal auf Ihr Zimmer, Schuby!«

»Auf mein Zimmer, Herr Heinrich?«

»Jawohl! Kommen Sie!«

Als wir oben angelangt waren, schloß ich die Tür ab. Er sah mich mit schlecht unterdrückter Angst an, sagte aber nichts.

»Ich bin mit Ihnen hier heraufgegangen, weil ich wünsche, daß Sie zum Beweise Ihrer eigenen Unschuld Ihre Kommode öffnen.«

»Herr Heinrich!« rief er, während Blässe seine Wangen bedeckte.

Ich aber fuhr ruhig fort:

»Wenn Sie schuldig sein sollten, möchte ich doch wenigstens das von dem gestohlenen Gelde retten, was noch vorhanden ist.« – Und dann in verändertem Tone:

»Gestehen Sie es sofort, wenn Sie der Täter sind, ich rate es Ihnen wegen der Folgen. Wenn Sie reuig gestehen, so sollen Sie straflos ausgehen; anderenfalls aber werde ich Sie den Gerichten überliefern. Ob Sie bekennen oder nicht, öffnen Sie –«

Noch siegten Scham und Furcht vor den Folgen in ihm.

Er ergriff trotzend das Schlüsselbund und schloß die Kommode auf.

»Schuby!« rief ich, »bedenken Sie, welche Wahl ich Ihnen gelassen habe. Ich gebe Ihnen noch einige Minuten Zeit!«

Eine kurze Pause entstand.

Endlich flüsterte er in furchtbarer Zerknirschung: »Herr Heinrich, ich tat sonst meine Pflicht. Machen Sie mich nicht unglücklich!«

»Gut! Sie gestehen also? Seit wann haben Sie Gelder aus der Kasse entwendet?«

Er dachte nach, oder er scheute sich vor der Antwort; er schwieg.

»Nur völliges Bekennen rettet Sie vor der Anzeige!« fuhr ich fort.

»Seit August fortging. –«

»Weshalb gerade seit Augusts Abgang?« fragte ich, von dem Verdacht beherrscht, daß Schuby mit ihm unter einer Decke gesteckt habe.

»August war mit dem Taschengelde, das er, wie Sie wissen, von seiner Tante erhielt, sehr sparsam und lieh mir mitunter einige Taler«, stöhnte Schuby, ganz zerschmettert, »ich konnte nie recht auskommen. Als er fort war, entnahm ich der Kasse Geld und gab's hin und wieder zurück. Und dann –«

»Und dann?«

»Ja, dann kam ich doch wieder und noch tiefer hinein. Ich verlor mehreremal beim Kartenspiel und – und –«

»Und?«

»Und vermochte die Summe nicht zu ersetzen –«

»Wie hoch schätzen Sie den Betrag, um den Sie mich im Laufe dieser Zeit gebracht haben?«

Er nannte zitternd eine Summe, deren Höhe so groß war, daß ich erschrak.

»Elender Mensch! Sie verdienen eigentlich gar keine Nachsicht, Kreaturen wie Sie –«

Aber er ließ mich nicht ausreden, fiel vor mir nieder und rief:

»Ich schwöre bei dem Andenken an meine guten Eltern, die ehrliche, brave Leute waren, daß ich die Summe, die sich heute in meinem Pult befindet, als Mittel benutzen wollte, um das entwendete Geld zurückzuverdienen.«

»Nun gut, angenommen, daß dem so ist, wie dachten Sie sich denn die Rückgabe? Hunderte konnten Sie doch nicht auf einmal in die Tageskasse legen?!«

»Ich wollte Ihnen das Geld senden, später, wenn ich mich in einer anderen Lebensstellung befand –«

»Schön! Halten wir das auch fest! Sie bescheinigen mir schriftlich, daß Sie mir so und so viel entwendet haben, und verpflichten sich sowohl zur allmählichen Abtragung des Kapitals als auch zur Zahlung von jährlich vier Prozent Zinsen. Bleiben diese Zahlungen aus, so steht es in meinem Belieben, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen. Schreiben Sie gleich, was ich Ihnen diktiere. Morgen verlassen Sie mein Haus!«

»Und das Zeugnis?« stotterte der zerknirschte Mensch.

»Ein Zeugnis erhalten Sie von mir überhaupt nicht. Wünschen Sie trotzdem eins, so steht die Veranlassung der Kündigung darin. – Wie Sie das machen, ist Ihre Sache! Ich biete meine Hand nicht dazu, Sie meinen Kollegen als einen ehrlichen Mann zu empfehlen. Das tue ich aber, wenn ich Ihre Schuld verschweige.«

Er lieferte mir nun das Geld, welches noch in seinem Besitz war, aus, versprach, seinen Verpflichtungen pünktlich nachzukommen, und reiste am nächsten Tage ab. Zufälligerweise fand ich sogleich Ersatz für ihn –«

»Hätten Sie den Menschen nicht anzeigen müssen, Heinrich?« fiel der Physikus ein. »Ist es richtig, einen so schwer Belasteten ungestraft entweichen zu lassen?«

Herr Heinrich, der sich während des Sprechens die Nägel geputzt hatte, knipste ein Fingerwürzelchen ab und sagte, dem Einwand, der ihn reizte, mit Kälte begegnend:

»Ich verdiene mir mein Geld nicht, um es in solcher Weise zu verlieren. Da ich den Menschen immer in der Hand behalte, konnte ich ihn ruhig laufen lassen, und ich komme auf diese Art vielleicht einmal wieder zu meinem Eigentum, das gewiß unwiederbringlich verloren gewesen wäre, wenn ich ihn dem Gerichte überliefert hätte. Ich wollte ihm auch den Weg nicht abschneiden, wieder ein ehrlicher Mensch zu werden«, setzte er in seiner üblichen, den Biedermann heuchelnden Weise hinzu.

Als der Physikus seinen Damen von diesem Vorfall Bericht erstattete, fuhr Dora lebhaft auf und rief: »Schändlich! Der arme August hat sein schlechtes Zeugnis weg, weil der infame Mensch ihm schaden wollte! Und dieser geht leer aus und hat sogar ein Verbrechen auf dem Gewissen!« Und eifrig setzte sie hinzu: »Ob Heinrich sein Unrecht gegen August wieder gutmachen wird?« Dies schien der Physikus zu bezweifeln; er zuckte wenigstens die Achseln und machte eine ungläubige Miene.


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